Vierlinden – eine geographische Herkunftsangabe

11. August 2009
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Amtlicher Leitsatz:

Im Rahmen der Prüfung des Schutzhindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ist die Beurteilung, ob eine zukünftige Verwendung einer geographischen Herkunftsangabe für eine bestimmte Warengruppe vernünftigerweise zu erwarten ist, grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte. Allein aus dem Umstand, dass das Bundespatentgericht der Bekanntheit einer Ortsbezeichnung bei der Prüfung des Schutzhindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG im konkreten Fall ein anderes Gewicht beimisst als das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, ohne ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu richten, folgt keine Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 20.05.2009

Az.: I ZB 107/08

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2009 durch die Richter Dr. Bergmann, Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Koch beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der Anmelderin gegen den Beschluss des 33. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 28. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe:
I.
Die Anmelderin hat die Eintragung des Zeichens Vierlinden für die Dienstleistungen "Handelsdienstleistungen im Bereich von Lebensmitteln, insbesondere Lebensmittel aus ökologischem Anbau, alkoholischen und nicht alkoholischen Getränken, insbesondere aus ökologischer Produktion, Haushaltswaren, Drogerieartikeln, Spielwaren, Bekleidungsartikeln, Schreibwaren" beantragt.
 
Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, das angemeldete Wortzeichen sei für die in Anspruch genommenen Dienstleistungen zur Bezeichnung der geographischen Herkunft freihaltebedürftig.

Das Bundespatentgericht hat die Beschwerde der Anmelderin zurückgewiesen (BPatG GRUR 2009, 491).

Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter und die Versagung des rechtlichen Gehörs rügt.

II.
Das Bundespatentgericht hat die Auffassung vertreten, der Eintragung der angemeldeten Marke stehe das Schutzhindernis des Freihaltebedürfnisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen. Vierlinden sei eine geographische Angabe, an deren Freihaltung ein Allgemeininteresse bestehe. Es sei nicht erforderlich, dass die geographische Angabe für die beanspruchten Dienstleistungen im Handel und in den Verbraucherkreisen bekannt sei. Vielmehr reiche es aus, dass die Verwendung für die in Rede stehenden Dienstleistungen in Zukunft zu erwarten sei. Für die Handelsdienstleistungen sei bereits von einem gegenwärtigen Freihaltebedürfnis auszugehen, weil in dem Ort Vierlinden östlich von Berlin und in dem Stadtteil Vierlinden im Duisburger Stadtbezirk Walsum Lebensmittelhändler tätig seien. Jedenfalls sei aber ein sogenanntes zukünftiges Freihaltebedürfnis anzunehmen.

III.
Die Rechtsbeschwerde der Anmelderin hat keinen Erfolg.

1. Die Statthaftigkeit der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde folgt daraus, dass ein im Gesetz aufgeführter, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnender Verfahrensmangel gerügt wird. Die Rechtsbeschwerde beruft sich auf eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des beschließenden Gerichts (§ 83 Abs. 3 Nr. 1 MarkenG) und eine Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG) und hat dies im Einzelnen begründet. Darauf, ob die Rügen durchgreifen, kommt es für die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht an (st. Rspr.; BGH, Beschl. v. 24.4.2008 – I ZB 72/07, GRUR 2008, 1126 Tz. 6 = WRP 2008, 1550 – Weisse Flotte).

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.

a) Ohne Erfolg erhebt die Rechtsbeschwerde die Rüge, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig i.S. von § 83 Abs. 3 Nr. 1 MarkenG besetzt gewesen. Sie macht hierzu geltend, das Bundespatentgericht sei als letztinstanzliches Gericht nach Art. 234 Abs. 3 EG zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften verpflichtet gewesen. Es habe die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen und habe deshalb als letztinstanzliches Gericht entschieden. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Ge0meinschaften sei erforderlich gewesen, weil das Bundespatentgericht von der Entscheidung des Gerichts erster Instanz in der Rechtssache "Cloppenburg" (EuG GRUR 2006, 240) abgewichen und von einer Divergenz der Entscheidung des Gerichts erster Instanz zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ausgegangen sei. Die unterlassene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sei objektiv willkürlich und verletze die Anmelderin in ihrem Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Annahme eines Zulassungsgrunds nach § 83 Abs. 3 Nr. 1 MarkenG.

