Wärmelieferungsvertrag: Anforderungen an Preisänderung

19. Januar 2018
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Heizungsthermostat mit Geldscheinen und Münzen auf einem Wohnungsgrundriss Urteil des LG Darmstadt vom 05.10.2017, Az.: 15 O 111/16

Änderungen des Preissystems und der Preisänderungsklausel von Wärmelieferungsvertägen müssen so ausgestaltet sein, dass sie gem. § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV die Kostenentwicklung der Erzeugung und Bereitstellung von Fernwärme durch Unternehmen beinhalten. Dabei müssen die Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigt werden. Die dazu benötigten Berechnungsfaktoren müssen vollständig und in allgemein verständlicher Form vorgelegt werden. Bei Anwendung der Preisänderungsklausel muss stets der prozentuale Anteil des die Brennstoffkosten abdeckenden Preisfaktors an der jeweiligen Preisänderung gesondert aufgezeigt werden.

Landgericht Darmstadt

Urteil vom 05.10.2017

Az.: 15 O 111/16

Tenor

1.a)
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken am Vorstand, zu unterlassen,im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern den Eindruck zu erwecken, dass in laufenden Wärmelieferungsverträgen einseitig durch die Beklagte eine Änderung der Preisänderungsregelung vorgenommen werden kann, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 1 wiedergegeben,

2. b)
Die Beklagte wird verurteilt, den Empfängern der Schreiben mit dem in Anlage K 1 wiedergegebenen Inhalt ein Berichtigungsschreiben zu senden, in dem die Verbraucher darüber informiert werden, dass die im Schreiben mitgeteilte Änderung der Preisänderungsregelung unwirksam ist,

3. c)
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 214,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.09.2016 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich des Tenors zu Ziffer 1a) und 1b) in Höhe von 25.000,00 €, im Übrigen in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Der Gegenstandswert des Rechtsstreits wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger ist der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und weiterer 25 verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland. Er ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen im Sinne des § 4 UKlaG aufgenommen.

Die Beklagte ist ein privatwirtschaftliches Energieversorgungsunternehmen, das die Bewohner in Teilen von […], Teilen des Landkreises […] sowie Hessens mit Strom, Erdgas Wärme und auch Fernwärme versorgt.

Zwischen der Beklagten und den von ihr belieferten Wärmekunden bestehen Wärmelieferverhältnisse. Zu den Kunden der Beklagten gehört auch ein Herr […], der im Jahr 1984 einen Wärmelieferungsvertrag mit der Beklagten schloss. Auf den Vertrag (Anlage K 2) nebst Anlagen (Anlage K 9) wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen. Der Wärmeliefervertrag sieht eine Mindestvertragslaufzeit vom 01.09.1984 bis zum 30.06.1989 sowie eine jeweilige Verlängerung von 2 Jahren vor, soweit die Parteien den Vertrag nicht 9 Monate vor Ablauf der Vertragslaufzeit kündigen. Bis zum 01.10.2015 hat die Beklagte dem Vertragsverhältnis die in Anlage K 3 wiedergegebene Preisänderungsregelung zugrunde gelegt, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird. Dort ist unter anderem folgendes geregelt:

„Die aufgeführten Preise unterliegen einer Preisgleitklausel: Preisanpassung zum 01.04.2015:

Grundpreis

GP = GP0 (0,2 + 0,2 L/Lo + 0,6 I/I0)

GP = GP0 (0,2+0,2 127,1/120,1 + 0,6 106,2/104,7)

GP = GP0 * (1,020)

Verbrauchspreis

VP = VP0 (0,55 K/K0 + 0,15 L/L0 + 0,1 I/I0 + 0,2 M/M0)

VP = VP0 (0,55 71,21/110,44 + 0,15 127,1/120,1 + 0,1 106,2/104,7 + 0,2 148,6/144,8)

VP = VP0 * (0,820)

Im September 2015 versandte die Beklagte an alle Kunden, auch an den Kunden […], ein Schreiben (Anlage K 1), auf das Bezug genommen wird, in dem es u.a. heißt:

