Urheberrecht beim Vertrieb eines Filmwerks

14. April 2011
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Eigener Leitsatz:

Die Zusammenstellung von Konzertfilmaufnahmen genießt als neues, eigenständiges Filmwerk Schutz nach dem Urheberrechtsgesetz. Ein solches Filmwerk liegt vor, wenn die Zusammenstellung der Konzertschnitte duch Schnitt, thematische Gruppierung und gestalterische Elemente eine eigene erzählerische Struktur gewinnt und dadurch ein Gesamtfilm mit eigener Dramaturgie entsteht. Kein Urheberrechtsschutz würde bestehen, wenn die bereits bestehenden Konzertaufnahmen allein schlicht aneinander gereiht werden.
Der Hersteller eines solchen neuen Filmwerks kann damit die ohne seine Einwilligung vorgenommene Vervielfältigung und Verbreitung  von identischen Inhalten seines Filmwerks verbieten.

Oberlandesgericht Hamburg

Urteil vom 11.08.2010

Az.: 5 U 18/08

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 21.12.2007, Az. 308 O 318/07, abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,

die den Tonfilm „S…P…“ über die Musikgruppe „T…D…“ enthaltende DVD mit dem Titel „T…D…“ (Produktnummer der Beklagten 0215) selbst oder durch Dritte zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über Namen und Anschrift der gewerblichen Vorbesitzer und der gewerblichen Abnehmer der im Tenor zu 1 genannten DVD.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über die Anzahl der hergestellten und vertriebenen der im Tenor zu 1 genannten DVDs, und zwar unter Angabe der Verkaufspreise sowie der Herstellungskosten und/oder Einkaufspreise und der mit der Herstellung und/oder dem Einkauf und Vertrieb der DVD verbundenen produktbezogenen Kosten.

4. Die Beklagte wird verurteilt, in die Vernichtung aller in ihrem Besitz befindlichen Vervielfältigungsexemplare der im Tenor zu 1 genannten DVD einzuwilligen.

5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Vervielfältigung und Verbreitung der im Tenor zu 1 genannten DVD entstanden ist.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 200.000 abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Vervielfältigung und Verbreitung einer DVD in Anspruch und stützt sich hierbei in erster Linie auf urheberrechtliche Anspruchsgrundlagen.

Die Klägerin ist ein Unternehmen britischen Rechts und produziert und vertreibt u. a. unter dem Label „E…V…“ weltweit DVDs. Sie erstellt und vertreibt die DVD mit dem Titel „T…D… – S…P…“ (Anl K 1). Diese DVD enthält Ton- und Bildaufnahmen von drei Auftritten der in der zweiten Hälfte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts erfolgreichen amerikanischen Musikgruppe „T…D…“, die seinerzeit in verschiedenen Fernsehstudios aufgezeichnet worden waren. Hierbei handelt es sich um Auftritte der Gruppe 1967 in Toronto, 1968 in Dänemark und 1969 in New York. Zudem finden sich auf der DVD Interviews aus jener Zeit sowie aus dem Jahr 2001; letztere hatte die Journalistin S…B…(vor allem) mit den drei noch lebenden Gruppenmitgliedern R…K…, R…M…und J…D…geführt. Diese DVD wurde von der Klägerin am 14. oder 15.10.2002 in Deutschland, Großbritannien und anderen Staaten der EU herausgebracht. Auf dem Cover der DVD wird die Klägerin in einem „P“-Vermerk als Herstellerin des Gesamtfilmes genannt. Auf der Rückseite der DVD sind Mitarbeiter der Klägerin genannt, so u.a. G…K…als „Executive Producer for E….. R….. E…“ und (neben anderen) M…R… als „Production Associate“ . S…B…wird dort als „Producer” aufgeführt. Das von der Klägerin verwandte Label „E…V…“ ist im Vorspann des Programms zu sehen.

Die Beklagte vertreibt unter dem Titel „T…D…“ eine DVD (Anl K 4), die mit Ausnahme des am Anfang eingeblendeten Unternehmenslogos der Beklagten eine identische Bild- und Tonfolge wie die klägerische DVD aufweist.

Die Parteien streiten u.a. darüber, ob es sich bei dem Inhalt der DVD „T…D… – S…P…“ bzw. der DVD „T…D…“ um ein Filmwerk im Sinne vom § 2 I Nr.6, II UrhG handelt und ob der Klägerin hieran Rechte als Filmhersteller zustehen. Daneben bestreitet die Beklagte, dass die Klägerin Rechte an dem gesamten dort gezeigten Bild- und Tonmaterial erworben hat. Zahlreiche tatsächliche Fragen sind zwischen den Parteien streitig. Unstreitig ist allerdings, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin (E…R…E… PLC) von dem C…B…C…V…R…C…die einfachen Nutzungsrechte an den Konzertaufnahmen aus Montreal erworben hat (Anl K 10 / 10a). Die Klägerin hat zudem eine Vereinbarung mit einer „D…M…C…“ über die anderen verwandten Konzertaufnahmen zur Verwendung in einem Programm „S…“ vorgelegt (Anl K 6 / 6a); nach dieser Vereinbarung sollten – wie es dann tatsächlich geschah – u.a. neue Interviews von der Journalistin S…B…durchgeführt und die klangliche Aufbereitung der historischen Konzertaufnahmen von dem Produzenten B…B… vorgenommen werden. Die Beklagte hat hierzu bestritten, dass die „D…M…C…“ für die Gruppenmitglieder der „D….“ habe handeln dürfen und dass der Unterzeichner D…S…die „D…M…C…“ habe vertreten dürfen.

Das Landgericht hat die auf Unterlassung, Auskunft, Zustimmung zur Vernichtung und Schadensersatz-Feststellung gerichtete Klage mit Urteil vom 21.12.2007 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klagebegehren unter Vertiefung und Erweiterung ihres Vorbringens weiter verfolgt.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Hamburg vom 21.12.2007 zum Az. 308 O 318/07

1. der Beklagten unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu untersagen, die den Tonfilm „S…P…“ über die Musikgruppe „T…D…“ enthaltende DVD mit dem Titel „T…D…“ (Produktnummer der Beklagten …..) selbst oder durch Dritte zu vervielfältigen und/oder zu vertreiben;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihr – der Klägerin – Auskunft zu erteilen über Namen und Anschrift der gewerblichen Vorbesitzer und der gewerblichen Abnehmer der im Antrag zu 1 genannten DVD;

3. die Beklagte zu verurteilen, ihr – der Klägerin – Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über die Anzahl der hergestellten und vertriebenen der im Antrag zu 1 genannten DVDs, und zwar unter Angabe der Verkaufspreise sowie der Herstellungskosten und/oder Einkaufspreise und der mit der Herstellung und/oder dem Einkauf und Vertrieb der DVD verbundenen produktbezogenen Kosten;

4. die Beklagte zu verurteilen, in die Vernichtung aller in ihrem Besitz befindlichen Vervielfältigungsexemplare der im Antrag zu 1 genannten DVD einzuwilligen;

5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr – der Klägerin – den Schaden zu erstatten, der ihr durch die Vervielfältigung und den Vertrieb der im Antrag zu 1 genannten DVD entstanden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil auf der Grundlage ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

1. Zum Streitgegenstand: In erster Linie beruft sich die Klägerin auf eigene Rechte aus dem Urheberrechtsgesetz, nämlich als Urheber / Hersteller des Gesamtfilmes, wie er auf der DVD verkörpert ist. Die weiteren Begründungen für ihre Aktivlegitimation, insbesondere ergänzender Leistungsschutz aus Wettbewerbsrecht, sind hilfsweise angeführt.

2. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 97 I in Verbindung mit § 94 UrhG zu, da sie Herstellerin eines Filmwerkes im Sinne von § 2 I Nr.6 UrhG ist.

a. Der auf den DVDs „T…D… – S…P…“ bzw. „T…D…“ verkörperte Tonfilm ist ein Filmwerk im Sinne von § 2 I Nr.6, II UrhG.

aa. Ein Filmwerk ist ein Film mit Werkcharakter, wobei eine persönliche geistige Schöpfung erforderlich ist (§ 2 I Nr. 6, II). Hierbei ist auch die „Kleine Münze“ geschützt, also diejenigen Gestaltungen, die bei einem Minimum an Gestaltungshöhe gerade noch urheberrechtsschutzfähig sind. Der urheberrechtliche Werkschutz entsteht zwar durch den schöpferischen Einsatz spezifisch filmischer Gestaltungsmittel zur Vermittlung eines geistigen Gehalts (Wandtke / Bullinger, UrhR, 3.Aufl., § 95 Rz.19), die schöpferische, filmisch gestaltende Tätigkeit ist aber nicht auf eine Herstellungsphase, insb. nicht die Filmaufnahmephase beschränkt. Die Abgrenzung zur rein schematischen Anordnung kann vielmehr auch in der Sammlung, Auswahl und Zusammenstellung des Bildmaterials und der einzelnen Bildmotive in der sog. Post-Production-Phase liegen (BGH GRUR 1984, 730, 732; Wandtke / Bullinger, UrhR, 3.Aufl., § 95 Rz.20).

bb. Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, da sich der Gesamtfilm nicht in der Wiedergabe filmischer Dokumentaraufnahmen erschöpft, die ein vorgegebenes Geschehen lediglich abfilmen, sondern durch filmspezifische Gestaltungsmittel als ein eigenes Dokumentarfilmwerk schöpferisch gestaltet ist (vgl. zu diesen Kriterien: Wandtke / Bullinger, UrhR, 3.Aufl., § 95 Rz.6). Der auf den in Rede stehenden DVDs verkörperte Film beschränkt sich nicht auf eine schlichte Aneinanderreihung der vorbestehenden Konzertaufnahmen aus den Jahren 1967 bis 1969 und der älteren und neueren Interviews, sondern hat durch Schnitt, thematische Gruppierung und gestalterische Elemente eine eigene erzählerische Struktur gewonnen:

Im Film sind zunächst drei große, (weitgehend) ungeschnittene Konzertblöcke von Auftritten auf Bühnen in Fernsehstudios („S…“) chronologisch angeordnet (Toronto 1967, Dänemark 1968, New York 1969), durch gestaltete Einblendungen als einzelne Kapitel ausgewiesen und ihrerseits durch die gespielten Musiktitel (die auch im Menü als Unterkapitel angesteuert werden können) untergliedert. Ob diesen drei Teilen jeweils für sich Werkcharakter zukommt, kann dahinstehen, ist aber jedenfalls keineswegs so eindeutig zu verneinen, wie es die Beklagte meint; so gibt es etwa in den Aufnahmen aus Toronto durchaus Perspektivwechsel, Überblendungen, eindeutige Gestaltung durch Schnitte (so wird meist der Musiker aus einer eigenen Kameraperspektive gezeigt, der gerade ein Solo spielt) und Verfremdungselemente wie übereinandergelegte Aufnahmen von Musikern und Mitgliedern des Publikums. Maßgeblich ist aber, dass dem unter Verwendung dieser Teile entstandenen neuen Gesamtfilm wenigstens als kleine Münze ein eigener Werkcharakter zukommt. Den genannten drei Blöcken mit „ungestörten“ historischen Konzertaufnahmen sind jeweils drei Blöcke mit Ausschnitten aus Interviews der noch lebenden Mitglieder der „D…“, M…, K… und D…, aus dem Jahr 2001 vorangestellt, in denen diese erzählen, wie sie seinerzeit die dann jeweils anschließend wiedergegebenen Auftritte erlebt haben und wie diese in die Entwicklungsgeschichte der Band einzuordnen sind. Hierbei hat man ersichtlich auf drei Einzelinterviews mit diesen drei Musikern zurückgegriffen, denn die Interviewaufnahmen entstanden erkennbar an unterschiedlichen Orten und unterscheiden sich etwa in den Beleuchtungsverhältnissen, Kamerapositionen etc. Sodann wurden hieraus die thematisch passenden Aussagen der drei Musiker so ausgewählt und montiert, dass der Zuschauer mehrmals den Eindruck gewinnen kann, gleichsam einem Gespräch alter Freunde über die damalige Zeit beizuwohnen.

