Fernliegende Deutungsmöglichkeit begründet keinen Gegendarstellungsanspruch

27. Februar 2008
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Eigener Leitsatz:

Aus einer Äußerung in einer Ärztezeitschrift, in der von einer „familiären Verquickung“ im Zusammenhang mit dem Werdegang einer Professorin und im letzten Teil über die Vergabe von Forschungsmitteln durch den Ehemann der Professorin die Rede ist, kann nicht geschlossen werden, dass letzterer auf die Auswahlentscheidung zu Gunsten der Professorin entschieden hat. Bei mehrdeutigen Äußerungen dürfen selbst die nicht fernliegenden Deutungen keinen Gegendarstellungsanspruch begründen, weil sonst Einschüchterungseffekte für die Pressefreiheit und eine Lahmlegung der Pressetätigkeit durch eine Flut von Gegendarstellungsverlangen drohen würde.

Landgericht Köln

Urteil vom 27.02.2008

Az.: 28 O 712/07

Tenor

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 28.12.2007 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsklägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin darf die Vollstreckung der Verfügungsbeklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Verfügungsbeklagten zum Abdruck einer Gegendarstellung.
 
Die Verfügungsklägerin, ein Krankenhaus in öffentlicher Hand, kooperierte mit dem privaten Klinikbetreiber Helios auf dem Gebiet der medizinischen Forschung. Dazu wurden bei der Verfügungsklägerin angestellte Ärzte unter anderem im Helios-Klinikum Berlin-Buch tätig. Über bei dieser Kooperation vorgekommene Unklarheiten und Unregelmäßigkeiten wurde in der Presse mehrfach berichtet, so auch in dem von der Verfügungsbeklagten herausgegebenen Deutschen Ärzteblatt.
 
Der streitgegenständliche Bericht im Deutschen Ärzteblatt vom 14.12.2007 mit dem Titel „In fremden Diensten“ befasst sich inhaltlich hauptsächlich mit dem Vorwurf, dass bei der Verfügungsklägerin angestellte Ärzte und Pflegepersonal, die aus Landesmitteln für Forschung bezahlt wurden, für das Helios-Klinikum in Berlin-Buch Arbeit in der Krankenversorgung statt in der Forschung leisteten. Am Ende des Artikels heißt es unter der Zwischenüberschrift „Pikante Details“ unter anderem:
 
„…berichtete „Die Welt“ zuletzt über familiäre Verquickungen: Demnach leitet die Ehefrau von Q O, Prof. Dr. med. G Y, seit dem 1.10. dieses Jahres als wissenschaftliche Direktorin die Cecilie-Vogt-Klinik […] im Helios-Klinikum Berlin-Buch – einer von fünf Fachbereichen, in denen beide Träger kooperieren. Im Jahr 2010 solle sie zudem Chefärztin der stationären Abteilung für Neurologie werden. Und ihr Ehemann entscheidet für die Charité über die Verwendung eines Teils der Forschungsgelder.“
 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Artikels wird auf dessen zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 9 ff. der GA) Bezug genommen.
 
Wegen dieses Beitrags, der auch auf der von der Verfügungsbeklagten betriebenen Internetseite www.aerzte…de abrufbar war, forderte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 18.10.2007 auf, eine Gegendarstellung folgenden Inhalts abzudrucken bzw. im Internet vorzuhalten:
 
„Gegendarstellung zu Deutsches Ärzteblatt vom 14.12.2007 unter der Überschrift „Ärzte der Berliner Charité: In fremden Diensten“
 
[Es folgt Wiedergabe des obigen Textes]
 
Dazu stellen wir fest: Soweit mit ihrer Darstellung der Eindruck entsteht, Herr Q Prof. Dr. O habe an der Auswahlentscheidung für Frau Prof. Dr. Y in irgendeiner Weise mitgewirkt, ist dieser Eindruck falsch. Zu Ihrer Darstellung, Herr Prof. Dr. O entscheide über einen Teil der Forschungsgelder, ist zu erwidern: Der Fakultätsrat (19 Mitglieder) entwickelt ein Punktesystem, nach dem die Fakultätsleitung (4 Mitglieder) die Mittel verteilt. Andere Mittel verteilt die Forschungskommission (20 Mitglieder). Herr Prof. O ist Mitglied all’ dieser Institutionen, entscheidet aber allein über keine Forschungsmittel.
 
