Keine Verpflichtung für Unternehmer zur Angabe ihrer Telefonnummer

12. Oktober 2020
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Widerrufsbelehrung Urteil des EuGH vom 14.05.2020, Az.: C-266/19

Der EuGH hat klargestellt, dass Unternehmer nicht dazu verpflichtet sind, in einer Widerrufsbelehrung für Fernabsatzverträge ihre Telefonnummer anzugeben. Unternehmer müssen dem Verbraucher zwar irgendein Kommunikationsmittel zur Verfügung stellen, damit dieser schnell und effizient mit dem Unternehmer in Kontakt treten kann, dies müsse jedoch nicht zwingend die Telefonnummer sein. Eine solche Verpflichtung erscheine insbesondere im wirtschaftlichen Kontext des Betriebs unverhältnismäßig. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Unternehmer seine Telefonnummer so auf seiner Webseite präsentiert, dass der Durchschnittsverbraucher davon ausgehen kann, der Unternehmer würde diese Telefonnummer für seine Kontakte mit Verbrauchern benutzen.

Gerichtshof der Europäischen Union

Urteil vom 14.05.2020

Az.: C-266/19

 

 

In der Rechtssache C‑266/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 7. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 29. März 2019, in dem Verfahren

EIS GmbH

gegen

TO

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung […],

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der EIS GmbH, vertreten durch […],

– der Europäischen Kommission, vertreten durch […],

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und h und Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 304, S. 64) in Verbindung mit deren Anhang I Teil A.

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der EIS GmbH, einem deutschen Unternehmen des Onlinehandels, und TO, einem ihrer Wettbewerber, der seine gewerbliche Tätigkeit als Einzelkaufmann ausübt, über dessen gegen EIS erhobene Forderung, ihre Geschäftspraxis zu unterlassen, die darin besteht, auf ihrer Website bei den Informationen zum Widerrufsrecht für Verbraucher keine Telefonnummer anzugeben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

In den Erwägungsgründen 4, 5, 7 und 34 der Richtlinie 2011/83 heißt es:

„(4) … Die Harmonisierung bestimmter Aspekte von im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbraucherverträgen ist unabdingbar, wenn ein echter Binnenmarkt für Verbraucher gefördert werden soll, in dem ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen … gewährleistet ist.

(5) … [D]ie vollständige Harmonisierung der Verbraucherinformation und des Widerrufsrechts in Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, [dürfte] zu einem hohen Verbraucherschutzniveau und zum besseren Funktionieren des Binnenmarkts für Geschäfte zwischen Unternehmen und Verbrauchern beitragen.

(7) Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Aspekte der einschlägigen Regelungen sollte die Rechtssicherheit für Verbraucher wie Unternehmer erheblich erhöhen. Sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmer sollten sich auf einen einheitlichen Rechtsrahmen stützen können, der auf eindeutig definierten Rechtskonzepten basiert und bestimmte Aspekte von Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern unionsweit regelt. Durch eine solche Harmonisierung sollte es zur Beseitigung der sich aus der Rechtszersplitterung ergebenden Hindernisse und zur Vollendung des Binnenmarkts auf diesem Gebiet kommen. Die betreffenden Hindernisse lassen sich nur durch die Einführung einheitlicher Rechtsvorschriften auf Unionsebene abbauen. Darüber hinaus sollten die Verbraucher in den Genuss eines hohen, einheitlichen Verbraucherschutzniveaus in der gesamten Union kommen.

(34) Bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag, durch einen anderen als einen Fernabsatzvertrag oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, sollte der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise informieren. …“

Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verträge, die zwischen Verbrauchern und Unternehmern geschlossen werden, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und damit zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen.“

Kapitel III („Information der Verbraucher und Widerrufsrecht bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“) der Richtlinie umfasst ihre Art. 6 bis 16.

Art. 6 („Informationspflichten bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“) der Richtlinie bestimmt:

„(1) Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über Folgendes:

c) die Anschrift des Ortes, an dem der Unternehmer niedergelassen ist, und gegebenenfalls seine Telefonnummer, Faxnummer und E‑Mail-Adresse, damit der Verbraucher schnell Kontakt zu ihm aufnehmen und effizient mit ihm kommunizieren kann, sowie gegebenenfalls die Anschrift und die Identität des Unternehmers, in dessen Auftrag er handelt;

h) im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B;

(4) Die Informationen nach Absatz 1 Buchstaben h, i und j können mittels der Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A gegeben werden. Die Informationspflicht des Unternehmers gemäß Absatz 1 Buchstaben h, i und j ist erfüllt, wenn der Unternehmer dieses Informationsformular zutreffend ausgefüllt dem Verbraucher übermittelt hat.

