Unerwünschte E-Mail-Werbung per E-Card

12. Februar 2004
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Oberlandesgericht München

Urteil vom 12.02.2004

Az.: 8 U 4223/03

1. Einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Empfängers nach §§ 823, 1004 BGB stellt die einmalige Zusendung von unerwünschter E-Mail-Werbung dar.

2. Werden über einenr Anbieter von Versandmöglichkeiten für E-Cards unerwünschte Werbe-E-Mails verschickt, so haftet dieser als mittelbarer Störer.

3. Es besteht keine Verpflichtung, Filter gegen unerwünschte E-Mail-Werbung einzusetzen.

Entscheidungsgründe:

I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das landgerichtliche Urteil verwiesen, gegen das die Bekl. Berufung eingelegt hat. Die Bekl. rügt:

1. Das LG stelle zu Unrecht die Zusendung von politischer Information der Zusendung kommerzieller Werbung gleich.

2. Ein relevanter Eingriff in den Gewerbebetrieb liege nicht vor, weil für die Bekl. nicht erkennbar gewesen sei, dass die E-Mail-Adresse die einer Rechtsanwaltskanzlei gewesen sei.

3. Die einmalige Zusendung einer E-Mail sei kein Eingriff.

4. Die Bekl. sei nicht Mitstörerin.

5. Der Kl. habe, obwohl es ihm unschwer möglich sei, auf seine E-Mail-Adresse keinen Anti-Werbungsfilter gesetzt.

6. Das LG habe im Rahmen seiner Interessenabwägung die Reichweite des Art. 21 GG verkannt. …

II.
Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Senat folgt den zutreffenden und sorgfältig begründeten Ausführungen des Ersturteils und merkt zu den Berufungsangriffen Folgendes an:

1. Gem. der in NJW 2002, 2938 veröffentlichten Entscheidung des BVerfG bestehen – wie auch schon das LG unter IV seiner Entscheidungsgründe ausgeführt hat – keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, die Zusendung politischer Information der Zusendung kommerzieller Werbung gleichzustellen.

2. Das zweite Argument der Berufungsbegründung verkennt, dass die Ansprüche aus §§ 1004, 823 BGB verschuldensunabhängig sind. Es kommt also nicht darauf an, ob die Bekl. erkennen konnte, dass die von ihr kontaktierte Adresse die eines Gewerbebetriebs ist (bzw. die einer Rechtsanwaltskanzlei, die i.R.d. §§ 1004, 823 BGB einem Gewerbebetrieb gleichsteht). I.Ü. musste die Bekl. ohnehin damit rechnen, dass bei der von ihr gewählten/ermöglichten Art der Versendung auch Gewerbebetriebe kontaktiert werden.

3. Es trifft auch nicht zu, dass die einmalige Übersendung eines „Newsletter“  per E-Mail keinen rechtswidrigen Eingriff darstelle. Zum einen hat der Kl. zwei Mails erhalten … Zum anderen stellt angesichts der allgemeinen (also nicht nur von der Bekl. ausgehenden) Gefahr des Ausuferns und des Überhandnehmens von E-Mail-Werbeschreiben bereits das erstmalige unerwünschte Zusenden einen relevanten Eingriff dar; dies hat etwa für das Kommunikationsmedium „Btx-Mitteilungsdienst“ der BGH (NJW 1988, 1670, 1671 r. Sp. unten) bzw. für den Telefaxbereich das OLG München (NJW-RR 1994, 1054, 1055 r. Sp. oben) entschieden und entspricht i.Ü. auch der Rspr. zum erstmaligen Zusenden nicht verlangter Werbe-E-Mails.

