Filmaufnahmen von Straftätern bei bereits vorangegangenem Interview mit Foto

25. Februar 2010
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Eigener Leitsatz:

Die Berichterstattung über einen Straftäter unter voller Namensnennung greift grundsätzlich in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht ein. Lässt der Beklagte jedoch noch vor Beginn des gerichtlichen Verfahrens im Rahmen eines öffentlichen Interviews über das Verfahren Fotos von sich selbst abdrucken, kann er sich bei der Ausstrahlung neuer Filmaufnahmen, die ihn beim Betreten des Gerichtssaals zeigen, nicht auf eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung berufen und zudem keinen Schadensersatz fordern.

 

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Urteil vom 10.02.2010

Az.: 1 U 37/08

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 19. November 2008 verkündete Urteil des Landgerichts Cottbus – 3 O 178/07 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

I.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schadenersatz wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung in Anspruch.

Gegen den Kläger, der mit seiner Ehefrau und sieben Kindern in D… wohnte, wurden Anfang 2006 durch die Staatsanwaltschaft Cottbus mehrere Ermittlungsverfahren, u. a. ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeleitet. Nachdem das Jugendamt dem Kläger das Sorgerecht über seine Kinder aufgrund des Missbrauchsverfahrens entzogen hatte, wandte sich dieser an die L…, die am …. Mai 2006 ein Interview mit ihm sowie ein Foto von ihm veröffentlichte. Das Missbrauchsverfahren wurde später eingestellt und dem Kläger das Sorgerecht wieder übertragen.

Über die gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren wurde später verschiedentlich im Fernsehen berichtet; ob das Gesicht des Klägers hierbei erkennbar war, ist streitig. Am …. Februar 2007 strahlte der Beklagte einen Bericht über den Beginn der Hauptverhandlung gegen den Kläger aus. In diesem Verfahren wurden dem Kläger u. a. die gefährliche Körperverletzung einer Staatsanwältin sowie der Besitz von kinderpornografischen Schriften vorgeworfen. Der Kläger wurde von dem Beklagten bei dem Betreten des Gerichtssaals und während ihm die Handfesseln abgenommen wurden gefilmt. Hierbei war das Gesicht des Klägers erkennbar. Hinsichtlich des Wortlauts des Berichts wird auf Bl. 34 ff. der Gerichtsakten Bezug genommen. Nachdem sich der Kläger mit Schreiben vom selben Tage an die Beklagte gewandt hatte, sperrte diese unverzüglich den archivierten Beitrag mit dem Bild des Klägers für eine weitere Verwendung.

Das Landgericht Cottbus verurteilte den Kläger wegen Körperverletzung sowie wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material zu 32 Monaten Haft.

Wegen der Einzelheiten wird im Übrigen auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil (Tatbestand) verwiesen.

II.
Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Ausgleich des immateriellen Schadens besteht nicht.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Entschädigungsanspruch in Höhe von 5.000,00 € gem. § 823 Abs. 1 i.V.m. Art 2, Abs. 1 GG (zur Anspruchsgrundlage vgl. BGH NJW 1995, S. 861; 2000, S. 2195; 2005, S. 215).

Nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfG NJW-RR 2007, S. 1055) Rechtsprechung besteht ein solcher Anspruch nur dann, wenn eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt und sich diese Beeinträchtigung nach Art der Verletzung nicht in anderer Weise (Genugtuung durch Unterlassung, Gegendarstellung oder Widerruf) befriedigend ausgleichen lässt (BGH NJW 2000, 2195). Letztlich kann hier dahinstehen, ob die Berichterstattung des Beklagten rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, jedenfalls stellt die Ausstrahlung des Berichts keine so schwere Persönlichkeitsverletzung des Klägers dar, die die Zubilligung einer Entschädigung in Geld geboten erscheinen lässt.

1. Der Fernsehbericht des Beklagten über den Kläger, in dem dieser erkennbar gezeigt wurde, greift allerdings in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ein.

