Gemeinfreiheit in Gefahr: Wikimedia gegen die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim vor dem BGH
Wikipedia soll Urheberrecht verletzen
Die Stadt Mannheim, Eigentümerin der Reiss-Engelhorn-Museen, wirft der Wikimedia Verstöße gegen das Urheberrechtsgesetz vor. Ein freier Autor der Online-Enzyklopädie hatte einen Bilder-Sammelband des Museums eingescannt und hochgeladen. Die in dem Sammelband enthaltenen Fotografien der Gemälde, darunter ein berühmtes Porträt Richard Wagners von Cäsar Willich aus dem Jahre 1862, wurden 1992 von einem Fotografen des Museums erstellt. Der urheberrechtliche Schutz erlischt generell 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Willich starb im Jahre 1886, der Urheberrechtsschutz lief im Falle des Richard Wagner Porträts 70 Jahre später, sprich 1956, aus. Das Porträt ist seit diesem Zeitpunkt gemeinfrei und darf von jedermann reproduziert werden. Doch diesen Fakt bestreitet die Stadt Mannheim nicht, sie beansprucht vielmehr urheberrechtlichen Schutz für die Fotografie des Gemäldes. Die Frage lautet vielmehr, ob für originalgetreue Digitalisate urheberrechtlicher Schutz gemäß § 72 Abs. 1 UrhG gewährt wird.
Gemeinfrei – und trotzdem nicht kostenlos
Die Position der Stadt Mannheim orientiert sich strikt am Wortlaut des § 72 Abs. 1 UrhG: „Lichtbilder (…) werden (…) geschützt.“ Die Frist beläuft sich dann gem. § 72 Abs. 3 UrhG auf 50 Jahre ab Veröffentlichung. Christian Rickers, geschäftsführender Vorstand der Wikimedia Deutschland, sieht das anders. Nach seinem Verständnis sei die Erstellung der Fotografie in diesem Fall ein rein technischer Akt, keine kreative Leistung und das Zugeständnis eines eigenen Schutzes eine „Fristverlängerung durch die Hintertür“.
Die Tragweite der Problematik der Gewährung des Schutzes wird erst anhand einer tiefergehenden Betrachtung deutlich. Der Urheberschutz des ursprünglichen Gemäldes ist abgelaufen, gleichzeitig verbieten die für jeden Museumsbesucher gültigen AGB das Fotografieren in den Ausstellungsräumen. Dieses Verbot ist entsprechend der Sanssouci-Rechtsprechung des BGH, wonach der Eigentümer Fotografieren von seinem Grundstück aus verbieten darf, rechtmäßig. Will nun der Kunstinteressent, eine Reproduktion eines sich im Bestand des Museums befindlichen Werks verwenden, ist er auf die vom Museum selbst gefertigten Fotografien angewiesen. Diese sind regelmäßig jedoch nicht unentgeltlich. Im Ergebnis steht ein eigentlich gemeinfreies Werk, das der Allgemeinheit jedoch nur zu lizenzierungsähnlichen Verhältnissen zur Verfügung steht – ein Wertungswiderspruch. Diesen erkannte z.B. das AG Nürnberg (Az.: 32 C 4607/15) und entschied, dass der § 72 Abs. 1 UrhG in einem solchen Fall teleologisch reduziert werden müsse. Die Teleologische Reduktion (griechisch: „telos“ = Zweck) ist ein Mittel zur Ausfüllung von Gesetzeslücken, indem etwa der Wortlaut eines Gesetzes missachtet wird, da das strikte Festhalten an diesem, dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen würde.
Richtungsweisende BGH-Entscheidung und mögliche Folgen
Die Stadt Mannheim hatte in den Vorinstanzen vor dem LG Stuttgart bzw. OLG Stuttgart bereits obsiegt, die Kammern beider Gerichte bejahten den urheberrechtlichen Schutz über 50 Jahre. Die endgültige Entscheidung des BGH wird am 20.12.2018 erwartet, doch in der mündlichen Verhandlung sollen bereits Tendenzen des Senats deutlich geworden sein, sich ebenfalls strikt an den Gesetzeswortlaut zu halten.
Die Gemeinfreiheit ist eindeutig in Gefahr. De facto könnte die Endlichkeit des Werkschutzes, die diesen erst legitimiert, dann zu einem beliebigen Zeitpunkt massiv verlängert werden. Damit könnte die Konstruktion des Urheberschutzes und vor allem dessen Akzeptanz für die Zukunft stark ins Wanken geraten. Für Wikipedia konkret würde eine Entscheidung zugunsten der Reiss-Engelhorn-Museen wohl bedeuten, dass viele Abbildungen verschwänden. Betroffen wären dann auch unzählige Projekte, Einrichtungen und Initiativen, die sich nicht nur für ungehinderten Zugang und Nutzungsmöglichkeiten einsetzen, sondern am Ende des Tages auch auf gerade darauf angewiesen sind. Das BGH-Urteil wird, egal wie es ausfällt, ein grundsätzliches sein, ein Wegweiser für vielfältige Digitalisierungsanstrengungen, insbesondere im Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsbereich.