Arzneimittel über Abgabeautomaten

07. August 2008
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Eigener Leitsatz:

Eine Beschwerde gegen die Untersagung des Inverkehrbringens von Arzneimitteln durch ein PC-gesteuertes System hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof abgelehnt. Der Antragsteller wollte Arzneimittel über ein System vertreiben, welches dem Apotheker ermöglicht außerhalb der Apotheke mit Hilfe eines Greifarms diese zu einem Außenschalter zu verbringen. Nach Ansicht des BayVGH entspricht dies jedoch nicht dem Normalbild eines in der ApBetrO vorgesehenen Informations- und Beratungsangebotes.<br/><br/>

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Beschluss vom 06.08.2008

Az.: 9 CS 08.1391

In der Verwaltungsstreitsache

(…)

gegen

Freistaat Bayern, (…)

wegen

Untersagung des Inverkehrbringens von Arzneimitteln durch ein automatisches System
(Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);
hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 23. April 2008,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 9. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter (…)

ohne mündliche Verhandlung am 6. August 2008
folgenden

Beschluss:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1, 4, § 147 VwGO) ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des (…) vom 6. März 2008, mit dem ihm das Landratsamt das Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch das "Vis…-System" (ein PC-gesteuertes, mit einem Lagerautomaten verbundenes System, das es dem Apotheker ermöglicht, Arzneimittel und andere im Lager befindliche Apothekenwaren mit Hilfe eines Greifarms zu einem Außenschalter zu verbringen, wo sie vom Kunden entnommen werden können) sofort vollziehbar und zwangsgeldbewehrt untersagte, zu Recht abgelehnt. Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass bei summarischer Prüfung zwar keine eindeutige Prognose über die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs möglich sind, dass aber auch keine grundlegenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, weshalb im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Arzneimittelverkehrs bis zu einer Klärung der offenen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren der Vorrang einzuräumen ist. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe rechtfertigen keine andere Beurteilung.

1. Die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Antragsstellers erweisen sich bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als offen, weil einige der behaupteten Rechtsverstöße, auf die der Antragsgegner seine Untersagungsanordnung stützt, erst im Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden können. Andererseits lässt sich – unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens des Antragstellers – bereits im Eilverfahren mit hinreichender Wahrscheinlichkeit absehen, dass das Inverkehrbringen von Arzneimitteln über das "Vis…-System" jedenfalls nicht in jeder Hinsicht mit den einschlägigen rechtlichen Vorgaben im Einklang steht und insoweit auf der Grundlage des § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG in rechtmäßiger Weise untersagt werden kann.

a) Insbesondere spricht viel für die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller, indem er Arzneimittel über das "Vis…-System" an seine Kunden abgeben lässt, das seinen Angaben zufolge nur im Wege einer Videokonferenz einen visuellen und akustischen Kontakt zwischen dem das System steuernden Apotheker und dem Kunden erlaubt, gegen die in § 20 Abs. 1 ApBetrO normierte Pflicht verstößt, seine Kunden "zu informieren und zu beraten, soweit dies aus Gründen der Arzneimittelsicherheit erforderlich ist." 

Traditionell erfolgt die gebotene Information und Beratung in den Verkaufsräumen der Apotheke im persönlichen Gespräch zwischen Kunden und Apotheker. Dieses "Normalbild" liegt wohl auch der Vorschrift des § 20 Abs. 1 ApBetrO zugrunde. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Verordnungsgeber mittlerweile von diesem Normalbild eines Informations- und Beratungsangebots beim Inverkehrbringen von Arzneimitteln in einer Apotheke verabschiedet hätte, sind nicht ersichtlich. Die vom Antragsteller insoweit herangezogene Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO, die bestimmt, dass die Betriebsräume einen ordnungsgemäßen Apothekenbetrieb und hierbei "insbesondere (…) die Information und Beratung über Arzneimittel, auch mittels Einrichtungen der Telekommunikation" gewährleisten müssen, ist jedenfalls kein Beleg hierfür. Abgesehen davon, dass diese Vorschrift nicht die Informations- und Beratungspflicht des Apothekers, sondern lediglich die "Beschaffenheit, Größe und Einrichtung der Apothekenbetriebsräume" regelt, lässt sie auch nach ihrem Wortlaut ("auch") erkennen, dass das traditionelle persönliche Informations- und Beratungsgespräch zwischen Apotheker und Kunden in der Apotheke durch Telekommunikationsangebote nicht abgelöst, sondern lediglich ergänzt werden soll. Eine auf Telekommunikationseinrichtungen beschränkte Informations- und Beratungspflicht des Apothekers ergibt sich hieraus also gerade nicht.