4. Auch der Berufungsangriff, nachdem die Bekl. nicht Mitstörerin sein soll, greift nicht durch. Da der entscheidungserhebliche Unterlassunganspruch verschuldensunabhängig ist, kommt es nicht darauf an, ob die Bekl. damit rechnen musste (und u.U. fahrlässig verkannt hat), dass Dritte mit „nachgerade krimineller Energie“ für den Kl. einen „Newsletter“ bestellen. I.Ü. entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Dritte weitere Dritte entweder necken oder ärgern wollen (vgl. hierzu auch die Adressatenzeile …, wo der Kl. als „Hameltoff Don Grafo“ bezeichnet wird) und dazu die von der Bekl. eröffnete (und noch dazu anonym ergreifbare) Möglichkeit benutzen, diesen weiteren Dritten von diesen nicht bestelltes Werbematerial (vorliegend politischen Inhalts) zukommen zu lassen. Hinsichtlich der erforderlichen (und vorhandenen) Möglichkeit der Bekl., diese Störung zu verhindern, verweist der Senat über die vom LG … erwähnte Möglichkeit hinaus auf die vom LG Berlin (NJW 2002, 2569, 2571 r.Sp. ganz unten) dargelegte Gestaltungsvariante.

5. Dass der Kl. auf seine E-Mail-Adressen keinen Filter (gegen unerwünschte Werbung) gesetzt hat, ist entgegen der Ansicht der Berufungsführerin unerheblich. Zum einen dürfen ganz allgemein Berhinderungs-/Verhütungspflichten des Störers nicht zu Abwehrobliegenheiten des Gestörten umfunktioniert werden … Zum anderen arbeiten diese Filter (bisher jedenfalls) noch nicht fehlerfrei … Schließlich ist der Kl. auch deswegen nicht zu einem weitergehenden Filtereinsatz verpflichtet, weil sonst auch solche Werbemails ausgefiltert würden, die ihm seine Mandanten zur Überprüfung auf wettbewerbsrechtliche Unbedenklichkeit hin vorab zuleiten …

6. a) Aus der schon bei 1. zitierten Entscheidung des BVerfG ergibt sich, dass das LG i.R.d. vorliegend erforderlichen Interessen- und Rechtsgüterabwägung zutreffend abgewogen hat, insb. keine Fehlgewichtung der Parteiregelungen des Art. 21 GG vorgenommen hat.

b) Dieses Abwägungsergebnis beraubt die Bekl. auch nicht der interaktiven Möglichkeiten des Internet, da es … solche Werbemaßnahmen nicht betrifft, die die Bekl. auf ihrer Homepage publiziert. …

Anmerkungen:

Bereits 1997 musste sich erstmals ein deutsches Gericht mit den Rechtsfolgen einer unerwünschten Werbemail beschäftigen. Obwohl die Entscheidung des LG Traunstein (MMR 1998, 53) inzwischen über sechs Jahre alt ist, hat sich der deutsche Gesetzgeber i.R.d. Reform des Wettbewerbsrechts erst Anfang April 2004 zu einer spezialgesetzlichen Regelung des für Privatpersonen wie auch Unternehmen relevanten und kostenintensiven Problems durchringen können.

Diese Tatsache überrascht umso mehr, da die Europäische Richtlinie „über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation“ v. 12.7.2002 (2002/58/EG) eindeutige Regeln vorsieht. Diese hätte der Gesetzgeber bereits im Sommer 2003 in nationales Recht umsetzen müssen. Immerhin konnte sich in den letzten Jahren trotz einiger ärgerlicher Ausreißer eine gefestigte Rspr. zum Thema unerwünschte E-Mail-Werbung bilden (vgl. Urteilssammlung unter http://www.recht-im-internet.de). Das OLG München fasst in seinem Urteil diese überwiegende Meinung in klaren Worten zusammen und bringt sie auf den Punkt.

Dies ist umso erfreulicher, als im vergangenen Jahr zwei Entscheidungen des OLG Düsseldorf (B. v. 26.3.2003 – I-15 W 25/03) und OLG Koblenz (MMR 2003, 590) nicht nur mangelndes Technikverständnis bewiesen, sondern darüber hinaus für große Rechtsunsicherheit unter den Empfängern von Werbe-E-Mails gesorgt haben. Diese Beschlüsse enthalten zwar keine grundsätzlichen Aussagen zur Rechtswidrigkeit von sog. Spam-Mails. Dennoch wurde in beiden Entscheidungen der Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Grund des fehlenden Verfügungsgrunds abgelehnt. Dies begründet etwa der Düsseldorfer Senat damit, dass unerbetene Werbe-E-Mails „mit einem einzigen Klick“ entfernt werden können, sodass die Beeinträchtigung für den Empfänger nicht gravierend sei. Wie dies praktisch geschehen soll, darüber schweigen sich die Richter allerdings aus, sodass die Durchführung dieses Computerkunststücks noch aussteht. Dieser fragwürdigen Auffassung tritt nun – wenn auch im Hauptsacheverfahren – das OLG München in dem vorliegenden Urteil entgegen. Darüber hinaus bestätigt es die bisherige Rspr. zur Mitstörerhaftung bei E-Cards.

