Unzulässige Äußerungen in der Presse mit wahrheitswidrigen Behauptungen

14. Oktober 2013
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Eigener Leitsatz:

Für einen persönlichkeitsrechtsverletzenden Eingriff ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene namentlich erwähnt wird, solange er nach dem Inhalt weiterhin identifiziert und mit diesem in Verbindung gebracht werden kann. Die undifferenzierten und bewusst wahrheitswidrigen Behauptungen in einer Zeitung, dass seit Jahren an einem Hotel erfolglos „herumsaniert“ wird, die Fassade im gesamten Zeitraum durch ein Baugerüst verdeckt sei und die städtischen Gestattungsgebühren hierfür „in die Tausende gehen müssen“, unterliegen nicht mehr dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit, sondern verletzen den Inhaber des Hotels in seinem Persönlichkeitsrecht.

Landgericht Heidelberg

Urteil vom 28.08.2013

Az.: 1 S 12/13

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Wiesloch vom 08.01.2013 Abz. 1 C 300/12, im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, in Printmedien die folgende Behauptung aufzustellen:

„Seit Jahren wird hier erfolglos herumsaniert und die Fassade durch ein Baugerüst verdeckt, dessen Mietkosten und städtische Gestattungsgebühren in die Tausende gehen müssen, vermutete kürzlich ein kritischer W.-Leser.“

Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 489,45 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2012 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 7.800,- EUR vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Unterlassung einer in einem lokalen Wochenblatt erschienen Äußerung.

Die Klägerin ist seit 2007 Eigentümerin des Anwesens B-Straße … in W., in dem sich früher das B-HotelW. befand. Zwischen Sommer 2011 und Juni 2012 war das Gebäude mit einem Baugerüst verkleidet. In der Ausgabe Nr. 23 des von der Beklagten vertriebenen Wochenblatts „W.“ vom 06.06.2012 wurde auf Seite 2 unter der Überschrift „Ein Bild aus besseren Zeiten“ ein Bericht über das Gebäude der Klägerin veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Seit Jahren wird hier erfolglos herumsaniert und die Fassade durch ein Baugerüst verdeckt, dessen Mietkosten und städtische Gestattungsgebühren in die Tausende gehen müssen, vermutete kürzlich ein kritischer W.-Leser.“ Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Artikels wird auf Anlage K 1 verwiesen.

Die Klägerin erhielt erst im Jahr 2009 eine Baugenehmigung für das unter Denkmalschutz stehende Gebäude und konnte erst dann mit der Sanierung beginnen. Hierzu erwarb sie das seit Sommer 2011 angebrachte Gerüst käuflich, so dass keinerlei Mietkosten anfielen. Dass sie die Erwerberin des Gebäudes ist, ist vielen Personen bekannt.

Die Tochter der Klägerin rief nach Erscheinen des Artikels bei der W. an und sprach mit dem zuständigen Redakteur. Dieser räumte ein, dass er den kritischen W.-Leser erfunden habe.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Berichterstattung sei unwahr und verletze sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Es sei nicht richtig, dass die Fassade seit Jahren verdeckt werde und es werde auch nicht seit Jahren herumsaniert. Vor Erteilung der Baugenehmigung habe es keine Sanierungsmaßnahmen gegeben. Sie habe deshalb einen Anspruch auf Unterlassung diesbezüglicher Äußerungen der Beklagten.

