Zur Verantwortlichkeit von Wikipedia für rechtsverletzende Beiträge

13. November 2018
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weiße Tastatur mit Wikipedia-Logo auf der Enter-Taste Urteil des LG Berlin vom 28.08.2018, Az.: 27 O 12/17

Handelt es sich bei einem Eintrag über eine Person in einer Online-Enzyklopädie (hier: Wikipedia) um unwahre Tatsachenbehauptungen, liegt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor, wodurch ein Unterlassungsanspruch begründet wird. Dieser kann nach den Grundsätzen der Störerhaftung auch gegenüber dem Betreiber der Enzyklopädie bestehen, selbst wenn nicht er, sondern ein Dritter die rechtsverletzenden Aussagen getätigt hat.

LG Berlin

Urteil vom 28.08.2018

Az.: 27 O 12/17

 

In dem Rechtsstreit

hat die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin in Berlin – Charlottenburg, Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 28.08.2018

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festgesetzten Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, letztere zu vollziehen an den vertretungsberechtigten Vorständen der Beklagten, zu unterlassen,

wörtlich oder sinngemäß zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

„Wie das ARD-Magazin Fakt berichtete, wurden Forschungen Ws zur Analyse von massenhaft aufgezeichneten Sprachdaten von amerikanischen Geheimdienst- […]behörden beauftragt […].“

und/oder

„Aus FAKT vorliegenden Unterlagen ginge hervor, das W jahrelang für ein amerikanisches Regierungsprogramm namens Total Information Awareness geforscht habe.“

wenn dies geschieht wie in dem von der Beklagten unter der URL https.//www.w…org öffentlich zugänglich gemachten Wikipedia¬Eintrag zur Person des Klägers.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, aus Ziffer 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Mit seiner Klage richtet sich der Kläger gegen einen Eintrag in der online Enzyklopädie Wikipedia.

Der Kläger ist Professor für Computerwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie (KSZE) in Deutschland und an der Carnegie Mellon University (CMU), Pittsburgh (USA). Zudem ist er Direktor des International Center for Advanced Communication Technologies (InterACT) beider Universitäten. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf den Gebieten der Spracherkennung, Sprachverarbeitung und Sprachübersetzung. Er hält regelmäßig Vorträge auf Konferenzen, u.a. in Berlin, zuletzt im August 2016. Die zahlreichen Publikationen des Klägers finden international und deutschlandweit Beachtung.

Die Beklagte betreibt die online Enzyklopädie „Wikipedia“. Deren Inhalte werden nicht von ihr selbst eingestellt, sondern von Dritten, freiwilligen und ehrenamtlichen Autoren. Die Beklagte stellt dafür die Plattform und Speicherplatz zur Verfügung, damit die Wikipedia-Autoren ihre selbst verfassten Beiträge dort hinterlegen und veröffentlichen können. Seitens der Beklagten findet weder eine Vorabkontrolle der Inhalte noch eine nachträgliche Steuerung durch eine Redaktion statt.

Auf der deutschen Wikipedia Seite in dem öffentlich zugänglichen Eintrag zur Person des Klägers heißt es unter der Überschrift „Forschung“ :
„Wie das ARD- Magazin Fakt berichtete, wurden Forschungen Ws zur Analyse von massen¬haft aufgezeichneten Sprachdaten von amerikanischen Geheimdienst- und Militärbehörden beauf¬tragt und genutzt. Aus FAKT vorliegenden Unterlagen ginge hervor, dass W jahrelang für ein amerikanisches Regierungsprogramm namens Total Information Awareness geforscht habe. Auch die deutsche Bundesregierung habe sich an der Finanzierung beteiligt. Laut SPIEGEL soll das Projekt von der US-Behörde für Geheimdienstforschung IARPA finanziert worden sei. Das Geld sei nicht direkt, sondern über einen Unterauftrag einer amerikanischen Universität geflossen. W stellte fest, dass die Forschung selbst öffentlich sei (keine „classified research“) und erklärte zu seiner Arbeit: „Das gesamte Wissen, dass in der Spracherkennung entsteht, das ist wie Straßenbau, wissen Sie, Sie können Straßen bauen und dann fahren Autos darüber und irgendwann fahren Panzer drüber.“ W nimmt damit Bezug auf seine Arbeit im generellen. Er hat zwar für staatliche Stellen Algorithmen zur multilingualen Spracherkennung entwickelt, diese sei jedoch für Katastrophenhilfe-Einsätze gedacht.“ (Anlage K1)

Der Eintrag nimmt Bezug auf einen im Rahmen des ARD-Magazins „Fakt“ am 3. September 2013 ausgestrahlten TV Beitrag, dem der Kläger damals im Rahmen einer Pressekonferenz entgegen trat.

