Keine Einlösung eines Einkaufsgutscheins oder Loses im Wert von 1 Euro in einer Apotheke für ein rezeptpflichtiges Arzneimittel
Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Urteil vom 10. Juli 2014
Az.: 6 U 32/14
Tenor
Auf die Berufung der Antragstellerin wird das am 04.02.2014 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt abgeändert.
Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,
geschäftlich handelnd
einem Kunden, der ein Rezept für ein rezeptpflichtiges, preisgebundenes Arzneimittel einlöst, einen kostenfreien Einkaufsgutschein auszugeben, wie in Anlage Ast 4 der Antragsschrift wiedergegeben.
Die Kosten des Eilverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Entscheidungsgründe
I.
Die Antragstellerin ist Inhaberin der „X-Apotheke“ in Stadt1. Sie händigt Kunden anlässlich der Einlösung eines Kassenrezepts über ein verschreibungspflichtiges, preisgebundenes Arzneimittel sogenannte „X-Lose“ aus. Zu den Gewinnen, die auf dem Los „freigerubbelt“ werden müssen, gehört auch ein Einkaufsgutschein über 1,–€. Die Antragstellerin – ein Wettbewerbsverband – nimmt die Antragsgegnerin deswegen auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht hat den Eilantrag zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der Berufung.
Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313a ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch in Form des Hilfsantrages – der ergänzend auf ein „X-Los“ mit dem „freigerubbelten“ Gewinn „1 Euro Einkaufsgutschein“ Bezug nimmt – aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 III Nr. 2 UWG i.V.m. § 78 II 2, 3, III 1 AMG, § 3 AMPreisV zu.
1. Die Aushändigung eines Loses, dessen Gewinn in einem Einkaufsgutschein über 1,- € besteht, anlässlich der Abgabe eines rezeptpflichtigen, preisgebundenen Arzneimittels verstößt gegen § 78 II 2, 3, III 1 AMG, § 3 AMPreisV.
Die genannten Bestimmungen des Arzneimittelpreisrechts sollen die Einhaltung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises sichern, d.h. jeden Preiswettbewerb zwischen Apotheken beim Verkauf preisgebundener Arzneimittel verhindern. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. GRUR 2013, 1264 – RezeptBonus, juris-Tz. 13; GRUR 2010, 1136 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE, juris-Tz. 17 ff.; MPR 2010, 204 – Bonussystem, juris-Tz. 14) liegt ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung daher auch vor, wenn dem Kunden gekoppelt mit dem Erwerb des – zum festgesetzten Preis abgegebenen – Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn – was hier allerdings nicht in Rede steht – der Vorteil auch aus einem anderen Grund, etwa weil der Kunde beim Erwerb Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen muss, gewährt wird (vgl. BGH – RezeptBonus a.a.O.). Als unzulässige wirtschaftliche Vorteile kommen dabei grundsätzlich auch Prämien oder Gutscheine von geringem Wert in Betracht (im Fall „Bonussystem“ a.a.O. in Höhe von 0,40 €), solange sie nur geeignet sind, den unerwünschten Preiswettbewerb zwischen Apotheken zu beeinflussen, weil der Verbraucher veranlasst werden kann, sich künftig erneut für die Apotheke zu entscheiden, von der er den Vorteil erhalten hat.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung zu bejahen. Der Wert des dem Kunden gewährten Einkaufsgutscheins von 1,- € liegt als solcher über der Grenze, die den Preiswettbewerb beeinflussen kann. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil die Antragsgegnerin diesen Einkaufsgutschein nicht „offen“, sondern als Gewinn innerhalb eines überreichten „Rubbelloses“ gewährt. Auch wenn der Kunde erst nach dem „Freirubbeln“ des Loses erfährt, dass sein Gewinn in einem Einkaufsgutschein besteht, kann ihn dies veranlassen, sich bei nächster Gelegenheit zur Einlösung eines Rezepts wiederum an die Apotheke der Antragsgegnerin zu wenden, weil er hofft, dass auch der Gewinn des nächsten Loses wiederum in einem solchen Einkaufsgutschein oder in einem sonstigen wirtschaftlichen Vorteil von gleichem Wert besteht. Auf die Frage, wie hoch die Gewinnchance dabei tatsächlich ist, kommt es nicht an. Denn gerade wenn der Kunde bereits einen Einkaufsgutschein gewonnen hat, wird er die – ihm nicht bekannte – Gewinnchance nicht so gering einschätzen, als dass seine künftige Kaufentscheidung davon unbeeinflusst bliebe.
