Kein Recht zur Akteneinsicht bei Anzeige gegen Unbekannt wegen Urheberrechtsverletzungen

20. August 2008
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Eigener Leitsatz:

Mögliche Urheberrechtsverletzungen in Internettauschbörsen begründen kein Recht zur Akteneinsicht des Betroffenen, wenn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingestellt wurde, da dies die zivilrechtlich relevante Auslieferung der Anschlussinhaber bedeuten würde.

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Landgericht München I

Urteil vom 12.03.2008

Az.: 5 Qs 19/08

Beschluss

der 5. Strafkammer des Landgerichts München I

Der Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten ihres Antrages und ihre notwendigen Auslagen.

Gründe

Am 17.01.08 hat die Antragstellerin Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München I gestellt und vorgetragen, sie sei Rechteinhaberin an von ihr hergestellten erotischen/pornographischen Filmen. Ihr Urheberrecht sei durch die Nutzer sogenannter „Tauschbörsen“ im Internet verletzt worden. Diesbezügliche Verbindungsdaten legte die Antragstellerin vor.

Das gegen Unbekannt eingeleitete Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft nach der Durchführung von Ermittlungen mit Verfügung vom 25.02.08 gemäß § 170 Abs. II StPO eingestellt. Der Antragstellerin hat die Staatsanwaltschaft mit Bescheid vom 25.02.08 die zugleich mit der Strafanzeige vom 17.01.08 beantragte Akteneinsicht verweigert.

Hiergegen richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 26.02.08.

Der Antrag ist zulässig (§§ 406e Abs. IV S.2, 161a Abs. III S. 2-4 StPO). Er erweist sich jedoch als unbegründet.

1.

Es ist bereits fraglich, ob ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin gemäß § 406e Abs. I StPO besteht. Anders als diese meint, folgt ein berechtigtes Interesse auf die Gewährung von Akteneinsicht nicht geradezu „automatisch“ aus ihrer Verletzteneigenschaft. Vorliegend ist vielmehr zu beachten, daß sich das Verfahren gegen „Unbekannt“ richtete und als solches eingestellt wurde. Es fehlt also an der Feststellung eines Beschuldigten. Wie aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist, und wie sich auch aus der Antragsbegründung erschliessen lässt, richtet sich das Interesse der Antragstellerin nicht auf die Verfolgung von konkreten Urheberrechtsverletzern, sondern auf die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen gegen Inhaber von Netzzugängen, gleich ob diese selbst einen Urheberechtsverstoß begangen haben oder nicht. Sie sollen nämlich zivilrechtlich als sog. „Störer“ gem. § 97 Abs. I UrhG in Anspruch genommen werden (Seite 7 des Antragsschriftsatzes). Es ist jedoch nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, die Geltendmachung bloßer zivilrechtlicher Ansprüche, ohne daß eine Straftat nachweisbar wäre, zu ermöglichen. Einen Anscheinsbeweis, wie ihn die Antragstellerin zivilrechtlich für sich reklamieren will, kennt das Strafprozeßrecht nämlich nicht. Die „Auslieferung“ der Anschlußinhaber, für die im übrigen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. II
MRK spricht, an die Antragstellerin liefe daher auf eine auch dem Zivilrechtprozeßrecht fremde „Ausforschung“ hinaus.

Darüber hinaus dürfte es in einer Vielzahl von Fällen bereits an dem vorbezeichneten zivilrechtlichen Anspruch der Antragstellerin fehlen: Ein Anspruch aus § 97 Abs. I UrhG gegen den Anschlußinhaber setzt entweder die eigenhändige Benutzung des Anschlusses oder zumindest dessen mangelhafte Überwachung voraus. Anders als die Antragstellerin meint, ist der Inhaber einer Internetanschlusses trotz im Internet häufig vorkommender Urheberechtsverletzungen ohne das Vorliegen weiterer Anhaltpunkte nicht verpflichtet, Familienangehörige bei der Nutzung seines Anschlusses zu überwachen (OLG Frankfurt, B.v.20.12.07, 11 W
58/07 mwN). In Betracht kommt überdies eine Nutzung des drahtlosen Anschlusses („WLAN“) durch außenstehende Dritte. Eine zivilrechtliche Haftung des Anschlussinhabers ist damit nicht offenkundig, sondern im Gegenteil fraglich. Die Gewährung von Akteneinsicht würde damit die Gefahr begründen, daß die Ermittlungsbehörden die Inanspruchnahme zivilrechtlich nicht Verpflichteter durch die Anspruchstellerin begünstigen würde – dies untermauert mit dem Hinweis auf geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Hier liegt auch der Unterschied zum von der Antragstellerin bemühten Vergleich mit einem Vergehen des
unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 StGB, bei dem möglicherweise auch ohne ermittelten Unfallfahrer Akteneinsicht gewährt werden wird. Anders als § 97 Abs. I UrhG gibt § 7 StVG dem Unfallgeschädigten einen Anspruch, der von eigenem Verschulden oder einer Störereigenschaft des Fahrzeughalters unabhängig ist. Überdies ist das Interesse des Unfallopfers zuvörderst darauf gerichtet, den flüchtigen Unfallfahrer herauszufinden. Die Antragstellerin will hingegen – nach eigenem Vortrag – in erster Linie nicht die konkreten Urheberrechtsverletzer ermitteln, sondern pauschal gegen die Anschlußinhaber mit strafbewehrten Unterlassungserklärungen vorgehen.

2.

Jedenfalls hat die Staatsanwaltschaft die Interessenabwägung gemäß § 406e Abs. II StPO zutreffend vorgenommen. Bei den von der Antragstellerin hergestellten Filmen handelt es sich um Werke wie „Titten im Spermaglück“ oder „Los spritz ich komm“, was den eigenen Vortrag, es handele sich um erotische/pornographische“ Werke eindrücklich untermauert. Die Nutzung dieser Werke dient der sexuellen Neugier und Befriedigung der jeweiligen Betrachter. Die Offenlegung, daß sein Computer solche Werke speicherte, würde daher ganz erheblich in die Intimspäre und damit sogar in den besonders geschützten Kernbereich der Persönlichkeitsrechte des Computerbesitzers eingreifen. Wie ausgeführt steht dabei dessen eigener Urheberrechtsverstoß nicht einmal fest.
Anders als die Antragstellerin meint, wird dieser Eingriff auch nicht dadurch relativiert, daß die jeweiligen IPAdressen nur temporär vergeben werden: Entscheidend ist die dem Fernmeldegeheimnis unterliegende Information, daß und welche Inhalte zu welchem Zeitpunkt von welchem Computer aufgerufen wurden. Es
handelt sich hierbei nicht – wie die Antragstellerin meint – um eine Information, die einem Eintrag in das Telefonbuch vergleichbar wäre. Vielmehr ginge es – um im Bild zu bleiben – um die Frage wer mit wem was (!) am Telefon besprochen hat. Diesem erheblichen Eingriff stehen auf Seiten der Antragstellerin fragliche zivilrechtliche Ansprüche (s.o.) gegenüber. Die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Abwägung, die informationelle Selbstbestimmung, das Fernmeldegeheimnis und Persönlichkeitsrechte der Anschlußinhaber höher zu bewerten, begegnet keinen Bedenken, zumal – wie ausgeführt – deren eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Urheberrechtsverstoß nicht bewiesen ist. Dies gilt bereits, wenn (nur) ein einfacher Anfangsverdacht vorliegt
(LG Stade, B.v.10.07.00, 12AR1/00, StV 2001, 159) und umso mehr, wenn es bereits an diesem fehlt (vgl. auch LG Köln, B.v.29.06.04, 106-37/04, StraFo 2005, 78).

Der Verweis auf Art. 14 Abs. I GG schließlich hilft der Antragstellerin nicht. Zwar unterfällt, wie sie richtig vorträgt,auch das Urheberrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dessen Schutzumfang. Diese werden jedoch vorliegend nicht durch Akte der öffentlichen Gewalt, sondern durch
Private beeinträchtigt. Es ist der Antragstellerin zwar zuzugeben, daß (auch) der Eigentumsschutz durch die öffentliche Gewalt grundsätzlich zu gewährleisten ist. Auf welche Art und Weise, in welcher Intensität und in welcher Priorität gegenüber anderen staatlichen Aufgaben dem nachgekommen wird, unterliegt jedoch nicht der Kontrolle durch dieses Gericht. Ein Anspruch auf Einsicht in Ermittlungsakten kann jedenfalls daraus nicht hergeleitet werden, zumal, wie ausgeführt, auch Grundrechte Dritter abzuwägen sind.

3.

Die Staatsanwaltschaft hat nach der gesetzgeberischen Intention, wie sie in §§ 406e Abs. V 2. Hs, 478 Abs. I Satz 3, 475 Abs. II StPO ihren Niederschlag gefunden hat, bei der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht auch den schonenden Einsatz justizieller Mittel im Auge zu behalten. Eine positive Entscheidung zu Gunsten der Antragstellerin wäre erst nach Anhörung sämtlicher davon Betroffener möglich, was mit ganz erheblichem Aufwand verbunden wäre. Darüber hinaus wäre den so Betroffenen ihrerseits ebenfalls Akteneinsicht zu gewähren. Um nicht jedem betroffenen Anschlußinhaber die Personendaten
sämtlicher anderer Inhaber zu offenbaren, müßten die Ermittlungsergebnisse mit hohem Aufwand jeweils anonymisiert werden.

4.

Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 19 Abs. IV GG vor. Die dort niedergelegte Rechtswegegarantie betrifft schon nach dem Wortlaut nur die Rechtsmittel gegen Akte der „öffentlichen Gewalt“. Daran fehlt es vorliegend: Die Antragstellerin begehrt vielmehr Unterstützung bei der Durchsetzung vermeintlicher zivilrechtlicher Ansprüche. Die diesbezügliche (abschlägige) Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird mit vorliegender Entscheidung gerichtlich überprüft. Damit ist der Garantie des Art. 19 Abs. IV GG Genüge getan.

5.

Schließlich geht auch der Hinweis der Antragstellerin auf Straftaten gemäß § 184 StGB fehl. Es ist zwar zutreffend, daß sich die Tauschbörsenanbieter der von der Anzeigestatterin hergestellten pornographischen Filme (s.o.) gemäß § 184 StGB strafbar machen können. Dies vermag jedoch keine Akteneinsichtsrechte der
Filmherstellerin zu begründen.

6.

Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 161a Abs. III S.3, 406e Abs. IV S.2, 464, 473 Abs. I S. 1 StPO.

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