Gesamtnichtigkeit von Verträgen bei missbräuchlichen Klauseln?

21. März 2012
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
2289 mal gelesen
0 Shares

Eigener Leitsatz:

Die Frage nach der Gesamtnichtigkeit eines Verbrauchervertrages wegen darin enthaltener missbräuchlicher Klauseln, darf nicht ausschließlich von der etwaigen Vorteilhaftigkeit des Vertrages für den Verbraucher abhängen. Allerdings können die Mitgliedsstaaten eine unionskonforme Regelung treffen, welche die Gesamtnichtigkeit des Vertrages zur Folge hat, wenn dieser eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält und sich erweist, dass dadurch ein besserer Schutz für den Verbraucher gewährleistet wird.

Europäischer Gerichtshof

Urteil vom 15.03.2012

Az.: C-453/10

 

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Okresný súd Prešov (Slowakei) mit Entscheidung vom 31. August 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 16. September 2010, in dem Verfahren

Jana Pereničová,
Vladislav Perenič

gegen

SOS financ spol. s r. o.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter), A. Borg Barthet, E. Levits und J.‑J. Kasel,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Pereničová und Herrn Perenič, vertreten durch I. Šafranko und A. Motyka, advokáti,
–        der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
–        der spanischen Regierung, vertreten durch F. Díez Moreno als Bevollmächtigten,
–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Rozet, A. Tokár und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 29. November 2011
folgendes

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29) und der Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22) sowie die Auswirkung, die die Anwendung der Richtlinie 2005/29 auf die Richtlinie 93/13 haben könnte.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Pereničová und Herrn Perenič einerseits und der SOS financ spol. s r. o. (im Folgenden: SOS), die kein Kreditinstitut ist, aber Verbraucherkreditverträge gewährt, andererseits über einen zwischen ihnen geschlossenen Kreditvertrag.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

In den Erwägungsgründen 7, 16, 20 und 21 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Den Verkäufern von Waren und Dienstleistungsbringern wird dadurch ihre Verkaufstätigkeit sowohl im eigenen Land als auch im gesamten Binnenmarkt erleichtert. Damit wird der Wettbewerb gefördert und den Bürgern der Gemeinschaft in ihrer Eigenschaft als Verbraucher eine größere Auswahl zur Verfügung gestellt.

… Bei der Beurteilung von Treu und Glauben ist besonders zu berücksichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand, ob auf den Verbraucher in irgendeiner Weise eingewirkt wurde, seine Zustimmung zu der Klausel zu geben, und ob die Güter oder Dienstleistungen auf eine Sonderbestellung des Verbrauchers hin verkauft bzw. erbracht wurden. Dem Gebot von Treu und Glauben kann durch den Gewerbetreibenden Genüge getan werden, indem er sich gegenüber der anderen Partei, deren berechtigten Interessen er Rechnung tragen muss, loyal und billig verhält.

Die Verträge müssen in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein. Der Verbraucher muss tatsächlich die Möglichkeit haben, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. …

Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass in von einem Gewerbetreibenden mit Verbrauchern abgeschlossenen Verträgen keine missbräuchlichen Klauseln verwendet werden. Wenn derartige Klauseln trotzdem verwendet werden, müssen sie für den Verbraucher unverbindlich sein; die verbleibenden Klauseln müssen jedoch weiterhin gelten und der Vertrag im Übrigen auf der Grundlage dieser Klauseln für beide Teile verbindlich sein, sofern ein solches Fortbestehen ohne die missbräuchlichen Klauseln möglich ist.“

In Art. 3 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„(1)      Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

(3)      Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.“

Art. 4 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„(1)      Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird … unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrags oder eines anderen Vertrags, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.

(2)      Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrags noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.“

Art. 5 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. …“

In Art. 6 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.

…“

Art. 8 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Die Mitgliedstaaten können auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten.“

Im Anhang der Richtlinie 93/13 sind die in ihrem Art. 3 Abs. 3 angesprochenen Klauseln aufgeführt:

„1.      Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass

i)      die Zustimmung des Verbrauchers zu Klauseln unwiderlegbar festgestellt wird, von denen er vor Vertragsabschluss nicht tatsächlich Kenntnis nehmen konnte;

…“

Richtlinie 2005/29

In Art. 2 der Richtlinie 2005/29 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

c)      ‚Produkt‘ jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, Rechte und Verpflichtungen;

d)      ‚Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern‘ (nachstehend auch ‚Geschäftspraktiken‘ genannt): jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt;

e)      ‚wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers‘ die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte;

k)      ‚geschäftliche Entscheidung‘ jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen;
…“
In Art. 3 der Richtlinie 2005/29 heißt es:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.