(5) Die Informationen nach Absatz 1 sind fester Bestandteil des Fernabsatzvertrags oder des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags und dürfen nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes.

…“

Art. 11 („Ausübung des Widerrufsrechts“) der Richtlinie 2011/83 sieht in Abs. 1 vor:

„Der Verbraucher informiert den Unternehmer vor Ablauf der Widerrufsfrist über seinen Entschluss, den Vertrag zu widerrufen. Der Verbraucher kann zu diesem Zweck entweder

a) das Muster-Widerrufsformular des Anhangs I Teil B verwenden oder

b) eine entsprechende Erklärung in beliebiger anderer Form abgeben, aus der sein Entschluss zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht.

…“

Anhang I („Informationen zur Ausübung des Widerrufsrechts“) der Richtlinie besteht aus Teil A („Muster-Widerrufsbelehrung“) und Teil B („Muster-Widerrufsformular“).

Teil A des Anhangs I liefert insbesondere Hinweise, die der Unternehmer zu befolgen hat, wenn er dem Verbraucher die Muster-Widerrufsbelehrung übermittelt, und enthält konkret folgenden Hinweis:

„Fügen Sie Ihren Namen, Ihre Anschrift und, soweit verfügbar, Ihre Telefonnummer, Faxnummer und E‑Mail-Adresse ein.“

Teil B des Anhangs I enthält folgende Rubrik:

„An [hier ist der Name, die Anschrift und gegebenenfalls die Faxnummer und E‑Mail-Adresse des Unternehmers durch den Unternehmer einzufügen]“.

Deutsches Recht

§ 312d („Informationspflichten“) des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) sieht in Abs. 1 vor:

„Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Artikels 246a des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche zu informieren. Die in Erfüllung dieser Pflicht gemachten Angaben des Unternehmers werden Inhalt des Vertrags, es sei denn, die Vertragsparteien haben ausdrücklich etwas anderes vereinbart.“

Art. 246a („Informationspflichten bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen“) des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (im Folgenden: EGBGB) bestimmt in § 1:

„(1) Der Unternehmer ist nach § 312d Absatz 1 [BGB] verpflichtet, dem Verbraucher folgende Informationen zur Verfügung zu stellen:

2. seine Identität, beispielsweise seinen Handelsnamen sowie die Anschrift des Ortes, an dem er niedergelassen ist, seine Telefonnummer und gegebenenfalls seine Telefaxnummer und E‑Mail-Adresse sowie gegebenenfalls die Anschrift und die Identität des Unternehmers, in dessen Auftrag er handelt,

(2) Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 312g Absatz 1 [BGB] zu, ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher zu informieren

1. über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Absatz 1 [BGB] sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2,

Der Unternehmer kann diese Informationspflichten dadurch erfüllen, dass er das in der Anlage 1 vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung zutreffend ausgefüllt in Textform übermittelt.

(3) Der Unternehmer hat den Verbraucher auch zu informieren, wenn

1. dem Verbraucher nach § 312g Absatz 2 Nummer 1, 2, 5 und 7 bis 13 [BGB] ein Widerrufsrecht nicht zusteht, dass der Verbraucher seine Willenserklärung nicht widerrufen kann,

…“

§ 3 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb lautet in seiner im Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: UWG):

„Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig …“

§ 4 Nr. 11 UWG bestimmt:

„Unlauter handelt insbesondere, wer

11. einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

Am 29. Dezember 2014 richtete EIS an TO, mit dem sie beim Vertrieb von Erotikartikeln über das Internet in Wettbewerb steht, eine Abmahnung, seine Geschäftspraxis zu unterlassen, die u. a. in einer fehlerhaften Information zum Recht der Verbraucher bestehe, nach Vertragsschluss von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen. Im Rahmen dieser Abmahnung wurde TO von EIS zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert, mit der er sich verpflichtet, diese Praxis unter Strafandrohung zu unterlassen.