E-Cards sind nichts anderes als elektronische Postkarten, die über diverse Dienste im Netz verschickt werden können. Neben Bildern enthalten sie meist die Möglichkeit, dem Empfänger einige persönliche Worte zukommen zu lassen. Auch eine große Volkspartei hatte eine solche Web-Applikation eingerichtet, worüber anonymisiert jedermann an beliebige Empfänger eine E-Card mit politischer Werbung per E-Mail versenden konnte. Ein Empfänger einer solchen Nachricht, ein Rechtsanwalt, ging hiergegen zunächst per einstweiliger Verfügung vor dem LG Berlin (Az. 15 O 560/02), später dann im Hauptsacheverfahren vor dem LG München (Az. 33 O 1607/03) erfolgreich vor. Mit U. v. 12.2. 2004 gab nun auch das OLG München dem Kläger Recht.

Wenig überraschend an der Entscheidung der Münchener Richter ist angesichts des Urteils des BVerfG (NJW 2002, 2938) die Gleichsetzung von politischen Informationen mit kommerzieller Werbung. Die Übertragung der vom BGH (NJW 1989, 902) entwickelten Grundsätze zum Unterlassungsanspruch bei erkennbar unerwünschtem Einwurf von Werbematerial auf E-Mail-Werbung politischer Parteien ist rechtlich geboten und stellt insb. keinen Verstoß gegen das Parteienprivileg des Art. 21 GG dar. Selbstverständlich bleibt den Parteien auch ohne die Möglichkeit, werbende E-Cards zu versenden, noch ausreichend Gelegenheit zur Selbstdarstellung im Internet.

Schwere Zeiten kommen nach dem Urteil auf die Betreiber von E-Card-Diensten zu. Ohnehin kann man sich über die Notwendigkeit derartiger Angebote streiten, die in der Praxis nicht selten dazu dienen, E-Mail-Adressen für weitere Werbung zu sammeln. Die bisherige Gepflogenheit jedenfalls, einfach ohne weitere Prüfung auf die Eingabe einer Adresse eine Werbe-Mail zu verschicken, dürfte spätestens nach dieser Entscheidung ein erhebliches rechtliches Risiko darstellen. Auf Grund des „Opt-in“-Prinzips, wonach Werbung nur nach vorheriger Erlaubnis oder bei bestehendem geschäftlichen Kontakt zulässig ist, dürfte jede Versendung von Werbe-Mails auf bloße Eingabe einer Adresse hin potenziell rechtswidrig sein, sofern nicht das Einverständnis des Berechtigten der Zieladresse vorliegt.

Mit der Entscheidung bestätigen die Richter die bisherige Rspr. zur Belästigung durch solche elektronischen Postkarten. So nahm in derartigen Fällen das AG Rostock (MMR 2003, 345) und das LG München (MMR 2003, 282) bereits eine Mitstörerhaftung des Anbieters von E-Cards an. Mittelbarer Störer ist nach allgemeiner Auffassung derjenige, der die störende Einwirkung Dritter adäquat ursächlich veranlasst hat und sie verhindern kann. Dabei reicht es aus, dass der Störer willentlich an der Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Auch die Unterstützung oder Ausnutzung des Tätigwerdens eines eigenverantwortlichen Dritten genügt, sofern die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung bestand (vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 63. Aufl., § 1004 Rdnr. 17).

