Auslegung einer Widerrufserklärung

17. September 2008
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Amtlicher Leitsatz:

1. Maßgeblich für eine Widerrufserklärung ist, ob sie den Empfängern vermittelt, dass an der Ausgangsmitteilung nicht festgehalten, sondern nunmehr das Gegenteil bekundet wird.

2. Auch eine ungeschickt formulierte, möglicherweise missverständliche Widerrufserklärung kann als Widerruf ausreichen, wenn der Inhalt aus weiteren Umständen für den Empfänger deutlich wird.

3. Die Widerrufende darf in der Widerrufserklärung zum Ausdruck bringen, dass der Widerruf nicht ihrem freien Willen entspreche, sondern aus Zwang geschehe.

Landgericht Stuttgart

Urteil vom 25.03.2008

Az.: 17 O 649/05

Tenor:

1. Der Zwangsmittelantrag vom 14./16.11.2007 wird zurückgewiesen.

2. Der Gläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.

Entscheidungsgründe:

I.
Durch rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 20.02.2007 wurde die Schuldnerin wie folgt verurteilt (Ziff. 2 des Tenors):

Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber dem Kläger zum Zwecke der Weitergabe an die Adressdaten ihrer „eidesstattlichen Versicherung“ vom 27.07.2005 zu erklären, dass sie die folgenden Bekundungen als unwahr widerruft:

„In der gesamten Zeit hat der Geschäftsführende Vorstand des Verbandes, R., nie ohne Auftrag und Zustimmung Briefe mit Unterschriften des damaligen Vorsitzenden G. verfasst, benutzt oder gefälscht.“

Nachdem die Schuldnerin zunächst eine in mehrerer Hinsicht unzureichende Erklärung (Bl. 271 d.A.) vorgelegt hatte, gab sie unter dem Datum vom 19.02.2008 folgende Erklärung (Bl. 279 d.A.) ab, die dem Gläubiger über das Gericht im Original übermittelt wurde:

S

Gemäß dem Urteil des Landgerichts Stuttgart 17 O 649/05 muss ich meine Bekundung als unwahr widerrufen. Dies entspricht nicht meiner Überzeugung sondern erfolgt ausschließlich auf Grund des Urteils: „In der gesamten Zeit hat der Geschäftsführende Vorstand des Verbandes, R., nie ohne Auftrag und Zustimmung Briefe mit Unterschriften des damaligen Vorsitzenden G verfasst, benutzt oder gefälscht.“

Der Erledigungserklärung der Schuldnerin vom 07.03.2008 (Bl. 282 d.A.) hat sich der Gläubiger nicht angeschlossen, sondern mit Schriftsatz vom 18.03.2008 weiterhin verlangt, die Schuldnerin zu sanktionieren (Bl. 287/288). Seiner Auffassung nach stellt die Erklärung vom 19.02.2008 keinen Widerruf der inkriminierten Äußerung dar, sondern eine Wiederholung. Unbeteiligte Dritte verstünden die Erklärung dahin, dass sowohl das landgerichtliche Urteil als auch die Abgabe der Widerrufserklärung nicht der Überzeugung der Schuldnerin entsprächen. Die zusammenhanglose Wiedergabe der Äußerung werde dabei als bloße Mitteilung des Urteilstextes aufgefasst.

II.
Der Antrag gem. § 888 ZPO ist zulässig, aber nicht (mehr) begründet, weil die Schuldnerin durch die Erklärung vom 19.02.2008 ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, eine zur Weitergabe an die Empfänger der Ausgangsmitteilung bestimmte Widerrufserklärung abzugeben. Nachdem Klagantrag und Verurteilung nicht auf einen bestimmten, strikt festgelegten Wortlaut der Widerrufserklärung gerichtet waren, was möglich, aber nicht erforderlich ist (vgl. Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl., Rz. 911), konnte die Beklagte dem gerichtlichen Gebot mit einer selbst formulierten Erklärung nachkommen. Die Verhängung eines Zwangsgeldes kommt daher nicht schon allein deswegen in Betracht, weil sich die Schuldnerin in ihrer Erklärung vom 19.02.2008 nicht so eng wie möglich an den Wortlaut des Urteilstenors gehalten und daher etwa formuliert  hat: „Ich erkläre, dass ich die folgenden Bekundungen als unwahr widerrufe …“. In aller Regel gibt es mehrere Möglichkeiten, eine solche Gegenerklärung zu formulieren, gleich ob die Ausgangsmitteilung widerrufen, zurückgenommen oder für unwahr erklärt wird (vgl. Löffler/Steffen, Presserecht, 5. Aufl., § 6 LPG Rn. 291). Entscheidend ist, dass der Widerruf – als Unterfall des Berichtigungsanspruchs – geeignet sein muss, einen fortdauernden Störungszustand zu beseitigen (BGH AfP 1984, 33, 34 – Kleiner Kreis; Gamer in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 13 Rz. 33; Löffler/Steffen, aaO. Rn. 289; Soehring, Presserecht, 3. Aufl. Rz. 31.25). Maßgeblich für die vorliegende Vollstreckungsentscheidung ist somit, ob die Widerrufserklärung den Empfängern vermittelt, dass die Schuldnerin an ihrer Ausgangsmitteilung nicht festhalte, sondern nunmehr das Gegenteil bekunde. Das ist nach Auffassung der Kammer der Fall.