„Gemäß § 4 Abs. 2 der „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme“ (AVBFernwärmeV), die Bestandteil des zwischen Ihnen und der […] bestehenden Wärmelieferverhältnisses ist, können allgemeine Versorgungsbedingungen durch öffentliche Bekanntgabe wirksam geändert werden. Zu den allgemeinen Versorgungsbedingungen gehört u.a. auch das Preissystem bzw. die Preisänderungsregelung. Das neue Preissystem wird nach der öffentlichen Bekanntmachung zum 01.10.2015 in Kraft treten.“

Das neue Preissystem der Beklagten bestehend aus den angegebenen Preisen sowie den Preisänderungsklauseln wurde sowohl in dem Schreiben aufgeführt als auch am 26.09.2015 in der „[…] Post“ bekannt gegeben.

Nach der neuen Preisliste änderte sich sowohl der Grundpreis als auch der Verbrauchspreis. Die Preise wurden umstrukturiert, insbesondere wurden die verwendeten Faktoren anders gewichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Seite 12 bis 16 der Klageerwiderung vom 15.12.2017 sowie Seite 7 bis 9 des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 01.03.2017 Bezug genommen.

Nach dieser Preisänderungsregel berechnet sich der geänderte Grundpreis nach folgender Formel:

GP = GP0 * (0,10 + 0,45 * L/L0 + 0,45 * I/I0) <EUR/kW und Jahr>

Verbrauchspreis

VP = 0,80 * VPK + 0,20 * VPM <ct/kWh>

VPK = 0,8 * VP0 * (0,55 + 0,45 K/K0)

VPM = 0,2 * VP0 * (0,15 + 0,15 * L/L0 + 0,15 * I/I0 + 0,55 G/G0)

Die Änderung des Preissystems führte bei dem Kunden […] dazu, dass sich die Preise bei gleicher Leistung um 11,3 % im Jahr erhöhten.

Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 07.06.2016 ab. Die Beklagte ließ die Forderung mit Schreiben vom 21.06.2016 zurückweisen. Auf die Schreiben wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Der Kläger ist der Auffassung, die von der Beklagten vorgenommene einseitige Vertragsänderung sei unwirksam, wodurch die Mitteilung der Preisänderung die Verbraucher über ihre Rechte in die Irre führe und gegen § 5 Abs. 1 Nr. 7 UWG verstoße.

Die Klägerin beantragt,

Die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken am Vorstand, zu unterlassen,im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern den Eindruck zu erwecken, dass in laufenden Wärmelieferungsverträgen einseitig durch die Beklagte eine Änderung der Preisänderungsregelung vorgenommen werden kann, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 1 wiedergegeben,

Die Beklagte zu verurteilen, den Empfängern der Schreiben mit dem in Anlage K 1 wiedergegebenen Inhalt ein Berichtigungsschreiben zu senden, in dem die Verbraucher darüber informiert werden, dass die im Schreiben mitgeteilte Änderung der Preisänderungsregelung unwirksam ist,

Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 214,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie betreibe zur Wärmeerzeugung für die Wärmeversorgung ihrer Kunden neben vier kleineren Wärmeerzeugungsanlagen ein Müllheizkraftwerk und ein Kohleheizkraftwerk. Von den kleineren Wärmeerzeugungsanlagen würden zwei kleinere Wärmeerzeugungsanlagen mit Erdgas und Heizöl betrieben. Zusätzlich existierten ein Bioheizkraftwerk, das mit Holzhackschnitzeln betrieben würde sowie ein Heißwassererzeuger, der lediglich mit Strom betrieben würde, wenn zu viel Strom im Stromverteilernetz der allgemeinen Versorgung sei. Vom 1. Quartal 2015 bis zum 3. Quartal 2016 habe die Beklagte höhere Investitionen in ihr Müllheizkraftwerk vorgenommen, um u.a. immissionsschutzrechtliche Anforderungen zu erfüllen und auf die veränderte Zusammensetzung des Mülls zu reagieren. Ohne die vorgenommene Anpassung des Preissystems würde die Kostenstruktur des Wärmebezugs der Beklagten nicht mehr gewährleistet sein. Mit Schriftsatz vom 20.09.2017 behauptete die Beklagte, dass ihr Preissystem von unabhängigen Wirtschaftsprüfern gemäß dem Kurzbericht vom 19.04.2017 (Anlage B 8) und der Bescheinigung vom 21.02.2017 (Anlage B 9 und B 10) als angemessen bewertet worden seien. Die Wirtschaftsprüfer hätten bestätigt, dass die Beklagte zur Wärmeerzeugung hauptsächlich Kohle (mit einem durchschnittlichen Anteil von 51,23 %) und Müll (durchschnittlich zu einem Anteil von 44,77 %) einsetze. Daneben würden zur Wärmeerzeugung Erdgas (Anteil ca. 1,33 %), Öl (Anteil ca. 0,13 %), Biomasse (Anteil ca. 2,4 %) und Strom (Anteil ca. 0,1 %) eingesetzt.