 An diesen zeitlich gewichtigsten Teil des insgesamt über zwei Stunden dauernden Gesamtfilmes schließen sich weitere zusammengeschnittene Aussagen aus den drei neuen Interviews an, die in mehrere Kapitel angeordnet sind. Dort werden zunächst verschiedene Aspekte der Bandgeschichte beleuchtet und dies in den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontext der späten 60iger Jahre des 20. Jahrhunderts eingeordnet, wodurch am Beispiel der Band ein durchaus weiter Blick auf eine Zeit zahlreicher und tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche in den USA (und auch in Europa) ermöglicht wird. Darauf werden die drei Konzertblöcke in wiederum eigenen Kapiteln auf die gleiche Weise (Zusammenstellung der passenden Aussagen aus den Einzelinterviews) nochmals vertieft in den Kontext der Bandgeschichte eingeordnet und danach werden die Konzerte – Musikstück für Musikstück – detailliert rekapituliert und erläutert, indem die Musiker die Bedeutung der Songs für die Band, deren Entstehungsgeschichte, deren musikalische Spezifika (D… macht zB vor, wie er den Rhythmus bei dem Stück „T.. E…“ akzentuiert hat, um bestimmte Wirkungen zu erzielen, M… erzählt, wie sie die Arrangements von K… W… für ihre Version des „A… Song“ auf ihre musikalischen Fähigkeiten zurückgestutzt haben etc.) oder welche Auseinandersetzungen man über bestimmte Textpassagen geführt hat (K… berichtet zB, dass M… bei dem Stück „T… A… T.. P…“ nicht als Co-Autor auftauchen wollte). Bei allen diesen Teilen sind durchweg die Einzelaussagen der Musiker wiederum so geschickt ausgewählt und zusammengeschnitten, dass man die durchaus unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmungen und auch Charaktere der Musiker eindringlich vermittelt bekommt und erneut nicht selten der Eindruck eines Austausches der Gesprächspartner untereinander entsteht. Außerdem wird dem Betrachter ein Eindruck davon vermittelt, wie die Bandmitglieder heute (bzw. 2001) zu ihrem damaligen Erfolg stehen, wie diese Phase ihr ganzes Leben geprägt hat und wie sie damit umgehen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nur ein Zeitraum von fünf, sechs Jahren ihres Schaffens eine Rolle spielt.

Der Film hat damit einen durchgängigen eigenen, spezifischen „Rhythmus“, der von mehreren Grundentscheidungen geprägt ist: Die „historischen“ Konzertaufnahmen blieben als solche unangetastet (außer, dass sie klanglich aufbereitet wurden), d.h. man kann den Film als (fast) reinen Konzertfilm ansehen, indem man nur die entsprechenden Kapitel ansteuert. Dieser Anordnung liegt bereits eine gestalterische Entscheidung zugrunde; so hätte man zB alle Interview-Äußerungen unmittelbar zu dem jeweils thematisierten Titel schneiden können und so einen Film mit einem gänzlich anderen Charakter geschaffen. Auf einer übergeordneten Ebene wird zudem am Beispiel der Band „T…D…“ ein Sittengemälde eines Teils der amerikanischen Kultur entworfen und eben nicht nur ein Potpourri aus drei abgefilmten Konzerten veröffentlicht. Die Entscheidung, dies und die weiteren „vertiefenden“ Gesprächsteile von den Konzertblöcken klar zu trennen, hätte man so nicht treffen müssen. Sehr gelungen sind die Anordnung und der Schnitt der Aussagen aus den Einzelinterviews, wodurch aus drei separat geführten Interviews teilweise fast ein Austausch gemeinsamer Erinnerungen der drei lebenden Gruppenmitglieder wird. Dies alles ist zudem erkennbar durchdacht und klar gegliedert, was in der filmischen Umsetzung auch – durch Zwischentitel auf Schwarztafeln – in durchaus nicht ganz unspezifischer Weise gestaltet wurde und dem Gesamtfilm Struktur und Rhythmus gibt. Das Material ist dadurch so aufbereitet und präsentiert, dass sich der Inhalt der DVD auch als ein einziger durchgehender Film mit eigener Dramaturgie ansehen lässt. Insgesamt dominiert damit der Charakter eines – naturgemäß auf historischem Material aufgebauten – Dokumentarfilmes, der zwar sicherlich qualitativ hochwertiges Archivmaterial zugänglich machen will (dies mag man auch als den wesentlichen „Kaufanreiz“ der DVD ansehen), sich aber nicht hierauf beschränkt, sondern mit spezifischen Mitteln darüber hinausgehende Aussagen vermittelt und so ein eigenes Werk darstellt, dass mehr als nur eine Sammlung von Archivmaterial darstellt.