Die Tatsache, dass die Schuldnerin zum Ausdruck bringt, dass die Abgabe der Gegenerklärung nicht ihrem freien Willen entspreche, sondern aus Zwang geschieht, ist mit Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht der Schuldnerin ohne weiteres zulässig und in der Rechtsprechung und Literatur durchgehend anerkannt (BVerfGE 28, 1, 9 – Korruptionsvorwurf; statt vieler Löffler/Steffen aaO. Rn. 291, mit gewissen Bedenken Gamer in Wenzel, aaO. Rz. 95). Soweit der Gläubiger die Ernsthaftigkeit der Erklärung durch den Verweis auf die erfolgte Verurteilung beeinträchtigt sieht, was aus seinem Vorbringen nicht vollständig deutlich wird, kann er damit keinen Erfolg haben.

Freilich ist die Erklärung ungeschickt formuliert. Im strengen Wortsinn genommen lässt sich bei zergliedernder Betrachtungsweise die Erklärung in der Tat in einen ersten Teil (Sätze 1 und 2) zerlegen, in dem die Schuldnerin mitteilt, dass sie entgegen ihrer Überzeugung zum Widerruf verurteilt worden sei, und einen zweiten Teil, in dem die Ausgangsmitteilung wiedergegeben wird. Einem solchen Verständnis steht aber zum Einen entgegen, dass der zweite Teil in Anführungszeichen gesetzt ist, was verdeutlicht, dass nicht der Inhalt des Zitierten erneut behauptet werden soll, sondern nur Bezug genommen werden soll auf das damals Gesagte. Zum Anderen wird diese sezierende Betrachtung dem Gesamteindruck der Erklärung nicht gerecht, die besagt, man äußere sich im Sinne eines Widerrufs noch einmal – wenn auch gezwungenermaßen – zu einem bestimmten Thema aus der Vergangenheit. Hinzu kommt, dass es völlig fernliegend erscheint anzunehmen, die Schuldnerin wolle sich darauf beschränken mitzuteilen, dass sie von Rechts wegen eine Widerrufserklärung abzugeben habe, dies aber weder wolle noch tue. Der Anlass der Gegenerklärung ist im ersten Satz mitgeteilt und bestimmt den Inhalt der nachfolgenden Äußerung, so dass hinreichend deutlich ist, dass eben diese Erklärung als Widerruf gemeint ist und nicht etwa zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt eine weitere Erklärung der Schuldnerin folgen wird. Dass jemand zu der Meinung gelangen könnte, die Schuldnerin wolle mit der Erklärung gerade ihren Widerstand kundgeben und gewissermaßen aus Trotz die Ausgangsmitteilung wiederholen, hält die Kammer sogar für komplett ausgeschlossen. Schließlich kann bei der Auslegung des Inhalts der Erklärung der Kontext ihrer Kenntnisnahme nicht außer Betracht bleiben, sondern sie erfolgt unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs . Der Gläubiger hat die Schuldnerin verurteilen lassen, die Erklärung zu seinen Händen abzugeben, um diese den Empfängern der Ausgangsmitteilung zur Verfügung zu stellen. Bei dieser Form der Übermittlung und im entsprechenden Kontext, in dem der fragliche Personenkreis vom Betroffenen selbst die Gegenerklärung übermittelt bekommt, kann es nach Überzeugung der Kammer zu keinem vernünftigen Zweifel daran kommen, wie die Erklärung der Schuldnerin gemeint ist, nämlich so, dass der Gläubiger nunmehr rehabilitiert ist.

Nachdem der Gläubiger seinen ursprünglich begründeten Antrag trotz Hinweises der Kammer nicht für erledigt erklärt, sondern auch nach Abgabe der Erklärung vom 19.02.2008 weiterhin zur Entscheidung gestellt hat, war er damit zurückzuweisen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 891, 91 ZPO. Sie richtet sich nach dem formalen Ausgang des Verfahrens und kann – anders als bei einer Entscheidung nach § 91a ZPO – inhaltliche Gesichtspunkte wie etwa die Erfolgsaussicht des Antrags ohne das erledigende Ereignis nicht berücksichtigen.

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