Die Berichterstattung über Entstehung, Ausführung und Verfolgung einer Straftat unter Namensnennung, Abbildung und Darstellung des Straftäters greift zwangsläufig in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht ein, weil sie sein Fehlerverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2009, 1 BvR 1107/09 m.w.N.). Der Kläger hat in die Verbreitung bzw. Zurschaustellung der Abbildung nicht i.S.v. § 22 KUG eingewilligt. Eine konkludente Einwilligung anlässlich der Aufnahmen wurde nicht erteilt. Er war insbesondere weder verpflichtet, den Filmaufnahmen zu widersprechen noch durch abwehrende Gesten seine fehlende Einwilligung kund zu tun. Der Vortrag des Beklagten, die Reporter hätten sich durch Blickkontakt zum Kläger vergewissert, dass eine solche besteht, ist gleichfalls nicht geeignet, eine Einwilligung anzunehmen. In dem Dulden der Filmaufnahmen liegt keine Zustimmung zur Veröffentlichung der Bilder. Allein dem Blick in die Augen sowie dem Zurückschauen ist – jedenfalls ohne das Hinzutreten weiterer Umstände – kein solcher Erklärungswert beizumessen. Den entsprechenden Beweisangeboten ist das Landgericht daher zu Recht nicht nachgegangen. Die Einwilligung des Klägers im Jahr 2006 bezog sich ausschließlich auf den über ihn erscheinenden Presseartikel und umfasste nicht auch die Berichterstattung über die Eröffnung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens. Die Zustimmung zur Veröffentlichung gilt immer nur im Rahmen des vertraglich vereinbarten konkreten Zwecks (Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl. 2005, Kap. 43 Rdnr. 6 m.w.N.). Hier fehlt ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Berichterstattung.

2. Ob in der Ausstrahlung eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu sehen ist, erscheint zweifelhaft. In Betracht kommt eine Rechtfertigung der unanonymisierten Berichterstattung unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen u. a. dann, wenn die unanonymisierte Verbreitung der Aufnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gestattet ist.

ber den Kläger wurde aktuell und aufgrund eines konkreten Anlasses – in Zusammenhang mit der Eröffnung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens – berichtet. Er ist dadurch als relative Person der Zeitgeschichte in Erscheinung getreten. Relative Personen der Zeitgeschichte sind solche, die im Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis oder Vorgang Bedeutung erlangt haben und dadurch vorübergehend aus der Anonymität hervortreten (Löffler/ Ricker, a.a.O., Kap. 43 Rdnr. 14). Auch Fehlverhalten kann einen Menschen zur Person der Zeitgeschichte machen, sodass grundsätzlich auch von verurteilten Straftätern oder den schwerer Straftaten Angeklagten Bildnisse veröffentlicht werden dürfen (BVerfGE 35, S. 202 ff.). Allerdings sind hier die widerstreitenden grundgesetzlich geschützten Belange gegeneinander abzuwägen. Wahre Berichte können das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dann verletzen, wenn die Darstellung einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussagen, obschon sie wahr sind, geeignet sind, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich ziehen. Auf der anderen Seite sprechen erhebliche Erwägungen für eine auch die Person des Täters einbeziehende vollständige Information der Öffentlichkeit über vorgefallene Straftaten und die zu ihrer Entstehung führenden Vorgänge. Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2009 – 1 BvR 1197/09). Bei der Abwägung der Interessen auf Information der Öffentlichkeit und den Beeinträchtigungen, die mit der identifizierenden Berichterstattung über Verfehlungen des Betroffenen verbunden ist, verdient für die tagesaktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang (BVerfG, a.a.O.).

Wendet man diese Grundsätze an, ergibt sich Folgendes: Der Beklagte unterrichtete die Öffentlichkeit aus aktuellem Anlass, dem Beginn der gegen den Kläger gerichteten Hauptverhandlung. Die Anklagepunkte waren auch nicht unerheblich, sondern geeignet, ein allgemeines öffentliches Interesse zu begründen. Der Körperverletzungsvorwurf beruht darauf, dass der Kläger eine ihn vernehmende Staatsanwältin sowie seine Ehefrau anlässlich einer Vernehmung mit einem Messer angegriffen hat. Dieser Vorfall hat nach eigener Kenntnis des Senats ein nicht unerhebliches Aufsehen in der Öffentlichkeit erregt und hierüber war vielfach in der Presse berichtet worden. Hinzu kommt der in der Regel von öffentlichem Interesse begleitete Anklagepunkt des Besitzes kinderpornografischer Schriften. Auch hierüber war bereits zuvor in der Presse berichtet worden. Insoweit war die identifizierbare Berichterstattung gerechtfertigt. Auf ein von der Rechtsprechung zuerkanntes Resozialisierungsinteresse kann sich der Kläger hier noch nicht erfolgreich berufen, da sich die Berichterstattung auf die Eröffnung des Strafverfahrens bezog. Problematisch ist allerdings der mit dem Vorwurf des Missbrauchs der eigenen Kinder hergestellte Zusammenhang. Der Begleittext lautet: „Er soll Pornos hergestellt und verbreitet haben, mit den eigenen Kindern.“ Dass diese Vorwürfe im Zeitpunkt der Berichterstattung noch im Raum standen, ist dem Vortrag des Beklagten, der insoweit die Darlegungslast trägt, nicht zu entnehmen. In der Berufungsbegründung heißt es nur noch, dem Kläger sei der Besitz von kinderpornografischen Schriften sowie der Angriff mit einem Messer auf die Staatsanwältin sowie seine Ehefrau vorgeworfen worden. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Missbrauchsvorwürfe nicht mehr Gegenstand des Strafverfahrens waren und die Berichterstattung insoweit jedenfalls unvollständig war. Diese Aussage ist zwar nicht falsch, war jedoch zum einen im Zeitpunkt der Berichterstattung nicht (mehr) aktuell und ist zudem besonders beeinträchtigend, insbesondere wenn sie mit einer nicht anonymisierten Berichterstattung verbunden wird. Die Aussage beinhaltet eine qualitativ schwerere Anschuldigung und die Prangerwirkung wird sich hierdurch nicht unerheblich erhöhen.

3. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob eine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung gegeben ist oder nicht. Denn die Verletzung stellt sich im Ergebnis nicht als so schwerwiegend dar, dass sie die hier allein streitgegenständliche materielle Entschädigung des Klägers rechtfertigt.

Nicht jede rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des Persönlichkeitsrechts und des Rechts am eigenen Bild löst einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus. Nur unter bestimmten erschwerenden Voraussetzungen ist das unabweisbare Bedürfnis anzuerkennen, dem Betroffenen wenigstens einen gewissen Ausgleich für ideelle Beeinträchtigungen durch Zubilligung einer Geldentschädigung zu gewähren (BGH VersR 1974, S. 756 ff.). Ob dies der Fall ist, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also der Verbreitung der rechtswidrigen Veröffentlichung, der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH, NJW 1985, S. 1617). Dass die erlittene Beeinträchtigung so gravierend war, dass sie sich nicht auf andere Weise befriedigend ausgleichen lässt, kann hier nicht festgestellt werden. Beeinträchtigungen die spezifisch auf der streitgegenständlichen Berichterstattung beruhen, hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht vorgetragen.

Die Interessen- und Rufschädigung in der Öffentlichkeit ist hier bereits durch den von dem Kläger selbst veranlassten Artikel in der L… eingetreten. Diese Rufschädigung ist auch unabhängig davon eingetreten, dass der Artikel bereits ein Jahr vor Prozessbeginn veröffentlicht worden ist. Den nunmehr von dem Kläger beanstandeten Zusammenhang zwischen seiner Person und dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs der eigenen Kinder hat der Kläger damit selbst und nicht der Beklagte erstmals für die Öffentlichkeit hergestellt. Allein die Wiederholung dieser – nicht (mehr) aktuellen – Behauptung führt jedenfalls nicht zu einer wesentlich schwerwiegenderen Rufschädigung. Soweit der Kläger vorträgt, dass andere Haftinsassen erstmals aufgrund der Berichterstattung des Beklagten von den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs erfahren hätten und er massiven Drohungen und Anfeindungen ausgesetzt gewesen sei, reicht auch dies nicht aus, um eine erhebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts zu begründen. Den Zusammenhang hat der Kläger zuvor für die Öffentlichkeit erkennbar selbst hergestellt, der Beklagte hat ihn lediglich wiederholt. Zudem ist zu berücksichtigen – so auch das Landgericht -, dass der Kläger letztlich u. a. wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Die entsprechende Ursache hat er insoweit selbst gesetzt. Ob er wegen des Vorwurfs des Missbrauchs der eigenen Kinder insgesamt härteren Repressalien ausgesetzt ist als er ohne diese Aussage ausgesetzt wäre, ist weder schlüssig vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit er von einem Mitgefangenen in der JVA angegriffen wurde, kann dies dem Beklagten bzw. der Berichterstattung nicht zugerechnet werden.

Zudem ist auch der Grad des Verschuldens des Beklagten nicht besonders schwerwiegend. Unabhängig davon, ob der Kläger die Aufnahmen im Gerichtssaal verboten hat oder nicht, ist auch insoweit sein vorhergehendes Verhalten zu berücksichtigen. Zeitlich vor der Berichterstattung der Beklagten hatte der Kläger die Veröffentlichung eines identifizierbaren Bildes von ihm selbst in Zusammenhang mit der Berichterstattung über den sexuellen Missbrauch der eigenen Kinder gestattet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus § 3 ZPO.

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