Fünf sind erlaubt

28. Mai 2009
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
4418 mal gelesen
0 Shares

Eigener Leitsatz:
Ein Rechteinhaber kann grundsätzlich im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen unberechtigten Zugänglichmachens urheberrechtlich geschützter Werke über Internettauschbörsen einen Einsichts- und Auskunftsanspruch geltend machen. Die Verletzungshandlungen müssen dabei aber einem gewerblichen Ausmaß entsprechen, was nach dem konkreten Einzelfall beurteilt wird. Die Bagatellgrenze liegt bei fünf vorgehaltenen Filmen in zeitlich engem Zusammenhang.

Landgericht Darmstadt

Beschluss vom 20.04.2009

Az.: 9 Qs 99/09

In dem Ermittlungsverfahren gegen einen namentlich bekannten Beschuldigten wegen Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz hier: Antrag auf Akteneinsicht der    , v.d.d.   hat die 9. Strafkammer – Beschwerdekammer – desLandgerichts Darmstadt am 20.04.2009 beschlossen:
Der Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens und ihre Auslagen.

Gründe
I.
Die Antragstellerin ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an verschiedenen von ihr produzierten und herausgegebenen pornographischen Filmwerken, darunter die Titel „L P“ sowie „V M“. Mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 17.03.2008 zeigte sie gegenüber der Staatsanwaltschaft das unberechtigte Zugänglichmachen dieser Werke im Rahmen sog. Internet-Tauschbörsen (Peer-to-Peer-Netzwerke) an. Beigefügt waren Datendokumentationen, wonach der Film „L P “ unter der IP-Adresse . . . am 17.03.2008 um 07.13 Uhr und der Film „V M “ unter der IP-Adresse . . . am 17.03.2008 um 03.50 Uhr, 04.54 Uhr und 05.58 Uhr jeweils über den Einwahlknotenpunkt E zum Herunterladen angeboten worden waren.
Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin Providerauskünfte zur Namhaftmachung der IP-Verwender eingeholt, wonach beide IP-Adressen im Tatzeitpunkt demselben Anschlussinhaber zugeordnet waren. Das wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz sowie des Verbreitens pornographischer Schriften eingeleitete Verfahren hat die Staatsanwaltschaft sodann ohne weitere Ermittlungshandlungen gemäß § 153 StPO wieder eingestellt.
In diesem Verfahren hat die Antragstellerin Akteneinsicht begehrt und, nach Ablehnung durch die Staatsanwaltschaft, mit Schriftsatz vom 26.01.2009 um gerichtliche Entscheidung ersucht.