Berlin, den 18.12.2007
 
Prof. Dr. H
 
Vorstandsvorsitzender der Charité Universitätsmedizin Berlin Gliedkörperschaft des öffentlichen Rechts“
 
Das lehnte der Chefredakteur des Deutschen Ärzteblatts mit Schreiben vom 21.12.2007 ab.
 
Auf den Antrag der Verfügungsklägerin hat die Kammer am 28.12.2007 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit welcher die Verfügungsbeklagte verpflichtet wurde, in der nächstem zum Druck noch nicht abgeschlossenen Ausgabe der Wochenschrift „Deutsches Ärzteblatt“ in gleicher Schrift und in den gleichen Teilen des Druckwerks wie der beanstandete Text, sowie in allen Ausgaben, in denen der beanstandete Text erschienen ist, in der Rubrik „Politik“ ohne Einschaltungen und Weglassungen unter drucktechnischer Hervorhebung des Wortes „Gegendarstellung“ in der Größe der Worte „In fremden Diensten“, die die Verfügungsklägerin über der Ausgangsmitteilung verwendet hat, und unter Hervorhebung der Ausgangsmitteilung „In fremden Diensten“ in, sowie des Namensbestandteils „Charité Universitätsmedizin“ unter der Gegendarstellung durch Fettdruck die nachstehende Gegendarstellung zu verbreiten: [Es folgt die oben wiedergegebene Gegendarstellung nebst des dort in Bezug genommenen Ausgangstextes]. Weiterhin wurde der Verfügungsbeklagten aufgegeben, die Gegendarstellung auch auf der Web-Seite „http://www.aerzte…de“ einzustellen und unentgeltlich mindestens einen Monat vorzuhalten, wie sie die Ausgangsmitteilung „In fremden Diensten“ vorgehalten hat, in der gleichen Aufmachung und in gleicher Weise aufzufinden.
 
Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Verfügungsbeklagten vom 17.01.2008.
 
Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, durch die Berichterstattung entstehe zum einen der Eindruck, sie – die Verfügungsklägerin – habe Frau Prof. Dr. Y aufgrund ihrer familiären Verbindung zu dem Q auf unlautere Weise zu ihrer Stellung verholfen. Es entstehe zwingend der Verdacht, der Q habe seine Frau gefördert, dem mit dem geforderten Gegendarstellungstext entgegengetreten werden könne. Nur so lasse sich der Verdacht ausräumen. Hierzu behauptet die Verfügungsklägerin, dass Frau Prof. Dr. Y trotz ihrer Tätigkeit für die I weiterhin als W3-Professorin bei der Verfügungsklägerin im Beamtenverhältnis sei – was die Verfügungsbeklagte mit Nichtwissen bestreitet – und aufgrund der Kooperationsvereinbarung zwischen der I GmbH und der Verfügungsklägerin letztere durchaus Einfluss auf die Auswahlentscheidung gehabt habe. Das folge auch aus dem in dem streitgegenständlichen Bericht zitierten Artikel in „Die Welt“ vom 05.12.2007, in dem – insoweit unstreitig – berichtet wird, die W3-Stelle der Frau Prof. Dr. Y sei von Helios und der Verfügungsklägerin ausgeschrieben worden. Weiterhin ist die Verfügungsklägerin der Ansicht, durch den Bericht werde der Eindruck erweckt, die Verfügungsklägerin ließe über ihren Q dem von dessen Ehefrau geleiteten Institut des Helios-Konzerns unberechtigte Fördermittel zukommen. Hierdurch sei auch die Verfügungsklägerin selbst betroffen. Der geforderte Text mit der Beschreibung des Mittelvergabeverfahrens bei der Verfügungsklägerin sei daher nötig, um klarzustellen, dass der behauptete Verdacht jeder Grundlage entbehre.

Die Verfügungsklägerin beantragt,
 
die einstweilige Verfügung der Kammer zu bestätigen.
 
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
 
unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 28.12.2007 den Antrag der Verfügungsklägerin vom 21.12.2007 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen.
 