Die Beklagte hat ausgeführt, es liege keine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor, weil sich der Artikel gar nicht auf die Person der Klägerin beziehe, sondern nur auf den Zustand des Gebäudes. Weiterhin handle es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um einen Beitrag zur Meinungsäußerung. Der Anblick des Gebäudes im Stadtbild werde beanstandet. Die Schuldfrage werde in dem Artikel überhaupt nicht angesprochen. „Herumsaniert“ sei ein pejorativer Begriff und damit klar als Meinungsäußerung zu werten. Auch bei einer Mischung aus Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung sei insgesamt von einer Meinungsäußerung auszugehen, wenn die wertenden Elemente deutlich überwiegen, was hier der Fall sei. Die Meinungsäußerung sei hier durch das Grundrecht der Pressefreiheit gedeckt.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin durch den streitgegenständlichen Artikel nicht betroffen sei, da lediglich über den Zustand eines Gebäudes berichtet werde. Im Übrigen handle es sich bei dem Artikel insgesamt um eine Meinungsäußerung, bei der die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten sei. Die darin enthaltenen, im Einzelnen von der Klägerin beanstandeten Tatsachenbehauptungen könnten nicht isoliert betrachtet werden.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, ihr Persönlichkeitsrecht sei durch den Artikel sehr wohl betroffen, weil W. eine Kleinstadt sei, in der das ehemalige B-Hotel wahrgenommen werde. Im Übrigen seien die Tatsachen, die dem Artikel zugrunde liegen, falsch. An dem Anwesen werde unstreitig nicht seit Jahren herumsaniert und es werde nicht seit Jahren durch ein Baugerüst verdeckt. Zudem gebe es auch unstreitig den kritischen W.-Leser nicht. Dadurch werde aber suggeriert, dass es in W. einen öffentlichen Meinungsaustausch über den Zustand des alten B-Hotels gebe, was aber nicht der Fall sei.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Amtsgerichts Wiesloch vom 08.01.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zum 250.000,- EUR , ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, in Printmedien die folgend Behauptung aufzustellen, wenn dies wie aus Anlage K 1 ersichtlich geschieht: „Seit Jahren wird hier erfolglos herumsaniert und die Fassade durch ein Baugerüst verdeckt, dessen Mietkosten und städtische Gestattungsgebühren wohl in die Tausende gehen müssen, vermutete kürzlich ein kritischer W.-Leser.“

2. das Urteil des Amtsgerichts Wiesloch vom 08.01.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 489,45 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das Persönlichkeitsrecht der Klägerin sei nicht betroffen, weil es sich um einen Artikel über ein Gebäude handle. Im Übrigen handle es sich um eine Meinungsäußerung und bei der dann notwendigen Abwägung müsse das Persönlichkeitsrecht der Klägerin hinter dem Grundrecht der Meinungsfreiheit zurücktreten. Dass es sich um eine Meinungsäußerung handle, räume die Klägerin selbst ein, wenn sie in der Berufungsbegründung ausführe, der Redakteur habe einen kritischen W.-Leser vorgeschoben, um seine eigene Meinung darzustellen bzw. es werde suggeriert, dass in der Öffentlichkeit von W. ein Meinungsaustausch stattfinde und nunmehr ein Leser der W. sein Missfallen geäußert habe.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.
Die Berufung ist zulässig und begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den streitgegenständlichen Artikel.

a) Durch den von der Beklagten veröffentlichten Artikel wird in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt gerade die soziale Anerkennung des Einzelnen, wobei insbesondere der Schutz vor Äußerungen erfasst wird, die geeignet sind, sich abträglich auf das Bild des Betroffenen in der Gesellschaft auszuwirken (BVerfG, NJW 2005, 590, 591). Entgegen der Auffassung der Beklagten kann dabei auch durch Äußerungen über Sachen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Person eingegriffen werden. Denn gerade Äußerungen über den Zustand einer Sache können geeignet sein, Rückschlüsse auf die Person zu befördern, die für diesen Zustand verantwortlich ist oder verantwortlich gemacht wird. So liegt der Fall hier. Wesentlicher Inhalt des Artikels ist der trotz aufgenommener Sanierungsschritte anhaltend schlechte bauliche Zustand des B-Hotels in W.. Der Aussage, es werde seit Jahren „erfolglos herumsaniert“, ist zu entnehmen, dass der Autor die Sanierungsbemühungen für unzureichend hält. Damit ist inzident Kritik an den für die Sanierung Verantwortlichen und damit zuvörderst am Eigentümer des Gebäudes verbunden. Die abwertenden Begriffe „herumsanieren“ und „erfolglos“ sind auch geeignet, den hierfür Verantwortlichen in seinem persönlichen Ehrgefühl herabzuwürdigen, denn dadurch kommt zum Ausdruck, dass der Autor den Eigentümer für unfähig hält, eine zeitnahe Sanierung durchzuführen. Dass die Klägerin nicht namentlich als Eigentümerin genannt ist, steht einem Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht entgegen. Für einen solchen Eingriff ist nämlich nicht erforderlich, dass der Betroffene einer Äußerung namentlich benannt wird, solange er nach deren Inhalt konkret identifiziert werden kann (Rixecker in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, Anhang zu § 12 BGB Rn. 84 mwN). Die Klägerin hat unbestritten vorgetragen, dass einem ganz erheblichen Personenkreis bekannt ist, dass sie Eigentümerin des alten B-Hotels ist, so dass sie als Verantwortliche der Sanierungsmaßnahmen zumindest durch einen Teil der Einwohnerschaft klar identifizierbar war.

