Whistling for a Train

21. Januar 2009
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
5246 mal gelesen
0 Shares

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Berechnung des Schadens, der dem Berechtigten aufgrund einer Verletzung des Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts entstanden ist, kann im Rahmen der Lizenzanalogie zur Ermittlung der angemessenen Lizenzgebühr auf eine frühere Vereinbarung zwischen den Parteien über die Einräumung eines entsprechenden Nutzungsrechts zurückgegriffen werden. Dies setzt indessen voraus, dass die damals vereinbarte Lizenzgebühr dem objektiven Wert der Nutzungsberechtigung entsprochen hat.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 02.10.2008

Az.: I ZR 6/06

Urteil

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2008 durch … für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 5. Zivilsenat, vom 7. Dezember 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht einen weiteren Schadensersatzanspruch wegen der seit dem 1. Januar 1994 im Fernsehen erfolgten Schaltungen des Werbespots "ESSO TV C-Store 3/93" verneint hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist eine Musikagentur, die auch Tonträger herstellt. Sie nimmt die Beklagte, ein Mineralölunternehmen, wegen unberechtigter Nutzung einer angeblich von ihr hergestellten Tonaufnahme zu Werbezwecken hauptsächlich auf Schadensersatz und Auskunftserteilung in Anspruch.

Die Beklagte suchte im Juni 1993 für ihren Werbespot "ESSO C-Store" eine Hintergrundmusik, die besser als die bereits vorhandene für den deutschen Markt passen würde. Nach Gesprächen zwischen dem Werbeleiter O. der Beklagten und dem Geschäftsführer F. der Klägerin wurde diesem ein Rechercheauftrag erteilt, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob der Geschäftsführer F. persönlich oder die Klägerin auf der einen und die Beklagte oder die Werbeagentur M. H. GmbH (im Weiteren: M. ) auf der anderen Seite als Vertragspartner beteiligt waren. Der Geschäftsführer der Klägerin legte dem Werbeleiter der Beklagten eine Musikkassette mit zehn Vorschlägen vor, aus denen dieser die Aufnahme "Whistling for a train" auswählte. Im Anschluss daran kam es Ende Juni 1993 in Hamburg zu einem Treffen zwischen dem Werbeleiter der Beklagten und dem Geschäftsführer der Klägerin, wobei streitig ist, ob bereits bei dieser Zusammenkunft eine Vereinbarung über die Nutzung der Tonaufnahme durch die Beklagte geschlossen wurde. Mit Schreiben vom 28. Juni 1993 sandte M. an den Geschäftsführer der Klägerin eine Auftragserteilung mit folgendem Inhalt:

ESSO TV 30 C-Store 3/93 Musikrecherche für ESSO TV C-Store 900 DM Nutzungsrechte/Rechte am Werk ‚Whistling for a train‘ TV-Musik für ESSO TV C-Store Einsatz Deutschland TV/93 10.000 DM

Der Geschäftsführer der Klägerin stellte der Werbeagentur M. daraufhin am 3. Juli 1993 unter der Bezeichnung "Music Consultant" für die Musikrecherche einen Betrag von 900 DM und für die "Nutzungsrechte/Rechte am Werk ‚Whistling for a train‘ als TV-Musik für ESSO TV C-Store Einsatz Deutschland TV/93" einen Betrag von 10.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer in Rechnung (Anlage B 12).

