Werbung verboten, Information erlaubt

05. April 2012
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Eigener Leitsatz:

Das Verbot der Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel (10 Abs. 1 HWG) gilt nicht für solche Informationen auf einer Internetseite, die nur denjenigen zugänglich sind, die sich selbst um sie bemühten, und entweder in der getreuen Wiedergabe der Umhüllung eines solchen Mittels und/oder in der wörtlichen und vollständigen Wiedergabe der Packungsbeilage und/oder in der von der zuständigen Behörde genehmigten Zusammenfassung der Merkmale des Mittels bestehen.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 19.10.2011

Az.: I ZR 223/06

 

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2011 durch den Vorsitzenden Richter… und die Richter…

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 23. November 2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien sind Arzneimittelunternehmen und stehen miteinander im Wettbewerb.

Die Beklagte präsentierte ihre verschreibungspflichtigen Arzneimittel "VIOXX", "FOSAMAX" und "SINGULAIR" im Internet jeweils über eine nicht passwortgeschützte elektronische Verknüpfung und damit für jedermann frei zugänglich unter Wiedergabe der Produktpackung, der Beschreibung der Indikation und der Gebrauchsinformation.

Die Klägerin sieht hierin einen Verstoß gegen das in § 10 Abs. 1 HWG bestimmte Verbot der Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel und zugleich ein unzulässiges Verhalten der Beklagten im Wettbewerb.

Sie hat vor dem Landgericht beantragt,

die Beklagte unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Internet werbliche Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel in einer Weise zu verbreiten, dass diese Informationen auch außerhalb der medizinischen Fachkreise ohne weiteres zugänglich sind.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht entsprechend dem geänderten Klageantrag mit der Maßgabe, dass in den Verbotsausspruch nach den Wörtern "werbliche Informationen" der Klammerzusatz "(nämlich Angaben zur Indikation und/oder die Gebrauchsinformation)" eingefügt wird zurückgewiesen (OLG Hamburg, MD 2007, 1200). Der Senat hat die Revision zugelassen.

Mit Beschluss vom 16. Juli 2009 hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, GRUR 2009, 988 = WRP 2009, 1100 Arzneimittelpräsentation im Internet I):

Erfasst Art. 88 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel auch eine Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, wenn sie allein Angaben enthält, die der Zulassungsbehörde im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorgelegen haben und jedem, der das Präparat erwirbt, ohnehin zugänglich werden, und wenn die Angaben dem Interessenten nicht unaufgefordert dargeboten werden, sondern nur demjenigen im Internet zugänglich sind, der sich selbst um sie bemüht?

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage wie folgt beantwortet (EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 C316/09, EuZW 2011, 481 = MMR 2011, 529 MSD/Merckle):

Art. 88 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er die Verbreitung von Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel auf einer Internet-Website durch Arzneimittel nicht verbietet, wenn diese Informationen auf dieser Website nur demjenigen zugänglich sind, der sich selbst um sie bemüht, und diese Verbreitung ausschließlich in der getreuen Wiedergabe der Umhüllung des Arzneimittels nach Art. 62 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung sowie in der wörtlichen und vollständigen Wiedergabe der Packungsbeilage oder der von der zuständigen Arzneimittelbehörde genehmigten Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels besteht. Verboten ist hingegen die über eine solche Website erfolgende Verbreitung von Informationen über ein Arzneimittel, die Gegenstand einer vom Hersteller vorgenommenen Auswahl oder Umgestaltung waren, die nur durch ein Werbeziel erklärbar ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts zu bestimmen, ob und in welchem Umfang die im Ausgangsverfahren fraglichen Tätigkeiten Werbung im Sinne der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung darstellen.

Die Beklagte verfolgt mit der Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Klägerin aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG, § 10 Abs. 1 HWG bejaht und hierzu ausgeführt:

Die von der Beklagten auf ihren Internetseiten ohne Passwort-Schutz für jedermann zugänglich veröffentlichten Angaben stellten eine nach § 10 Abs. 1 HWG verbotene und als wettbewerbswidrig anzusehende Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb der Fachkreise dar. Sie unterfielen dem weit zu verstehenden heilmittelwerberechtlichen Werbebegriff auch dann, wenn sie sachlich gehalten und nicht typisch "reklamehaft" gestaltet seien. Dies gelte auch für diejenigen Angaben zur Indikation, die als Pflichtangaben Teil der arzneimittelrechtlichen Zulassung des jeweiligen Mittels seien, und insoweit, als die Gebrauchsinformation Pflichtangaben enthalte und als solche am Zulassungsverfahren teilhabe. Unerheblich sei, dass die Hinweise zu den drei Mitteln nicht aktiv an den Patienten herangetragen würden, sondern auf den Internet-seiten der Beklagten veröffentlicht seien. Der von der Beklagten für wesentlich erachtete Gesichtspunkt eines Informationsbedürfnisses rechtfertige eine abweichende Beurteilung ebenfalls nicht.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass es der Beklagten durch das in § 10 Abs. 1 HWG bestimmte Verbot der Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel verwehrt ist, im Internet über solche Arzneimittel Angaben zu ihrer Indikation und/oder ihre Gebrauchsinformation in einer auch für das Laienpublikum erreichbaren Weise zu verbreiten. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union auf den Vorlagebeschluss des Senats hin entschieden hat, gilt das Verbot im dem § 10 Abs. 1 HWG entsprechenden Art. 88 Abs. 1 Buchst. a RL 2001/83/EG nicht für solche Informationen auf einer Internetseite, die nur denjenigen zugänglich sind, die sich selbst um sie bemühten, und entweder in der getreuen Wiedergabe der Umhüllung eines solchen Mittels und/oder in der wörtlichen und vollständigen Wiedergabe der Packungsbeilage und/oder in der von der zuständigen Behörde genehmigten Zusammenfassung der Merkmale des Mittels bestehen.

2. Nach den getroffenen Feststellungen wendet sich die Klägerin mit der Klage allerdings auch gegen auf der Internetseite der Beklagten gegebene oder über einen weiterführenden elektronischen Verweis (Link) angekündigte Hinweise auf Gelenkschmerzen und Rheuma. Wie der Gerichtshof auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats klargestellt hat, ist die Verbreitung solcher Informationen auch gegenüber denjenigen, die sich um sie bemühen, verboten, wenn sie Gegenstand einer vom Hersteller vorgenommenen Auswahl oder Umgestaltung waren und nur durch ein Werbeziel erklärbar sind. Davon ist etwa bei der von der Klägerin beanstandeten Aussage auf der Internetseite der Beklagten "Diagnose Rheuma: Da kommt schnell Angst auf, sich bald gar nicht mehr bewegen zu können. Ursache ist oft die Unsicherheit, was genau mit diesem Krankheitsbild verbunden ist" auszugehen.

3. Der Klägerin ist danach durch die Wiedereröffnung der Berufungsinstanz Gelegenheit zu geben, einen eingeschränkten Klageantrag zu stellen, der den sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebenden Erfordernissen Rechnung trägt.

Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 03.02.2005 – 315 O 303/04 –
OLG Hamburg, Entscheidung vom 23.11.2006 – 3 U 43/05 –

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