b. Die Klägerin ist Hersteller dieses Filmwerkes im Sinne des § 94 UrhG.

aa. Filmhersteller im Sinne des § 94 UrhG ist diejenige juristische oder natürliche Person, die die Herstellung der Erstfixierung eines Filmträgers inhaltlich und organisatorisch gesteuert, wirtschaftlich verantwortet und die zur Filmherstellung erforderlichen Immaterialgüterrechte sowie zumindest vorübergehend auch die Auswertungsrechte am Film erworben hat bzw. nacherwerben müsste (vgl. Wandtke / Bullinger, UrhR, 3.Aufl., § 94 Rz.31). Maßgeblich ist dafür insbesondere, wer die entsprechenden Verträge, etwa mit Rechteinhabern, Geldgebern, ausübenden Künstlern oder sonst Mitwirkenden, als Vertragspartner abschließt (BGH GRUR 1993, 472, 473 – Filmhersteller; OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 619, 621).

bb. Zumindest prozessual ist davon auszugehen, dass die Klägerin die Herstellung des streitgegenständlichen Filmwerkes in diesem Sinne gesteuert, wirtschaftlich verantwortet und betrieben hat. Dies ergibt sich bereits aus den von der Beklagten nicht bestrittenen Aktivitäten der Klägerin und den unstreitigen Indizien, so dass die zahlreichen tatsächlichen Streitpunkte der Parteien dahinstehen können:

(1) Mit dem Vertrag zwischen der E…R…E… PLC als Rechtsvorgängerin der Klägerin und dem C…B…C…V…R…C…(Anl K 10 / K 10a) hat die Klägerin Rechte an den Aufnahmen des Konzertes in Toronto erworben. Dass nach diesem Vertrag nur einfache Nutzungsrechte eingeräumt wurden, steht der Bejahung einer organisatorischen Tätigkeit der Klägerin nicht entgegen. Die organisatorische Leistung der Klägerin zeigt sich auch daran, dass sie sich zumindest bemüht hat, die Rechte hinsichtlich der Aufnahmen der Konzerte in Dänemark und New York zu erwerben, was durch den Vertrag mit der „D…M…C…“ (Anl K 6 / K 6a) dokumentiert wird. Im Ergebnis nicht ausschlaggebend ist, ob die Klägerin die Nutzungsrechte zur Verwertung der Aufnahmen dieser Konzerte (wie auch des von Stephanie Bennet durchgeführten Interviews) wirksam erworben hatte, denn die Rechtmäßigkeit der Herstellung des Films ist für die Entstehung des Filmherstellerrechts irrelevant (Wandtke/ Bullinger, UrhR, 3. Aufl., § 94 Rz.2; Dreier / Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 94 Rz.25). Daher steht das Vorbringen der Beklagten, dass die „D…M…C…“ nicht zur Vertretung der Mitglieder der Gruppe „T…D…“ und der Vertragsunterzeichner D…S…nicht zur Vertretung der „D…M…C…“ berechtigt gewesen seien, der Bejahung einer organisatorischen Leistung der Klägerin nicht entgegen.

(2) Hinzu kommt, dass sich zumindest das organisatorische Bemühen der Klägerin auch aus dem von ihr vorgelegten Schreiben des Gitarristen der „D….“, R…K…, ergibt, denn dieser hat dort bestätigt, dass D…S…für die „D…M…C…“ einen Vertrag mit der Klägerin über die Herausgabe einer DVD wie der streitgegenständlichen geschlossen hat (Anl K 7 / 7a). Dieses Schreiben selbst beinhaltet zwar keine Vereinbarung zur Rechteübertragung, bestätigt aber (nachträglich) eine Kontaktaufnahme der Klägerin mit einem der Mitglieder der „D….“ und zwar über eben eine solche Produktion wie die streitgegenständliche. Außerdem bestätigt K… dort auch, dass S…. und die „D…M…C…“ für alle Gründungsmitglieder der „D….“ Vereinbarungen treffen konnten, was die Darstellung der Klägerin in gewichtiger Weise untermauert.

(3) Die Klägerin verantwortete die Herstellung des streitgegenständlichen Filmwerkes zumindest teilweise auch wirtschaftlich. Für den Erwerb der einfachen Nutzungsrechte an der Aufnahme des Konzertes in Toronto hatte die Klägerin ausweislich der Ziffer 8 des Vertrags vom 25.10.2001 (Anl K 10 / K 10a) Lizenzgebühren unabhängig von der tatsächlichen Verwertung des Filmmaterials zu zahlen.

(4) Auf dem Cover der klägerischen DVD „T…D… – S…P…“ weist ein „P“-Vermerk die Klägerin als Herstellerin des Gesamtfilmes aus. Zwar ist der Hinweis auf § 10 I UrhG in § 94 IV UrhG erst seit 1.9.2008 im Urhebergesetz enthalten. Unabhängig von der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob diese Vermutungswirkung wegen der verspäteten Umsetzung der Enforcement-RL 2004/48/EG durch den deutschen Gesetzgeber im Wege der richtlinienkonformen Auslegung auch schon zuvor hätte beachtet werden müssen, hat dieser „P“-Vermerk jedenfalls eine nicht unerhebliche Indizwirkung dafür, dass die Klägerin tatsächlich die Filmherstellerin war.

(5) Das alte und das neue Material sind unübersehbar und unstreitig bearbeitet, nämlich zusammengeschnitten und montiert worden. Es sind Vorspanne und Zwischentitel hergestellt und eingefügt worden. Alles spricht dafür, dass diese Tätigkeiten im Hause der Klägerin erfolgten. Auf der Rückseite der Klage-DVD sind Personen genannt, die unstreitig Mitarbeiter der Klägerin sind, sc. G…K…als „Executive Producer for E…R…E…“ und u.a. M…R… als „Production Associate“.

(6) Das von der Klägerin verwandte Label „E…V…“ ist im Vorspann des Filmes zu sehen, was ebenfalls ein gewichtiges Indiz dafür darstellt, dass die Klägerin Filmherstellerin ist.

Nach allem hat die Klägerin unstreitig jedenfalls einen gewissen organisatorischen und wirtschaftlichen Aufwand zur Herstellung des streitgegenständlichen Filmwerkes betrieben. Für ihre Eigenschaft als Filmherstellerin sprechen zudem zahlreiche gewichtige Indizien, so dass sich die Beklagte nicht auf ein schlichtes Bestreiten beschränken konnte, vielmehr ist der Entscheidung zugrunde zu legen, dass die Klägerin die Herstellung des streitgegenständlichen Filmwerkes gesteuert, wirtschaftlich verantwortet und betrieben hat.Auf den bestrittenen weiteren Vortrag der Klägerin zu ihren organisatorischen und wirtschaftlichen Bemühungen, wie etwa zur Tätigkeit insbesondere der Mitarbeiterin der Klägerin, der Zeugin M…R…, oder zur Beauftragung der Journalisten S… B…, kommt es daher nicht an.

Nicht erforderlich ist das Vorliegen eines bestimmten quantitativen unternehmerischen Mindestaufwandes (Wandtke / Bullinger, UrhR, 3. Aufl., § 94 Rz.22; Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 94 Rz.24). Die bei einer anderen Sichtweise bestehende Rechtsunsicherheit auf Seiten des Produzenten wäre mit dem Gesetzeszweck des § 94 UrhG nicht vereinbar (Wandtke / Bullinger, UrhR, 3. Aufl., § 94 Rz.22). Auf die Höhe der durch die Klägerin getätigten Investitionen kommt es daher nicht an.

