Blutzucker-Teststreifen nur mit deutschsprachiger Gebrauchsanweisung
Eigener Leitsatz:
In-vitro-Diagnostika zur Eigenanwendung, darunter versteht man z. B. Teststreifen zur Blutzuckermessung, dürfen im Inland nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie eine Gebrauchsanweisung und eine Etikettierung in deutscher Sprache enthalten, die vorab in einem (erneuten oder ergänzenden) Konformitätsbewertungsverfahren überprüft worden sind. Andernfalls sind diese als wettbewerbswidrig einzustufen.
Bundesgerichtshof
Urteil vom 12.05.2010
Az.: I ZR 185/07
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2010 für R e c h t erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 11. Oktober 2007 aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Teil- und Schlussurteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 27, vom 30. November 2006 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten verurteilt, es zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland ein Medizinprodukt (Teststreifen zur Blutzuckermessung) mit der Kennzeichnung "One Touch Ultra" und einer französisch/italienisch/spanischen Originalaufmachung mit einer umgestalteten Packung, Gebrauchsanweisung oder Beschriftung der Teststreifen-Röhrchen in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen, ohne für dieses umverpackte Produkt im Hinblick auf vorstehend genannten Umpackvorgang eine ergänzende Konformitätsbewertung nach § 6 Abs. 2 MPG durchgeführt zu haben.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 1.507,20 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. April 2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin vertreibt in Deutschland unter der Bezeichnung "One Touch Ultra" von ihrer amerikanischen Konzernschwestergesellschaft hergestellte Teststreifen zur Blutzuckerbestimmung, die von den Patienten in entsprechenden Blutzuckermessgeräten verwendet werden. Dabei handelt es sich um ein zur Eigenanwendung bestimmtes In-vitro-Diagnostikum, das als Medizinprodukt nach dem Medizinproduktegesetz (vgl. § 3 Nr. 4 MPG) mit einer CE-Kennzeich-nung versehen ist. Das entsprechende Konformitätsbewertungsverfahren ist bei einer sogenannten Benannten Stelle (vgl. § 3 Nr. 20 MPG) in den Niederlanden durchgeführt worden. Die Bezeichnung "One Touch Ultra" ist für eine weitere Schwestergesellschaft der Klägerin als IR-Marke mit der Erstreckung auf Deutschland für "Test strips for blood glucose monitoring levels" und "Medical instruments" eingetragen. Die Klägerin ist zur Nutzung der Marke und zur Gel-tendmachung der Markenrechte ermächtigt.
Die Klägerin wendet sich – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – aus Marken- und Wettbewerbsrecht dagegen, dass die Beklagte in Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Zustimmung der Markeninhaberin in Verkehr gebrachte Teststreifen des Produkts "One Touch Ultra" nach Deutschland importiert, die Umverpackung mit einem deutschsprachigen Etikett versieht, der Packung nach Öffnung eine deutschsprachige Gebrauchsanweisung beifügt und das so umverpackte Produkt in Verkehr bringt, ohne im Hinblick auf den Umpackvorgang eine Konformitätsbewertung nach § 6 Abs. 2 MPG durchgeführt zu haben.
