Deutsche arzneimittelrechtliche Preisbindung nicht mit Unionsrecht vereinbar
Europäischer Gerichtshof
Urteil vom 19.10.2016
Az.: C-148/15
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 24. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 30. März 2015, in dem Verfahren
Deutsche Parkinson Vereinigung e. V.
gegen
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan (Berichterstatter), A. Arabadjiev, C. G. Fernlund und S. Rodin,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– des Deutsche Parkinson Vereinigung e. V., vertreten durch Rechtsanwalt T. Diekmann, K. Nordlander, advokat, M. Meulenbelt, advocaat, und D. Costesec, Solicitor,
– des Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V., vertreten durch Rechtsanwalt C. Dechamps und J. Schwarze,
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Lippstreu als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und M. de Ree als Bevollmächtigte,
– der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, U. Persson, N. Otte Widgren, E. Karlsson und L. Swedenborg als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Manhaeve, J. Herkommer und A. Sipos als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juni 2016
folgendes
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 34 und 36 AEUV.
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Deutsche Parkinson Vereinigung e. V. (im Folgenden: DPV) und dem Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. (im Folgenden: ZBUW) wegen der Festsetzung einheitlicher Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel im deutschen Recht.
Deutscher Rechtsrahmen
Arzneimittelgesetz
§ 78 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) bestimmt:
„Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, …
1. Preisspannen für Arzneimittel, die im Großhandel, in Apotheken oder von Tierärzten im Wiederverkauf abgegeben werden,
…
festzusetzen. …“
Mit Gesetz vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2192) wurde folgender Satz in § 78 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes eingefügt:
„Die Arzneimittelpreisverordnung, die auf Grund von Satz 1 erlassen worden ist, gilt auch für Arzneimittel, die gemäß § 73 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden.“
Der von § 78 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes in Bezug genommene § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a dieses Gesetzes betrifft Arzneimittel, die im Wege des Versandhandels von einer Apotheke mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union an Endverbraucher in Deutschland abgegeben werden. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes entschied mit Beschluss vom 22. August 2012, dass wie die geänderte Fassung auch die frühere Fassung des Arzneimittelgesetzes dahin auszulegen sei, dass die Arzneimittelpreisverordnung auch für einen solchen Versandhandel gelte.
§ 78 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes sieht vor:
„Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, der Tierärzte, der Apotheken und des Großhandels Rechnung tragen. Ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, ist zu gewährleisten. …“
Arzneimittelpreisverordnung
§ 1 der Arzneimittelpreisverordnung bestimmt, dass der Hersteller für sein Arzneimittel einen Preis festsetzt, auf den dann nach § 2 ein Großhandelszuschlag und nach § 3 ein Apothekenzuschlag aufgeschlagen werden. Für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt diese Verordnung nicht.
Heilmittelwerbegesetz
Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass § 7 Abs. 1 Nr. 2 des Heilmittelwerbegesetzes Zuwendungen in Geldbeträgen wie Preisnachlässe und Boni sowie Werbegaben für verschreibungspflichtige Arzneimittel verbietet.
Sachverhalt und Vorlagefragen
Der DPV ist eine Selbsthilfeorganisation, deren Ziel es ist, die Lebensumstände von Parkinson-Patienten und deren Familien zu verbessern. Mit einem Schreiben, das eine Kooperation zwischen dem DPV und der niederländischen Versandapotheke DocMorris bewirbt, stellte der DPV im Juli 2009 seinen Mitgliedern ein Bonussystem vor, das verschiedene Boni für verschreibungspflichtige, nur über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente bei deren Bezug durch die Mitglieder des DPV von DocMorris vorsieht (im Folgenden: Bonussystem).
Nach Ansicht des ZBUW verstößt das Bonussystem gegen die deutsche Regelung, die vorsieht, dass ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel festgesetzt wird.
Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass das Landgericht Düsseldorf der Unterlassungsklage des ZBUW stattgegeben und dem DPV untersagt hat, das Bonussystem zu empfehlen, wenn dies wie mit dem im Juli 2009 versandten Anschreiben geschieht. Der DPV legte beim vorlegenden Gericht Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf ein.
Das vorlegende Gericht führt aus, das Bonussystem verstoße nicht nur dann gegen die anwendbaren nationalen Bestimmungen, wenn ein Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis abgebe, sondern auch dann, wenn dem Kunden gekoppelt mit dem Erwerb des preisgebundenen Arzneimittels Vorteile gewährt würden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen ließen.
Es stelle sich die Frage, ob § 78 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes in einer Situation wie der vorliegenden sowohl in der ursprünglichen als auch in der geänderten Fassung eine nach Art. 34 AEUV verbotene Beschränkung darstelle.