Die Beklagte nutzte einen Ausschnitt aus der Tonaufnahme "Whistling for a train" in den Jahren 1993 und 1994 als Hintergrundmusik für einen Fernseh-Werbespot, wobei im Jahre 1993 mindestens 102 Schaltungen und im September 1994 zumindest 56 Schaltungen erfolgten.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe die streitgegenständliche Tonaufnahme "Whistling for a train" hergestellt. Die Vereinbarung über die Einräumung der Nutzungsrechte sei zwischen ihr und der Beklagten ohne Beteiligung von M. zustande gekommen. Ihr Geschäftsführer sei nach dem Treffen mit dem Werbeleiter der Beklagten im Juni 1993 davon ausgegangen, dass der Werbespot im Jahre 1993 höchstens zehn Mal geschaltet werde. Denn der Werbeleiter der Beklagten habe erklärt, dass die Aufnahme lediglich "für ein paar Schaltungen" genutzt werde. Nur für diese Anzahl von Schaltungen habe sie sich mit der Nutzungsvergütung von 10.000 DM einverstanden erklärt. Sie habe der Beklagten weder für 1993 noch für das Jahr 1994 eine unbegrenzte Nutzung der Tonaufnahme gegen Zahlung einer Pauschalvergütung von 10.000 DM eingeräumt.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz auf der Grundlage einer Lizenzanalogie. Zur Berechnung ihres bezifferten Klageantrags hat sie ausgeführt, dass mit dem vereinbarten Entgelt von 10.000 DM zehn Schaltungen abgegolten gewesen seien, so dass pro Schaltung eine Vergütung von 1.000 DM vereinbart gewesen sei. Von 158 unstreitig vorgenommenen Schaltungen (102 im Jahre 1993 und 56 im September 1994) seien 148 ohne Erlaubnis vorgenonmen worden. Hieraus errechne sich eine Lizenzgebühr von 148.000 DM. Da durch die Nutzungsvereinbarung auch urheberrechtliche Nutzungsrechte hätten abgegolten werden sollen und eine Relation dieser beiden Rechte von 50:50 vereinbart worden sei, mache sie den auf sie entfallenden Betrag von 74.000 DM geltend.

Im Jahre 1994 seien erheblich mehr Schaltungen des in Rede stehenden Werbespots erfolgt, als die Beklagte zugestanden habe. Dies werde durch eine Liste der Media Intensiv (Anlage K 14) belegt, aus der allein für das Jahre 1994 insgesamt 414 Schaltungen hervorgingen. Über die genaue Anzahl der Schaltungen müsse die Beklagte Auskunft erteilen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 37.755 € nebst Zinsen zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, wie oft sie den Werbespot "ESSO TV C-Store 3/93" insgesamt geschaltet hat, und zwar unter detaillierter Angabe des jeweiligen Schaltungszeitpunkts, aufgeschlüsselt nach Medien (TV, Radio, Kino) und Sendeanstalten, sowie entsprechend Rechnung zu legen und die gemachten Angaben an Eides Statt zu versichern;

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Schaltungen gemäß Ziffer 2 auch insoweit angemessen zu vergüten, als die Nutzung den bislang eingeklagten Betrag in Höhe von 37.755 € übersteigt, wobei die bislang nicht Iizenzierten Schaltungen in doppelter Höhe zu vergüten sind.

Die Beklagte hat demgegenüber vorgebracht, die Klägerin sei nicht als Herstellerin der Tonaufnahme "Whistling for a train" anzusehen. Die Nutzungsvereinbarung, die zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin persönlich und M. geschlossen worden sei, enthalte keine Begrenzung des Schaltvolumens. Der Werbespot mit der neuen Hintergrundmusik habe nur bis zum Einsatz eines neuen Werbespots gesendet werden sollen, der für das Jahr 1994 konkret geplant gewesen sei. Die von der Klägerin erhobenen Ansprüche seien zudem verjährt.

Das Landgericht hat der Klägerin unter Abweisung der Klage im Übrigen für die Nutzung von Teilen der Tonaufnahme "Whistling for a train" als Hintergrundmusik für ihren Werbespot im Jahre 1994 einen Anspruch auf Zahlung von fiktiven Lizenzgebühren in Höhe von 5.112,92 € zuerkannt und die Beklagte des Weiteren verurteilt, an Eides Statt zu versichern, dass sie ihre im Laufe des Verfahrens gegebenen Auskünfte über vorgenommene Schaltungen nach bestem Wissen erteilt habe.

Die gegen die Teilabweisung gerichtete Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung abgewiesen.