Soweit die Beklagte meint, Zielrichtung der streitgegenständlichen Äußerung seien nicht die Eigentümerin, sondern die Behörden, an denen Kritik geübt werden solle, kann dem nicht gefolgt werden. Für die zuständigen Behörden mögen bau- oder denkmalschutzrechtliche Sicherungspflichten bestehen. Eine Pflicht, private Gebäude zu sanieren, trifft sie jedoch nicht, mögen diese auch eine noch so herausgehobenen Stellung im Stadtbild einnehmen. Kritik wurde daher aus der Sicht eines objektiven Lesers, auf den es ankommt (vgl. BGH, NJW 2004, 598, 600), an der Eigentümerin des Gebäudes geübt. Die subjektive Sicht des Erklärenden ist hingegen unerheblich (vgl. KG, MMR 2012, 495, 496), so dass es nicht darauf ankommt, ob den Verfasser, wie die Beklagte vorträgt, die Person des Eigentümers „nicht interessiert“ hat oder sie ihm „völlig gleichgültig“ war.

Selbst wenn man eine mehrdeutige Aussage in dem Sinne annehmen wollte, dass unklar ist, ob die streitgegenständlichen Äußerungen sich an die Eigentümerin oder an die Behörden richten, stünde dies einem Unterlassungsanspruch nicht entgegen. Denn während es bei Schadensersatz-, Widerrufs- und Berichtigungsverlangen der Schutz der Meinungsfreiheit gebietet, diejenige Interpretation einer mehrdeutigen Aussage zu wählen, die nicht zu einer Verurteilung führt (BVerfG, NJW 1992, 1439), besteht ein solches Erfordernis für Unterlassungsverlangen nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich nicht (vgl. BVerfG, NJW 2006, 207, 208; BVerfG, NJW 2006, 3769, 3773). Diese Differenzierung rechtfertigt sich vorrangig aus dem Umstand, dass es dem Äußernden zugemutet werden kann, seine Aussagen bei zukünftigen Veröffentlichungen so eindeutig zu formulieren, dass eine Mehrdeutigkeit im Hinblick auf die unzulässige Interpretation ausscheidet.

b) Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin ist auch rechtswidrig erfolgt. Die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs ist bei den sogenannten Rahmenrechten, wozu auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht zählt, positiv durch eine Güterabwägung festzustellen. Dabei ist zwischen Tatsachenbehauptungen, Meinungsäußerungen und gemischten Äußerungen mit tatsächlichen und wertenden Elementen zu unterscheiden. Während Tatsachenbehauptungen dem Beweis der Richtigkeit oder Unrichtigkeit zugänglich sind, handelt es sich bei Meinungen um subjektive Wertungen, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt sind (vgl. nur BVerfG, NJW 2009, 3016, 3017). Unwahre Tatsachenbehauptungen werden in der Güterabwägung regelmäßig hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zurücktreten, während bei Meinungsäußerungen ein weitgehender Schutz mit der Grenze der Schmähkritik besteht. Werden Meinungen und Tatsachen vermischt bzw. vermengt und ergeben erst beide Elemente gemeinsam den Sinn der Äußerung, handelt es sich zum Schutze des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG insgesamt um eine Meinungsäußerung (vgl. etwa BVerfG, NJW 1993, 1845). Auch die verbundenen Tatsachenelemente unterliegen in diesem Fall dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG und können nicht isoliert nach den Regeln der Tatsachenbehauptung beurteilt werden (BVerfG, NJW 2005, 279, 282).