Sie hat zuletzt beantragt,
der Beklagten bei Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten, in der Bundesrepublik Deutschland ein Medizinprodukt (Teststreifen zur Blut-zuckermessung) mit der Kennzeichnung "One Touch Ultra" und einer franzö-sisch/italienisch/spanischen Originalaufmachung mit einer umgestalteten Packung, Gebrauchsanweisung oder Beschriftung der Teststreifen-Röhrchen in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen, ohne für dieses umverpackte Produkt im Hinblick auf vorstehend genannten Umpack-vorgang eine ergänzende Konformitätsbewertung nach § 6 Abs. 2 MPG durchgeführt zu haben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Unterlas-sungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch weder aus Marken- noch aus Wettbewerbs-recht zu. Zur näheren Begründung hat es ausgeführt:
Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen wettbewerbsrechtlichen Anspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 6 Abs. 1 und 2, § 7 MPG i.V. mit Anhang I der Richtlinie 98/79/EG vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (im Folgen-den: In-vitro-Diagnostika-Richtlinie), es zu unterlassen, Produkte mit der Kennzeichnung "One Touch Ultra" ohne eine ergänzende Konformitätsprüfung nach § 6 Abs. 2 MPG im Hinblick auf das erfolgte Umpacken in Verkehr zu bringen. Nach den Vorschriften des Medizinproduktegesetzes und der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie sei nur der Hersteller des Medizinprodukts oder sein Bevollmächtigter für das erstmalige Inverkehrbringen und damit für das Erlangen der CE-Kennzeichnung sowie die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens verantwortlich. Die Beklagte sei nicht als Hersteller im Sinne dieser Vorschriften anzusehen. Eine dem Notifizierungsverfahren bei parallelimportierten Arzneimitteln vergleichbare Regelung für den Bereich parallelimportierter Medizinprodukte bestehe nicht. Die Forderung eines ergänzenden Zertifizierungsverfahrens für parallelimportierte Medizinprodukte würde zudem entgegen Art. 28 EG (jetzt: Art. 34 AEUV) zu einer künstlichen Abschottung der Märkte führen. Ein solches Verfahren sei auch nicht im Sinne von Art. 30 EG (jetzt: Art. 36 AEUV) zum Schutz der Gesundheit oder zur Wahrung der Markenrechte erforderlich. Da die Beklagte nicht zur Durchführung des ergänzenden Konformitätsbewertungsverfahrens verpflichtet sei, liege in dem Vertrieb der parallelimportierten und umge-packten Medizinprodukte auch keine Markenverletzung nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handelt die Beklagte wettbewerbswidrig und begeht eine Markenverletzung, wenn sie die parallelimportierten und von ihr umgepackten Produkte ohne eine ergänzende Konformitätsbewertung nach § 6 Abs. 2 MPG in Deutschland in Verkehr bringt.
1. Der Klägerin steht ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG zu, weil die Beklagte durch den Vertrieb der parallelimportierten Teststreifen gegen die Kennzeichnungsbestimmungen für In-vitro-Diagnostika verstößt.
a) In-vitro-Diagnostika dürfen als Medizinprodukte (§ 3 Nr. 4 MPG) gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG in Deutschland nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 Satz 1 MPG versehen sind. Eine Zuwiderhandlung gegen dieses Gebot stellt regelmäßig zugleich ein nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG – in der zum Zeitpunkt der von der Klägerin beanstandeten Verletzungshandlungen der Beklagten im Jahre 2005 sowie in der nunmehr geltenden Fassung – unzulässiges Verhalten im Wettbewerb dar (BGH, Urt. v. 9.7.2009 – I ZR 193/06, GRUR 2010, 169 Tz. 13 = WRP 2010, 247 – CE-Kennzeichnung).
b) Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 MPG dürfen Medizinprodukte mit der CE-Kennzeichnung nur versehen werden, wenn die auf sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbaren Grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG erfüllt sind und ein für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 MPG durchgeführt worden ist. Für Produkte zur Blutzuckerbestimmung hat der Her-steller nach § 5 Abs. 2 der Medizinprodukte-Verordnung vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I 2001, 3854; MPV) das Verfahren der EG-Konformitätserklärung nach Anhang IV der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie oder das Verfahren der EG-Baumusterprüfung nach Anhang V dieser Richtlinie durchzuführen. Beide Ver-fahren dienen der Überprüfung, ob die für das betreffende Produkt geltenden Bestimmungen der Richtlinie und damit gemäß Art. 3 insbesondere auch die Grundlegenden Anforderungen nach Anhang I der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie eingehalten sind (vgl. Anhang IV Nr. 2 und Anhang V Nr. 1). Bei dem Verfahren nach Anhang IV der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie hat der Hersteller nach Nummer 3.1 einen Antrag auf Bewertung seines Qualitätssicherungssystems bei ei-ner Benannten Stelle einzureichen. Als EG-Baumusterprüfung wird nach An-hang V Nr. 1 der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie der Teil des Verfahrens bezeichnet, mit dem eine Benannte Stelle feststellt und bescheinigt, dass ein für die geplante Produktion repräsentatives Exemplar den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie entspricht. Eine Benannte Stelle ist nach § 3 Nr. 20 MPG eine für die Durchführung von Prüfungen und die Erteilung von Bescheinigungen im Zusammenhang mit Konformitätsbewertungsverfahren vorgesehene Stelle, die der Kommission der Europäischen Union und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum von einem Vertragsstaat benannt worden ist.
