Abgabe von Fertigarzneimitteln „zu Demonstrationszwecken“ an Apotheker ist wettbewerbswidrig

19. April 2017
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Apothekerin mit Stethoskop um den Hals steht in einer Apotheke und hält mehrere Medikamente in den Händen Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 29.09.2016, Az.: 6 U 161/15

Händigt ein Arzneimittelhersteller einem Apotheker ein Fertigarzneimittel mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ aus, so kann dies wettbewerbswidrig sein und einen Unterlassungsanspruch begründen. Denn derartige Muster von Fertigarzneimitteln dürfen von pharmazeutischen Unternehmen grundsätzlich nur an Ärzte, jedenfalls nicht an Apotheker abgegeben werden. Eine Zulässigkeit kann sich auch nicht daraus ergeben, dass lediglich der Apotheker selbst das Produkt im Hinblick auf Geruch und Konsistenz testen sollte. Insbesondere wenn das Mittel in Originalgröße und gerade mit deutlich geringerer Menge ausgegeben wird, ist von einem Muster und nicht von einer (zulässigen) Probe auszugehen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 29.09.2016

Az.: 6 U 161/15

 

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 30.07.2015 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 260.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die kostenlose Abgabe eines Arzneimittels an Apotheker „zu Demonstrationszwecken“.

Die Klägerin stellt her und vertreibt das Präparat „A“ mit dem Wirkstoff „B“, welches rezeptfrei ist. Die Beklagte stellt her und vertreibt das Arzneimittel „C“. Der Apothekenabgabepreis beträgt 9,97 €.

Ende Juni bzw. Anfang August 2013 stellte die Klägerin fest, dass die Beklagte ihr Arzneimittel in Verkaufspackungen der Größe N2 (100g) kostenlos durch Außendienstmitarbeiter an Apotheker abgegeben hatte, wobei die Packungen mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ versehen waren.

Dem Rechtsstreit ging ein Eilverfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Stadt1 voraus, indem die Klägerin gegen die Beklagte eine einstweilige Verfügung erwirkt hat (Az.: 10; Az.: 11).

Die Klägerin ist der Ansicht, bei den von der Beklagten abgegebenen Packungen handele es sich um Muster im Sinne des § 47 Abs. 3 AMG. Nach dieser Vorschrift dürften Muster eines Fertigarzneimittels nicht an Apotheken abgegeben werden. Die kostenlose Abgabe verstoße außerdem gegen § 7 Abs. 1 HWG.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Arzneimittel „C“ in der Packungsgröße N2 mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ kostenlos an Apotheker abzugeben und/oder abgeben zu lassen. Den auf Erstattung von Abmahnkosten gerichteten Klageantrags zu 2 hat das Landgericht abgewiesen.

Gegen diese Beurteilung wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 2-03 O 473/14) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat der Klägerin gegen die Beklagte zu Recht einen Anspruch auf Unterlassung aus §§ 3, 4 Nr. 11 UWG 2008, 3a UWG n.F. in Verbindung mit § 47 III AMG zugesprochen.

a) Bei § 47 Abs. 3 AMGhandelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG2008, § 3a UWG n.F. (ebenso Hans. OLG Hamburg, GRUR-RR 2015, 76; Miller in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl., Rn. 97). Die Vorschrift regelt, an wen pharmazeutische Unternehmer Muster eines Fertigarzneimittels abgeben dürfen. Sie normiert damit einerseits – soweit es um apothekenpflichtige Präparate geht – eine Ausnahmen von der Apothekenpflicht nach § 43 I AMG und beschränkt andererseits den Kreis derer, an die Muster abgegeben werden dürfen. Sie regelt damit das Marktverhalten im Interesse der Arzneimittelsicherheit und des Gesundheitsschutzes.

b) Die Beklagte hat gegen § 47 Abs. 3 AMG verstoßen, indem sie Packungen des Fertigarzneimittels C mit dem Aufdruck „zu Demonstrationszwecken“ an Apotheker übergeben ließ.

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten verbietet § 47 Abs. 3 AMG die Abgabe von Mustern an Apotheker. Dort werden die Personen, an die Muster von Fertigarzneimitteln abgegeben werden dürfen, abschließend aufzählt. Dies ist allerdings in der Literatur umstritten.

(1) Teilweise wird vertreten, die Regelung des § 47 III AMG sei als Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Die Nichterwähnung von Apotheken im Katalog der Musterempfänger beruhe lediglich darauf, dass die Abgabe von Arzneimittelmustern an Apotheker bereits nach §§ 43, 47 I AMG erlaubt sei. Art. 47 III AMG regele lediglich eine Erweiterung des Kreises der Berechtigten, keine Einschränkung. Zudem streite für diese Ansicht Erwägungsgrund 51 des Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (Kozianka/Dietel, PharmR 2014, 5 ff.).

(2) Nach der Gegenansicht wird die Abgabe von Arzneimittelmustern in § 47 III, IV AMG abschließend geregelt. Es handele sich um eine lex specialis gegenüber der Bestimmung des § 47 I AMG, der die allgemeine Belieferung von Apotheken mit Arzneimitteln vorsehe. Arzneimittelmuster seien seit jeher ausschließlich für den Arzt bestimmt (v. Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188 ff.; Miller in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl., § 47 Rn. 97; OLG Hamburg, GRUR-RR 2015, 76).

(3) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Für sie spricht letztlich der Wortlaut, der die Personen abschließend aufzählt, an die Muster von Fertigarzneimitteln abgegeben werden dürfen, nämlich Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, die Heilkunde ausübende Personen und Ausbildungsstätten für die Heilberufe. Die Gesetzessystematik zwingt zu keiner abweichenden Beurteilung. Zwar dürfen Arzneimittel allgemein nach § 43 Abs. 1 AMG nur in Apotheken gegenüber dem Endverbraucher in den Verkehr gebracht werden. Die Vorschrift des § 47 Abs. 1 AMG regelt den Vertriebsweg apothekenpflichtiger Arzneimittel durch pharmazeutische Unternehmen und Großhändler an Apotheken und an enumerativ aufgeführte andere Personen und Institutionen. Das Merkmal „außer an Apotheken“ stellt dabei klar, dass es sich bei den enumerativ aufgeführten anderen Personen und Institutionen um einen zusätzlichen Vertriebsweg handelt. § 47 Abs. 3 AMG beinhaltet demgegenüber einen Sondertatbestand für die Abgabe von (nicht notwendig apothekenpflichtigen) Mustern von Fertigarzneimitteln. Anders als in Abs. 1 findet sich hier gerade nicht der Zusatz „außer an Apotheken“. Dies spricht dafür, dass die zugelassenen Abgabeadressaten damit abschließend geregelt werden. Auch der Gesetzeszweck zwingt zu keiner abweichenden Beurteilung. Die Bestimmung dient dazu, aus Gründen der Arzneimittelsicherheit die Menge der Arzneimittelmuster auf das Notwendige zu begrenzen und überschaubar zu halten (Miller in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl., § 47 Rn. 63 unter Hinweis auf BT-Drucks. 12/5226, S. 23). Insbesondere Ärzten soll die Möglichkeit eröffnet werden, durch die Weitergabe an Patienten Erfahrungen mit neuen Arzneimitteln zu sammeln. Allein zu diesem Zweck wurde die Abgabe von Mustern unter den in § 47 Abs. 4 näher geregelten engen Voraussetzungen zugelassen. Eine vergleichbare Interessenlage besteht bei Apothekern nicht, auch wenn es inzwischen häufiger als zum Entstehungszeitpunkt des AMG vorkommen mag, dass sich Patienten bei Schmerzen nicht vom Arzt, sondern allein vom Apotheker beraten lassen (vgl. dazu Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188). Dies ändert nichts an dem intendierten Gesetzeszweck.

bb) Die Vorschrift lässt sich auch nicht so lesen, dass nur Produkte erfasst sind, die von vornherein für die kostenlose Weitergabe an Endkunden bestimmt sind. Nach Ansicht der Beklagten sind Apotheken – im Gegensatz zu Ärzten – zwar nicht berechtigt, kostenlose Muster an Endkunden abzugeben; die Abgabe von Proben an den Apotheker selbst sei jedoch unbedenklich. Eine solche Differenzierung nimmt die Vorschrift nicht vor. Sie richtet sich nicht an Apotheker, sondern an pharmazeutische Unternehmen (§ 4 Nr. 18 AMG). Ihnen ist die Abgabe von Mustern allein an die dort aufgeführten Personen erlaubt.

cc) Eine andere Auslegung ist auch nicht unter Berücksichtigung der Richtlinie 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) geboten. Art. 96 I dürfen Gratismuster nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen an die zur Verschreibung berechtigten Personen (also Ärzte) abgegeben werden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass damit eine Abgabe an Apotheker weder erlaubt noch verboten wird, lässt jedenfalls Art. 96 II strengere Vorschriften im nationalen Recht ausdrücklich zu. Danach können die Mitgliedstaaten die Abgabe von Mustern bestimmter Arzneimittel weiter einschränken. Dem steht auch nicht Erwägungsgrund 51 des Gemeinschaftskodexes entgegen. Dieser lautet:

„Gratismuster von Arzneimitteln sollten unter Einhaltung bestimmter einschränkender Bedingungen an die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen abgegeben werden können, damit sich diese mit neuen Arzneimitteln vertraut machen und Erfahrungen bei deren Anwendung sammeln können.“

Der Passus „die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen“ impliziert nicht, dass notwendig beiden Gruppen die Möglichkeit der Abgabe von Gratismustern gewährt werden soll. Nach dem Leitbild des deutschen Arzneimittelrechts ist die Behandlung und Anwendung von Arzneimitteln den Ärzten vorbehalten. Der Erwägungsgrund ändert jedenfalls nichts an der ausdrücklichen Ermächtigung in Art. 96 II.

dd) Bei den im Auftrag der Beklagten abgegebenen Arzneimitteln handelt es sich um „Muster“ im Sinne des § 47 Abs. 3 AMG.

(1) Darunter sind Fertigarzneimittel zu verstehen, die von pharmazeutischen Unternehmen zum Zweck der Information und Erprobung an die Empfänger abgegeben werden (Miller in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl., § 47 Rn. 63). Die Mustereigenschaft hängt also von der erkennbaren Zweckbestimmung des abgegebenen Präparats ab. Nicht maßgeblich ist demnach, dass die streitgegenständlichen Produkte nicht mit der für Muster vorgeschriebenen Kennzeichnung „unverkäufliches Muster“ versehen sind (§ 10 Abs. 1 Nr. 11 AMG). Sonst könnte das Abgabeverbot leicht umgangen werden. Die Kennzeichnung „zu Demonstrationszwecken“ verdeutlicht ebenso, dass es sich nicht um ein für den Verkauf vorgesehenes Exemplar handelt.

(2) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, die Abgabe habe nur dazu gedient, vom Apotheker selbst auf der Haut angewandt und im Hinblick auf Konsistenz und Geruch getestet zu werden. Gleichzeitig macht sie geltend, der Aufdruck „zu Demonstrationszwecken“ beinhalte gerade keine Aufforderung zum Eigenverbrauch (Bl. 95 d.A.). Es soll also weder um die Patientenerprobung, noch um eine Verwendung für persönliche Zwecke gehen, sondern um die „eigene berufliche Verwendung“ (Bl. 96 d.A.). Für diese feinsinnige Unterscheidung ist nach dem Gesetzeszweck kein Raum. Die abgegebenen Produkte dienen jedenfalls der Erprobung. Ob die Gefahr der (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht, kann dahingestellt bleiben. Es kommt auch nicht darauf an, ob es – wie die Beklagte behauptet – allein darum gegangen ist, dem Apotheker die Prüfung des Geruch und der Konsistenz des Schmerzmittels auf seiner (eigenen) Haut zu ermöglichen bzw. demonstrieren.

(3) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auch darauf, bei den abgegebenen Produkten handele es sich um Arzneimittelproben, die von Mustern zu unterscheiden seien. Es wird vertreten, dass sog. Gratisproben von § 47 Abs. 3 AMG nicht erfasst werden. Im Gegensatz zum Muster handelt es sich bei ihnen nicht um ein Originalprodukt, das sich nur durch die Kennzeichnung als Musterexemplar unterscheidet, sondern in der Regel um eine kleinere als die kleinste für den Verkehr zugelassene Packungsgröße (Miller in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl., § 47 Rn. 65). Im Streitfall wurden unstreitig Tuben in Originalgröße abgegeben.

c) Es fehlt auch nicht an der nach § 3a UWG erforderlichen Spürbarkeit der Beeinträchtigung. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann nicht von einem „Ausreißer“ ausgegangen werden. Aus den unangegriffenen tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts ergibt sich, dass es in mehr als einem Fall zur Abgabe der Packungen an die Apotheker gekommen ist (LGU 3). Der Außendienst der Beklagten war angewiesen worden, die Tuben zu Testzwecken zu öffnen. Teilweise wurden auch originalverschlossene Packungen zurückgelassen (Bl. 9, 96 d.A.). Es gab damit ein Vertriebskonzept der Beklagten, das die Abgabe des Arzneimittels durch Außendienstmitarbeiter an Apotheker vorsah. Nicht maßgeblich ist, ob nur geöffnete oder auch ungeöffnete Packungen abgegeben werden sollten. Unerheblich ist auch, ob pro Apotheker nur ein Stück oder mehrere abgegeben wurden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die

3. Die Revision war zuzulassen, weil der Rechtsstreit Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung von § 47 III AMG aufwirft, die in der Literatur unterschiedlich beantwortet werden und zu denen sich der Bundesgerichtshof noch nicht abschließend geäußert hat. Die Rechtssache hat deshalb grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

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