aa) Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist zwar gesetzlicher Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 73, 339, 366; BVerfG NVwZ 2004, 1224, 1127; JZ 2007, 87). Das Bundespatentgericht ist auch letztinstanzliches Gericht i.S. des Art. 234 Abs. 3 EG, wenn es die Rechtsbeschwerde, wie im vorliegenden Fall geschehen, nicht nach § 83 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 MarkenG zulässt (BGH, Beschl. v. 2.10.2002 – I ZB 27/00, GRUR 2003, 546, 548 = WRP 2003, 655 – TURBO-TABS; Steinbeck, MarkenR 2002, 273, 279 f.; Stjerna, MarkenR 2004, 271, 275). Die Frage, ob eine Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG durch das Bundespatentgericht mit der Besetzungsrüge nach § 83 Abs. 3 Nr. 1 MarkenG angegriffen werden kann (bejahend Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 83 MarkenG Rdn. 24; a.A. Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, Bd. 1, 1. Teil, Kap. 2 Rdn. 659: Verfassungsbeschwerde), hat der Senat bislang offengelassen (BGH GRUR 2003, 546, 547 – TURBO-TABS; BGH, Beschl. v. 10.4.2008 – I ZB 98/07, GRUR 2008, 1027 Tz. 24 = WRP 2008, 1438 – Cigarettenpackung). Sie braucht auch im vorliegenden Verfahren nicht entschieden zu werden.

Eine Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen eines Verstoßes gegen die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 GG setzt voraus, dass die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften willkürlich unterblieben ist, weil sie bei Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfG NJW 1992, 678; NVwZ 2008, 780 f.; BGH GRUR 2003, 546, 548 – TURBO-TABS). Davon ist auszugehen, wenn ein letztinstanzliches Gericht zur Klärung der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift eine Vorlage überhaupt nicht erwägt, obwohl es Zweifel an der zutreffenden Beurteilung der entscheidungserheblichen Auslegungsfrage hat, oder wenn das erkennende Gericht bewusst von der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften abweicht, ohne vorzulegen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil das Bundespatentgericht eine Vorlage erwogen hat und seine Entscheidung nicht in bewusster Abweichung von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften getroffen hat. Gegenteiliges macht auch die Rechtsbeschwerde nicht geltend. Sie leitet eine Verpflichtung zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vielmehr aus dem Umstand ab, dass das Bundespatentgericht bei der Beurteilung des Freihaltebedürfnisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG andere Maßstäbe zugrunde gelegt hat als das Gericht erster Instanz in der Entscheidung "Cloppenburg" (EuG GRUR 2006, 240).

bb) Daraus folgt im Streitfall jedoch ebenfalls keine willlkürliche Verletzung der Vorlagepflicht. Allerdings ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch verletzt, wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften noch nicht vorliegt oder dieser die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet hat oder eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint und das letztinstanzlich entscheidende Gericht den ihm zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (BVerfG NJW 2001, 1267, 1268; NVwZ 2007, 197, 198).

Das Bundespatentgericht konnte die Frage, ob die angemeldete Marke Vierlinden nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen ist, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften abschließend selbst beurteilen, ohne dass sich hieraus ein Verstoß gegen das Willkürverbot ergibt.

(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften verbietet Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL, der durch § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG umgesetzt wird, die Eintragung einer geographischen Bezeichnung als Marke nicht nur, wenn die geographische Angabe einen bestimmten Ort bezeichnet, der für die betroffene Warengruppe bereits bekannt ist, sondern auch dann, wenn die geographische Angabe einen Ort bezeichnet, der von den beteiligten Verkehrskreisen gegenwärtig mit der betreffenden Warengruppe in Verbindung gebracht wird oder wenn dies vernünftigerweise für die Zukunft zu erwarten ist. In diesem Zusammenhang ist von Belang, inwieweit den Verkehrskreisen diese Bezeichnung sowie die Eigenschaften des bezeichneten Ortes und die betreffende Warengruppe mehr oder wenig gut bekannt sind (EuGH, Urt. v. 4.5.1999 – C-108 und 109/97, Slg. 1999, I-2779 = GRUR 1999, 723 Tz. 29 und 31 f. – Chiemsee).