Der Senat hat die Revision der Klägerin insoweit zugelassen, als das Berufungsgericht einen weiteren Schadensersatzanspruch wegen der seit dem 1. Januar 1994 im Fernsehen erfolgten Schaltungen des Werbespots "ESSO TV C-Store 3/93" verneint hat. In diesem Umfang verfolgt die Klägerin mit der Revision ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin wegen unlizenzierter Nutzung von Ausschnitten aus der Tonaufnahme "Whistling for a train" im Jahre 1994 unter dem Gesichtspunkt einer Lizenzanalogie einen Schadensersatzanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG (a.F.) in Höhe von 5.112,92 € zuerkannt. Die weitergehende Klage hat es für unbegründet erachtet. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Die Klägerin sei Inhaberin der Tonträgerherstellerrechte an der streitgegenständlichen Aufnahme, von der die Beklagte in den Jahren 1993 und 1994 Ausschnitte für ihren Werbespot benutzt habe. Für die Nutzung im Jahre 1993 stünden der Klägerin keine Ansprüche mehr zu, weil die Parteien des Nutzungsvertrages – der Geschäftsführer der Klägerin persönlich und M. – eine Pauschalvergütung von 10.000 DM für alle im Jahre 1993 vorgenommenen Schaltungen vereinbart hätten.

Die Nutzungsvereinbarung habe sich dagegen nicht auf Schaltungen des Werbespots mit der streitgegenständlichen Hintergrundmusik im Jahre 1994 erstreckt. Der Klägerin stehe daher wegen der unlizenzierten Nutzung der Tonaufnahme "Whistling for a train" der zuerkannte Zahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer Lizenzanalogie zu. Daneben sei auch ein Schadensersatzanspruch auf Bezahlung fiktiver Lizenzen für 1994 aus § 97 Abs. 1 UrhG a.F. gegeben.

Maßstab für die Höhe des Zahlungsanspruchs der Klägerin sei die für das Jahr 1993 getroffene Nutzungsvereinbarung. Diese sei in der Weise auszulegen, dass für das Jahr 1993 eine Pauschalvergütung von 10.000 DM für eine unbeschränkte Nutzung geschuldet gewesen sei. Demgemäß hätten verständige Vertragspartner auch für das Jahr 1994 eine entsprechende Vergütung – unabhängig von der Anzahl der vorgenommenen Schaltungen – getroffen.

Ein Anspruch der Klägerin auf Auskunftserteilung über die im Jahre 1994 vorgenommenen Schaltungen bestehe nicht, da die Beklagte die begehrte Auskunft während des Rechtsstreits erteilt habe. Über Schaltungen im Kino und Hörfunk brauche die Beklagte keine Auskunft zu erteilen, da es keine Anhaltspunkte gebe, dass sie den Spot auch in diesen Medien verbreitet habe. Hinsichtlich der für das Jahr 1994 erteilten Auskunft brauche die Beklagte nicht die Richtigkeit ihrer Angaben an Eides Statt zu versichern, da ihr nicht vorgeworfen werden könne, dass sie die Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt habe.

II. Die Angriffe der Revision gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Bemessung des Schadensersatzanspruchs der Klägerin wegen der seit dem 1. Januar 1994 im Fernsehen erfolgten Schaltungen des Werbespots "ESSO TV C-Store 3/93" haben Erfolg. Sie führen insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin gegen die Beklagte wegen der im Jahre 1994 vorgenommenen Schaltungen des Werbespots "ESSO TV C-Store 3/93" dem Grunde nach aus § 97 Abs. 1 UrhG a.F. (§ 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG n.F.) ein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie zusteht.

Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht festgestellt, dass die Klägerin Inhaberin der Tonträgerherstellerrechte gemäß § 85 UrhG an der Tonaufnahme "Whistling for a train" ist. Unstreitig hat die Beklagte in den Jahren 1993 und 1994 Ausschnitte aus dieser Aufnahme als Hintergrundmusik für den hier in Rede stehenden Werbespot benutzt. Nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts war die Beklagte hierzu im Jahre 1994 nicht (mehr) berechtigt, da die zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und M. vereinbarte Nutzungsrechtseinräumung sich nicht auf den Zeitraum ab 1. Januar 1994 erstreckt hat.

2. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Bemessung des Schadensersatzanspruchs der Klägerin.

a) Die Klägerin ist als Gläubigerin des Schadensersatzanspruchs aus § 97 Abs. 1 UrhG a.F. berechtigt, Schadensersatz nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie zu verlangen. Bei dieser Art der Berechnung der Höhe des zu leistenden Schadensersatzes ist zu fragen, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Verletzer vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Zu ermitteln ist der objektive Wert der Benutzungsberechtigung. Dabei ist unerheblich, ob der Verletzer selbst bereit gewesen wäre, für seine Nutzungshandlungen eine Vergütung in dieser Höhe zu zahlen (BGH, Urt. v. 6.10.2005 – I ZR 266/02, GRUR 2006, 136 Tz. 23 = WRP 2006, 274 – Pressefotos, m.w.N.).

b) Die Höhe der als Schadensersatz zu zahlenden Lizenzgebühr hat der Tatrichter gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach seiner freien Überzeugung zu bemessen. Im Revisionsverfahren ist nur zu prüfen, ob die tatrichterliche Schätzung auf grundsätzlich falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht oder ob wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen außer Acht gelassen worden sind, insbesondere ob schätzungsbegründende Tatsachen nicht gewürdigt worden sind, die von den Parteien vorgebracht worden sind oder sich aus der Natur der Sache ergeben (vgl. BGHZ 77, 16, 24 – Tolbutamid; 97, 37, 50 – Filmmusik; BGH, Urt. v. 3.7.1986 – I ZR 159/84, GRUR 1987, 36 – Liedtextwiedergabe II; BGH GRUR 2006, 136 Tz. 24 – Pressefotos). Die vom Berufungsgericht vorgenommene Bemessung der angemessenen Lizenzgebühr ist nicht frei von solchen Fehlern.

c) Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass zwischen den Parteien für das Jahr 1993 eine Nutzungsvereinbarung gegolten hat, die eine Pauschalvergütung in Höhe von 10.000 DM – unabhängig von der Anzahl der Schaltungen – vorgesehen hat. Es hat angenommen, eine entsprechende Pauschalvergütung stelle auch für das Jahr 1994 jedenfalls so lange eine angemessene Grundlage für eine Schadensschätzung dar, als nicht eine deutliche Ausweitung der Nutzung nach Anzahl der Schaltungen und Art der Medien über diejenige des Jahres 1993 hinaus gegeben sei, was im Streitfall nicht angenommen werden könne. Vernünftige Vertragsparteien hätten die Lizenzberechnung nicht auf eine Stücklizenz umgestellt oder sonst gänzlich andere Bedingungen vereinbart, wenn sich die Erstellung des neuen Werbespots, der den streitgegenständlichen Spot ersetzt hätte, lediglich verzögert hätte und die bisherige Nutzung nach Art und Umfang lediglich noch eine Zeitlang fortgesetzt worden wäre. Dadurch hätte sich an der Grundkonstellation nichts geändert, dass der Spot nur übergangsweise habe zum Einsatz kommen sollen.

d) Bei diesen Erwägungen hat das Berufungsgericht wesentliche schätzungsbegründende Tatsachen, die insbesondere von der Klägerin vorgetragen worden sind, nicht genügend berücksichtigt. Im Rahmen der Ermittlung des objektiven Werts der Benutzungsberechtigung, der für die Bemessung der Lizenzgebühr maßgebend ist, müssen die gesamten relevanten Umstände des Einzelfalls in Betracht gezogen und umfassend gewürdigt werden (BGH GRUR 2006, 136 Tz. 26 – Pressefotos). Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht dieser Anforderung nicht gerecht geworden ist.