Am 8. Januar 2015 übersandte TO eine solche Erklärung an EIS. Mit Schreiben vom 12. Januar 2015 mahnte er seinerseits EIS ab, ihre Geschäftspraxis zu unterlassen, die darin bestehe, in ihrem Internetauftritt bei den Informationen zum Widerrufsrecht für Verbraucher keine Telefonnummer anzugeben.

EIS erhob beim Landgericht Arnsberg (Deutschland) Klage auf Feststellung, dass TO kein Anspruch auf Unterlassung der in der Abmahnung vom 12. Januar 2015 genannten Geschäftspraxis zustehe. TO begehrte mit einer Widerklage, EIS zur Unterlassung der in seiner Abmahnung genannten Geschäftspraxis zu verurteilen.

Mit Urteil vom 9. Juli 2015 wies das Landgericht Arnsberg die Klage von EIS ab und gab der Widerklage von TO statt.

Mit Urteil vom 10. August 2017 wies das Oberlandesgericht Hamm (Deutschland) die von EIS eingelegte Berufung im Wesentlichen zurück.

EIS hat gegen das Berufungsurteil beim vorlegenden Gericht, dem Bundesgerichtshof (Deutschland), Revision eingelegt.

Das vorlegende Gericht führt aus, für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits komme es auf die Frage an, ob die Informationen über das Widerrufsrecht des Verbrauchers, die EIS auf ihrer Website zur Verfügung stelle, gegen § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB sowie Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 EGBGB in Verbindung mit Anlage 1 zum EGBGB verstießen und infolgedessen wettbewerbswidrig im Sinne der §§ 3 und 4 Nr. 11 UWG seien. Mit diesen Bestimmungen werde Art. 6 Abs. 1 Buchst. h und Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 in Verbindung mit deren Anhang I Teil A in deutsches Recht umgesetzt; sie seien daher im Einklang mit den Bestimmungen der Richtlinie auszulegen.

Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, hat EIS im vorliegenden Fall auf die Muster-Widerrufsbelehrung in Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83 zurückgegriffen. Sie hat jedoch ihre Telefonnummer nicht angegeben, obgleich sie für ihre unternehmerische Tätigkeit über einen Telefonanschluss verfügte. Sie gab ihre Telefonnummer allerdings auf ihrer Website im Rahmen des Impressums sowie, in klarer und gut lesbarer Form, im unteren Bereich der Startseite an.

Das vorlegende Gericht führt aus, EIS halte sich nicht für verpflichtet, den Kunden einen Telefonanschluss zur Verfügung zu stellen, um ihnen gegebenenfalls die Ausübung ihres Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen zu ermöglichen, da sie keine Verträge per Telefon abschließe.

Unter diesen Umständen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Telefonnummer im Sinne des Gestaltungshinweises zur Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83 „verfügbar“ ist, wenn der Unternehmer sie im Rahmen des Impressums nennt oder auf der Startseite seines Internetauftritts klar und deutlich darstellt. Es geht insoweit davon aus, dass die Telefonnummer als „verfügbar“ im Sinne von Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83 anzusehen sei, wenn der Unternehmer nicht eindeutig klarstelle, dass sie nicht für die Abgabe von Widerrufserklärungen zum Vertrag bestimmt sei.

Der Umstand, dass der Unternehmer die Telefonnummer nicht im Rahmen seines Unternehmens für den Abschluss von Fernabsatzverträgen nutze, schließe im Übrigen ihre Verfügbarkeit für die Entgegennahme der Widerrufserklärungen von Verbrauchern nicht aus.

Das vorlegende Gericht stellt zudem klar, dass sich die vorliegende Rechtssache ausschließlich auf die Frage der Entgegennahme von Erklärungen der Verbraucher über die Ausübung ihres Widerrufsrechts beziehe, im Unterschied zu der Rechtssache, in der der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 vorgelegt habe und in der das Urteil vom 10. Juli 2019, Amazon EU (C‑649/17, EU:C:2019:576), zu vorvertraglichen Informationspflichten ergangen sei.

Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist eine Telefonnummer im Sinne des Gestaltungshinweises zur Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83 „verfügbar“, wenn der Unternehmer die Telefonnummer im Rahmen des Impressums nennt oder auf der Startseite seines Internetauftritts klar und deutlich darstellt?

2. Ist eine Telefonnummer im Sinne des Gestaltungshinweises zur Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83 „verfügbar“, wenn der Unternehmer den Telefonanschluss zwar geschäftlich nutzt, aber nicht für den Abschluss von Fernabsatzverträgen verwendet und daher auch nicht zur Rückabwicklung von Fernabsatzverträgen in Form einer Entgegennahme von Widerrufserklärungen vorhält?

Zu den Vorlagefragen

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass die nach dieser Bestimmung „gegebenenfalls“ anzugebende Telefonnummer eines Unternehmers in einer Situation, in der sie auf seiner Website angegeben und für die Tätigkeit seines Unternehmens genutzt wird, als verfügbar anzusehen ist, und zum anderen, ob Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und h und Abs. 4 der Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang I Teil A dahin auszulegen ist, dass der Unternehmer, der einem Verbraucher, bevor dieser durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag gebunden ist, die Informationen über die Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts zur Verfügung stellt und hierbei auf die Muster-Widerrufsbelehrung in Anhang I Teil A der Richtlinie zurückgreift, eine Telefonnummer angeben muss, damit der Verbraucher ihm seine etwaige Entscheidung, von diesem Recht Gebrauch zu machen, mitteilen kann.

Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 informiert der Unternehmer den Verbraucher, bevor dieser durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, in klarer und verständlicher Weise über die Anschrift des Ortes, an dem der Unternehmer niedergelassen ist, und gegebenenfalls über seine Telefonnummer, Faxnummer und E‑Mail-Adresse, damit der Verbraucher schnell Kontakt zu ihm aufnehmen und effizient mit ihm kommunizieren kann, sowie gegebenenfalls über die Anschrift und die Identität des Unternehmers, in dessen Auftrag er handelt.

Wie sich aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83 ergibt, ist der Unternehmer, wenn ein Widerrufsrecht besteht, verpflichtet, den Verbraucher vor Vertragsabschluss über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie sowie das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B der Richtlinie zu informieren.

Nach Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 können die Informationen nach dessen Abs. 1 Buchst. h bis j mittels der Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A der Richtlinie gegeben werden. Weiter heißt es dort, dass die Informationspflicht des Unternehmers gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. h bis j als erfüllt gilt, wenn er dieses Informationsformular zutreffend ausgefüllt dem Verbraucher übermittelt hat.

Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83 enthält u. a. Gestaltungshinweise, denen der Unternehmer bei der Übermittlung der Muster-Widerrufsbelehrung an den Verbraucher zu folgen hat, und insbesondere folgenden Hinweis:

„Fügen Sie Ihren Namen, Ihre Anschrift und, soweit verfügbar, Ihre Telefonnummer, Faxnummer und E‑Mail-Adresse ein.“

Hierzu ergibt sich aus dem Urteil vom 10. Juli 2019, Amazon EU (C‑649/17, EU:C:2019:576), im Wesentlichen, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 zum einen dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Unternehmer verpflichtet ist, vor Abschluss eines Vertrags mit einem Verbraucher im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne von Art. 2 Nrn. 7 und 8 dieser Richtlinie stets seine Telefonnummer anzugeben. Zum anderen impliziert diese Bestimmung keine Verpflichtung des Unternehmers, einen Telefonanschluss neu einzurichten, damit die Verbraucher mit ihm in Kontakt treten können. Sie verpflichtet den Unternehmer nur dann zur Übermittlung der Telefonnummer, wenn er bereits über dieses Kommunikationsmittel mit den Verbrauchern verfügt.

Der Gerichtshof hat in dem genannten Urteil insbesondere entschieden, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 zwar nicht die genaue Art des vom Unternehmer bereitzustellenden Kommunikationsmittels festlegt, diesen jedoch verbindlich dazu verpflichtet, jedem Verbraucher ein Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen, über das dieser schnell mit ihm in Kontakt treten und effizient mit ihm kommunizieren kann (Urteil vom 10. Juli 2019, Amazon EU, C‑649/17, EU:C:2019:576, Rn. 46).

Eine unbedingte Verpflichtung, dem Verbraucher stets eine Telefonnummer zur Verfügung zu stellen, damit die Verbraucher mit dem Unternehmer in Kontakt treten können, erscheint unverhältnismäßig, insbesondere im wirtschaftlichen Kontext des Betriebs bestimmter, vor allem kleinerer Unternehmen, die ihre Betriebskosten möglicherweise dadurch zu reduzieren suchen, dass sie den Vertrieb oder die Dienstleistungserbringung im Fernabsatz oder außerhalb ihrer Geschäftsräume organisieren (Urteil vom 10. Juli 2019, Amazon EU, C‑649/17, EU:C:2019:576, Rn. 48).