c) Das von der Beklagten parallelimportierte Produkt verfügt zwar über eine CE-Kennzeichnung. Das entsprechende Konformitätsbewertungsverfahren ist von einer Benannten Stelle in den Niederlanden durchgeführt worden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist nach dem Import nach Deutschland jedoch ein erneutes oder ergänzendes Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen, weil die Beklagte die Originalaufmachung des Produkts abändert, indem sie den Umkarton mit einem deutschsprachigen Etikett versieht und der Packung eine deutschsprachige Gebrauchsanweisung beifügt. Die Teststreifen sind zur Eigenanwendung durch die Patienten bestimmt, wie auch entsprechend den Kennzeichnungsvorschriften (vgl. Anhang I B 8.4. lit. k der In-vitro-Diagnosti-ka-Richtlinie) durch die Angabe "Zur Selbstmessung" auf den Produktverpackungen kenntlich gemacht wird (vgl. Anlagen K 2 bis 5, K 8). In-vitro-Diagnostika zur Eigenanwendung dürfen im Inland nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie eine Gebrauchsanweisung und eine Etikettierung in deutscher Sprache enthalten, die vorab in einem (erneuten oder ergänzenden) Konformitätsbewertungsverfahren überprüft worden sind. Dies ist bei dem von der Beklagten vertriebenen Produkt nicht der Fall.
aa) Das Konformitätsbewertungsverfahren hat nach § 5 Abs. 2 MPV (Art. 9 der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie) der Hersteller des In-vitro-Diagnostikums durchzuführen. Hersteller ist nach § 3 Nr. 15 Satz 1 MPG die natürliche oder juristische Person, die für die Auslegung, Herstellung, Verpackung und Kennzeichnung eines Medizinproduktes im Hinblick auf das erstmalige Inverkehrbringen im eigenen Namen verantwortlich ist, unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten von dieser Person oder stellvertretend für diese von einer dritten Person ausgeführt werden (vgl. auch Art. 1 Abs. 2 lit. f und i der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie). Der Hersteller oder sein Bevollmächtigter ist nach § 5 Satz 1 MPG für das erstmalige Inverkehrbringen von Medizinprodukten verantwortlich. Danach ist ein Unternehmen, das ein vom Hersteller in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums in Verkehr gebrachtes Medizinprodukt, das nach Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist, nach Deutschland importiert, zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, für dieses Produkt ein (erneutes) Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen, wenn es das betreffende Produkt in Deutschland unverändert vertreiben will. Dies folgt auch aus dem in Art. 4 Abs. 4 der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie an die Mitgliedstaaten gerichteten Gebot, in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten zu behindern, die die CE-Kennzeichnung tragen, wenn diese einer Konformitätsbewertung unterzogen worden sind.