Sie ist der Ansicht, dass eine formrichtige Gegendarstellung nicht vorliege und folglich auch keine Verpflichtung zum Abdruck bestehe. Die eben erwähnten ergänzenden Mitteilungen seien unzulässig, weil sie nicht Tatsache gegen Tatsache setzten, sondern wertende Elemente enthielten. Dies betreffe zum einen den Teil betreffend die Berufung von Frau Prof. Dr. Y, aber auch denjenigen bezüglich der Forschungsmittel. Denn in der Erstmitteilung sei nichts über den genauen Modus der Verteilung der Mittel gesagt worden. Die Verfügungsbeklagte habe die streitgegenständlichen Äußerungen auch nicht selbst als Tatsachenbehauptung aufgestellt. Vielmehr handele es sich – deutlich gekennzeichnet – um ein Zitat aus der Zeitung „Die Welt“. Insofern habe es in der Gegendarstellung der Klarstellung bedurft, dass die Verfügungsklägerin sich nur gegen das Zitat, nicht aber gegen eigene Äußerungen der Verfügungsbeklagten wende. Die Verfügungsklägerin sei von der Berichterstattung auch bereits nicht betroffen, da die Charité und das Helios-Klinikum Berlin-Buch – insoweit unstreitig – verschiedene Rechtspersonen seien. Insofern könne der von der Verfügungsklägerin angenommene Verdacht gar nicht entstehen. Unter Berücksichtigung des Leserkreises des Deutschen Ärzteblattes sei auch nicht der Eindruck erweckt worden, dass Prof. O seiner Frau bzw. deren Institut unberechtigte Fördermittel zukommen ließ, denn dem angesprochenen Fachpublikum sei klar, dass eine Person alleine nicht über die Vergabe von Forschungsgeldern entscheiden könne. Auch hinsichtlich der Berufung von Frau Prof. Y sei dem verständigen Leserkreis klar, dass eine Mitwirkung von Prof. O an der Auswahlentscheidung aufgrund der rechtlichen Selbstständigkeit der einzelnen Klinikträger nicht möglich gewesen sei.
 
In der mündlichen Verhandlung hat die Verfügungsklägerin den Dienstvertrag zwischen ihr und Frau Prof. Dr. Y, soweit hier von Interesse, vorgelegt. Wegen dessen Inhalts wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2008 (Bl. 77 ff. der GA) verwiesen.
 

Entscheidungsgründe

Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten war die einstweilige Verfügung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dies führte zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung, weil ein Verfügungsanspruch nicht – mehr – besteht. Die Verfügungsklägerin hat keinen Anspruch aus § 11 Abs. 1 PresseG NRW oder – hinsichtlich der Internet-Veröffentlichung – aus § 56 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) auf Abdruck der begehrten Gegendarstellung. Nach § 11 Abs. 1 PresseG ist u.a. der Verleger eines periodischen Druckwerkes verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Im Wesentlichen gleiche Verpflichtungen treffen nach § 56 Abs. 1 RStV den Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten.
 
Dem Anspruch der Verfügungsklägerin steht zunächst nicht das Erfordernis der Betroffenheit entgegen. Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten ist – neben den namentlich genannten Personen – auch die Verfügungsklägerin durch die angegriffene Textpassage betroffen. Maßgeblich für die Beurteilung der Betroffenheit ist die Auffassung des unbefangenen Lesers. Danach kann bei Kritik an Arbeitnehmern bzw. Mitarbeitern des Unternehmens dieses selbst von der Berichterstattung betroffen sein (vgl. Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 11 Rz. 78). So liegt es auch hier. Denn der gesamte Artikel befasst sich mit den Vorgängen um die Kooperation zwischen der Verfügungsklägerin und den von Helios betriebenen Kliniken. Diese werden einer kritischen Betrachtung unterzogen, wobei der streitgegenständliche Absatz keine Ausnahme macht. Denn erkennbar sollten die dort berichteten „pikanten Details“ als weitere Aspekte der in dem Bericht zuvor genannten Unregelmäßigkeiten bei der Verfügungsklägerin angeführt werden, was auch deren eigene Interessen unmittelbar berührte.
 
Die in dem Artikel enthaltenen Aussagen – soweit hier streitgegenständlich – stellen Tatsachenbehauptungen dar, welche die Verfügungsbeklagte auch selbst aufgestellt hat. Insoweit kann sie nicht mit dem Argument durchdringen, es handele sich um ein bloßes Zitat aus der Tageszeitung „Die Welt“. Denn trotz der gewählten Zitatenform unter Hinzufügung einer einleitenden Passage wie „Die Welt berichtet…“ erfolgt ein Behaupten, wenn der Mitteilende sich die Äußerung zu Eigen macht (Burkhardt, in: Wenzel, a.a.O., Kap. 11 Rz. 98). Ein solches „Zu-Eigen-Machen“ erfolgt nicht erst bei ausdrücklicher Billigung einer Fremdäußerung, sondern schon dann, wenn dies „zwischen den Zeilen“ erfolgt (OLG Köln NJW 1979, 1562). Nach dem Gesamtkontext des Artikels, der sich kritisch mit den Zuständen bei der Verfügungsklägerin auseinandersetzt, liegt diese Voraussetzung vor. Denn die berichteten „pikanten Details“, wie sie in „Die Welt“ berichtet wurden und durch die Verfügungsbeklagte wiedergegeben werden, fügen sich nahtlos in die vorhergehend in dem Bericht der Verfügungsbeklagten geschilderten Missstände ein und erweitern diese um den Aspekt der „familiären Verquickung“.
 
Der Anspruch der Verfügungsklägerin scheitert indes daran, dass der Eindruck, dem sie mit dem ersten Teil ihres Gegendarstellungsbegehrens entgegentreten will, dem streitgegenständlichen Bericht nicht mit der erforderlichen Gewissheit entnommen werden kann. Denn der Passage, wonach die Ehefrau des Prodekans der Verfügungsklägerin wissenschaftliche Direktorin an der Helios-Klinik in Berlin-Buch ist, lässt sich nicht für eine Gegendarstellung naheliegend genug die Aussage entnehmen, dass der Q der Verfügungsklägerin an der Auswahlentscheidung für seine Frau beteiligt war. Das ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
 
Der Bericht stellt eine solche Verbindung nicht ausdrücklich auf. Trotz des Erfordernisses, dass auf Tatsachenbehauptungen nur mit Tatsachen entgegnet werden kann (OLG Köln NJW-RR 2001, 337, 338), ist jedoch anerkannt, dass auch auf verdeckte Äußerungen entgegnet werden kann, also auf das, was der Leser – ohne dass es einer ausdrücklichen Erwähnung bedarf – der Darstellung entnehmen soll (OLG Hamburg NJW-RR 2001, 186, 187). In derartigen Fällen muss sich der Eindruck, dem entgegengetreten werden soll, aus bestimmten Bezugspunkten entnehmen lassen und tatsächlicher Natur sein (vgl. Burkhardt, in: Wenzel, a.a.O., Kap. 11 Rz. 41; OLG Hamburg, a.a.O.). Indes sind die Maßstäbe für die Ermittlung des verdeckten Aussagegehalts nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss v. 19.12.2007 – 1 BvR 967/05, abrufbar unter www.bverfg.de) anders als bisher zu handhaben.
 
Vor dieser Entscheidung wurde überwiegend angenommen, dass der Behauptende sich jede nicht fern liegende Interpretationsmöglichkeit seiner Äußerung entgegenhalten lassen müsse (Burkhardt, in: Wenzel, a.a.O., Kap. 11 Rz. 41). Nach der erwähnten Entscheidung des BVerfG vom 19.12.2007 gilt jedoch, dass bei mehrdeutigen Äußerungen solche nicht fern liegenden Deutungen keinen Gegendarstellungsanspruch begründen dürfen, weil sonst Einschüchterungseffekte für die Pressefreiheit und eine Lahmlegung der Pressetätigkeit durch eine Flut von Gegendarstellungsverlangen drohten (Rn. 36 und 41 des Beschlusses). Insofern ist nach dem BVerfG ein Unterschied zur Rechtslage beim Unterlassungsanspruch (dazu BVerfG NJW 2006, 207 – „IM-Sekretär“ Stolpe) gegeben, bei dem sich der Äußernde bei Mehrdeutigkeit auch die ungünstigere Deutungsvariante entgegenhalten lassen muss.
 
Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es dagegen, wenn im Rahmen der Gegendarstellung als Maßstab herangezogen wird, ob sich die zusätzliche eigene Aussage dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung aufdrängen musste (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007, 1 BvR 967/05, Rn. 42). Insoweit sind dieselben Maßstäbe anzuwenden, wie sie die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Ermittlung von verdeckten Aussagen herangezogen hat (BVerfG, a.a.O., Rn. 29). Andere Deutungsmöglichkeiten der Aussage müssen – wie bei der Verurteilung zu Schadensersatz oder Entschädigung – mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen werden können (BVerfG, a.a.O., Rn. 36 iVm Rn. 32; andeutend bereits BVerfG NJW 2002, 356, 357 – Gysi I).
 
Nach diesen Maßstäben kann der streitgegenständlichen Äußerung nicht die erforderliche zwingende Schlussfolgerung entnommen werden, dass der Q der Verfügungsklägerin auf die Auswahlentscheidung zu Gunsten seiner Frau Einfluss genommen hätte. Hierbei ist wiederum der Gesamtzusammenhang der in Streit stehenden Passage in dem Bericht der Verfügungsbeklagten zu berücksichtigen. In diesem wird zunächst das Thema „familiäre Verquickungen“ angesprochen. Sodann werden der Werdegang von Frau Prof. Dr. Y sowie der Umstand, dass sie die Ehefrau des Prodekans sei, geschildert. Letzterer erscheint erst am Ende des Absatzes wieder, nämlich in seiner Eigenschaft als Entscheider über einen Teil der Forschungsmittel. Die dienstrechtliche Stellung der Frau Prof. Dr. Y bei der Verfügungsklägerin findet keine Erwähnung.
 
Dabei kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Verfügungsklägerin den Umstand, dass Frau Prof. Dr. Y als Beamtin in ihrem Dienst steht und von der Verfügungsklägerin zur W3-Professorin berufen wurde, hinreichend glaubhaft gemacht hat. Denn sie hat im Termin zur mündlichen Verhandlung dem Gericht Einblick in den entsprechenden Dienstvertrag gewährt; dessen Inhalt, soweit hier von Interesse, hat in das Protokoll der mündlichen Verhandlung Eingang gefunden.
 
Indes ändert diese Glaubhaftmachung nichts daran, dass sich aus dem Bericht der Verfügungsbeklagten nicht der von der Verfügungsklägerin angenommene Eindruck ergibt, es habe eine unlautere Beeinflussung der Auswahlentscheidung zu Gunsten der Ehefrau des Prodekans gegeben. Denn in dem Bericht selbst wird – wie oben erwähnt – gerade nicht geschildert, dass Frau Prof. Dr. Y neben ihrer Tätigkeit auch bei der Verfügungsklägerin angestellt ist oder von dieser berufen wurde. Zwar mag dem durchschnittlichen Leser noch klar sein, dass der Professorentitel der Frau Prof. Dr. Y nicht von den I verliehen worden sein kann, sondern dass es hierfür einer Berufung durch eine Universität oder eine vergleichbare Einrichtung mit dem Recht der Titelverleihung bedurfte. Indes folgt hieraus nicht zwingend, dass dies gerade durch die Verfügungsklägerin – mit der Folge der Beeinflussungsmöglichkeit – erfolgte; denkbar war es vielmehr auch, dass Frau Prof. Dr. Y zuvor andernorts habilitiert und berufen wurde und sodann das Angebot an den I wahrnahm.
 