cc. Der Film wurde in seiner konkreten Gestalt erstmalig von der Klägerin fixiert. Die DVD „T…D… – S…P…“ mit dem streitgegenständlichen Filmwerk wurde von der Klägerin unstreitig am 14. (oder 15.) 10.2002 in Deutschland, Großbritannien und anderen EU-Staaten herausgebracht. Dass ein anderer Hersteller eben diesen Gesamtfilm vorher herausgebracht hätte, behauptet auch die Beklagte nicht; insbesondere nicht, dass sie das getan hätte. Vielmehr ist sogar unstreitig, dass niemand sonst diesen Gesamtfilm jemals auf irgendeinem Medium herausgebracht hat. Danach ist unerheblich, dass wesentliche Bestandteile des Filmes bereits existierten; ausschlaggebend ist allein die verwertbare erste technische Fixierung des Films. (Wandtke / Bullinger, UrhR, 3.Aufl., § 94 Rz.4). Unerheblich ist demzufolge auch der (unsubstantiierte) Vortrag der Beklagten, große Teile der enthaltenen Aufnahmen seien bereits Jahre zuvor ausgestrahlt worden, da die Klägerin unabhängig hiervon eine durch § 94 UrhG geschützte organisatorisch-wirtschaftliche Leistung erbracht hat.

dd. Die Klägerin ist damit Inhaberin des entstandenen Leistungsschutzrechts. Filmhersteller können neben natürlichen auch juristische Personen sein, da keine schöpferische, sondern eine wirtschaftlich-organisatorische Leistung erforderlich ist (Dreier / Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 94 Rz.5). Maßgeblich ist, wem die Tätigkeiten zuzurechnen sind und wer die wirtschaftliche Verantwortung trägt, nicht wer im Einzelfall Hand angelegt hat (BGH GRUR 1993, 472, 473 – Filmhersteller). Da der in § 85 I 2 UrhG nur für das Schutzrecht des Herstellers eines Tonträgers verankerte Rechtsgedanke auch im Rahmen des § 94 UrhG gilt (BGH GRUR 1993, 472, 473 – Filmhersteller; Dreier / Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 94 Rz.5), ist dies der Inhaber des Unternehmens, in dem der Film hergestellt worden ist. Das ist hier, wie ausgeführt, die Klägerin. Die Klägerin genießt als juristische Person mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß §§ 128 I 2, 126 I 3 UrhG den Schutz aus § 94 UrhG.

c. Der Klägerin steht damit gemäß § 94 I UrhG das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht zu. Da die von der Beklagten herausgebrachte DVD (Anl K 4) mit Ausnahme der Eingangssequenz, die auf die Beklagte hinweist, einen identischen Inhalt wie die klägerische DVD aufweist, steht ein Eingriff in diese Rechte der Klägerin fest. Die Verletzung ist auch rechtswidrig, da die Klägerin keine Einwilligung erteilt hat und die Beklagte sich auch nicht auf eine Schrankenbestimmung berufen kann.

 d. Die durch das rechtsverletzende Verhalten gesetzte Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Verwertungsformen des Vervielfältigens und Verbreitens hat die Beklagte nicht rechtswirksam ausgeräumt. Die durch einen bereits begangenen Verstoß begründete tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr kann regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung ausgeräumt werden (HansOLG ZUM 2009, 642, 649; OLG Brandenburg ZUM 2009, 412, 413). Eine solche hat die Beklagte jedoch nicht abgegeben.

3. Der mit dem Klagantrag zu 2 geltend gemachte Auskunftsanspruch folgt aus § 101a UrhG a. F. bezüglich der vor dem 1.9.2008 erfolgten Rechtsverletzung und aus § 101 I, III Nr. 1 UrhG hinsichtlich des danach fortbestehenden Anspruchs. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Verletzungshandlungen des Vervielfältigens und Verbreitens weist die Neufassung gegenüber der Vorgängerregelung keine maßgeblichen Unterschiede auf. Die Beklagte hat das Filmherstellerrecht der Klägerin aus § 94 UrhG in gewerblichem Ausmaß i. S. d. § 101 I UrhG widerrechtlich verletzt. Das gewerbliche Ausmaß kann sich gemäß § 101 I 2 UrhG sowohl aus der Anzahl als auch aus der Schwere der Rechtsverletzungen ergeben. Da die Beklagte den streitgegenständlichen Film vollständig und mit Ausnahme des Eingangslogos identisch vervielfältigte, handelt es sich um einen besonders schweren Verstoß. Die Beklagte handelte auch zur Erlangung eines unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteils, denn sie verwertete die DVD kommerziell. Damit liegt zugleich auch ein Handeln im geschäftlichen Verkehr i. S. d. § 101a I UrhG a. F. vor.