Das Berufungsgericht hat die Höhe der angemessenen Lizenzgebühr in der Weise berechnet, dass es die für das Jahr 1993 vereinbarte Pauschalvergütung auf das Jahr 1994 fortgeschrieben hat, da nicht anzunehmen sei, dass im Jahre 1994 eine deutliche Ausweitung der Nutzung nach Anzahl der Schaltungen und Art der Medien stattgefunden habe. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass eine "Fortschreibung" der für 1993 geltenden Vertragsbedingungen auf die im Jahre 1994 erfolgten unberechtigten Nutzungen nur dann gerechtfertigt wäre, wenn davon ausgegangen werden könnte, dass die für 1993 getroffene Lizenzvereinbarung dem objektiven Wert der Nutzungsberechtigung entsprochen hätte. Dies hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt und kann auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts auch nicht angenommen werden.

Die Klägerin hat unter Beweisantritt vorgetragen, dass eine Pauschalvergütung von 10.000 DM für das restliche Jahr 1993 (Juli bis Dezember) ohne Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl von Schaltungen erheblich unter dem objektiven Wert einer solchen Nutzungserlaubnis liege. Sie hat die Ansicht vertreten, eine Vergütung in dieser Höhe sei derart unangemessen, dass bereits die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten sei. Hätte die Klägerin – wie sie geltend gemacht hat – die Nutzungsberechtigung für das Jahr 1993 zu einer deutlich unter ihrem objektiven Wert liegenden Vergütung erteilt, so stellte das vereinbarte Entgelt keine geeignete Grundlage für die Bemessung der Lizenzgebühr für die im Jahre 1994 erfolgte unberechtigte Nutzung von Ausschnitten aus der Tonaufnahme "Whistling for a train" dar. Die Klägerin ist nach ihrem – für die Revisionsinstanz zu unterstellenden – Vortrag bei Abschluss der Lizenzvereinbarung davon ausgegangen, dass der Werbespot der Beklagten mit der in Rede stehenden Hintergrundmusik höchstens zehn bis zwanzig Mal im Jahre 1993 geschaltet werde und nicht – wie unstreitig geschehen – 102 Mal. Trifft dies zu, kann entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht angenommen werden, dass sie – hätte sie Kenntnis von der Anzahl der tatsächlich vorgenommenen Schaltungen des Werbespots gehabt – für das Jahr 1994 (noch einmal) einen Vertrag gleichen Inhalts abgeschlossen hätte.

III. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben, soweit das Berufungsgericht einen weiteren Schadensersatzanspruch wegen der seit dem 1. Januar 1994 im Fernsehen erfolgten Schaltungen des Werbespots "ESSO TV C-Store 3/93" für unbegründet erachtet hat. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht den objektiven Wert der hier in Rede stehenden Benutzungsberechtigung gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller relevanten Umstände des Streitfalls zu ermitteln haben. Hierzu weist der Senat noch auf Folgendes hin:

Bei der Festsetzung einer angemessenen Lizenzgebühr liegt es nahe, branchenübliche Vergütungssätze und Tarife als Maßstab heranzuziehen, wenn sich in dem entsprechenden Zeitraum eine solche Übung herausgebildet hat (vgl. BGH GRUR 2006, 136 Tz. 23 – Pressefotos). Es wird deshalb zu prüfen sein, ob es für die einschlägige Nutzungsart – die Verwendung einer Tonaufnahme in einem Fernsehwerbespot – Tarifwerke von Verwertungsgesellschaften oder Vergütungssätze anderer Organisationen gibt, die als allgemein übliche Vergütungssätze anzusehen sind oder zumindest als Anhaltspunkt dienen können. Dabei wird die von der Klägerin genannte Empfehlung des Deutschen Musikverlegerverbandes zu würdigen sein. Lassen sich keine üblichen Honorare ermitteln, ist die angemessene Lizenzgebühr gemäß § 287 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände in freier Beweiswürdigung zu schätzen (BGH, Urt. v. 29.5.1962 – I ZR 132/60, GRUR 1962, 509, 513 – Dia-Rähmchen II). Dabei sind der Umfang der Nutzung, der Wert des verletzten Ausschließlichkeitsrechts sowie Umfang und Gewicht des aus dem geschützten Werk übernommenen Teils zu berücksichtigen (vgl. Schricker/Wild, Urheberrecht, 3. Aufl., § 97 UrhG Rdn. 63).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a