bb) Die Pflicht zu einer (erneuten oder ergänzenden) Konformitätsprüfung ergibt sich im Streitfall jedoch daraus, dass die Beklagte den Umkarton des Medizinprodukts für den Vertrieb in Deutschland mit einem deutschspachigen Aufkleber versehen und der Packung nach Öffnung eine deutschsprachige Gebrauchsanweisung beigefügt hat. Denn die dem Hersteller obliegenden Verpflichtungen nach § 3 Nr. 15 Satz 2 MPG gelten auch für Personen, die ein oder mehrere vorgefertigte Medizinprodukte montieren, abpacken, behandeln, aufbereiten, kennzeichnen oder für die Festlegung der Zweckbestimmung als Medizinprodukt im Hinblick auf das erstmalige Inverkehrbringen im eigenen Namen verantwortlich sind (vgl. auch Art. 1 Abs. 2 lit. f Unterabsatz 2 der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts entspricht das Umpacken eines bereits in einem Mitgliedstaat in Verkehr gebrachten Medizinprodukts in der hier zur Beurteilung stehenden Art und Weise jedenfalls dann, wenn es sich wie hier um ein In-vitro-Diagnostikum handelt, das zur Eigenanwendung bestimmt ist, dem Herrichten eines vorgefertigten Medizinpro-duktes zum Zwecke des erstmaligen Inverkehrbringens i.S. von § 3 Nr. 15 Satz 2 MPG. Es werden zwar lediglich solche Veränderungen an der Verpackung des bereits als fertiges In-vitro-Diagnostikum im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebrachten Produkts vorgenommen, die erforderlich sind, um das Produkt in Deutschland verkehrsfähig zu machen. Denn nach § 11 Abs. 2 Satz 1 MPG dürfen Medizinprodukte nur an den Anwender abgegeben werden, wenn die für ihn bestimmten Informationen in deutscher Sprache abgefasst sind. Durch das Umpacken wird aber ein neues Medizinprodukt i.S. von § 3 Nr. 1 und 4 MPG hergestellt. Der Vertrieb des umgepackten parallelimportierten Produkts stellt ein erstmaliges Inverkehrbringen eines (sich von dem ursprünglich im Ausland in Verkehr gebrachten unterscheidenden) In-vitro-Diagnostikums zur Eigenanwendung dar (für Medizinprodukte allgemein ebenso wohl Hill/Schmidt, WiKO Medizinprodukterecht, Lfg. Juli 2003, § 3 MPG Rdn. 75 f.; a.A. Rehmann in Rehmann/Wagner, Medizinproduktegesetz, Einf. Rdn. 57 sowie § 5 Rdn. 23).
cc) Dieses Ergebnis folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung der Regelungen des Medizinproduktegesetzes über die Pflicht des Herstellers zur Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens, soweit sie die entsprechenden Bestimmungen der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie umsetzen.
(1) Der von der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie erfasste Herstellungsvorgang erfasst nach ihrem Erwägungsgrund 19 auch die Verpackung der Medizinprodukte, sofern die Verpackung im Zusammenhang mit den Sicherheits- und Leistungsaspekten des Produkts steht. Dazu gehören insbesondere auf der Verpackung angebrachte oder dieser beigefügte Informationen, mit denen der Hersteller sein Produkt zur Erfüllung seiner Informationspflicht nach Anhang I B Nr. 8 der Grundlegenden Anforderungen der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie versieht. Nach Anhang I B Nr. 8.1 der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie sind jedem Produkt Informationen beizugeben, die unter Berücksichtigung des Ausbildungs- und Kenntnisstands des vorgesehenen Anwenderkreises die ordnungsgemäße und sichere Anwendung des Produkts und die Ermittlung des Herstellers ermöglichen. Diese Informationen umfassen die Angaben in der Kennzeichnung und in der Gebrauchsanweisung, die jedem Produkt beigefügt oder in der Verpackung für ein oder mehrere Produkte enthalten sein muss. Bei Produkten zur Eigenan-wendung müssen die vom Hersteller beigefügten Angaben und Anweisungen für den Anwender leicht verständlich und anwendbar sein (Anhang I B Nr. 7 Satz 2). Nach Anhang I B Nr. 8.1 Unterabsatz 6 ist die Entscheidung über die Überset-zung der Gebrauchsanweisung und der Etikettierung in eine oder mehrere Sprachen der Europäischen Union zwar den Mitgliedstaaten überlassen. Dies gilt allerdings nur für solche In-vitro-Diagnostika, die nicht zur Eigenanwendung be-stimmt sind. Nur für solche Produkte überlässt es Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie der Entscheidung der Mitgliedstaaten, ob sie die Bereitstellung der Angaben gemäß Anhang I B Nr. 8 bei der Übergabe des Produkts an den Endanwender verlangen.
