Abklopfen für die Menschenwürde

28. März 2011
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Eigener Leitsatz:

Die Veranstaltung von Mixed- Martial- Arts- Kämpfen gefährdet nicht in jedem Fall die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Jugendlichen muss hierzu der Zutritt zu den Veranstaltungen verwehrt bleiben. Solange die teilnehmenden Kämpfer überdies die Möglichkeit haben, den Kampf vorzeitig zu beenden, wird außerdem trotz des erheblichen Gewaltpotentials der Kämpfe die Menschenwürde nicht tangiert und die öffentliche Sicherheit somit nicht gefährdet.

Verwaltungsgericht Gießen

Beschluss vom 03.03.2011

Az.: 4 L 444/11.Gi

Tenor

    Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 27. Februar 2011 gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Gießen vom 25. Februar 2011 wird wiederhergestellt.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

    Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

    Der Antrag der Antragstellerin,

    die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 27. Februar 2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2011 wiederherzustellen,

    hat Erfolg.

    Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist wiederherzustellen (1.), die Kosten des Verfahrens sind der Antragsgegnerin aufzuerlegen (2.) und der Streitwert ist auf die Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwertes festzusetzen (3.).

    1. Der Antrag, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 27. Februar 2011 gegen die Untersagungsverfügung des Magistrats der Stadt Gießen vom 25. Februar 2011 wiederherzustellen, ist zulässig und begründet.

    Einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zu gewähren, wenn die vorzunehmende Interessenabwägung unter Einbeziehung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergibt, dass das private Interesse der Antragstellerseite, einstweilen von der Vollstreckung verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig erweist, weil an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann. Umgekehrt bleibt das Eilbegehren erfolglos, wenn sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen darstellt oder der Bescheid offensichtlich rechtmäßig ist und ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht. In allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer Beurteilung des Sachverhaltes eine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

    Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, summarischen Prüfung erweist sich nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand die angegriffene Untersagung der Durchführung der für den 5. März 2011 geplanten Kampfsportveranstaltung „C.“ in den Hessenhallen Gießen weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig, so dass auf eine Rechtsfolgenbetrachtung abzustellen ist, bei der nach Auffassung des Gerichts das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt.

    Nach Ansicht des Gerichts findet das von der Antragsgegnerin ausgesprochene Verbot nicht offensichtlich seine Rechtsgrundlage in § 11 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung vom 14. Januar 2005 (GVBl I S. 14). Gemäß § 11 HSOG können die Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Vorliegend hat die Antragsgegnerin ihre angegriffene Untersagungsverfügung im Wesentlichen darauf gestützt, dass durch die von der Antragstellerin geplante Darbietung von Kämpfen die Unantastbarkeit der Würde des Menschen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG tangiert ist und damit eine Verletzung der öffentlichen Ordnung vorliegt. Schutzgut der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 11 HSOG ist nach herrschender Meinung die „Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird“ (vgl. Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 11 Rdnr. 18 m. w. N.; vgl. BVerfGE 69, 315 <352>). Dass die von der Antragstellerin dargebotenen Kämpfe – gemessen an dieser Vorgabe – die öffentliche Ordnung gefährden, vermag das Gericht im Rahmen der allein möglichen summarischen Prüfung nicht zweifelsfrei festzustellen. Insbesondere ist die diesbezügliche Werteeinschätzung der Gesellschaft nicht eindeutig.

    Im Rahmen der somit vorzunehmenden Interessenabwägung ist das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass letztlich das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, beruhend auf der Freiheit ihrer Berufsausübung, das öffentliche Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt. Für das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin sprechen zunächst – wie von dieser vorgetragen – finanzielle Gründe. Zwar hat die Antragstellerin – den Vortrag der Antragsgegnerin insoweit als zutreffend unterstellt – bisher im Vorverkauf erst eine geringere Anzahl von Karten für die Veranstaltung am 5. März 2011 verkauft. Indes hat die Antragstellerin im Zuge der Vorbereitung der Veranstaltung bereits erhebliche Investitionen getätigt, beispielsweise durch Werbung für die Veranstaltung, Verpflichtung der an der Veranstaltung teilnehmenden Kämpfer, deren Trainer sowie der Ringrichter bzw. Ringärzte. Hinzu kommt das Interesse der Antragstellerin, die geplante Veranstaltung durchzuführen und die Kampfsportart „Mixed Martial Arts“ (MMA) einem interessierten Publikum vorzustellen und damit auch die Kampfsportart bekannt zu machen.

