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Gerichtsstand bei Verbrauchsgüterkauf im EU-Ausland nach Erstkontakt über Website

11. September 2012
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Zwei Einkaufswägen.

Eigener Leitsatz:

Ein Verbraucher kann bei grenzüberschreitenden Geschäften mit einem Unternehmer auch außerhalb des Fernabsatzes vor den inländischen Gerichten klagen. Allerdings nur dann, wenn die berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist. Insoweit sind sowohl die Aufnahme von Fernkontakt als auch die Buchung eines Gegenstandes oder einer Dienstleistung im Fernabsatz und erst recht der Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz Indizien dafür, dass der Vertrag an eine solche Tätigkeit anschließt.

Europäischer Gerichtshof

Urteil vom 06.09.2012

Az.: C-190/11

„Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen – Zuständigkeit für Verbraucherverträge – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Art. 15 Abs. 1 Buchst. c – Etwaige Beschränkung dieser Zuständigkeit auf im Fernabsatz geschlossene Verträge“

In der Rechtssache C‑190/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 23. März 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2011, in dem Verfahren

Daniela Mühlleitner

gegen

Ahmad Yusufi,

Wadat Yusufi

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von D. Mühlleitner, vertreten durch Rechtsanwalt C. Schönhuber,

–        von A. Yusufi und W. Yusufi, vertreten durch die Rechtsanwälte U. Schwab und G. Schwab,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar und B. Majczyna als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. I. Fernandes und S. Nunes de Almeida als Bevollmächtigte,

–        der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vertreten durch D. Klingele als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A.‑M. Rouchaud-Joët und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Mai 2012

folgendes

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑I‑Verordnung).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Daniela Mühlleitner auf der einen und Ahmad und Wadat Yusufi auf der anderen Seite über die Wandlung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug wegen versteckter Mängel, die Rückzahlung des Kaufpreises und Schadensersatz.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 des Übereinkommens von Brüssel vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) bestimmt:

„Für Klagen aus einem Vertrag, den eine Person zu einem Zweck abgeschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person (Verbraucher) zugerechnet werden kann, bestimmt sich die Zuständigkeit, unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5, nach diesem Abschnitt,

3.      für andere Verträge, wenn sie die Erbringung einer Dienstleistung oder die Lieferung beweglicher Sachen zum Gegenstand haben, sofern

a)      dem Vertragsabschluss in dem Staat des Wohnsitzes des Verbrauchers ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung vorausgegangen ist und

b)      der Verbraucher in diesem Staat die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat.“

Nach dem 13. Erwägungsgrund der Brüssel‑I‑Verordnung sollte bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.

Art. 2 der Brüssel‑I‑Verordnung stellt den Grundsatz auf, dass Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen sind.

Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung bestimmt:

„Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5 nach diesem Abschnitt,

c)      … wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.“

Art. 16 Abs. 1 und 2 der Brüssel‑I‑Verordnung sieht vor:

„(1)      Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.

(2)      Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.“

Im siebten Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177, S. 6, im Folgenden: Rom‑I‑Verordnung) heißt es, dass der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung mit denen der Brüssel‑I‑Verordnung in Einklang stehen sollten.

Im 24. Erwägungsgrund der Rom‑I‑Verordnung heißt es:

„Insbesondere bei Verbraucherverträgen … [ist, um] die Übereinstimmung mit der [Brüssel‑I‑Verordnung] zu wahren, … zum einen als Voraussetzung für die Anwendung der Verbraucherschutznorm auf das Kriterium der ausgerichteten Tätigkeit zu verweisen und zum anderen auf die Notwendigkeit, dass dieses Kriterium in der [Brüssel‑I‑Verordnung] und der vorliegenden Verordnung einheitlich ausgelegt wird, wobei zu beachten ist, dass eine gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zu Artikel 15 der [Brüssel‑I‑Verordnung] ausführt, ‚dass es für die Anwendung von Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe c nicht ausreicht, dass ein Unternehmen seine Tätigkeiten auf den Mitgliedstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, oder auf mehrere Staaten – einschließlich des betreffenden Mitgliedstaats –, ausrichtet, sondern dass im Rahmen dieser Tätigkeiten auch ein Vertrag geschlossen worden sein muss‘. Des Weiteren heißt es in dieser Erklärung, ,dass die Zugänglichkeit einer Website allein nicht ausreicht, um die Anwendbarkeit von Artikel 15 zu begründen; vielmehr ist erforderlich, dass diese Website auch den Vertragsabschluss im Fernabsatz anbietet und dass tatsächlich ein Vertragsabschluss im Fernabsatz erfolgt ist, mit welchem Mittel auch immer. Dabei sind auf einer Website die benutzte Sprache oder die Währung nicht von Bedeutung‘.“