Bei den 2015 veröffentlichten Formeln habe es sich bei dem Faktor 0,8 bzw. dem Faktor 0,2 in den Formeln „VPK“ und „VPM“ um ein redaktionelles Versehen gehandelt, da diese Faktoren bereits in der Formel „VO“ berücksichtigt worden seien. Danach flössen die Kosten („VPK“) und die Marktverhältnisse („VPM“) zu 80 % bzw. zu 20 % in die Berechnung des Arbeitspreises ein. Das redaktionelle Versehen sei mit öffentlicher Bekanntgabe der entsprechend modifizierten Preisänderungsklauseln am 26.09.2016 korrigiert worden und sei im Rahmen von Preisänderungen nicht angewandt worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 05.10.2017 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Ziffer 3, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 UWG ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch hinsichtlich der angegriffenen Preisänderungsmitteilung zu.

Das Schreiben der Beklagten vom September 2015 an die Verbraucher ist irreführend, weil es den Eindruck erweckt, dass ab dem 01.10.2015 die mitgeteilten neuen Preise gelten, obwohl diese Angabe falsch ist.

Eine Änderung des Preissystems und der Preisänderungsklausel der laufenden Wärmelieferungsverträge war in der vorgenommenen Form nicht zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten gibt § 4 Abs. 2 AVB FernwärmeV den Versorgern nicht die Möglichkeit, einseitig ohne Berücksichtigung der vereinbarten Preisgleitklausel ihre Kostenstruktur und die Preisgleitklausel bei der zukünftigen Berechnung der Preise zu verändern. Die Beklagte hat nicht nur ihre Preise im Rahmen der mit den Kunden vereinbarten Preisgleitklausel verändert, sondern hat auch die Preisgleitklausel hinsichtlich der Bemessungsfaktoren umfangreich geändert.

Gemäß § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV (bzw. § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV a.F.) dürfen Preisänderungsklauseln nur so ausgestaltet sein, dass sie sowohl die Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme durch das Unternehmen als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigen. Sie müssen die maßgeblichen Berechnungsfaktoren vollständig und in allgemein verständlicher Form ausweisen. Bei Anwendung der Preisänderungsklauseln ist der prozentuale Anteil des die Brennstoffkosten abdeckenden Preisfaktors an der jeweiligen Preisänderung gesondert auszuweisen.

Diese Vorgaben beruhen darauf, dass die Langfristigkeit der Versorgungsverträge es erforderlich macht, notwendige Preisanpassungen im Rahmen von Preisänderungsklauseln, d.h. ohne Kündigung der Vertragsverhältnisse, vollziehen zu können. Dementsprechend ist die Vorschrift darauf angelegt, eine kosten- und marktorientierte Preisbemessung unter Verhinderung unangemessener Preisgestaltungsspielräume der Versorgungsunternehmen zu sichern und über das so zu wahrende Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung während der gesamten Dauer des Versorgungsvertrages die gegenläufigen Interessen von Versorgungsunternehmen und Wärmekunden angemessen auszugleichen (vgl. BGH vom 25.06.2014, Az. VIII ZR 344/13 Rz. 35 – juris). Da Kostenorientierung nicht Kostenechtheit bedeutet, zwingt § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV das Versorgungsunternehmen zwar nicht dazu, seine Preise spiegelbildlich zur jeweiligen Kostenstruktur auszugestalten. Der Grundsatz der Kostenorientierung ist jedoch dann nicht mehr gewahrt, wenn sich die verwendete Preisanpassungsklausel nicht hinreichend an den kostenmäßigen Zusammenhängen ausrichtet. Dies erfordert, dass als Bemessungsgröße ein Indikator gewählt wird, der an die tatsächliche Entwicklung der Kosten des bei der Wärmeerzeugung überwiegend eingesetzten Brennstoffs anknüpft (BGH a.a.O. Rz. 24).