II.
Der Antrag ist gemäß §§ 406e Abs. 4 Satz 2, 161a Abs. 3 Satz 2 bis 4 StPO zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
Zu Recht hat die Staatsanwaltschaft der begehrten Akteneinsicht nicht entsprochen, da überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten bzw. des betroffenen Anschlussinhabers entgegenstehen (§ 406e Abs. 2 Satz 1 StPO). Dieser Ausschlussgrund gilt auch für die Antragstellerin als Nebenklageberechtigte im Sinne der §§ 406e Abs. 1, 395 Abs. 2 Nr. 2, 374 Abs. 1 Nr. 8 StPO, §§ 106 ff. UrhG (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 406e Rn. 6).
Zwar kommt nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer im Rahmen von Ermittlungsverfahren wegen unberechtigten Zugänglichmachens urheberrechtlich geschützter Werke über Internet-Tauschbörsen grundsätzlich ein Einsichts- und Auskunftsanspruch des verletzten Rechteinhabers in Betracht (LG Darmstadt, Beschl. v. 09.10.2008 – 9 Qs 490/08, GRUR-RR 2009, 13 = MMR 2009, 52 m. zust. Anm. Bär; Beschl. v. 12.12.2008 – 9 Qs 573-618/08, MMR 2009, 290 Ls. = K&R 2009, 211 m. zust. Anm. Sankol; Beschl. v. 17.04.2009 – 9 Qs 98/09; ebenso LG Stralsund, MMR 2009, 63). Maßgebend bleibt jedoch eine – hier zu Lasten der Antragstellerin ausfallende – Abwägung im Einzelfall.
Zur Beurteilung überwiegend schutzwürdiger Interessen sind zunächst die widerstreitenden Grundrechte der Beteiligten in Ansatz zu bringen. Während sich der verletzte Rechteinhaber regelmäßig auf Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG und – mit Blick auf das geistige Eigentum – auf Art. 14 Abs. 1 GG stützen kann, ist auf Seiten des Beschuldigten bzw. des betroffenen Anschlussinhabers dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG zu beachten.
Zum einen ist zu berücksichtigen, dass es bei der Namhaftmachung des Verwenders einer IP-Adresse lediglich um die Erhebung der sog. Bestandsdaten und nicht der verfassungsrechtlich weitaus stärker geschützten Verkehrsdaten geht. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist der Schutz von Verkehrsdaten schon deshalb nicht betroffen, weil die (dynamische) IP-Adresse dem Anzeigenden bereits bekannt ist und lediglich noch die Abfrage der beim Provider gespeicherten Daten über die Person des Anschlussinhabers erfolgt (vgl. LG Offenburg, MMR 2008, 480; LG Stralsund, MMR 2009, 63; Bär, MMR 2009, 54, 55).
Zum anderen kann etwa die Stärke des Tatverdachts von Bedeutung sein. Ferner ist in Bedacht zu nehmen, dass ein berechtigtes Interesse an der Namhaftmachung des Anschlussinhabers auch insofern möglich erscheint, als dieser – selbst ohne schuldhafte Mitwirkung an dem Urheberrechtsverstoß – u.U. als Störer nach § 97 UrhG, § 1004 BGB haftet. Denn ein berechtigtes Interesse an der begehrten Akteneinsicht kann sich auch auf bürgerlich-rechtliche Ansprüche stützen (s. BVerfG, NJW 2007, 1052 f.; Meyer-Goßner, § 406e Rdnr. 3, jew. m.w.N.; a.A. wohl LG München I, MMR 2008, 561). Dass die Störerhaftung im Einzelfall möglicherweise von der Verletzung der dem Anschlussinhaber obliegenden Überwachungs- und Aufsichtspflichten abhängt (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2008, 1221; OLG Frankfurt a.M., MMR 2008, 603; MMR 2008, 169; LG Frankenthal, Beschl. v. 15.09.2008 – 6 O 325/08), steht – anders als die Staatsanwaltschaft meint – der Bejahung eines berechtigten Interesses an der Akteneinsicht nicht entgegen. Ob und welche Bedeutung der Verletzung solcher Verkehrssicherungspflichten zukommt, lässt sich erst unter Berücksichtigung der Darlegungs- und Beweislastverteilung in einem Zivilrechtsstreit beantworten und kann im Rahmen des § 406e StPO schlechterdings nicht antizipiert werden. Es wäre aber nicht gerechtfertigt, Akteneinsicht allein deshalb zu versagen, weil nicht von vornherein auszuschließen ist, dass in Ausnahmefällen einmal ein Anschlussinhaber verklagt wird, der nicht Störer im Sinne des Urheberrechts ist (vgl. OLG Köln, MMR 2008, 820, 822).
Eine ganz wesentliche Bedeutung kommt darüber hinaus dem Ausmaß der Rechtsverletzung zu. Unbeschadet der Frage, ob die Vorschrift des § 101 UrhG n.F. in die Abwägung nach § 406e StPO einzubeziehen und somit Akteneinsicht allein bei Verletzungshandlungen von „gewerblichem Ausmaß“ zu gewähren ist (vgl. dazu Kammer, Beschl. v. 09.10.2008 – 9 Qs 490/08, GRUR-RR 2009, 13, 14 f. = MMR 2009, 52, 53 f.; zur Auslegung dieses Begriffes noch OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27.10.2008 – 3 W 184/08), ist in jedem Fall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Dieser steht der begehrten Akteneinsicht regelmäßig entgegen, sofern sich die Rechtsverletzung als Bagatelle darstellt.
Wie die Kammer bereits entschieden hat, wird von einer solchen Bagatelle dann auszugehen sein, wenn über die inkriminierte IP-Adresse lediglich ein einziges Musikstück oder ein einziges Filmwerk nachweislich zum Herunterladen angeboten wurde (LG Darmstadt, Beschl. v. 12.12.2008 – 9 Qs 573-618/08, MMR 2009, 290 Ls. = K&R 2009, 211 für einzelne Musikstücke; Beschl. v. 17.04.2009 – 9 Qs 98/09 für einzelne Filmwerke). Obwohl die im Internet begangenen Urheberrechtsverstöße in ihrer Häufung zu erheblichen Umsatzeinbußen der Musik- und Filmwirtschaft führen, ist zur Beurteilung der Frage, ob eine Bagatelltat vorliegt, keine betriebs- oder volkswirtschaftliche Perspektive einzunehmen. Maßgeblich ist die individuelle Verfehlung im konkreten Einzelfall, der jeweils für sich genommen zu bewerten ist, da die Rechtsverletzungen anderer Nutzer dem jeweiligen Beschuldigten nicht zugerechnet werden können.
Allerdings gibt der vorliegende Fall – in dem gleich zwei Filmwerke der Antragstellerin innerhalb mehrerer Stunden entweder wiederholt oder durchgängig zum Herunterladen angeboten wurden – Anlass, die Bagatellgrenze zu präzisieren. Danach ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Anschlussinhabers jedenfalls nicht mehr ohne weiteres vorrangig, sofern fünf Filmwerke in zeitlich engem Zusammenhang vorgehalten wurden. Dann nämlich bestehen greifbare und quantifizierbare Anhaltspunkte für einen systematischen Rechtsbruch und kann auch der durch den Täter herbeigeführte zivilrechtliche Schaden im Sinne des § 97 UrhG nicht mehr als unbeträchtlich angesehen werden. Entsprechendes gilt für das Bereithalten von fünf Musikalben, da ein Album mit einem Filmwerk vergleichbar erscheint, oder – ausgehend von der Annahme, dass sich auf einem Album durchschnittlich etwa 10 Titel befinden – beim Anbieten von 50 einzelnen Musikstücken eines oder mehrerer Interpreten.
Da es sich vorliegend durch das zeitweise Bereithalten zweier urheberrechtlich geschützter Filmwerke aber noch um eine bagatellartige Rechtsverletzung handelt, bei der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten grundsätzlich vorrangig ist, war Akteneinsicht zu versagen. Zugleich scheidet eine bloße Auskunftserteilung aus, weil auch hiermit die Aufdeckung der Identität des Anschlussinhabers verbunden wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 406e Abs. 4 Satz 2, 161a Abs. 3 Satz 3, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 406e Abs. 4 Satz 2, 161a Abs. 3 Satz 4 StPO).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a