Art. 6 Abs. 1 der Rom‑I‑Verordnung sieht vor:

„Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (‚Verbraucher‘), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt (‚Unternehmer‘), dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer

a)      seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

b)      eine solche Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet,

und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Aus der Vorlageentscheidung und den Akten ergibt sich, dass Frau Mühlleitner, die in Österreich wohnt, im Internet nach einem Pkw einer deutschen Marke suchte, den sie für ihren privaten Bedarf erwerben wollte. Auf der deutschen Suchplattform „www.mobil[e].de“ gab sie Marke und Modell des gewünschten Fahrzeugs ein und erhielt eine Liste von Fahrzeugen, die die angegebenen Eigenschaften aufwiesen.

Nachdem sie das Fahrzeug ausgewählt hatte, das ihren Suchkriterien am besten entsprach, wurde sie zu einem Angebot der Beklagten, A. und W. Yusufi, weitergeleitet, die über die Autohaus Yusufi GbR (im Folgenden: Autohaus Yusufi) mit Sitz in Hamburg (Deutschland) einen Kfz-Einzelhandel betreiben.

Frau Mühlleitner wollte sich nach dem auf der Suchplattform angebotenen Fahrzeug erkundigen und kontaktierte die Beklagten mittels der auf der Website des Autohauses Yusufi angegebenen Telefonnummer, die eine internationale Vorwahl enthielt. Da das fragliche Fahrzeug nicht mehr verfügbar war, wurde ihr ein anderes Fahrzeug angeboten, zu dem später per E-Mail nähere Angaben geschickt wurden. Es wurde ihr auch mitgeteilt, dass ihre österreichische Staatsangehörigkeit dem Erwerb eines Fahrzeugs bei den Beklagten nicht im Wege stehe.

In der Folge begab sich Frau Mühlleitner nach Deutschland und erwarb von A. und W. Yusufi mit am 21. September 2009 in Hamburg unterzeichnetem Kaufvertrag zum Preis von 11 500 Euro das fragliche Fahrzeug, das sie unmittelbar übernahm.

Zurück in Österreich entdeckte Frau Mühlleitner, dass das erworbene Fahrzeug wesentliche Mängel aufwies, und verlangte daher von den Beklagten, den Wagen zu reparieren.

Da die Beklagten dies verweigerten, klagte Frau Mühlleitner vor dem Gericht ihres Wohnorts, dem Landesgericht Wels (Österreich), auf Wandlung des Kaufvertrags über das Fahrzeug, den sie als Verbraucherin mit einem Unternehmen geschlossen habe, das seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet habe – ein von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung erfasster Fall.

Die Beklagten bestritten die Eigenschaft von Frau Mühlleitner als „Verbraucherin“ und rügten die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte, da der Rechtsstreit ihrer Ansicht nach bei den zuständigen deutschen Gerichten anhängig gemacht werden müsste. Außerdem hätten sie ihre Tätigkeit nicht auf Österreich ausgerichtet, und die Klägerin habe den Vertrag am Sitz ihres Unternehmens in Deutschland geschlossen.

Am 10. Mai 2010 erklärte sich das erstinstanzliche Gericht, das Landesgericht Wels, für unzuständig und wies die Klage zurück. Es stellte zwar die Verbrauchereigenschaft von Frau Mühlleitner nicht in Frage, ging aber davon aus, dass die Möglichkeit, in Österreich die Website des Autohauses Yusufi aufzurufen, nicht ausreiche, um die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte zu begründen; außerdem sei es der Telefonanruf der Klägerin gewesen, der zum Vertragsabschluss geführt habe, und aus der daraufhin versandten E-Mail ergebe sich nicht, dass die Beklagten ihre Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet hätten. Frau Mühlleitner legte gegen diese Entscheidung Rekurs beim Oberlandesgericht Linz ein.

Am 17. Juni 2010 bestätigte das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung. Es stellte die Verbrauchereigenschaft von Frau Mühlleitner ebenfalls nicht in Frage, wies aber auf die gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zu Art. 15 und Art. 73 der Brüssel‑I‑Verordnung aus Anlass des Erlasses der Verordnung (im Folgenden: gemeinsame Erklärung) hin, wonach eine bloß „passive“ Website noch kein Ausrichten der Tätigkeit auf den Verbraucherstaat sei, und stellte fest, dass die Website des Autohauses Yusufi eine solche „passive“ Website sei. Außerdem müsse der Vertrag nach dieser gemeinsamen Erklärung im Fernabsatz geschlossen werden, was hier nicht der Fall sei. Das Oberlandesgericht ließ allerdings einen Revisionsrekurs zu, da die rechtliche Tragweite der gemeinsamen Erklärung umstritten sei.