Bei dem vorliegend angegriffenen Satz mag es sich um das Teilstück einer den gesamten Artikel prägenden Meinungsäußerung handeln: Der Gesamtartikel bringt die subjektive Einschätzung des Autors über den aus seiner Sicht unangemessenen Zustand des ehemaligen WB-Hotels zum Ausdruck. Er kritisiert die aus seiner Sicht bislang erfolglosen Sanierungsbemühungen und bringt am Ende des Artikels seinen Wunsch zum Ausdruck, dass „dieses architektonische Schmuckstück wieder gebührend herausgeputzt wird“. Die in dem angegriffenen Satz enthaltenen Tatsachenbehauptungen dienen nur der Unterstreichung der geäußerten Meinung. Die Erwähnung, dass ein kritischer W.-Leser gegenüber der W. vermutete, dass die Kosten für die Miete des Baugerüsts und die städtischen Gestattungsgebühren in die Tausende gehen, wird nur herangezogen, um der Meinung des Autors mehr Gewicht zu verleihen, weil suggeriert wird, dass er zumindest einen Teil der öffentlichen Meinung hinter sich hat. Die Zeitangabe „seit Jahren“ ist als übertreibendes Element eingesetzt, um die unangemessene Dauer der Sanierung zu unterstreichen.

Es kann vorliegend letztlich aber dahinstehen, ob nach der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung die streitgegenständlichen Passagen der Berichterstattung insgesamt als Meinungsäußerung aufzufassen sind oder ob sie auch ohne Sinnentleerung separierbare Tatsachenbehauptungen enthalten. Im Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht überwiegt jedenfalls das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin. Soweit nämlich eine Meinungsäußerung durch Tatsachenelemente unterstützt wird, ist im Rahmen der Güterabwägung auch die Richtigkeit dieser Tatsachenbehauptungen zu berücksichtigen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen falsche oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, so wird regelmäßig das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zurücktreten (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 913, 914 unter Bezugnahme auf BVerfGE 85, 1, 17, 20; BVerfGE 90, 241, 248). Nicht der Fall ist dies nur dann, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm ist, dass er gegenüber der subjektiven Wertung in den Hintergrund tritt (BGH, aaO).

Vorliegend wird die von dem streitgegenständlichen Teil des Artikels transportierte Wirkung gerade durch den von der Klägerin beanstandeten Satz getragen, dass ein kritischer W.-Leser sich Gedanken über den Zustand des ehemaligen B-Hotels gemacht hat. Dadurch wird der unzutreffende Eindruck erzeugt, dass es sich bei dem Artikel nicht um eine vereinzelte Meinungsäußerung eines professionell interessierten Zeitungsredakteurs handelt, sondern dies vielmehr bereits aus der Bürgerschaft heraus wegen des Zustands des Gebäudes an die Redaktion der W. herangetragen worden sei. Dem Vortrag der Klägerin, dass dieser angebliche Leser gar nicht existiere, ist die Beklagte zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens ernsthaft entgegen getreten. Es ist daher davon auszugehen, dass es ihn tatsächlich nicht gibt. Die beanstandete Meinungsäußerung enthält daher die bewusst unwahre Tatsachenbehauptung, dass sich ein Leser aus der Bevölkerung an die W. gewandt und den Zustand des Gebäudes der Klägerin angeprangert hat.