Es kann auf sich beruhen, ob diese Konstellation (Professur an einer anderen öffentlichen Einrichtung als der Verfügungsklägerin und gleichzeitige Tätigkeit für die Helios) in rechtlicher Hinsicht möglich wäre. Denn entscheidend gegen die von der Verfügungsklägerin angenommene Deutung spricht, dass im letzten Satz die Rolle des Herrn Prof. O im Rahmen der angesprochenen familiären Verquickungen nochmals näher definiert wird, nämlich als desjenigen, der über die Vergabe von Fördermitteln entscheidet. Hierdurch wird deutlich, dass die im Bericht kritisierten Verquickungen sich vornehmlich auf etwaige Quersubventionierungen der Helios-Klinik mittels der Verfügungsklägerin zugewiesener öffentlicher Mittel beziehen sollen und nicht auf die Auswahlentscheidung zu Gunsten der Frau des Prodekans. Auf diese Problematik des Mittelflusses von der Verfügungsklägerin hin zu Kliniken der Helios ist auch der Artikel im Ganzen fokussiert. Insofern erscheint der Kammer die Deutung nahe liegend, dass mit den angesprochenen pikanten Details in Form von familiären Verquickungen allein die Möglichkeit regelwidriger Vergabe von Forschungsgeldern unter Mithilfe des Prodekans der Verfügungsklägerin (und zu Gunsten von dessen Ehefrau) gemeint war. Jedenfalls legt die streitgegenständliche Passage nicht zwingend allein die von der Verfügungsklägerin unterlegte Deutung nahe. Dies wäre aber erforderlich, um einen Anspruch auf Gegendarstellung zu begründen, denn andere nahe liegende Deutungen der Äußerung, die – wie hier – nicht zu einer Verurteilung führen, müssen ausgeschlossen erscheinen (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007, 1 BvR 967/05, Rn. 32).
 
Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin ergibt sich keine andere Bewertung daraus, dass die Verfügungsbeklagte ihrerseits Bezug auf den Artikel in „Die Welt“ vom 05.12.2007 genommen hat. In diesem wurde zwar berichtet, dass Frau Prof. Dr. Y eine W-3-Stelle innehabe, die von der Verfügungsklägerin und Helios gemeinsam ausgeschrieben worden sei, wie sich mittelbar aus dem zu den Akten gereichten Abdruck einer diesbezüglichen Gegendarstellung in „Die Welt“ vom 19.12.2007 ergibt (Bl. 19 der GA). Doch führt allein die Inbezugnahme dieses Berichts in „Die Welt“ und die Übernahme dort mitgeteilter Erkenntnisse nicht dazu, dass der gesamte Inhalt des „Die Welt“-Berichts nunmehr Gegenstand auch des Berichts der Verfügungsbeklagten wäre. Unstreitig hat die Verfügungsbeklagte die Anstellung der Frau Prof. Dr. Y bei der Verfügungsklägerin bzw. die Berufung der ersteren durch letztere selbst nicht ausdrücklich erwähnt. Ohne eine solche Erwähnung muss die Verfügungsbeklagte sich aber nicht jeden Inhalt des zitierten „Die Welt“-Berichts entgegenhalten lassen; dies widerspräche dem Grundsatz, dass es bei der Deutung einer Aussage auf den unbefangenen Leser ankommt. Insoweit erschiene es lebensfremd zu unterstellen, dieser (Durchschnitts-)Leser kenne die Veröffentlichung in „Die Welt“ (deren Datum zudem im Bericht der Verfügungsbeklagten nicht auftaucht) und lese den Artikel der Verfügungsbeklagten gleichsam vor deren Hintergrund.
 
Ist damit davon auszugehen, dass hinsichtlich des ersten Teils des Gegendarstellungsverlangens kein Anspruch der Verfügungsklägerin auf Abdruck besteht, so war die einstweilige Verfügung der Kammer im Ganzen aufzuheben. Insoweit kann dahinstehen, ob das weitere Begehren der Verfügungsklägerin hinsichtlich der Äußerung über die Forschungsmittelvergabe begründet ist. Denn genügt das Gegendarstellungsbegehren auch nur hinsichtlich eines Erfordernisses den gesetzlichen Anforderungen nicht, so ist der gesamte Antrag zurückzuweisen. Das gilt selbst dann, wenn die Gegendarstellung eine Mischung zulässiger und unzulässiger Angaben enthält (Burkhardt, in: Wenzel, a.a.O., Kap. 11 Rz. 212); es gilt insoweit das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ (OLG Köln NJW-RR 2001, 337, 338).
 
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 6, 711 ZPO.
 
Streitwert: 25.000,- €

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