Eine entsprechende normative Einschränkung der Informations- und Beratungspflicht des Apothekers lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass der Arzneimittelvertrieb mittlerweile auch im Versandhandel zulässig ist. Zu Recht weist insoweit das Verwaltungsgericht darauf hin, dass es der Kunde auch jetzt noch in der Hand hat, zu entscheiden, ob er seine Arzneimittel im Versandhandel und damit ohne Beratung oder aber in der Apotheke mit einem persönlichen Informations- und Beratungsangebot erwerben möchte. Eine entsprechende Option auf persönliche Information und Beratung in der Apotheke steht dem Kunden bei einer Arzneimittelabgabe über ein "Vis…-System" nicht zur Verfügung.

Nur wenig überzeugend ist das Argument des Antragstellers, die erforderliche Information und Beratung des Kunden falle in den Verantwortungsbereich des Apothekers, der am besten einschätzen könne, in welchem Umfang Beratung erforderlich ist. Zwar kennt der Apotheker die "objektiven" Risiken der jeweiligen Arzneimittel und wird hieran auch im Vis…-Betrieb sein Informations- und Beratungsangebot ausrichten. Probleme bei der Verwendung des Vis…-Systems sind aber bei patientenspezifischen Informations- und Beratungsbedürfnissen möglich, die sich aus subjektiven Befindlichkeiten des einzelnen Patienten wie etwa Alter, Gebrechen oder sprachlichen Barrieren, ergeben können. Im Normalfall eines persönlichen Kontakts kann der Apotheker entsprechende Besonderheiten seiner Patienten schnell erkennen und sein Informations- und Beratungsangebot hierauf gezielt einrichten. Entsprechende Wahrnehmungsmöglichkeiten des Apothekers sind im Fall einer Videokonferenz, die allein auf der Grundlage elektronisch übermittelter optischer und akustischer Signale funktioniert und alle sonstigen zwischenmenschlichen Kommunikationsebenen ausblendet, deutlich erschwert. Der Senat teilt auch die Sorge des Antragsgegners, dass gerade ältere oder behinderte Menschen, die oft besonderer, über das allgemein notwendige Maß hinausgehender Erläuterungen bedürfen, dieses Bedürfnis in einer Videokonferenz deutlich zurückhaltender artikulieren werden als in einem persönlichen Gespräch mit dem Apotheker; entsprechendes ist bei Menschen zu erwarten, die im Umgang mit modernen Telekommunikationseinrichtungen wenig erfahren sind oder diesbezügliche Berührungsängste haben. Von vornherein als unzureichend erweist sich ein Informations- und Beratungsangebot via Videoschaltung, wenn praktische Handlungsanleitungen erforderlich oder sprachliche Barrieren zu kompensieren sind.

Diese Defizite lassen sich bei summarischer Prüfung auch durch entsprechende behördliche Auflagen, etwa – wie der Antragsteller meint – durch eine behördlich angeordnete Nachfragepflicht des Vis…-Apothekers, nicht oder jedenfalls nicht vollständig ausgleichen. Entsprechendes gilt für die angebotenen Reaktionsmöglichkeiten des Vis…-Apothekers, wie etwa, den in Rufbereitschaft stehenden Apotheker zu verständigen oder den Kunden an eine andere Apotheke oder schlicht auf einen späteren Zeitpunkt zu verweisen. All diese Reaktionsmöglichkeiten knüpfen an die – in den genannten Szenarien gerade wenig verlässliche – Einschätzung des Beratungsbedarfs durch den Apotheker an. Auch der angeblich problemlose bisherige Betrieb ist insoweit kein substantiierter Gegenvortrag.

Insgesamt hat der Senat deshalb ebenso wie das Verwaltungsgericht erhebliche Zweifel, ob im Falle eines Inverkehrbringens von Arzneimitteln über ein "Vis…- System" eine am Ziel der Arzneimittelsicherheit orientierte Information und Beratung gewährleistet ist. Die Frage, ob diese Einschätzung de lege lata generell zur Unzulässigkeit einer Arzneimittelabgabe über das "Vis…-System" führt, oder ob insoweit mildere Mittel wie etwa behördliche Auflagen in Betracht kommen, muss einer abschließenden Prüfung und Entscheidung im Hauptsacheverfahren überantwortet bleiben.

b) Der Senat teilt ferner die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Dienstbereitschaft der Apotheke in Zeiten, in denen Arzneimittel ausschließlich über das "Vis…-System" abgegeben werden, eingeschränkt ist.