Sollten die Voraussetzungen von Art. 34 AEUV bejaht werden, sei zu klären, ob die Preisbindung nach Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sei. Bei der Prüfung des Vorliegens einer Rechtfertigung stelle sich insbesondere die Frage, ob die in der neueren Zeit aufgekommene Möglichkeit auch der ländlichen Bevölkerung, Arzneimittel im Wege des Versandhandels beziehen zu können, die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs, die sich insbesondere zuletzt aus dem Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll‑Seebacher (C‑367/12, EU:C:2014:68), ergebe, zumindest relativieren könnte.
Es werde für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits aller Wahrscheinlichkeit nach erheblich sein, ob nur die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine gleichmäßige und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sichere. Bislang lägen hierzu weder konkreter Vortrag des ZBUW noch solchen Vortrag untermauernde Unterlagen vor. Auch die Gesetzesbegründung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung begnüge sich mit dem bloßen Hinweis auf die Gefahren, denen mit der Preisbindung begegnet werden solle.
Hinzu komme auch insoweit die Frage, ob etwaige Gefahren für traditionelle Apotheken, insbesondere im ländlichen Raum, im Hinblick auf die Möglichkeit einer Versandlieferung möglicherweise hinzunehmen seien.
Soweit in der Gesetzesbegründung für das Gesetz vom 19. Oktober 2012 weitere Gründe angeführt seien, hält das vorlegende Gericht diese von vornherein für keine hinreichende Rechtfertigung für eine Beschränkung des freien Warenverkehrs.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 34 AEUV dahin gehend auszulegen, dass eine durch nationales Recht angeordnete Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV darstellt?
2. Sollte der Gerichtshof die Frage zu Nr. 1 bejahen: Ist die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß Art. 36 AEUV zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt, wenn nur durch sie eine gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in ganz Deutschland, insbesondere in den ländlichen Gebieten, gewährleistet wird?
3. Sollte der Gerichtshof auch die Frage zu Nr. 2 bejahen: Welche Anforderungen sind an die gerichtliche Feststellung zu treffen, dass der in Ziff. 2 zweiter Halbsatz genannte Umstand tatsächlich zutrifft?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 34 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass einheitliche Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel festgesetzt werden, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne dieses Artikels darstellt.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der freie Warenverkehr ein elementarer Grundsatz des AEU-Vertrags ist, der in dem Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung in Art. 34 AEUV seinen Ausdruck findet (Urteil vom 5. Juni 2007, Rosengren u. a., C‑170/04, EU:C:2007:313, Rn. 31).
Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass die Preisbindungsregelung sowohl für Apotheken mit Sitz in Deutschland als auch für Apotheken mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten gilt. Es ist daher zu prüfen, ob diese Regelung als „Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung“ im Sinne von Art. 34 AEUV anzusehen ist.
Es ist insoweit auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, nach der das in Art. 34 AEUV aufgestellte Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen jede Maßnahme der Mitgliedstaaten erfasst, die geeignet ist, die Einfuhren zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (vgl. Urteil vom 9. September 2008, Kommission/Deutschland, C‑141/07, EU:C:2008:492, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat zum deutschen Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln, deren Abgabe ausschließlich Apotheken im Inland vorbehalten ist, entschieden, dass ein solches Verbot außerhalb Deutschlands ansässige Apotheken stärker als Apotheken in Deutschland beeinträchtigt. Auch wenn das Verbot den inländischen Apotheken unstreitig ein zusätzliches oder alternatives Mittel des Zugangs zum deutschen Markt der Endverbraucher von Arzneimitteln nimmt, bleibt ihnen doch die Möglichkeit, Arzneimittel in ihren Apotheken zu verkaufen. Dagegen könnte für Apotheken, die nicht im deutschen Hoheitsgebiet ansässig sind, im Internet ein Mittel liegen, das für den unmittelbaren Zugang zu diesem Markt eher geeignet ist. Ein Verbot, das sich auf außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets ansässige Apotheken stärker auswirkt, könnte jedoch geeignet sein, den Marktzugang für Waren aus anderen Mitgliedstaaten stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse und stellt daher eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2003, Deutscher Apothekerverband, C‑322/01, EU:C:2003:664, Rn. 74 bis 76).
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass traditionelle Apotheken, wie der ZBUW sowie die deutsche und die schwedische Regierung ausgeführt haben, grundsätzlich besser als Versandapotheken in der Lage sind, Patienten durch ihr Personal vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Da Versandapotheken mit ihrem eingeschränkten Leistungsangebot eine solche Versorgung nicht angemessen ersetzen können, ist davon auszugehen, dass der Preiswettbewerb für sie ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor sein kann als für traditionelle Apotheken, weil es von ihm abhängt, ob sie einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt finden und auf diesem konkurrenzfähig bleiben.