Diesen Vorgaben entsprechen die im September 2015 von der Beklagten geltend gemachten Veränderungen nicht. Die Beklagte hat in diesem Schreiben ihren Kunden keinerlei konkrete Angaben darüber gemacht, inwieweit sich ihre Kostenstruktur bei der Erzeugung der zu liefernden Fernwärme verändert hat. Auch im hiesigen Klageverfahren hat sie – trotz Bestreitens der Klägerin im Schriftsatz vom 01.03.2017 keine ausreichend konkreten Angaben zu ihren Kosten gemacht. Die mit Anlage B 2 überreichte wirtschaftliche und rechtliche Bewertung des neuen Preissystems der Beklagten lässt keine konkreten Kosten der Beklagten erkennen. Auch unter Punkt 2 „Umsetzung der Anforderungen an PÄK“ werden keine nachvollziehbaren, auf die einzelnen Kraftwerke bzw. Energiequellen rückführbare Kosten dargestellt. Welches der von der Beklagten betriebenen Kraftwerke im Einzelnen welche Kosten produziert, inwieweit die Beklagte an der Strombörse oder von anderen Anbietern zu welchen Preisen noch Energie hinzukauft, wurde von der Beklagten nicht dargelegt. Der angebotene Zeugenbeweis würde daher eine unzulässige Ausforschung darstellen. Eine Überprüfung der von der Beklagten begehrten und zu Grunde gelegten Änderungsfaktoren kann auf dieser Grundlage nicht erfolgen. Auch der Umstand, dass die Beklagte ihre Energie zum Großteil aus einem Müllkraftwerk bezieht und es gerade in diesem Bereich aufgrund Investitionsmaßnahmen zu Kostensteigerungen gekommen sei, wird in den von ihr vorgenommenen Preisanpassungen nicht nachvollziehbar erläutert.

Das Vorbringen im Schriftsatz vom 20.09.2017 ist zum einen gemäß §§ 296 Abs. 2, 282 ZPO als verspätetet anzusehen, weil nicht ersichtlich ist, wieso der Beklagtenvertreter auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 01.03.2017 erst eine Woche vor dem anstehenden Termin erwidern musste. Zum anderen würde auch dieses Vorbringen an der fehlenden Substantiierung nichts ändern. Auch die mit Anlagen B 8 bis B 10 überreichten Kurzberichte und Bescheinigungen lassen es an Substanz zu den konkreten Kosten ebenfalls vermissen. In dem Kurzbericht der Anlage B 8 ist vielmehr ausdrücklich erwähnt, dass „nicht Untersuchungsgegenstand die korrekte Übernahme der dem Planungsmodell zu Grunde liegenden Inputdaten z.B. aus Vorsystemen (war); auch die korrekte Abgrenzung der der Fernwärmeerzeugung zugeordneten Profit Center („PC´s“) und damit der zugeordneten Kosten und Erlöse (wurde) nicht im Einzelnen geprüft. Darüber hinaus (wurde) nicht die Angemessenheit der Bestandteile des Preissystems einschließlich Preisformel und Preisänderungsformel überprüft.“

Soweit die Beklagte der Auffassung ist, für die Nachvollziehbarkeit der von ihr zugrunde gelegten Faktoren sei es jedem Kunden zumutbar, bei der BAFA sich die vor 2014 geltenden Werte auf Nachfrage mitteilen zu lassen (Faktor „K“), bzw. der Kunde könne die auf der Internetseite der EEX sich mit jedem Handelstag ändernden Preise gut nachvollziehen und überprüfen (Faktor „G“), so verkennt die Beklagte die Anforderungen, die sie an einen durchschnittlichen Kunden stellen kann. Einem solchen Kunden ist es nicht zumutbar, sich irgendwelche Preisfaktoren erst gesondert anfordern zu müssen oder die Tagespreise zu einem durchschnittlichen Jahrespreis erst noch zusammenzurechnen, um die entsprechenden Faktoren überprüfen zu können. Es entlastet die Beklagte auch nicht, diese Daten auf ihrer Internetseite in einer Tabelle kostenfrei zu veröffentlichen, weil auf diese Weise eine Überprüfung mit dem „amtlichen Stellen“ nicht möglich ist.