    Das öffentliche Vollzugsinteresse hingegen hat die Antragsgegnerin damit begründet, dass den Kämpfen, die am 5. März 2011 dargeboten werden sollen, ein nicht unerhebliches Gewaltpotential innewohne und deshalb zu befürchten sei, dass es hierdurch zu einem Abbau von Hemmschwellen beim Publikum komme; überdies würde durch die besondere Brutalität der Kämpfe der unterliegende Gegner zum Objekt und deshalb die Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG tangiert. Diese Erwägungen der Antragsgegnerin vermögen indes nicht das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zu überwiegen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass die Veranstaltung am 5. März 2011 gezielt aufgesucht werden muss und nicht von Personen unter 18 Jahren besucht werden darf; ein Eintrittsverbot für Jugendliche bis zu 18 Jahren war vielmehr von der Antragstellerin – nach deren insoweit unstreitigem Vortrag – von Beginn an vorgesehen. Dementsprechend enthält die Ziffer 6 der der Antragstellerin am 18. Januar 2011 von der Antragsgegnerin erteilten Gestattung gemäß § 12 des Gaststättengesetzes auch die Auflage, dass durch geeignete Kontrollmaßnahmen sicherzustellen ist, dass Jugendlichen unter 18 Jahren der Zutritt verwehrt ist. Damit ist nach Auffassung des Gerichts der Jugendschutz sichergestellt. Würde allerdings von der Antragstellerin auch die Zulassung von Jugendlichen zu ihrer Veranstaltung angestrebt, so wäre nach Ansicht des Gerichts aus Gründen des Jugendschutzes wegen des MMA-Kämpfen wohl innewohnenden Gewaltpotentials im Rahmen der Interessenabwägung von einem überwiegenden öffentlichen Interesse auszugehen gewesen (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. Dezember 2010 –1 BvR 2743/10 -), da dann eine Störung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen wäre. Darüber hinaus – das heißt losgelöst vom Jugendschutz – lässt sich vorliegend nach Ansicht des Gerichts ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse aber nicht ausschließlich mit einem MMA-Kämpfen innewohnenden Gewaltpotential begründen. Zwar stimmt das Gericht der Wertung der Antragsgegnerin, dass den von der Antragstellerin am 5. März 2011 in den Hessenhallen dargebotenen elf MMA-Kämpfen und den vier Combat-Sambo-Kämpfen wohl ein höheres Gewaltpotential innewohnt als den herkömmlichen Kampfsportarten Boxen, Karate, Jiu-Jitsu und Judo, grundsätzlich zu, weil bei den am 5. März 2011 dargebotenen Kämpfen im Gegensatz zu den anderen Vollkontaktsportarten auch im Bodenkampf getreten und geschlagen werden darf. Allerdings vermag das Gericht im Rahmen seiner summarischen Prüfung nicht zu erkennen, dass die geplante Darbietung am 5. März 2011 im Sinne der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2001 – 6 C 3/01 – (BVerwGE 115, 189) zum Betrieb eines sogenannten Laserdromes mit simulierten Tötungshandlungen eine „Tendenz zur Bejahung oder zumindest Bagatellisierung von Gewalt dergestalt innewohnt, dass wegen der auf die Identifikation der Zuschauer mit der Gewaltausübung gegen Menschen“ und deren „lustvoller Teilnahme“ hieran, die Kampfsportveranstaltung am 5. März 2011 mit den allgemeinen Wertevorstellungen in der Gesellschaft und der verfassungsrechtlichen Garantie der Menschenwürde unvereinbar ist. Entscheidend für diese Einschätzung des Gerichts ist, dass den Kämpfern nach den Regeln des MMA die Möglichkeit verbleibt, das Kampfgeschehen durch Abklopfen zu beenden und darüber hinaus nach den Statuten der Antragstellerin sowohl der Ringrichter, der Ringarzt wie auch der jeweilige Trainer den Kampf abbrechen können. Aufgrund dieser Möglichkeiten vermag das Gericht weder zu erkennen, dass der unterlegene Kämpfer zum Objekt von Gewalthandlungen degradiert wird noch, dass bei den Zuschauern eine Einstellung erzeugt oder verstärkt wird, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt.

    Nach alledem vermag vorliegend im Rahmen der Interessenabwägung das öffentliche Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin an bloßen Sozialnormen das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin nicht zu überwiegen.

    2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, weil sie unterlegen ist.

    3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1, 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Dabei legt das Gericht den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,00 Euro zugrunde, ermäßigt diesen nach seinem Ermessen im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, auf die Hälfte.

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