(2)      Diese Richtlinie lässt das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt.

(4)      Kollidieren die Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, so gehen die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend.

(5)      Die Mitgliedstaaten können für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten, die restriktiver oder strenger sind als diese Richtlinie und zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten. Diese Maßnahmen müssen unbedingt erforderlich sein, um sicherzustellen, dass die Verbraucher auf geeignete Weise vor unlauteren Geschäftspraktiken geschützt werden, und müssen zur Erreichung dieses Ziels verhältnismäßig sein. …
…“
Art. 5 der Richtlinie 2005/29 sieht vor:

„(1)      Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.

(2)      Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn

a)      sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht

und

b)      sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.

(3)      Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, werden aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt. …

(4)      Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die

a)      irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7

oder

b)      aggressiv im Sinne der Artikel 8 und 9 sind.
…“
13      In Art. 6 der Richtlinie 2005/29 heißt es:

„(1)      Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte:

d)      der Preis, die Art der Preisberechnung oder das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils;

…“

In Art. 7 der Richtlinie 2005/29 heißt es:

„(1)      Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.

(2)      Als irreführende Unterlassung gilt es auch, wenn ein Gewerbetreibender wesentliche Informationen gemäß Absatz 1 unter Berücksichtigung der darin beschriebenen Einzelheiten verheimlicht oder auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt oder wenn er den kommerziellen Zweck der Geschäftspraxis nicht kenntlich macht, sofern er sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und dies jeweils einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte.

…“

Art. 11 der Richtlinie 2005/29 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen.

…“

Art. 13 der Richtlinie 2005/29 lautet:

„Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie anzuwenden sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um ihre Durchsetzung sicherzustellen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

Nationales Recht

In § 52 des slowakischen Zivilgesetzbuchs heißt es:

„(1)      Unter ‚Verbrauchervertrag‘ ist jeder Vertrag, unabhängig von seiner Rechtsform, zu verstehen, der zwischen einem Lieferanten und einem Verbraucher geschlossen wird.

(2)      Die Klauseln eines Verbrauchervertrags sind ebenso wie jede andere Bestimmung, die ein Rechtsverhältnis, in dessen Rahmen sich ein Verbraucher verpflichtet hat, regelt, stets in einem für den am Vertrag beteiligten Verbraucher günstigen Sinn anzuwenden. Verträge oder davon verschiedene vertragliche Vereinbarungen, deren Inhalt oder Zweck der Umgehung dieser Bestimmungen dient, sind ungültig.

Unter ‚Verbraucher‘ ist eine natürliche Person zu verstehen, die bei Abschluss und Erfüllung eines Verbrauchervertrags nicht im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit oder einer sonstigen wirtschaftlichen Tätigkeit handelt.“

§ 53 dieses Gesetzbuchs sieht vor:

„(1)      Ein Verbrauchervertrag darf keine Bestimmungen enthalten, die zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien verursachen (missbräuchliche Klausel). Als missbräuchliche Klausel gilt nicht eine Vertragsklausel, die sich auf den Hauptleistungsgegenstand und die Angemessenheit des Preises bezieht, wenn diese Klausel genau, klar und verständlich abgefasst ist oder wenn die missbräuchliche Klausel einzeln ausgehandelt worden ist.

(4)      Als missbräuchliche Klauseln in einem Verbrauchervertrag gelten insbesondere Bestimmungen, die

k)      als Vertragsstrafe gegen einen Verbraucher, der seine Verpflichtungen nicht erfüllt hat, eine unverhältnismäßig hohe Entschädigung vorschreiben,

(5)      Missbräuchliche Klauseln in einem Verbrauchervertrag sind ungültig.“

§ 4 des Gesetzes Nr. 258/2001 über Verbraucherkredite bestimmt:

„(1)      Verbraucherkreditverträge bedürfen der Schriftform, andernfalls sind sie ungültig; der Verbraucher erhält eine Ausfertigung.

(2)      Im Verbraucherkreditvertrag ist neben den allgemeinen Angaben Folgendes anzugeben:

j)      der effektive Jahreszins und sämtliche mit dem Kredit zulasten des Verbrauchers verbundenen Kosten, berechnet auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Daten,

Enthält der Verbraucherkreditvertrag nicht die in Abs. 2 Buchst. … j genannten Angaben, gilt der gewährte Kredit als zins- und kostenfrei.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Mit ihrer Klage begehren die Kläger des Ausgangsverfahrens vom vorlegenden Gericht die Feststellung der Unwirksamkeit des Kreditvertrags, den sie mit SOS abgeschlossen haben, einem Institut, das, ohne ein Kreditinstitut zu sein, Verbraucherkredite auf der Grundlage von Standardformularverträgen gewährt. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Kredit den Klägern des Ausgangsverfahrens am 12. März 2008 bewilligt wurde.

Aufgrund dieses Vertrags bewilligte SOS den Klägern des Ausgangsverfahrens einen Kredit in Höhe von 150 000 SKK (4 979 Euro), rückzahlbar in 32 Monatsraten von je 6 000 SKK (199 Euro) zuzüglich einer 33. Monatsrate in Höhe des bewilligten Kredits. Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind somit verpflichtet, einen Betrag von 342 000 SKK (11 352 Euro) zurückzuzahlen.

Der effektive Jahreszins wurde in diesem Vertrag auf 48,63 % festgesetzt, während er nach der Berechnung des vorlegenden Gerichts in Wirklichkeit 58,76 % beträgt, da SOS die mit dem gewährten Kredit verbundenen Kosten nicht in ihre Berechnung einbezogen hatte.

Aus dem Vorlagebeschluss geht außerdem hervor, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag mehrere für die Kläger des Ausgangsverfahrens ungünstige Klauseln enthält.

Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts wäre eine Nichtigerklärung des gesamten Vertrags über den kurzfristigen Kredit wegen der Missbräuchlichkeit bestimmter darin enthaltener Klauseln für die Kläger des Ausgangsverfahrens günstiger als die Aufrechterhaltung der Wirksamkeit der nicht missbräuchlichen Klauseln dieses Vertrags. Im erstgenannten Fall müssten die betroffenen Verbraucher nämlich nur die Verzugszinsen in Höhe von 9 % und nicht die gesamten Kosten des bewilligten Kredits zahlen, die viel höher seien als diese Zinsen.

Da nach Auffassung des Okresný súd Prešov (Bezirksgericht Prešov) die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist der Umfang des Schutzes des Verbrauchers nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 derart, dass er bei Feststellung missbräuchlicher Klauseln in einem Verbrauchervertrag die Schlussfolgerung erlaubt, dass der Vertrag als Ganzes den Verbraucher nicht bindet, wenn dies für den Verbraucher günstiger ist?

2.      Sind die Kriterien, die eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne der Richtlinie 2005/29 charakterisieren, derart, dass die Schlussfolgerung zulässig ist, dass das Verhalten eines Gewerbetreibenden, der im Vertrag einen geringeren effektiven Jahreszins als den realen angibt, gegenüber dem Verbraucher als unlautere Geschäftspraxis angesehen werden kann? Lässt die Richtlinie 2005/29 es bei Feststellung einer unlauteren Geschäftspraxis zu, dass sich dies auf die Wirksamkeit des Kreditvertrags und auf die Erreichung der Ziele des Art. 4 Abs. 1 und des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 auswirkt, wenn die Unwirksamkeit des Vertrags für den Verbraucher günstiger ist?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er es den nationalen Gerichten erlaubt, bei Feststellung missbräuchlicher Klauseln in einem Vertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, zu entscheiden, dass der Vertrag als Ganzes den Verbraucher nicht bindet, da dies für den Verbraucher günstiger ist.

Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das mit der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (Urteile vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro, C‑168/05, Slg. 2006, I‑10421, Randnr. 25, vom 4. Juni 2009, Pannon GSM, C‑243/08, Slg. 2009, I‑4713, Randnr. 22, und vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones, C‑40/08, Slg. 2009, I‑9579, Randnr. 29).

In Anbetracht dieser schwächeren Position verpflichtet Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 die Mitgliedstaaten dazu, vorzusehen, dass missbräuchliche Klauseln „für den Verbraucher unverbindlich sind, und … die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest[zulegen]“. Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, handelt es sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen (vgl. Urteile Mostaza Claro, Randnr. 36, Asturcom Telecomunicaciones, Randnr. 30, und vom 9. November 2010, VB Pénzügyi Lízing, C‑137/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 47).

Hinsichtlich der Auswirkung einer Feststellung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln auf die Wirksamkeit des betreffenden Vertrags ist hervorzuheben, dass nach dem letzten Satzteil von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 der „Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann“.

In diesem Zusammenhang sind die nationalen Gerichte, die die Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln feststellen, nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 verpflichtet, zum einen alle Konsequenzen, die sich daraus nach nationalem Recht ergeben, zu ziehen, damit diese Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind (vgl. Urteil Asturcom Telecomunicaciones, Randnrn. 58 und 59, sowie Beschluss vom 16. November 2010, Pohotovosť, C‑76/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 62), und zum anderen zu beurteilen, ob der betreffende Vertrag ohne diese missbräuchlichen Klauseln bestehen kann (vgl. Beschluss Pohotovosť, Randnr. 61).