Außerdem bestehen auch grundsätzlich Bedenken daran, dass jeder durchschnittliche Verbraucher (d.h. auch Kunden ohne (Hoch-)Schulabschluss und ggf. mit eingeschränkten Deutschkenntnissen aufgrund möglicher Migrationshintergründe) und nicht nur einigen wenigen auf Energierecht spezialisierten Juristen die von der Beklagten verwendeten Formeln nachvollziehen und verstehen können. Dass selbst Mitarbeiter der Beklagten die von der Beklagten angewandten Formeln nicht mehr richtig verstehen, zeigt das angebliche „redaktionelle Versehen“, dass dazu geführt haben soll, dass die Faktoren 0,8 und 0,2 in den Formeln „VPK“ und „VPM“ doppelt berücksichtigt und daher bei der Abrechnung nicht angewandt worden seien.

Bei dem Schreiben der Beklagten aus dem September 2015 handelt es sich auch nicht um eine bloße geäußerte Rechtsansicht, hinsichtlich der Auslegung des § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV, weil die Beklagte aufgrund dieses Schreibens tatsächlich ihre Preise gegenüber den Kunden geändert hat und damit falsche Tatsachen geschaffen hat. Die Beklagte geht auf Seite 30 ihres Schriftsatzes vom 20.09.2017 selbst davon aus, dass die Preisänderungsklauseln in einer mathematischen Formel dargestellt werden dürften, die so exakt abgebildet ist, dass die Beklagte bei Anwendung der Klausel keine unkontrollierbaren bzw. willkürlichen Preisanpassungen durchführen kann. Danach ist es der Beklagten selbst bewusst, dass sie nur im Rahmen der vereinbarten Formel Preisanpassungen vornehmen kann, weil bei einer völlig neuen Umstrukturierung ihres Preissystems, dass auch die vereinbarte Preisanpassungsklausel umfasst gerade eine unkontrollierbare und willkürliche Preisanpassung vorliegt.

Es kommt auch keine hilfsweise Anpassung der Preise im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung in Betracht. Soweit die Beklagte einwendet, dass eine Rückkehr zur alten Preisregelung aufgrund ihrer geänderten Kosten- und Erlösstruktur nicht möglich sei, ist dieser Einwand unbeachtlich. Soweit eine Rückkehr zum alten Preissystem finanzielle Nachteile für die Beklagte bringt, ist dies eine Konsequenz ihres ursprünglich rechtswidrigen Verhaltens. Es hätte ihr freigestanden, die Preise zunächst im Rahmen der vereinbarten Preisgleitklausel anzupassen und umfangreiche Änderungen ihres Preissystems, insbesondere auch in Bezug auf Veränderungen der Preisgleitklausel selbst, durch eine Änderungskündigung geltend zu machen. Die Beklagte selbst hat vorgetragen, dass die Umbauarbeiten ihres Müllheizkraftwerkes vom 1. Quartal 2015 bis zum 3. Quartal 2016, d.h. über 1 ½ Jahre angedauert haben. Angesichts der vereinbarten Vertragsverlängerungen von jeweils nur zwei Jahren wäre in diesen Zeiträumen eine Änderungskündigung problemlos möglich gewesen.

Wieso die Beklagte der Auffassung zu sein scheint, bei Anwendung der ursprünglich vertraglich vereinbarten Preise auch ihre Bezugsquellen hinsichtlich der ursprünglichen Preise ändern zu müssen und sich damit möglicherweise klimaschädlicher verhalten zu müssen, ist nicht nachvollziehbar. Das Anwenden der vertraglich vereinbarten Preise für den Zeitraum der Vertragsdauer hat nichts damit zu tun, wie die Beklagte ihre Energie herstellen lässt. Primär kann sich die Gewinnmarge der Beklagten ändern, was langfristigen Verträgen aber oftmals immanent ist.

Der Anspruch des Klägers auf Ersatz seiner Abmahnkosten in Höhe von 214,00 € besteht gemäß § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

 

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