Für In-vitro-Diagnostika, die wie die von der Beklagten parallelimportierten Teststreifen zur Eigenanwendung bestimmt sind, enthält Anhang I B Nr. 8 Unterabsatz 6 der Richtlinie dagegen den (zwingenden) Vorbehalt, dass bei diesen Produkten die Gebrauchsanweisung und die Etikettierung eine Übersetzung in der Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem der Endverbraucher das Produkt zur Eigenanwendung erhält, enthalten müssen. Dieser Regelung ist zu entnehmen, dass bei In-vitro-Diagnostika, die zur Eigenanwendung bestimmt sind, eine Über-setzung der Gebrauchsanweisung und der Etikettierung in der Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem der Endverbraucher das Produkt zur Eigenanwendung erhält, schon zu den im Rahmen der Konformitätsbewertung zu überprüfenden Grundlegenden Anforderungen gehört. Eine solche Überprüfung setzt voraus, dass der Hersteller bei seinem Antrag auf Durchführung des Verfahrens nach Anhang IV oder V der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie, dem grundsätzlich die An-gaben beizufügen sind, die auf der Kennzeichnung und in der Gebrauchsanwei-sung des Produkts anzubringen sind (vgl. Anhang III Nr. 6.1 i.V. mit Anhang IV Nr. 3.2. Unterabsatz 2 lit. c, Anhang V Nr. 3), auch angibt, in welchen Mitgliedstaaten Endverbraucher das Produkt zur Eigenanwendung erhalten sollen. Die Konformitätserklärung und die CE-Kennzeichnung beziehen sich bei In-vitro-Diagnostika, die zur Eigenanwendung bestimmt sind, somit auch nur auf die Mitgliedstaaten, in deren Amtssprache die Gebrauchsanweisung und die Etikettierung entsprechend Anhang I B Nr. 8 Unterabsatz 6 der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie abgefasst sind. Werden Etikettierung und Gebrauchsanweisung dahingehend geändert, dass weitere Übersetzungen in einer oder mehrere andere Amtssprachen hinzugefügt werden, liegt darin eine Änderung der Zweckbestimmung, die von der Konformitätsprüfung nicht mehr gedeckt ist. Der Vertrieb eines Produkts, auf das sich die mit der CE-Kennzeichnung ausgewiesene Konformitätsbewertung nicht bezieht, verstößt gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG (vgl. auch Rehmann aaO § 3 Rdn. 11).
(2) Die Pflicht zur Vornahme einer erneuten Konformitätsprüfung, wenn das zur Eigenanwendung bestimmte Produkt in der hier in Rede stehenden Art und Weise umgepackt wird, folgt aus dem Zweck des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, wie er mit der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie verfolgt wird, und ist daher mit der Regelung der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34, 36 AEUV zu vereinbaren.
Nach den Erwägungsgründen 1 bis 3, 6 und 7 soll die Richtlinie den freien Verkehr von In-vitro-Diagnostika im Binnenmarkt unter optimalen Sicherheitsbedingungen gewährleisten, indem sie die nationalen Vorschriften betreffend die Sicherheit, den Gesundheitsschutz und die Leistungsmerkmale sowie die Zulassungsverfahren durch harmonisierte Bedingungen ersetzt. Diesem Zweck dienen die Grundlegenden Anforderungen nach Anhang I, die die in den Mitgliedstaaten hergestellten In-vitro-Diagnostika erfüllen müssen (Erwägungsgrund 6 sowie Art. 3 und Anhang I). Das Hauptziel der Richtlinie besteht folglich zwar darin, das Verfahren des Konformitätsnachweises für In-vitro-Diagnostika zu vereinfachen, um den freien Verkehr im Binnenmarkt so weit wie möglich zu gewährleisten. Es sollen aber auch Mindestanforderungen festgelegt werden, damit dies unter optimalen Sicherheitsbedingungen geschehen kann (Erwägungsgrund 3). Dem (Parallel-)Importeur dürfen demzufolge auch im Hinblick auf Art. 36 AEUV jeden-falls solche Pflichten auferlegt werden, deren Beachtung erforderlich ist, damit Produkte nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie keine Gefährdung für die Sicherheit und die Gesundheit darstellen (vgl. auch EuGH, Urt. v. 8.9.2005 – C-40/04, Slg. 2005, I-7755 = NJW 2006, 204 Tz. 45 – Syuichi Yonemoto, zu vergleichbaren Regelungen über einen Konformitätsnachweis nach der Richtlinie 98/37/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen). Die sich aus den Regelungen der Richtlinie ergebende Abwägung, dass Produkte zur Eigenanwendung in einem Mitgliedstaat auch von einem Parallelimporteur erst in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn Etikettierung und Gebrauchsanweisung nicht nur in der jeweiligen Amtssprache vorliegen, sondern auch vorab überprüft worden sind, weil dies zur Abwendung der besonderen Gefahren geboten ist, die mit der Eigenanwendung von In-vitro-Diagnostika für die Gesundheit der Endverbraucher verbunden sind, ist demnach entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit Art. 34, 36 AEUV vereinbar.
2. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist auch aus § 14 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 MarkenG begründet.
Da die Teststreifen im Europäischen Wirtschaftsraum mit Zustimmung der Markeninhaberin in Verkehr gebracht worden sind, liegen zwar die Voraussetzungen für den Eintritt der Erschöpfung der Markenrechte nach § 24 Abs. 1 MarkenG vor. Die Klägerin kann sich dem weiteren Vertrieb der umgepackten Teststreifen jedoch aus berechtigten Gründen i.S. von § 26 Abs. 2 MarkenG widersetzen. Im Umpacken liegt eine Veränderung der Ware i.S. von § 26 Abs. 2 MarkenG, da dadurch die Gefahr einer Beeinträchtigung des Originalzustands der Ware geschaffen wird (vgl. EuGH, Urt. v. 26.4.2007 – C-348/04, Slg. 2007, I-3391 = GRUR 2007, 586 Tz. 19 = WRP 2007, 627 – Boehringer Ingel-heim/Swingward II, zum Parallelimport von Arzneimitteln). Aus den oben dargelegten Gründen trägt die Geltendmachung der Markenrechte unter den hier ge-gebenen Umständen nicht zu einer künstlichen Abschottung der Märkte bei, weil die Beklagte auch nach dem Umpacken das parallelimportierte Medizinprodukt ohne (erneute oder ergänzende) Konformitätsprüfung nicht in Deutschland vertreiben darf. Dem Unterlassungsanspruch der Klägerin steht demnach die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht entgegen, nach der ein Parallelimporteur Veränderungen an der Ware vornehmen darf, wenn diese notwendig sind, um das betreffende Produkt im Einfuhrland verkehrsfähig zu machen, der Originalzustand der Ware nicht berührt wird, der Ruf der Marke oder ihres Inhabers dadurch nicht beeinträchtigt wird und er den Markeninhaber vorab von dem Vertrieb der so veränderten Ware unterrichtet (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.1997 – C-349/95, Slg. 1997, I-6227 = GRUR Int. 1998, 145 Tz. 27, 29 = WRP 1998, 156 – Loendersloot/Ballantine; zum Vertrieb von Whisky; EuGH GRUR 2007, 586 Tz. 21 – Boehringer Ingelheim/Swingward II, m.w.N. zum Parallelimport von Arzneimitteln).
III. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil daher aufzuheben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, ist der Klage auf die Berufung der Klägerin mit dem noch anhängigen Unterlassungsantrag stattzugeben. Der Unterlassungsantrag der Klägerin ist unter Berücksichtigung der Antragsbegründung ohne weiteres dahin auszulegen, dass der Beklagten das Inverkehrbringen des umverpackten Produkts im Inland untersagt werden soll, wenn kein Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist, das sich auf die Änderungen erstreckt, die infolge des Umpackvorgangs vorgenommen worden sind. Mit der Formulierung im Unterlassungsantrag, dass eine "ergänzende" Konformitätsbewertung durchzuführen ist, soll ersichtlich nur zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die Konformitätsbewertung zumindest auch auf den Umpackvorgang beziehen muss. Dieser Antrag ist begründet, da der Vertrieb eines in der beanstandeten Weise umgepackten und hinsichtlich der beim Umpacken beigefügten Gebrauchsanweisung und Etikettierung nicht in einem Konformitätsverfahren überprüften Produkts, wie dargelegt, gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG verstößt. Der Vertrieb des umgepackten und nicht geprüften Produkts ist der Beklagten daher zu untersagen. Nach allgemeinen Grundsätzen ist es Sache der Beklagten, die Voraussetzungen für einen zulässigen Vertrieb zu schaffen, wenn sie die Teststreifen weiter parallelimportieren und in Deutschland vertreiben will. Dem Unterlassungsantrag ist demnach in der beantragten Fassung unabhängig davon stattzugeben, ob eine "ergänzende", auf den Umpackvorgang beschränkte Konformitätsbewertung nach § 6 Abs. 2 MPG möglich ist oder ob die Beklagte für das umgepackte Produkt gegebenenfalls ein erneutes vollständiges Konformitätsbewertungsverfahren durchführen lassen muss.
Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV ist nicht geboten, weil die Fragen zur Auslegung der in Rede stehenden Bestimmungen der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zweifelsfrei zu beantworten sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 30.11.2006, Az.: 327 O 418/06
OLG Hamburg, Entscheidung vom 11.10.2007, Az.: 3 U 5/07
Mackowiak, 21. Januar 2011
Ein klares Fehlurteil. Der erkennende Senat hätte in erster Linie untersuchen müssen, ob es sich bei der Gebrauchsanleitung um eine als „Übersetzung der Origingalgebrauchsanleitung“ gekennzeichnete Anleitung handelt oder um eine eigenständige neue. Im ersten Fall bliebe das Produkt auch nach dem Umverpacken CE-konform, im zweiten Fall hätte die Konformität tatsächlich neu nachgewiesen werden müssen, da das Produkt teilweise neu geschaffen wurde (Anleitung ist Teil des Produkts!). Der Gerichtshof baut hier ein nicht zu rechtfertigendes Handelshemmnis auf, das – wenn der betroffene Lieferant dagegen vorgeht – mit Sicherheit von eine Europäischen Gericht wieder eingerissen werden wird.
Schade. Eigentlich fand ich die BGH-Urteile bisher ganz ordentlich. Aber die Zeiten ändern sich.
May, 4. Januar 2011
Dieses Urteil ist falsch und überflüssig. Es ist alles gesetzlich im EU-Beschluss 768/2008/EG geregelt. Die hohen Richter beim BGH haben ein Eigentor geschossen.
May, 18. November 2010
Nachdem mir dieses Urteil keine Ruhe gelassen hat, habe ich mal Anfragen bei Benannten Stellen gemacht. Das Ergebnis ist: eine ergänzende Konformitätsbewertung gibt es nicht. Man könnte nur den normalen Gang gehen, das heißt, der Importeur müßte unter Vorlage der Originalunterlagen des Originalherstellers (die wird er wohl auch bekommen LACH) und anhand seiner Verfahrensbeschreibung (also der Importeur hat höhere Schranken als der Originalhersteller)diesen Prozess beenden. Ein Urteil, welches absolute Handelsbeschränkungen in der EU vorsieht, bzw. aus absoluter Unkenntnis des Sachverhaltes durch richter des BGH entschieden wurde. Denn der Importeur schreibt in seinem deutschen Etikett und seiner deutschen Gebrauchsanweisung doch nur vom deutschen Orignalpräparat ab, und dies ist doch bereits durch das CE-Kennzeichen bewertet worden. Was soll der Blödsinn. Oder sind Abschottungsmethoden deutscher Gerichte wieder der Normalfall?
May, 28. Oktober 2010
Dieses Urteil beruht auf die wörtliche Auslegung des MPV, geht aber an der Auslegung nach Sinn und Zweck völlig daneben. Hier handelt es sich um verkehrsfähige Mediziprodukte mit gültigen CE Kennzeichen und bereits durchgeführter Konformationsbewertung. Soll jetzt noch ein zweites CE Zeichen angebracht werden. Sinn des MPV war es, alle Medizinprodukte ohne CE Kennzeichen aus dem Verkehr zu ziehen, nicht aber bereits mit CE-Kennzeichen versehene Medizinprodukte nochmals zu bewerten.