Wie nämlich aus der in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hervorgeht und wie die Generalanwältin in Nr. 63 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, besteht das vom Unionsgesetzgeber im Rahmen der Richtlinie 93/13 verfolgte Ziel darin, Ausgewogenheit zwischen den Parteien herzustellen und dabei grundsätzlich die Wirksamkeit eines Vertrags in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten, nicht aber darin, sämtliche Verträge, die missbräuchliche Klauseln enthalten, für nichtig zu erklären.

In Bezug auf die Kriterien, anhand deren sich beurteilen lässt, ob ein Vertrag tatsächlich ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann, ist darauf hinzuweisen, dass sowohl der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 als auch die Erfordernisse der Rechtssicherheit geschäftlicher Tätigkeiten für einen objektiven Ansatz bei der Auslegung dieser Bestimmung sprechen, so dass, wie die Generalanwältin in den Nrn. 66 bis 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Lage einer der Vertragsparteien, im vorliegenden Fall der Verbraucher, nicht als das maßgebende Kriterium angesehen werden kann, das über das weitere Schicksal des Vertrags entscheidet.
Folglich kann Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 nicht dahin ausgelegt werden, dass sich das angerufene Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vertrag, der eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält, ohne diese Klauseln bestehen kann, ausschließlich auf die etwaige Vorteilhaftigkeit der Nichtigerklärung des gesamten Vertrags für den Verbraucher stützen könnte.

Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 93/13 nur eine teilweise und minimale Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf missbräuchliche Klauseln vorgenommen hat, wobei sie es den Mitgliedstaaten freistellt, für die Verbraucher ein höheres als das von ihr vorgesehene Schutzniveau zu gewährleisten. So sieht Art. 8 der Richtlinie ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten „auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen [können], um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten“ (vgl. Urteil vom 3. Juni 2010, Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid, C‑484/08, Slg. 2010, I‑4785, Randnrn. 28 und 29).
Folglich hindert die Richtlinie 93/13 einen Mitgliedstaat nicht daran, im Einklang mit dem Unionsrecht eine nationale Regelung vorzusehen, die es erlaubt, einen Vertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat und der eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält, in seiner Gesamtheit für nichtig zu erklären, wenn sich erweist, dass dadurch ein besserer Schutz des Verbrauchers gewährleistet wird.

In Anbetracht dieser Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass sich das angerufene Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat und der eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält, ohne diese Klauseln bestehen kann, nicht ausschließlich auf die etwaige Vorteilhaftigkeit der Nichtigerklärung des betreffenden Vertrags in seiner Gesamtheit für eine der Parteien, im vorliegenden Fall den Verbraucher, stützen kann. Die Richtlinie hindert allerdings einen Mitgliedstaat nicht daran, im Einklang mit dem Unionsrecht vorzusehen, dass ein Vertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat und der eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält, in seiner Gesamtheit nichtig ist, wenn sich erweist, dass dadurch ein besserer Schutz des Verbrauchers gewährleistet wird.

Zur zweiten Frage

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Angabe eines geringeren als des realen effektiven Jahreszinses in einem Verbraucherkreditvertrag als unlautere Geschäftspraxis im Sinne der Richtlinie 2005/29 angesehen werden kann. Falls diese Frage zu bejahen ist, wird der Gerichtshof gefragt, welche Konsequenzen aus einer solchen Feststellung für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln dieses Vertrags anhand von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 und der Wirksamkeit dieses Vertrags in seiner Gesamtheit anhand von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu ziehen sind.

Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 den Begriff der Geschäftspraxis mit einer besonders weiten Formulierung definiert als „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“ (Urteile vom 14. Januar 2010, Plus Warenhandelsgesellschaft, C‑304/08, Slg. 2010, I‑217, Randnr. 36, und vom 9. November 2010, Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag, C‑540/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 17).

Ferner gilt die Richtlinie 2005/29 nach ihrem Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. c für unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf jede Ware oder Dienstleistung bezogenen Handelsgeschäfts. Nach Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie sind insbesondere irreführende Geschäftspraktiken unlauter.

Wie schließlich aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 hervorgeht, gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der in Art. 6 Abs. 1 aufgeführten Punkte täuscht oder zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Zu den in dieser Bestimmung aufgeführten Punkten gehört u. a. der Preis oder die Art der Preisberechnung.

Eine Geschäftspraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, in einem Kreditvertrag einen geringeren als den realen effektiven Jahreszins anzugeben, stellt eine falsche Angabe der Gesamtkosten des Kredits und folglich des Preises im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 dar. Veranlasst die Angabe eines solchen effektiven Jahreszinses den Durchschnittsverbraucher tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung, die er ansonsten nicht getroffen hätte – was das nationale Gericht zu prüfen hat –, ist diese falsche Angabe als „irreführende“ Geschäftspraxis im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 einzustufen.

Zur Auswirkung dieser Feststellung auf die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln des genannten Vertrags anhand von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung die Kriterien, die eine solche Beurteilung ermöglichen, besonders weit definiert und ausdrücklich „alle … Umstände“ umfasst, die den Abschluss des betreffenden Vertrags begleiten.

Unter diesen Umständen stellt, wie die Generalanwältin in Nr. 125 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Feststellung des unlauteren Charakters einer Geschäftspraxis einen Anhaltspunkt unter mehreren dar, auf den der zuständige Richter seine Beurteilung des missbräuchlichen Charakters der Klauseln eines Vertrags gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 stützen kann.

Dieser Anhaltspunkt ist allerdings nicht geeignet, automatisch und für sich allein den missbräuchlichen Charakter der streitigen Klauseln zu begründen. Es ist nämlich Sache des vorlegenden Gerichts, sich zur Anwendung der in den Art. 3 und 4 der Richtlinie 93/13 genannten allgemeinen Kriterien auf eine bestimmte Klausel zu äußern, die anhand aller Umstände des konkreten Falls zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. April 2004, Freiburger Kommunalbauten, C‑237/02, Slg. 2004, I‑3403, Randnrn. 19 bis 22, Pannon GSM, Randnrn. 37 bis 43, und VB Pénzügyi Lízing, Randnrn. 42 und 43, sowie Beschluss Pohotovosť, Randnrn. 56 bis 60).

In Bezug auf die Konsequenzen, die aus der Feststellung, dass die falsche Angabe des effektiven Jahreszinses eine unlautere Geschäftspraxis darstellt, für die Beurteilung der Wirksamkeit des betreffenden Vertrags in seiner Gesamtheit anhand von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu ziehen sind, genügt der Hinweis darauf, dass die Richtlinie 2005/29 gemäß ihrem Art. 3 Abs. 2 das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt lässt.

Infolgedessen hat die Feststellung des unlauteren Charakters einer Geschäftspraxis keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Frage, ob der Vertrag im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 wirksam ist.

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass eine Geschäftspraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, in einem Kreditvertrag einen geringeren als den realen effektiven Jahreszins anzugeben, als „irreführend“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 einzustufen ist, sofern sie den Durchschnittsverbraucher tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist. Die Feststellung des unlauteren Charakters einer solchen Geschäftspraxis stellt einen Anhaltspunkt unter mehreren dar, auf den der zuständige Richter gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 seine Beurteilung des missbräuchlichen Charakters der Vertragsklauseln stützen kann, die die Kosten des dem Verbraucher gewährten Kredits betreffen. Eine solche Feststellung hat jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Beurteilung der Wirksamkeit des geschlossenen Kreditvertrags anhand von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass sich das angerufene Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat und der eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält, ohne diese Klauseln bestehen kann, nicht ausschließlich auf die etwaige Vorteilhaftigkeit der Nichtigerklärung des betreffenden Vertrags in seiner Gesamtheit für eine der Parteien, im vorliegenden Fall den Verbraucher, stützen kann. Diese Richtlinie hindert allerdings einen Mitgliedstaat nicht daran, im Einklang mit dem Unionsrecht vorzusehen, dass ein Vertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat und der eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält, in seiner Gesamtheit nichtig ist, wenn sich erweist, dass dadurch ein besserer Schutz des Verbrauchers gewährleistet wird.

2.      Eine Geschäftspraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, in einem Kreditvertrag einen geringeren als den realen effektiven Jahreszins anzugeben, ist als „irreführend“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) einzustufen, sofern sie den Durchschnittsverbraucher tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist. Die Feststellung des unlauteren Charakters einer solchen Geschäftspraxis stellt einen Anhaltspunkt unter mehreren dar, auf den der zuständige Richter gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 seine Beurteilung des missbräuchlichen Charakters der Vertragsklauseln stützen kann, die die Kosten des dem Verbraucher gewährten Kredits betreffen. Eine solche Feststellung hat jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Beurteilung der Wirksamkeit des geschlossenen Kreditvertrags anhand von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a