Aus diesem Grund und da der Versandhandel für einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken ein wichtigeres Mittel als für in Deutschland ansässige Apotheken bzw. – wegen der Besonderheiten des deutschen Marktes, wie sie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergeben – sogar das einzige Mittel ist, berührt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung die Abgabe nationaler Arzneimittel und die Abgabe von Arzneimitteln aus anderen Mitgliedstaaten nicht in gleicher Weise.
Nach alledem ist festzustellen, dass sich die Festlegung einheitlicher Abgabepreise, wie sie in der deutschen Regelung vorgesehen ist, auf in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässige Apotheken stärker auswirkt als auf im deutschen Hoheitsgebiet ansässige Apotheken. Dadurch könnte der Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden als für inländische Erzeugnisse.
Demnach ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 34 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne dieses Artikels darstellt, da sie sich auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker auswirkt als auf die Abgabe solcher Arzneimittel durch im Inland ansässige Apotheken.
Zur zweiten und zur dritten Frage
Mit der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 36 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen im Sinne dieses Artikels gerechtfertigt werden kann.
Zunächst ist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, nach der Art. 36 AEUV als Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Union eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Januar 1985, Association des Centres distributeurs Leclerc und Thouars Distribution, 229/83, EU:C:1985:1, Rn. 30, vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland, C‑141/07, EU:C:2008:492, Rn. 50, und vom 9. Dezember 2010, Humanplasma, C‑421/09, EU:C:2010:760, Rn. 38).
Zu nationalen Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit hat der Gerichtshof mehrfach entschieden, dass unter den vom Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang einnehmen und dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Da sich dieses Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum zuzuerkennen (vgl. Urteil vom 12. November 2015, Visnapuu, C‑198/14, EU:C:2015:751, Rn. 118 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insbesondere kann das Erfordernis, die regelmäßige Versorgung des Landes für wichtige medizinische Zwecke sicherzustellen, eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs im Rahmen von Art. 36 AEUV rechtfertigen, da dieses Ziel unter den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen fällt (vgl. Urteil vom 28. März 1995, Evans Medical und Macfarlan Smith, C‑324/93, EU:C:1995:84, Rn. 37).
Im Ausgangsverfahren ist zwar unstreitig, dass der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland nicht mehr verboten ist. Der ZBUW sowie die deutsche und die schwedische Regierung machen jedoch geltend, dass das Preisbindungssystem, das für die Abgabe solcher Arzneimittel gilt, zur Gewährleistung einer sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der deutschen Bevölkerung gerechtfertigt sei.
Insbesondere soll dieses System nach dem Vortrag der deutschen Regierung sicherstellen, dass sich die Versandapotheken keinen ruinösen Preiswettbewerb liefern, der zu einem Verschwinden der traditionellen Apotheken insbesondere in ländlichen oder dünn besiedelten Gebieten führe, bei denen es sich um die für sie weniger attraktiven Standorte handele. Nur traditionelle Apotheken könnten eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung insbesondere in Notfällen, eine individuelle Beratung und eine wirksame Kontrolle der abgegebenen Arzneimittel gewährleisten.
Zwar fällt das Ziel der Gewährleistung einer flächendeckenden sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung grundsätzlich unter Art. 36 AEUV, doch lässt sich eine Regelung, die eine durch den Vertrag gewährleistete Grundfreiheit wie den freien Warenverkehr beschränken kann, nur dann mit Erfolg rechtfertigen, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Dezember, 2010, Humanplasma, C‑421/09, EU:C:2010:760, Rn. 34, und vom 23. Dezember 2015, Scotch Whisky Association u. a., C‑333/14, EU:C:2015:845, Rn. 33).
Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, obliegt es den nationalen Behörden, die dafür erforderlichen Beweise in jedem Einzelfall beizubringen. Die Rechtfertigungsgründe, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, müssen daher von einer Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Dezember 2015, The Scotch Whisky Association u. a., C‑333/14, EU:C:2015:845, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ein nationales Gericht muss somit, wenn es eine nationale Regelung darauf prüft, ob sie zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt ist, mit Hilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel objektiv prüfen, ob die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Dezember 2015, The Scotch Whisky Association u. a., C‑333/14, EU:C:2015:845, Rn. 59).
Hinsichtlich der Geeignetheit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung zur Erreichung der angeführten Ziele ist festzustellen, dass das auf die Notwendigkeit der Gewährleistung einer flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in ganz Deutschland gestützte Argument nicht in einer Weise untermauert worden ist, die den in Rn. 35 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen genügt. Insbesondere wird, wie der Generalanwalt in Nr. 51 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, mit den in der vorliegenden Rechtssache vorgebrachten allgemeinen Aussagen zu dieser Frage nicht dargetan, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden kann.