Frau Mühlleitner legte gegen dieses Urteil Revisionsrekurs beim Obersten Gerichtshof ein.

Wie sich aus den Akten ergibt, geht der Oberste Gerichtshof davon aus, dass die Beklagten ihre Tätigkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung auf Österreich ausgerichtet haben, da die Website des Autohauses Yusufi dort habe aufgerufen werden können und zwischen den Vertragsparteien Fernkontakte per Telefon und E‑Mail bestanden hätten.

Mit Beschluss vom 9. November 2010 setzte der Oberste Gerichtshof das Verfahren jedoch bis zum Erlass des Urteils des Gerichtshofs in den Rechtssachen Pammer und Hotel Alpenhof (Urteil vom 7. Dezember 2010, Pammer und Hotel Alpenhof, C‑585/08 und C‑144/09, Slg. 2010, I‑12527) aus, das Aufschluss über die Wendung „auf den Staat des Wohnsitzes des Verbrauchers ausgerichtete Tätigkeit“ geben sollte.

Dieses Urteil hat den Obersten Gerichtshof in seiner Überzeugung bestärkt, dass A. und W. Yusufi ihre gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet haben. Auch die Verbrauchereigenschaft von Frau Mühlleitner ist seiner Ansicht nach nicht zweifelhaft.

Allerdings stelle sich die Frage, ob sich aus den Randnrn. 86 und 87 des Urteils Pammer und Hotel Alpenhof nicht ergebe, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung nur auf Vertragsabschlüsse im Fernabsatz anzuwenden sei.

Der Oberste Gerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Setzt die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung voraus, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde?

Zur Vorlagefrage

Zunächst ist zu beachten, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung eine Abweichung sowohl von der allgemeinen Zuständigkeitsregel des Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung, nach der die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, als auch von der besonderen Zuständigkeitsregel des Art. 5 Nr. 1 der Verordnung für Verträge oder Ansprüche aus Verträgen enthält, nach der das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre (Urteil Pammer und Hotel Alpenhof, Randnr. 53).

Daraus folgt, dass diese Abweichung zwangsläufig eng ausgelegt werden muss, da eine Abweichung oder Ausnahme von einer allgemeinen Regel eng auszulegen ist.

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die in der Brüssel‑I‑Verordnung – insbesondere in Art. 15 Abs. 1 Buchst. c – verwendeten Begriffe autonom auszulegen sind, wobei in erster Linie die Systematik und die Ziele der Verordnung zu berücksichtigen sind, um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu sichern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Januar 2005, Engler, C‑27/02, Slg. 2005, I‑481, Randnr. 33, sowie Pammer und Hotel Alpenhof, Randnr. 55).

Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung in dem mit dieser Verordnung errichteten System, wie sich aus ihrem 13. Erwägungsgrund ergibt, denselben Platz einnimmt und dieselbe Funktion, den Verbraucher als schwächere Partei zu schützen, hat wie Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens (vgl. Urteil vom 14. Mai 2009, Ilsinger, C‑180/06, Slg. 2009, I‑3961, Randnr. 41).

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nicht zu prüfen ist, ob die gewerbliche Tätigkeit von A. und W. Yusufi auf Österreich ausgerichtet war, da das vorlegende Gericht diese Voraussetzung bereits als erfüllt angesehen hat.

Die vorgelegte Frage ist im Licht dieser Erwägungen zu beantworten.

Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung dahin auszulegen ist, dass er verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde. In diesem Zusammenhang wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob sich aus den Randnrn. 86 und 87 des Urteils Pammer und Hotel Alpenhof ergibt, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung nur auf im Fernabsatz geschlossene Verbraucherverträge anzuwenden ist.

Auch wenn Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung dem Verbraucherschutz dient, impliziert dies nicht, dass dieser Schutz absolut ist (vgl. Urteil Pammer und Hotel Alpenhof, Randnr. 70). Außerdem wird das Erfordernis eines Abschlusses der Verbraucherverträge im Fernabsatz in der gemeinsamen Erklärung und im 24. Erwägungsgrund der Rom‑I‑Verordnung, in dem diese gemeinsame Erklärung aufgegriffen wird, erwähnt.

Alle Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, und die Kommission tragen jedoch auf eine grammatikalische Auslegung, die Entstehungsgeschichte und eine teleologische Auslegung gestützte Argumente vor, die dafür sprechen, die Vorlagefrage zu verneinen.

Erstens ist festzustellen, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung seine Anwendung nicht ausdrücklich davon abhängig macht, dass die von ihm erfassten Verträge im Fernabsatz geschlossen wurden.