Sofern eine Verwendung der geographischen Angabe für die mit der Marke beanspruchten Waren oder Dienstleistungen noch nicht stattfindet, bedarf es danach zur Annahme des Eintragungshindernisses der Feststellung, dass eine zukünftige Verwendung vernünftigerweise zu erwarten ist. Dies erfordert eine Prognoseentscheidung zur Feststellung eines Freihaltebedürfnisses aufgrund einer zukünftigen Verwendung der geographischen Angabe für die mit der Marke beanspruchten Waren oder Dienstleistungen, die nicht auf theoretischen Erwägungen beruhen darf (BGH, Beschl. v. 17.7.2003 – I ZB 10/01, GRUR 2003, 882, 883 = WRP 2003, 1226 – Lichtenstein).

(2) Von diesen Grundsätzen, die der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Senats zum Eintragungshindernis des Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL und des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG für Marken entsprechen, mit denen Schutz für Waren beansprucht wird, ist entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde auch das Bundespatentgericht ausgegangen. Diese Maßstäbe sind – was das Bundespatentgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat – auch für die Beurteilung des Eintragungshindernisses des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG für Marken maßgeblich, für die Schutz für Dienstleistungen beansprucht wird (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2008 – I ZB 53/05, GRUR 2008, 900 Tz. 11 f. = WRP 2008, 1338 – SPA II). Das Bundespatentgericht hat zur Begründung des Eintragungshindernisses daher darauf abgestellt, dass aufgrund der Existenz von Lebensmitteleinzelhändlern in dem Ort Vierlinden bei Seelow und dem gleichnamigen Stadtteil in Duisburg vernünftigerweise für die Zukunft zu erwarten ist, dass diese Dienstleistungen mit der geographischen Angabe in Verbindung gebracht werden. Darauf, ob das Bundespatentgericht im konkreten Fall zu geringe Anforderungen im Rahmen der Prognoseentscheidung an die entsprechende Erwartung gestellt hat, kommt es für die Frage der Vorlagepflicht nicht an. Denn die Anwendung der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entwickelten Kriterien im Einzelfall ist Sache der nationalen Gerichte (EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – C-224/01, Slg. 2003, I-10239 = NJW 2003, 3539 Tz. 100 – Köbler).

(3) Ohne Erfolg leitet die Rechtsbeschwerde eine Vorlagepflicht aus einer Divergenz der angefochtenen Entscheidung des Bundespatentgerichts zur Spruchpraxis des Gerichts erster Instanz zum inhaltsgleichen Eintragungshindernis des Art. 7 Abs. 1 lit. c GMV ab. Das Gericht erster Instanz hatte in der Entscheidung "Cloppenburg" bei der Verneinung des Eintragungshindernisses in erster Linie darauf abgestellt, dass die Bekanntheit der Stadt Cloppenburg in Deutschland von der Beschwerdekammer nicht ausreichend festgestellt sei (EuG GRUR 2006, 240 Tz. 41 ff.). Das Gericht erster Instanz hatte seine Begründung eines fehlenden Eintragungshindernisses weiterhin darauf gestützt, dass selbst bei unterstellter geringer oder allenfalls mittlerer Bekanntheit der Stadt Cloppenburg in Deutschland wegen eines mangelnden Renommees für eine örtliche Herstellung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen vernünftigerweise nicht zu erwarten sei, dass mit der fraglichen Bezeichnung in Zukunft die geographische Herkunft von Dienstleistungen bezeichnet werde (EuG GRUR 2006, 240 Tz. 47 ff.). Das Bundespatentgericht hat dagegen der Bekanntheit des Ortes Vierlinden, der durch die geographische Angabe bezeichnet wird, vorliegend kein besonderes Gewicht beigemessen. Das begründete jedoch keine Vorlagepflicht des Bundespatentgerichts. Die Frage, ob es sich bei der Bezeichnung Vierlinden um einen bekannten Ort in Deutschland handelt, ist im Rahmen der Gesamtwürdigung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Freihaltebedürfnisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nur ein Indiz (vgl. BGH GRUR 2003, 882, 883 – Lichtenstein), dessen Gewichtung dem nationalen Gericht vorbehalten ist. Im vorliegenden Fall wäre daher eher daran zu denken gewesen, dass das Bundespatentgericht die Rechtsbeschwerde hätte zulassen müssen.

b) Die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Bundespatentgericht habe den Anspruch der Anmelderin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, greift ebenfalls nicht durch. Die Rechtsbeschwerde hat diese Rüge nur mit einer Verletzung der Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch das Bundespatentgericht nach Art. 234 Abs. 3 EG begründet. Die Vorlagepflicht ist jedoch nach den vorstehenden Ausführungen nicht verletzt.

Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 28.10.2008, Az.: 33 W (pat) 105/06

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