2. In der Verletzung der genannten arzneimittelpreisrechtlichen Bestimmungen liegt zugleich ein unlauteres Verhalten nach § 4 Nr. 11 UWG, da es sich bei diesen Vorschriften um Marktverhaltensregeln handelt (vgl. BGH – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE, a.a.O., juris-Tz. 22).
3. Das beanstandete Verhalten der Antragsgegnerin ist auch im Sinne von § 3 I UWG geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen.
a) Bei Anwendung der insoweit anzustellenden allgemeinen Erwägungen ist die Spürbarkeitsgrenze des § 3 I UWG angesichts der bestehenden Nachahmungsgefahr und im Hinblick darauf überschritten, dass wegen der vorgeschriebenen strikten Preisbindung schon geringfügige Durchbrechungen dieses Gebots beträchtliche Auswirkungen auf den Markt haben können (vgl. hierzu die – insoweit auch vom Bundesgerichtshof nicht beanstandeten – Ausführungen des erkennenden Senats in dem der „Bonussystem“-Entscheidung vorausgegangenen Berufungsurteil vom 5.6.2008 – 6 U 118/07, juris-Tz. 22).
b) Allerdings hat der Bundesgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Gewährung von Einkaufsgutscheinen im Wert von bis zu 1,– € deshalb als unterhalb der Spürbarkeitsgrenze des § 3 I UWG liegend angesehen, weil die Gewährung derartiger Vorteile mit § 7 I 1 Nr. 1 Fall 2 HWG a.F. vereinbar war (vgl. BGH – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE, a.a.O. juris-Tz. 24; BGH – Bonussystem, a.a.O. juris-Tz. 20, 21; BGH – RezeptBonus, a.a.O., juris-Tz. 20). Dieser besonderen, der Vermeidung von Wertungswidersprüchen dienenden Beurteilung ist jedoch die Grundlage entzogen, nachdem der Gesetzgeber mit der Änderung von § 7 I 1 Nr. 1 HWG in der seit dem 13.8.2013 geltenden Fassung die heilmittelrechtliche Zulässigkeit von Zuwendungen verschärft und im letzten Halbsatz ausdrücklich geregelt hat, dass derartiger Zuwendungen stets unzulässig sind, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die auf Grund des Arzneimittelgesetzes gelten. Diese Gesetzesänderung diente nach der Entwurfsbegründung (Bundestagsdrucksache 17/13770, S. 21) erklärtermaßen dazu, als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Einheitlichkeit der Rechtsordnung wiederherzustellen. Unter diesen Umständen kann auch im vorliegenden Fall die Spürbarkeit im Sinne von § 3 I UWG nicht mehr unter Hinweis auf den Wertungswiderspruch verneint werden, der sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus den unterschiedlichen Regelungen im Arzneimittelrecht und im Heilmittelwerberecht in der bis zum 12.8.2013 geltenden Fassung ergab (ebenso LG Berlin, Urteil vom 16.1.2014 – 52 O 272/13, juris-Tz. 72).
Die zur Aufhebung des zuvor bestehenden Wertungswiderspruchs führende Änderung des § 7 I 1 Nr. 1 HWG ist auch mit dem Unionsrecht vereinbar; insbesondere widerspricht sie nicht der Richtlinie 2001/83/EG. Die vorgenommene Verschärfung des Heilmittelwerberechts beschränkt sich – wie bisher bereits die Vorschrift des § 7 I 1 Nr. 2 HWG – auf die Regelung von Sachverhalten, die unter die arzneimittelrechtlichen Preisbestimmungen fallen. Damit fällt diese Änderung von § 7 I 1 Nr. 1 HWG – ebenso wie die arzneimittelrechtlichen Preisvorschriften selbst – unter die Bereichsausnahme des Art. 4 III der Richtlinie (ebenso LG Berlin a.a.O., juris-Tz. 75).
4. Den Unterlassungstenor hat der Senat entsprechend dem gestellten Hilfsantrag unter Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung formuliert. Eine teilweise Zurückweisung des Eilbegehrens war damit nicht verbunden, weil dem Vorbringen der Antragstellerin nicht entnommen werden kann, dass mit dem gestellten Hauptantrag der Sache nach ein weitergehendes Verbotsziel verfolgt werden sollte.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.