Die Haftung als mittelbarer Störer ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus dem Bereithalten der E-Card-Funktion durch die Bekl. Auf Basis dieser Applikation ermöglichte sie es jedem Dritten, unaufgefordert Werbe-E-Mails zu versenden und dadurch die Rechte der Empfänger zu verletzen. Insb. wird bei dieser Verfahrensweise auch nicht die Person des Absendenden verifiziert, sodass die Nutzung weitgehend anonym stattfinden kann. Diese potenzielle Möglichkeit, eine Rechtsverletzung zu unterbinden, war der Bekl. jederzeit möglich – nämlich durch einen schlichten Verzicht auf die Versendungsfunktion für die werbenden Inhalte. Weiterhin konnte die Bekl. auch zu keinem Zeitpunkt von einem vorhandenen Interesse der Mail-Empfänger an den politischen Werbebotschaften ausgehen. Sie musste im Gegenteil sogar auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung mit einem Missbrauch rechnen, wie auch das OLG zutreffend ausführt. Gerade bei politischen Inhalten lag die Möglichkeit sehr nahe, dass die E-Cards dazu verwendet werden, Personen anderer politischer Couleur zu ärgern, was hier vermutlich auch geschah.

In der juristischen Bedeutung deutlich über die Ausführungen zu E-Cards hinaus gehen die Darlegungen des OLG München zur grundsätzlichen Beurteilung von unerwünschten Werbe-E-Mails. Insb. stellen die Richter in Übereinstimmung mit der h. Rspr. klar, dass bereits die Übersendung einer einzigen Werbenachricht einen unterlassungsrelevanten Eingriff in die Rechte des Empfängers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus §§ 823, 1004 BGB darstellt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob erkennbar ist, dass die kontaktierte Adresse die eines Gewerbebetriebs ist.

Begründet wird dies mit der allgemeinen Gefahr eines Ausuferns und Überhandnehmens von E-Mail-Werbung. Hält man sich hier vor Augen, dass weltweit nach einer Studie von Brightmail im Februar 2004 der Anteil von Spam am gesamten E-Mail-Verkehr bereits 62% beträgt, so ist dieser auch präventive Ansatz sicher zu begrüßen. Die Tatsache, dass der Anteil von elektronischer Werbepost aus Deutschland vergleichsweise gering ist, hat sicher auch mit der hierzulande inzwischen recht eindeutigen Rspr. zu tun.

Schließlich stellt das OLG München in der Entscheidung zu Recht fest, dass niemand verpflichtet ist, auf seinem Server Filter gegen unerwünschte E-Mail-Werbung zu betreiben.

Zwar funktionieren diese Filter inzwischen weitgehend ohne die Gefahr des Aussortierens gewünschter E-Mails (sog. „false positives“). Dennoch besteht – auch angesichts des hohen Administrationsaufwands – natürlich keine Obliegenheit des Empfängers von E-Mails, von seiner Seite den Verhütungspflichten des Störers zu genügen und seinerseits quasi proaktiv tätig zu werden.

Angesichts der klaren Worte des OLG München ist zu hoffen, dass es endlich zu einer einheitlichen Rechtsanwendung deutscher Gerichte bzgl. unerwünschter E-Mail-Werbung ohne ärgerliche „Ausreißer“ wie etwa die Entscheidung des OLG Düsseldorf kommt. Hierzu muss auch der Gesetzgeber durch spezifische Vorschriften das Seine beitragen, zumal die Umsetzungsfrist für eine entsprechende EU-Richtlinie bereits seit über einem halben Jahr verstrichen ist. Leider lässt die inzwischen beschlossene, sachlich falsche Umsetzung der Datenschutzrichtlinie bzgl. Spam im Bereich des Wettbewerbsrechts nichts Gutes erhoffen. Die Beschränkung der Klagebefugnis im Bereich des UWG auf Mitbewerber und Verbände ist für die eigentlichen Betroffenen von Spam hinsichtlich des juristischen Vorgehens gegen derartige Belästigungen jedenfalls wenig hilfreich. Weitaus sinnvoller wäre etwa eine Regelung i.R.d. TKG-Reform gewesen. Dementsprechend ist zu erwarten, dass sich die Beurteilung von Werbe-E-Mails an Privatpersonen und Unternehmen auch zukünftig primär an Richterrecht orientiert. Dazu bildet das Urteil des OLG München allerdings eine gute Basis.

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