4. Der mit dem Klagantrag zu 3 geltend gemachte Auskunftsanspruch ergibt sich bezüglich der vor dem 1.9.2008 erfolgten Rechtsverletzungen im Hinblick auf die Menge der hergestellten und vertriebenen Vervielfältigungsstücke aus § 101a UrhG a. F., bezüglich der seit dem 1.9.2008 erfolgten Rechtsverletzungen darüber hinaus auch im Hinblick auf die dafür erzielten Preise aus § 101 I, III Nr. 2 UrhG, im Übrigen aus § 97 II UrhG bzw. § 97 I UrhG a. F. jeweils iVm § 242 BGB.

Für den auf § 242 BGB gestützten Auskunftsanspruch, der der Vorbereitung eines bezifferten Schadensersatzanspruchs dient, ist neben der gegebenen Verletzungshandlung Vorsatz oder Fahrlässigkeit der Beklagten erforderlich. Ein Verschulden der Beklagten ist gegeben: Sie handelte zumindest fahrlässig. An das nach § 276 II BGB zu beachtende Maß für die im Verkehr erforderliche Sorgfalt werden strenge Anforderungen gestellt (Dreier / Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 97 Rz.57). Selbst wenn die Beklagte Zweifel am Filmherstellerschutz der Klägerin oder an deren Rechtsinhaberschaft bezüglich der in dem Film verwendeten Konzertaufnahmen gehabt haben sollte, so hätte sie sich über den Bestand des Schutzes Gewissheit verschaffen müssen. Die Erfüllung daraus folgender Prüfungs- und Erkundigungspflichten hat die Beklagte jedoch nicht dargelegt.

Inhalt und Umfang der Auskunfterteilung sind für die Beklagte unter Abwägung der beiderseitigen Interessen auch zumutbar, denn es ist einerseits die Schwere der Rechtsverletzung durch die Beklagte aufgrund der vollständigen Leistungsübernahme und andererseits das Interesse der Klägerin an einer sachgerechten Rechtsverfolgung zu berücksichtigen, die ohne die genannten Auskünfte unmöglich wäre.

4. Der mit dem Klagantrag zu 4 verfolgte Anspruch auf Vernichtung der im Besitz der Beklagten befindlichen Exemplare des Films ergibt sich aus § 98 I 1UrhG bzw. der insoweit identischen Vorgängerregelung in § 98 I UrhG a. F. Die Vernichtung ist nicht unverhältnismäßig iSv § 98 IV UrhG. Gründe für einen Ausschluss des Anspruchs sind weder dargelegt noch ersichtlich. Bei der Abwägung der betroffenen Interessen ist insbesondere die Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen, denn die Beklagte hat den klägerischen Film unmittelbar und vollständig übernommen. Es kommen auch keine milderen Maßnahmen in Betracht, da der auf der DVD der Beklagten enthaltene Film in seiner Gesamtheit die Leistungsschutzrechte der Klägerin verletzt.

5. Schließlich hat die Klägerin auch einen Anspruch auf Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz. Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO ist aufgrund der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch den Verkauf eines identischen Produktes gegeben. Der Schadensersatzanspruch rechtfertigt sich dem Grunde nach aus § 97 I 2 UrhG a. F. bzw. § 97 II 1 UrhG, da die Beklagte das Leistungsschutzrecht der Klägerin aus § 94 I UrhG, wie oben ausgeführt, rechtswidrig und schuldhaft verletzt hat.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

7. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs.2 ZPO liegen nicht vor. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung und es bedarf einer Entscheidung des Revisionsgerichts auch nicht zur Fortbildung des Rechts; vielmehr geht es lediglich um die Anwendung anerkannter Rechtssätze auf einen konkreten Fall.

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