Dass über das "Vis…-System" nicht das gesamte Angebot der Apotheke abgegeben werden kann, ist im Grundsatz unstreitig. Der Antragsteller behauptet zwar, dass "tatsächlich nahezu das komplette Apothekensortiment über das "Vis…-System" herausgegeben werden" könne, räumt aber in der Sache selbst ein, dass jedenfalls "Arzneimittelgroßmengen" nicht abgegeben werden können, wenngleich er insoweit der Meinung ist, dass dies "nun wirklich nicht der Regelfall im Apothekenbetrieb" sei. Gleiches gilt für die Abgabe von Arzneimittel-Teilmengen sowie für zubereitungsbedürftige Arzneimittel, wobei der Antragsteller insoweit relativierend ausführen lässt, dass eine Rezeptur auch im Normalbetrieb "nur in angemessener Zeit angefertigt werden" könne. Streitig ist mithin allein das Ausmaß der Einschränkungen bei der Arzneimittelversorgung über ein "Vis…-System" sowie die sich hieraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen für die in § 23 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO statuierte Rechtspflicht, die Apotheke "ständig dienstbereit" zu halten. Eine abschließende Klärung muss auch insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, einschließlich der Bedeutung bestehender Befreiungsmöglichkeiten und einer seitens des Antragstellers vorgesehenen Betriebsbeschränkung des "Vis…-Systems" auf Randzeiten (6.00 bis 8.00 Uhr und 19.00 bis 20.00 Uhr) und Notdienste.

c) Entsprechendes gilt für alle übrigen vom Verwaltungsgericht problematisierten Rechtsfragen wie insbesondere, ob eine Arzneimittelabgabe über das "Vis…-System" gegen die sich aus § 17 Abs. 5 Satz 3, Abs. 5a, 6 Nrn. 1 bis 5 und Abs. 6a ApBetrO ergebenden Dokumentationspflichten verstößt oder ob insoweit die – nach Angaben des Antragstellers – Vermerke im "praxisüblichen Nachgang" ausreichen, ferner, ob die Kontrollmöglichkeiten im Rahmen des "Visavia-Systems" – wie das Verwaltungsgericht bei summarischer Prüfung meint – defizitär sind mit der Folge, dass Verstöße gegen die Arzneimittelverschreibungsverordnung zu besorgen sind, oder ob – wie das Polizeipräsidium Mannheim in seiner in erster Instanz vorgelegten Stellungnahme vom 11. Dezember 2007 meint – insoweit sämtliche Zweifel ausgeräumt sind.

2. Bei diesem Stand der Prognose für das Hauptsacheverfahren überwiegt im Rahmen der gebotenen gerichtlichen Interessenabwägung das besondere öffentliche Interesse an der behördlich angeordneten vorläufigen Vollziehbarkeit der Untersagungsanordnung gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers, die Arzneimittelabgabe im "Vis…-System" vorläufig weiter betreiben zu können.

Der Antragsteller räumt selbst ein, dass die zu gewährleistende Arzneimittelsicherheit ein Schutzgut hohen Ranges ist. Andererseits kann sich der Antragsteller nicht darauf berufen, dass das Gefährdungspotential durch Inverkehrbringen von Arzneimitteln über das "Vis…-System" gering ist. Richtig ist zwar, dass ein Rechtsverstoß bei summarischer Prüfung in erster Linie deshalb wahrscheinlich ist, weil es das System dem Apotheker nicht in hinreichendem Maße erlaubt, seine Kunden in der erforderlichen Weise zu informieren und zu beraten. Diese Informations- und Beratungspflichten des Apothekers knüpfen aber unmittelbar an die Belange der Arzneimittelsicherheit an ("soweit dies aus Gründen der Arzneimittelsicherheit erforderlich ist") und sollen diese gewährleisten. Die Verletzung der Informations- und Beratungspflichten kann daher erhebliche Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zur Folge haben.

Dem stehen die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers gegenüber. Der Betrieb eines "Vis…"-Abgabeschalters betrifft allerdings lediglich eine denkbare Modalität im gesetzlich ausgeformten Berufsbild des Apothekers. Hierauf gerichtete Verbote greifen als Berufsausübungsregelungen auf der untersten Ebene in die Berufsfreiheit des Antragstellers ein und sind grundsätzlich bereits durch vernünftige, dem Übermaßverbot entsprechende Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Es ist nicht ersichtlich, dass das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung über die Untersagung des Inverkehrbringens von Arzneimitteln mit Hilfe des "Vis…-Systems" für den Antragsteller unzumutbar wäre. Er lässt insoweit lediglich auf seine Wettbewerbsfähigkeit hinweisen. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung macht er aber selbst nicht geltend, sondern lässt im Gegenteil anklingen, dass er sich in einem im Wandel begriffenen Apothekenwesen durch eine rechtzeitige Neuausrichtung und Modernisierung entscheidende Wettbewerbsvorteile erhofft. Das private Interesse des Antragstellers, diese erhofften Wettbewerbsvorteile vorläufig in Anspruch nehmen zu können, hat angesichts der drohenden Gefahren für die Arzneimittelsicherheit zurückzutreten.

3. Die Beschwerde war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 47 GKG.

(Unterschriften)

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