Ganz im Gegenteil legen einige Unterlagen, auf die sich die Kommission stützt, nahe, dass mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln dadurch fördern würde, dass Anreize zur Niederlassung in Gegenden gesetzt würden, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.
Zu dem auf eine qualitativ hochwertige Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gestützten Argument ist festzustellen, dass dem Gerichtshof entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung keine Belege dafür vorgelegt wurden, dass sich die Versandapotheken ohne eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen Preiswettbewerb liefern könnten, so dass wichtige Leistungen wie die Notfallversorgung in Deutschland nicht mehr zu gewährleisten wären, weil sich die Zahl der Präsenzapotheken in der Folge verringern würde. Insoweit ist auf die in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten anderen Wettbewerbsfaktoren als den Preis hinzuweisen, die den traditionellen Apotheken eventuell ermöglichen könnten, im Wettbewerb mit dem Versandhandel auf dem deutschen Markt konkurrenzfähig zu bleiben.
Ferner liegen dem Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache keine hinreichenden Nachweise dafür vor, dass sich ein Preiswettbewerb bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nachteilig auf die Wahrnehmung bestimmter Gemeinwohlverpflichtungen wie die Herstellung von Rezepturarzneimitteln und die Bereitstellung eines gewissen Vorrats und Sortiments an Arzneimitteln durch die traditionellen Apotheken auswirken würde. Wie der Generalanwalt in Nr. 47 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, könnte sich im Gegenteil herausstellen, dass für die traditionellen Apotheken, wenn sie sich einem Preiswettbewerb der Versandapotheken gegenübersehen, ein Anreiz bestünde, solche Aktivitäten zu entfalten.
Auch der geltend gemachte Zusammenhang zwischen den im Ausgangsverfahren festgelegten Abgabepreisen und einer daraus resultierenden Verringerung der Gefahr, dass Patienten versuchen, Druck auf Ärzte auszuüben, um Wunschverschreibungen zu erhalten, erweist sich nicht als ein den in Rn. 35 des vorliegenden Urteils angeführten Voraussetzungen genügender Beleg.
Zum Vorbringen des ZBUW und der deutschen Regierung, dass sich der Patient, der sich in einem gesundheitlich geschwächten Zustand befinde, nicht veranlasst sehen dürfe, erst eine Marktanalyse durchzuführen, um die Apotheke zu ermitteln, die das gesuchte Arzneimittel zum günstigsten Preis anbiete, ist darauf hinzuweisen, dass das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr für die menschliche Gesundheit nicht anhand allgemeiner Überlegungen, sondern auf der Grundlage von relevanten wissenschaftlichen Untersuchungen zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1994, van der Veldt, C‑17/93, EU:C:1994:299, Rn. 17). Die insoweit vorgetragenen sehr allgemeinen Überlegungen reichen zum Nachweis der tatsächlichen Gefahr für die menschliche Gesundheit, die sich daraus ergeben soll, dass der Verbraucher versuchen kann, sich zu einem geringeren Preis mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu versorgen, in keiner Weise aus.
Im Übrigen ist in Übereinstimmung mit dem DPV und der niederländischen Regierung festzustellen, dass im vorliegenden Fall ein Preiswettbewerb den Patienten Vorteile bringen könnte, da er es gegebenenfalls ermöglichen würde, verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland zu günstigeren Preisen anzubieten, als sie derzeit von diesem Mitgliedstaat festgelegt werden. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, verlangt nämlich ein wirksamer Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen u. a., dass Arzneimittel zu angemessenen Preisen verkauft werden (vgl. Urteil vom 20. Mai 1976, de Peijper, 104/75, EU:C:1976:67, Rn. 25).
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich auf die Beurteilung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Preisbindungsregelung durch den Gerichtshof nicht auswirkt, dass es weitere nationale Maßnahmen wie das Verbot für Nichtapotheker, Eigentümer oder Betreiber von Apotheken zu sein, gibt, die ausweislich der dem Gerichtshof vorliegenden Akten dem Ziel dienen, in Deutschland eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sicherzustellen.
Nach alledem erweist sich eine Beschränkung wie die sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung ergebende als nicht geeignet, die angeführten Ziele zu erreichen, und kann daher nicht als durch die Verwirklichung dieser Ziele gerechtfertigt angesehen werden.
Daher ist auf die zweite und die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 36 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, nicht mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen im Sinne dieses Artikels gerechtfertigt werden kann, da sie nicht geeignet ist, die angestrebten Ziele zu erreichen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 34 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne dieses Artikels darstellt, da sie sich auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker auswirkt als auf die Abgabe solcher Arzneimittel durch im Inland ansässige Apotheken.
2. Art. 36 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, nicht mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen im Sinne dieses Artikels gerechtfertigt werden kann, da sie nicht geeignet ist, die angestrebten Ziele zu erreichen.
* Verfahrenssprache: Deutsch.