Weiterhin liegt der Meinungsäußerung der Beklagten die Tatsachenbehauptung zu Grunde, dass seit mehreren Jahren erfolglos an dem Gebäude der Klägerin herumsaniert und die Fassade durch ein Baugerüst verdeckt werde. Diese Tatsachenbehauptung ist jedenfalls bezüglich des Baugerüsts ebenfalls falsch und beruht auf Nachlässigkeit oder unbedachter Übertreibung des Autors. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels stand das Baugerüst nicht seit mehreren Jahren, sondern seit etwa einem Jahr an dem Gebäude. Gemäß § 6 Satz 1 Landespressegesetz Baden-Württemberg sind alle Nachrichten mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft zu prüfen. Die journalistische Sorgfaltspflicht hätte es hier geboten, die entsprechenden Daten zu recherchieren, sei es bei Behörden, sei es durch Erkundigungen bei der Klägerin selbst, und nicht ins Blaue hinein zeitliche Angaben zu machen. Es ist auch nicht so, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass sich die zeitliche Angabe „seit Jahren“ nur auf die Sanierung und nicht auf die Aufstellung des Baugerüsts bezieht und dass die Angabe zutreffend ist, weil die Sanierung ja bereits mit der Planung und der Einholung der Baugenehmigung beginne, die unstreitig bereits 2009 und damit mehrere Jahre vor Erscheinen des streitgegenständlichen Artikels erteilt worden ist. Dass sich die zeitlich Angabe „seit Jahren“ auf das „Herumsanieren“ und die Stellung des Baugerüsts bezieht, ergibt sich bereits aus der Verknüpfung der beiden Satzteile mit „und“. Im Übrigen erweist sich die zeitliche Angabe „seit Jahren“ auch nicht in Bezug auf das „Herumsanieren“ als zutreffend. Unter „Herumsanieren“ versteht der durchschnittliche Leser die handwerklichen Arbeiten, die zur Sanierung eines Gebäudes erforderlich sind. Wenn in dem Artikel von „erfolglos herumsanieren“ die Rede ist, beinhaltet dies die Aussage, dass Handwerker vor Ort gearbeitet haben, aber bei den Arbeiten noch nichts herausgekommen ist. Die Stellung des Gerüsts im Sommer 2011 sollte jedoch nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin die Sanierungsmaßnahmen erst ermöglichen, d. h. es fanden nicht seit mehreren Jahren handwerkliche Arbeiten an dem Gebäude statt. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass hier eine mehrdeutige Aussage vorliege und bei der Interpretation diejenige Auslegung herangezogen werden müsse, nach der die Aussage der Pressefreiheit unterfällt. Denn dieser Grundsatz gilt bei Unterlassungsansprüchen eben nicht (s.o. unter 1.a).

Die unzutreffenden Tatsachenbehauptungen sind auch nicht so substanzarm, dass sie gegenüber der subjektiven Wertung des Autors in den Hintergrund treten. Der Autor bedient sich vielmehr des erfundenen kritischen W.-Lesers, um seiner eigenen Meinung mehr Gewicht zu verleihen. Auch die Frage, ob die Klägerin „seit Jahren“ oder seit einem Jahr ein Gerüst stehen hat, ergibt aus der Sicht eines objektiven Lesers einen deutlich veränderten, ja geradezu den presserelevanten Aussagegehalt. Ein Jahr handwerkliche Arbeiten ist bei einer komplexen Sanierung möglicherweise noch ein durchschnittlicher Zeitraum, was bei mehreren Jahren nicht mehr der Fall ist.

Aus diesen Erwägungen heraus ist hier dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin der Vorrang vor der Pressefreiheit zu geben, so dass ihre Unterlassungsklage Erfolg hat. Der Zusatz „wenn dies wie aus Anlage K 1 geschieht“ wurde bei der Tenorierung gestrichen, weil er zu einem Mangel der Bestimmtheit des Verurteilungsgegenstandes führt.

2. Der Anspruch auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ergibt sich aus §§ 823 Abs. 1, 249 BGB.

III.
Die Androhung von Ordnungsmitteln folgt aus § 890 ZPO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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