Nach ihrem Wortlaut findet diese Bestimmung nämlich Anwendung, wenn zwei spezifische Voraussetzungen erfüllt sind. So ist erstens erforderlich, dass der Gewerbetreibende seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausübt oder sie auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet, und zweitens, dass der streitige Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in der Begründung zu ihrem am 14. Juli 1999 in Brüssel vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (KOM[1999] 348 endg.) ausgeführt hat, dass „[d]ie Streichung der Bedingung im alten Artikel 13 [des Brüsseler Übereinkommens], dass der Verbraucher in seinem Staat die zum Abschluss des Vertrags erforderlichen Rechtshandlungen genommen haben musste, … mit sich [bringt], dass Artikel 15 Nummer 3 [jetzt Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung] auf Verträge, die in einem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurden als jenem, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, anwendbar ist“.

Auch der Gerichtshof hat festgestellt, dass der Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 der Brüssel‑I‑Verordnung nicht in jeder Hinsicht mit dem des Art. 13 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens identisch ist. Er hat insbesondere ausgeführt, dass die Anwendungsvoraussetzungen, die Verbraucherverträge erfüllen müssen, nunmehr in allgemeinerer Form als zuvor aufgeführt sind, damit angesichts der neuen Kommunikationsmittel und der Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs ein besserer Schutz des Verbrauchers gewährleistet ist (vgl. Urteil Pammer und Hotel Alpenhof, Randnr. 59).

Der Unionsgesetzgeber hat hierbei die Voraussetzungen, dass auf der einen Seite der Gewerbetreibende im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ein ausdrückliches Angebot gemacht oder Werbung betrieben haben musste und auf der anderen Seite der Verbraucher die zum Vertragsschluss erforderlichen Rechtshandlungen in diesem Staat vorgenommen haben musste, durch Voraussetzungen ersetzt, die sich allein auf den Gewerbetreibenden beziehen (Urteil Pammer und Hotel Alpenhof, Randnr. 60).

In diesem Zusammenhang ist auf den Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments vom 18. September 2000 über den Vorschlag für die künftige Brüssel‑I‑Verordnung (Dokument endgültig A5-0253/2000, Änderungsantrag 23 und Begründung) hinzuweisen, in dem die Diskussion über die Zweckmäßigkeit einer Aufnahme der Voraussetzung, dass die Verbraucherverträge im Fernabsatz geschlossen wurden, und die Argumente, die schließlich dazu geführt haben, dass ein entsprechender Änderungsantrag nicht angenommen wurde, erwähnt werden.

Die weniger restriktive neue Formulierung des alten Art. 13 des Brüsseler Übereinkommens spiegelt sich auch, wie der Generalanwalt in Nr. 17 seiner Schlussanträge ausführt, in Parallelübereinkommen zum Brüsseler Übereinkommen und zur Brüssel‑I‑Verordnung wider, insbesondere in Art. 15 Abs. 1 Buchst. c des Übereinkommens, das dem Beschluss 2007/712/EG des Rates vom 15. Oktober 2007 über die Unterzeichnung – im Namen der Gemeinschaft – des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 339, S. 1) beigefügt ist.

Zweitens ist zur teleologischen Auslegung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung festzustellen, dass das zusätzliche Erfordernis eines Vertragsschlusses im Fernabsatz dem mit dieser Bestimmung in ihrer weniger restriktiven neuen Formulierung verfolgten Ziel – Schutz der Verbraucher als der schwächeren Vertragspartei – zuwiderliefe.

Drittens hat der Gerichtshof in den Randnrn. 86 und 87 des Urteils Pammer und Hotel Alpenhof zum Vorbringen der Hotel Alpenhof GesmbH, Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung sei nicht anwendbar, weil der Vertrag mit dem Verbraucher an Ort und Stelle und nicht im Fernabsatz geschlossen werde, festgestellt, dass dieses Vorbringen im konkreten Fall ins Leere ging, da die Buchung des Hotelzimmers und ihre Bestätigung tatsächlich im Fernabsatz erfolgt waren.

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 36 bis 38 seiner Schlussanträge in der vorliegenden Rechtssache ausgeführt hat, geht der Gerichtshof in den Randnrn. 86 und 87 des Urteils nur auf das Vorbringen der Hotel Alpenhof GesmbH ein, ohne dass diesen Ausführungen eine über die spezifischen Umstände dieser Rechtssache hinausreichende Bedeutung beizumessen wäre. Es bleibt dabei, dass die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung die der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit ist, die auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist. Insoweit sind sowohl die Aufnahme von Fernkontakt, wie sie im Ausgangsverfahren erfolgt ist, als auch die Buchung eines Gegenstandes oder einer Dienstleistung im Fernabsatz und erst recht der Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz Indizien dafür, dass der Vertrag an eine solche Tätigkeit anschließt.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung dahin auszulegen ist, dass er nicht verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde.

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