Bei dem genannten Projekt Total Information Awareness handelt es sich um ein im Jahr 2002 von der US-Regierung unter George W. Bush eingerichtetes Programm mit dem Ziel, innerhalb einer Datenbank alle verfügbaren Merkmale der Bürger des Staates zu suchen und diese später auf verdächtige Muster auszuwerten. Dies söllte vor allem zur Terrorismusbekämpfung geschehen. Nach massiver Kritik durch Politik, Medien und Öffentlichkeit an einer befürchteten Totalüber¬wachung aller US-Bürger wurde das Programm 2003 wieder eingestellt.

Mit E-Mail vom 22. Dezember 2016 (K3) ließ der Kläger die Beklagte erfolglos zur Löschung der im Antrag genannten Äußerungen auffordern.

Der Kläger trägt vor, bei dem angegriffenen Eintrag handle es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung, die zu einer rechtswidrigen und fortdauernden Beeinträchtigung seines Rufes führen würde. Die von ihm entwickelten Übersetzungsprogramme und Kommunikationsinstrumente seien insbesondere für die Verwendung für humanitäre und medizinische Zwecke bestimmt. Seine Forschung in Verbindung mit Geheimdienstoperationen zu bringen, sei geeignet ihn, seine Forschungsarbeiten und damit auch seinen guten Ruf in Misskredit zu bringen und seinem Ansehen zu schaden. Ein öffentliches Informationsinteresse der Allgemeinheit an der Verbreitung der unwahren Tatsachenbehauptung bestünde dagegen nicht.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, letztere zu vollziehen an den vertretungsberechtigten Vorständen der Wikimedia Foundation Inc., zu unterlassen,

wörtlich oder sinngemäß zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

„Wie das ARD-Magazin Fakt berichtete, wurden Forschungen Ws zur Analyse von massenhaft aufgezeichneten Sprachdaten von amerikanischen Geheimdienst¬[…]behörden beauftragt […].“

und/oder

„Aus FAKT vorliegenden Unterlagen ginge hervor, dass W. jahrelang für ein amerikanisches Regierungsprogramm namens Total Information Awareness geforscht habe.“

wenn dies geschieht wie in dem von der Beklagten unter der URL https://www.w…org öffentlich zugänglich gemachten Wikipedia-Eintrag zur Person des Klägers.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass von ihm mit ihrer Online-Enzyklopädie verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit, das Recht des Autors (oder Autoren) des streitgegenständlichen Enzyklopädie-Beitrags auf freie Meinungsäußerung als auch das Recht der Beklagten selbst auf freie Meinungs¬äußerung würden hier die Interessen des Klägers überwiegen. Aus dem angegriffenen Eintrag
würde sich ergeben, dass der Kläger sich den Berichten über ihn entgegen gestellt und entsprechende Tätigkeiten abgestritten habe. Die Autoren hätten zudem sämtliche Äußerungen auch mit Nachweisen in den Fußnoten belegt. Soweit der Beitrag in der ARD-Mediathek nicht mehr vorgehalten werde, so sei dies kein Indiz dafür, dass er unwahre Tatsachenbehauptungen beinhalte. Denn Beiträge in der ARD-Mediathek würden nach relativ kurzer Zeit automatisch gelöscht, da eine dauerhafte Zurverfügungstellung nach dem Rundfunkänderungsstaatsvertrag nicht zulässig sei. Die nach wie vor verfügbaren Informationen aus anerkannten und seriösen Pressequellen wie Spiegel-online würden vielmehr zu der Annahme berechtigen, dass der TV-Bericht keine un¬wahren Tatsachenbehauptungen enthalten habe. Zudem werde das Manuskript der Sendung weiterhin im Internet veröffentlicht. Die Autoren des beanstandeten Wikipedia-Artikels hätten auf die Richtigkeit der Presseartikel vertrauen können. In dem streitgegenständlichen Artikel würden die beanstandeten Äußerungen zudem nicht als wahr hingestellt werden. Es würde vielmehr nur auf den TV-Bericht hingewiesen, in dem die beanstandeten Äußerungen aufgestellt worden seien. Ob diese wahr oder falsch seien, wäre ungeklärt. Nach dem Hinweis auf die angebliche Rechts¬widrigkeit der streitgegenständlichen Äußerung habe sie den Artikel am 4.1.2017 geprüft und fest¬gestellt, dass sämtliche dort genannten Belege weiterhin abrufbar seien und auch aus seriösen Quellen stammen.
Vorsorglich bestreitet die Beklagte, dass es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung handle. Der Gegenstand des TV-Berichtes sei von erheblichem öffentlichen Interesse und seine Veröffent¬lichung sei in Wahrnehmung der originären Aufgaben der Beklagten erfolgt. Die Interessen des Klägers müssten dahinter zurückstehen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht Berlin ist international und örtlich zuständig. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus § 32 ZPO. Die deutschen Gerichtsstandsvorschriften legen sowohl die örtliche Zuständigkeit als auch den Umfang der deutschen internationalen Zuständigkeit fest. Es handelt sich um eine deutschsprachige Internetseite. Der konkret angegriffene Artikel weist einen über die bloße Abrufbarkeit hinausgehenden Inlandsbezug auf, da der Kläger ein in Deutschland tätiger und bekannter Wissenschaftler und Professor ist.

§ 32 ZPO regelt die örtliche Zuständigkeit bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch massenmedial verbreitete Äußerungen. Zur Entscheidung über Klagen wegen Persönlichkeitsbeeinträchtigungen durch im Internet abrufbare Veröffentlichungen sind die deutschen Gerichte nach § 32 ZPO international zuständig, wenn die als rechtsverletzend beanstandenden Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstrei¬tenden Interessen nach den Umständen des konkreten Falles im Inland tatsächlich eingetreten sei oder eintreten kann. Dies ist dann anzunehmen, wenn eine Kenntnisnahme der beanstandenden Meldung nach den Umständen des konkreten Falles im Inland erheblich näher liegt als es auf¬grund der bloßen Abrufbarkeit des Angebots der Fall wäre und die vom Kläger behauptete Beein¬trächtigung seines Persönlichkeitsrechts durch eine Kenntnisnahme von der Meldung im Inland eintreten würde (BGH vom 25.10.2011, Aktenzeichen VI ZR 93/10). Nach diesen Kriterien be¬stimmt sich der für die internationale Zuständigkeit maßgebliche Erfolgsort auch dann, wenn gegen den Hostprovider als Störer geklagt wird (BGH an angegebenen Ort).

Es ist deutsches Recht anzuwenden. Das anwendbare Recht bestimmt sich nach den Artikeln 40 ff. EGBGB. Denn außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung des Persönlichkeits¬rechts sind nach Art. 1 Absatz 2 Buchst. g/Lit. g der Verordnung Nummer 864 aus 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II – Verordnung) vom Anwendungsbereich der Rom II – VO ausgenommen. Maßgebend ist daher Art. 40 EGBGB, dem auch der Persönlichkeits¬schutz einschließlich sich daraus herleitender Unterlassungsansprüche unterfällt. Der Kläger hat in seiner Klageschrift sein Bestimmungsrecht zu Gunsten des deutschen Rechts ausgeübt. Der maßgebliche Erfolgsort liegt in Deutschland. Der Kläger wohnt in Deutschland, wo er auch wissen¬schaftlich tätig ist. Hier kollidiert daher auch sein Interesse an der Unterlassung.

II.
Die Klage ist auch begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 1004 analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu. Der angegriffene Eintrag verletzt ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die Beklagte haftet als mittelbare Störerin für den rechtswidrigen Eingriff.

1.
a.
Ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, ist aufgrund einer Abwägung des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten Recht des Autors auf Meinungsfreiheit zu entscheiden. Denn wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH Urteil v. 20.4.2010, VI ZR 245/08, juris Rn. 12 m.w.N.). Welche Maßstäbe für diese Abwägung gelten, hängt grundsätzlich vom Aussagegehalt der Äußerung ab, also von deren Einstufung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung. Diese Unterscheidung ist deshalb grundsätzlich geboten, weil der Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG bei Meinungs¬äußerungen regelmäßig stärker ausgeprägt ist als bei Tatsachenbehauptungen (BGH Urteil v. 5.12.2006, VI ZR 45/05, juris Rn. 14 m.w.N.). Bei Tatsachenbehauptungen fällt nach der Recht¬sprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BGH Urteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rn. 21 m.w.N.) bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ihr Wahrheitsgehalt ins Gewicht. Denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herab¬setzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (BVerfG, NJW 2012, 1643 Rn. 33; NJW 2013, 217, 218). Wahre Tatsachenbehauptungen müssen dagegen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl. BGH Urteile vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, AfP 2013, 50 Rn. 12 m.w.N.; vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rn. 21; BVerfG, NJW 2012, 1643 Rn. 33). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird, wobei eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig ist, sondern auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen sind (BGH Urteil v. 16.11.2004, VI ZR 298/03, juris Rn. 24 m.w.N.).

b.
(1)
Bei der ersten angegriffenen Äußerung („Wie das ARD-Magazin Fakt berichtete, wurden Forschungen Ws zur Analyse von massenhaft aufgezeichneten Sprachdaten von amerika¬nischen Geheimdienst- […]behörden beauftragt“) handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Der unvoreingenommene Durchschnittsleser versteht die Äußerung „Wie … berichtet, wurden Forschungen …. beauftragt und genutzt“ nicht als eine Verdachtsäußerung, sondern als die Mitteilung einer feststehenden Tatsache. Diese wird aus seiner Sicht durch die nachfolgenden Sätze belegt, aus denen sich ergibt, dass dem Magazin entsprechende Unterlagen vorliegen und auch der Spiegel über eine Finanzierung über eine Behörde für Geheimdienstforschung berichtet hat. Daher stellt sich im Kontext auch die zweite angegriffene Äußerung als Tatsachenbehauptung dar, auch wenn sie im Konjunktiv formuliert ist. Beide Tatsachenbehauptungen haben sich die Autoren zu eigen gemacht. Eine Distanzierung von den Aussagen des Berichtes erfolgt durch die Autoren nicht. Gerade da sie den ersten Satz und damit die Kernaussage des Beitrages in den Indikativ setzten, hätte es eines deutlichen Hinweises bedurfte, hätten sie den Inhalt des TV-Beitrages lediglich als Verdacht in der Enzyklopädie aufführen wollen. Denn der Leser einer Enzyklopädie erwartet in dieser Fakten und eben keine Verdächtigungen. Auch wird entgegen der Ansicht der Beklagten für den Leser nicht deutlich, dass der Kläger die hier angegriffene Äußer¬ung bestreitet. Soweit es im Beitrag heißt „W stellte fest, dass die Forschung selbst öffentlich sei (keine ;,classified research“)“ und dass er zu seiner Arbeit erklärte „Das gesamte Wissen, dass in der Spracherkennung entsteht, das ist wie Straßenbau, wissen Sie, Sie können Straßen bauen und dann fahren Autos darüber und irgendwann fahren Panzer drüber.“ ist für den unbefangenen Durchschnittsleser ein Bezug zu der angegriffenen Äußerung nicht erkenn¬bar. Dies gilt vor allem, da es weiter heißt, er nehme damit Bezug auf seine Arbeit im Generellen. Zwar handelt es sich um Äußerungen, die der Kläger im Rahmen der Presseerklärung gegenüber der dpa nach der Ausstrahlung des ADR-Magazins abgab. Dies erfährt der Leser des streitgegen¬ständlichen Wikipedia-Eintrages jedoch nicht. Für ihn ist der Bezug der aus dem Gesamtzusam¬menhang der damaligen Presseerklärung des Klägers gerissenen Äußerungen nicht erkennbar. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich aus der Sicht des unbefangenen Durch¬schnittslesers auch nicht um ein bloßes Referieren über die ARD-Sendung. Denn hierfür fehlt bereits die Angabe, wann das ARD-Magazin ausgestrahlt wurde. Für den Leser liegt der Schwer¬punkt des Artikels auf den weiteren Äußerungen des angegriffenen Absatzes, während der erste Halbsatz mit dem dieser eingeleitet wird allein als Beleg dient.

(2)
Es ist von der Unwahrheit der angegriffenen Tatsachenbehauptungen auszugehen.

Grundsätzlich hat der Anspruchsteller eines Unterlassungsanspruches im Rechtstreit die Unrichtigkeit der ihn betreffenden ehrverletzenden Äußerungen erforderlichenfalls zu beweisen. Im Äußerungsrecht ist dabei anerkannt, dass bei ehrrührigen Behauptungen den Äußernden unab¬hängig von der Beweislast eine erweiterte Darlegungslast trifft (BGH NJW 1974, 710). Diese erweiterte Darlegungslast wird zu einer echten Umkehr der Beweislast, wenn Streitgegenstand eine üble Nachrede ist. Nach der über § 823 Abs. 2 BGB in das Deliktsrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB trifft den Äußernden die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass seine ehrbeeinträchtigenden Behauptungen wahr sind (BGH NJW 1996, 1131, 1133; NJW 1985, 1621, 1622).
Dem steht nicht entgegen, dass auch eine Behauptung, deren Unwahrheit nicht erwiesen ist, jedenfalls in Fällen, in denen es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit geht, auf der Grundlage der nach Art. 5 Abs. 1 GG und § 193 StGB vorzunehmenden Güterabwägung demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden kann, als er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf. Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass der auf Unterlassung in Anspruch Genommene vor Aufstellung oder Verbrei¬tung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat (BGH NJW 1996, 1131, 1133 m. w. Nachw.).
Nach den für Presseveröffentlichungen geltenden Grundsätzen sind an die Erfüllung der Recherchierungspflicht sog. pressemäßige Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Allerdings dürfen solche Anforderungen nicht überspannt, insbesondere nicht so bemessen werden, dass die Funktion der Meinungsfreiheit in Gefahr gerät; dies ist insbesondere dort zu beachten, wo über Angelegenheiten berichtet werden soll, die für die Allgemeinheit von erheblicher Bedeutung sind. Demgemäß ist stets unter Würdigung aller Umstände des Falles eine sorgfältige Güterabwägung vorzunehmen, bei der sowohl dem Grundrecht des Äußernden aus Art. 5 Abs. 1 GG als auch der verfassungsrechtlich geschützten Position des von der Äußerung Betroffenen aus Art. 1, 2 Abs. 1 GG das gebotene Gewicht beizumessen ist (BGH a. A. 0.).

Entsprechend dieser Grundsätze hat die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Denn der Vor¬wurf mit Hilfe deutscher Steuergelder für den US-amerikanischen Geheimdienst tätig gewesen zu sein, ist in einem hohen Maße rufschädigend und stellt eine üble Nachrede dar. Es genügt daher nicht, dass die Beklagte die Unwahrheit vorsorglich mit Nichtwissen bestreitet.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf die Wahrnehmung eines berechtigten Informationsinter¬esses im Sinne des § 193 StGB berufen, mit der Folge, dass die aus § 186 StGB folgende Beweislastumkehr entfiele, so dass die Glaubhaftmachungs- bzw. Beweislast wie im Regelfall den Verletzten, mithin den Kläger träfe. Denn ob die Autoren die bei der Wahrnehmung des berechtig¬ten Informationsinteresses erforderliche Sorgfalt beachtet haben, ist nicht feststellbar. Hierbei gilt, je schwerer der Vorwurf wiegt, umso höhere Anforderungen sind an eine Prüfung zu stellen (BGH, NJW 1965,685; NJW 1972,1658). Allein dass die Autoren ihre Angaben mit Presseartikeln belegt haben, genügt jedenfalls nicht. Ihnen war hierdurch bekannt, dass der Kläger die Aussagen im ARD-Magazin Fakt bestritten hatte. Ohne eigene Prüfungen, durften sie diese daher nicht als feststehend übernehmen. Erst recht gilt dies, wenn es sich bei den Autoren um Journalisten handeln sollte, die mit der pressemäßigen Sorgfalt zu arbeiten haben (BverfG 1999, 1322, 1324). Dass der hierzu erforderliche Vortrag der Beklagten aufgrund der Anonymität der Autoren nicht möglich ist, geht aufgrund der von ihr gewählten Struktur der freien Enzyklopädie zu Ihren Lasten.

2.
Die Beklagte haftet für den rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers als mittelbare Störerin.

a.
Unstreitig werden die Inhalte in der Online-Enzyklopädie der Beklagten nicht von dieser erstellt; vielmehr stellt diese lediglich Dritten die Plattform und Speicherplatz zur Verfügung, damit diese selbstverfasste Beiträge hinterlegen können, so dass jedermann an der Online-Enzyklopädie mitarbeiten, Artikel erstellen kann, wobei unstreitig weder eine Vorabkontrolle noch eine nachträgliche Steuerung durch eine Redaktion stattfindet. Aufgrund dessen hat das LG Hamburg (LG Hamburg v. 16.5.2008 — 324 0 847/07 – juris) zu Recht angenommen, dass diese Funktions¬weise der Online-Enzyklopädie der Beklagten in wesentlichen Grundzügen einem Internetforum vergleichbar sei, auch wenn dieses im Unterschied zu Foren nicht ein spezielles Themengebiet betrifft, sondern eine unüberschaubare Vielzahl von Themen und anders als viele Foren auf ein dauerhaftes Vorhalten der Beiträge bei ständiger Weiterentwicklung, Anpassung und Veränderung gerichtet ist. Denn entscheidend ist die Funktionsweise, dass jedermann die Möglichkeit eröffnet‘ wird, Inhalte ohne redaktionelle Prüfung einzustellen. Diese Einstufung der Online-Enzyklopädie der Beklagten wird — soweit ersichtlich — auch sonst in Rechtsprechung (LG Köln, MMR 2008, 768 [769]; Berufung zurückgewiesen durch Urteil des OLG Köln v. 16.12.2008 — 15 U 116/08) und Literatur (Beck’scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste — Jandt, 2. Aufl., § 10 TMG Rz. 79) geteilt. Die Beklagte ist mithin nicht als sog. Content-Provider für eigene Informationen, sondern als Host-Provider für fremde Informationen einzuordnen (Strauß, ZUM 2006, 274 [283]). Aufgrund der geschilderten Funktionsweise der Online-Enzyklopädie der Beklagten kann ebenso wenig wie bei einem unter einer Internet-Adresse betriebenen Informationsportal, bei dem eine redaktionelle Kontrolle nicht durchgeführt wird (für diesen Fall ein Zu-Eigen-Machen verneinend BGH v. 27.3.2012 — VI ZR 144/11), ein Zu-Eigen-Machen angenommen werden. Insofern kann für die Beklagte nichts anderes gelten als für einen Host-Provider, welcher die technische Infrastruk¬tur und den Speicherplatz für einen Blog zur Verfügung stellt, für den der BGH ein Zu-Eigen¬Machen ebenfalls verneint hat (BGH v. 25.10.2011 — VI ZR 93/10 — Rz. 3, 20).

b.
Die Beklagte trifft jedoch eine Störerhaftung nach den Grundsätzen, welche der BGH in den Entscheidungen „Blog-Eintrag“ (BGH v. 25.10.2011 — VI ZR 93/10 , CR 2012, 103 = MDR 2012, 92 = GRUR 2012, 311 — Rz. 20 ff.) und „RSS-Feeds“ (BGH v. 27.3.2012 — VI ZR 144/11 , MDR 2012, 767 = CR 2012, 464 = NJW 2012, 2345 = GRUR 2012, 751 — Rz. 17 ff.) für andere Host-Provider aufgestellt hat, welche die technische Infrastruktur und den Speicherplatz für Blogs zur Verfügung stellen oder ein Informationsportal betreiben. Danach setzt die Störerhaftung die Verletzung zumutbarer Prüfpflichten voraus, wobei der Host-Provider nicht verpflichtet ist, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge vor der Veröffentlichung auf evtl. Rechtsverletzungen zu überprüfen, er vielmehr erst verantwortlich wird, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Weist ein Betroffener den Host-Provider auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, ist dieser verpflichtet, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern, wenn der Hinweis hinreichend konkret ist (BGH Urteile vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10 und 27.3.2012 – VI ZR 144/11). Diese Maßstäbe sind auch auf die Beklagte hinsichtlich der von dieser betriebenen Online-Enzyklopädie anzuwenden (OLG Stuttgart CR 2014, 393, 396).

c.
Da die Beklagte durch die E-Mail vom 22.12.2016, spätestens jedoch durch die Klageschrift i.S.d. Rechtsprechung des BGH ausreichende Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat, sie aber in der Folge (bis heute) unverändert auf ihrer Website belassen hat, haftet sie dem Kläger mithin auf Unterlassung.

3.
Die Wiederholungsgefahr ist aufgrund der bereits erfolgten Rechtsverletzung zu vermuten und hätte nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden können (BGH NJW 1994, 1281), an der es fehlt.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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