Aus der in den Rn. 33 bis 35 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass ein Unternehmer, der über eine Website einen Vertrag mit einem Verbraucher schließt und dafür kein Telefon benutzt, obgleich er für die Gestaltung anderer Aspekte der Tätigkeit seines Unternehmens über einen Telefonanschluss verfügt, grundsätzlich nicht verpflichtet ist, dem Verbraucher die Nummer dieses Anschlusses mitzuteilen, wenn er sich dazu entschließt, auf die Muster-Widerrufsbelehrung in Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83 zurückzugreifen, die dem Verbraucher die Ausübung seines Widerrufsrechts erleichtern soll.

In einer Situation, in der die Telefonnummer des Unternehmers dergestalt auf seiner Website zu finden ist, dass einem Durchschnittsverbraucher, d. h. einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher (Urteil vom 11. September 2019, Romano, C‑143/18, EU:C:2019:701, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung), suggeriert wird, dass der Unternehmer diese Nummer für seine Kontakte mit Verbrauchern nutzt, ist aber davon auszugehen, dass sie zu den Informationen gehört, die nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 „gegebenenfalls“ zur Kontaktaufnahme mit dem Unternehmer anzugeben sind. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn die Telefonnummer auf der Website unter einer mit „Kontakt“ bezeichneten Rubrik angegeben wird.

Sofern die Telefonnummer des Unternehmers wie in dem in der vorstehenden Randnummer angesprochenen Fall zu den nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 „gegebenenfalls“ anzugebenden Informationen gehört und der Unternehmer beschließt, auf seiner Website die in Anhang I Teil A der Richtlinie wiedergegebene Musterbelehrung zur Ausübung des Widerrufsrechts des Verbrauchers aufzuführen, ist diese Telefonnummer auch als „verfügbar“ im Sinne der letztgenannten Bestimmung anzusehen und muss in die Belehrung aufgenommen werden.

Diese Auslegung steht mit den Zielen der Richtlinie 2011/83 im Einklang. Aus ihrem Art. 1 ergibt sich im Licht ihrer Erwägungsgründe 4, 5 und 7, dass mit ihr dadurch ein hohes Verbraucherschutzniveau sichergestellt werden soll, dass die Information und die Sicherheit der Verbraucher bei Geschäften mit Unternehmern garantiert werden.

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass die nach dieser Bestimmung „gegebenenfalls“ anzugebende Telefonnummer eines Unternehmers in einer Situation, in der sie dergestalt auf seiner Website zu finden ist, dass einem Durchschnittsverbraucher, d. h. einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, suggeriert wird, dass der Unternehmer diese Telefonnummer für seine Kontakte mit Verbrauchern nutzt, als verfügbar anzusehen ist. In einem solchen Fall ist Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und h und Abs. 4 der Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang I Teil A dahin auszulegen, dass der Unternehmer, der einem Verbraucher, bevor dieser durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag gebunden ist, die Informationen zur Ausübung des Widerrufsrechts zur Verfügung stellt und hierbei auf die Muster-Widerrufsbelehrung in Anhang I Teil A zurückgreift, die betreffende Telefonnummer darin angeben muss, damit der Verbraucher ihm seine etwaige Entscheidung, von dem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen, auf diesem Weg mitteilen kann.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass die nach dieser Bestimmung „gegebenenfalls“ anzugebende Telefonnummer eines Unternehmers in einer Situation, in der sie dergestalt auf seiner Website zu finden ist, dass einem Durchschnittsverbraucher, d. h. einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, suggeriert wird, dass der Unternehmer diese Telefonnummer für seine Kontakte mit Verbrauchern nutzt, als verfügbar anzusehen ist. In einem solchen Fall ist Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und h und Abs. 4 der Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang I Teil A dahin auszulegen, dass der Unternehmer, der einem Verbraucher, bevor dieser durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag gebunden ist, die Informationen zur Ausübung des Widerrufsrechts zur Verfügung stellt und hierbei auf die Muster-Widerrufsbelehrung in Anhang I Teil A zurückgreift, die betreffende Telefonnummer darin angeben muss, damit der Verbraucher ihm seine etwaige Entscheidung, von dem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen, auf diesem Weg mitteilen kann.

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