Gerichtliche Inanspruchnahme wegen Filesharing trotz abgegebener Unterlassungserklärung
Eigener Leitsatz:
Wird im Rahmen einer Abmahnung wegen Zugänglichmachung eines Hörbuchs von einer Privatperson die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gefordert, die sich auf den gesamten Rechtekatalog des Gläubigers erstreckt und zugleich vor Änderungen der vorformulierten Unterlassungserklärung gewarnt, so kann der Abgemahnte in einem einstweiligen Verfügungsverfahren, dass sich nur noch gegen die Verletzung der Rechte an dem zugänglich gemachten Hörbuch richtet, durch Abgabe einer Unterlassungserklärung ein sofortiges Anerkenntnis herbeiführen. Die Kosten sind hier dem Gläubiger aufzuerlegen, weil der Schuldner hier durch sein Untätig Bleiben auf die zu weit gefasste Abmahnung hin keinen Anlass zu der gerichtlichen Auseinandersetzung gegeben hat.
Oberlandesgericht Köln
Beschluss vom 20.05.2011
Az.: 6 W 30/11
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 20.12.2010 abgeändert:
Die Kosten des Rechtsstreits – einschließlich des Beschwerdeverfahrens – trägt die Antragstellerin.
Beschwerdewert: die bis zum 20.9.2010 angefallenen Kosten.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Antragstellerin hat die ausschließlichen Rechte des Tonträgerherstellers u.a. hinsichtlich der Tonaufnahme "Das verlorene Symbol" von E. C. inne. Sie ermittelte am 16.2.2010, dass von einer dem Internetanschluss des Antragsgegners zugeordneten IP-Adresse aus dieses Werk im Internet zum Herunterladen angeboten worden war. Daraufhin mahnte sie den Antragsgegner mit anwaltlichem Schreiben vom 26.2.2010 (Bl. 105 ff.) ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 8.3.2010 und zum Ersatz von Rechtsverfolgungskosten sowie des ihr entstandenen Schadens bis zum 15.3.2010 auf. Der Abmahnung war eine vorbereitete "Unterlassungserklärung" beigefügt, nach der sich der Antragsgegner verpflichten sollte, es zu unterlassen, "geschützte Werke von Unterlassungsgläubiger [i.e. die Antragstellerin] oder Teile daraus öffentlich zugänglich zu machen bzw. öffentlich zugänglich machen zu lassen, insbesondere über sog. Tauschbörsen im Internet zum elektronischen Abruf bereitzuhalten". Am unteren Rand dieser Erklärung ist (mit entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen) darauf hingewiesen, dass die Erklärung keiner gesonderten Annahmeerklärung bedürfe, sofern keine inhaltlichen Veränderungen vorgenommen würden und dass "in Internetforen fälschlicherweise empfohlene Einschränkungen" die Unterlassungserklärung insgesamt unwirksam machen könnten. Der Antragsgegner reagierte auf diese Abmahnung nicht.
Am 16.3.2010 hat das Landgericht auf den Antrag der Antragstellerin vom selben Tag eine einstweilige Verfügung erlassen, durch die es dem Antragsgegner untersagt worden ist, das Hörbuch "Das verlorene Symbol" von E. C. zum Abruf über das Internet bereitzustellen und/oder bereitstellen zu lassen und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und/oder zugänglich zu machen. Die einstweilige Verfügung ist dem Antragsgegner am 25.3.2010 zugestellt worden. Der auf der Grundlage der einstweiligen Verfügung von der Antragstellerin erwirkte Kostenfestsetzungsbeschluss ist dem Antragsgegner am 11.5.2010 zugestellt worden. Nachdem der Antragsgegner mit Schreiben vom 12.5.2010 eine auf das verfahrensgegenständliche Werk beschränkte Unterlassungserklärung abgegeben hatte, hat die Antragstellerin das Verfahren für erledigt erklärt. Der Antragsgegner hat zunächst Widerspruch eingelegt, sich dann aber vor Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Erledigungserklärung angeschlossen. Er trägt insbesondere vor, zu dem Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat verreist gewesen zu sein; er könne sich die Tat nur dadurch erklären, dass ein unbekannter Dritter sein W-LAN trotz Sicherung unberechtigt benutzt habe.
Das Landgericht hat die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner auferlegt. Hiergegen richtet sich dessen Beschwerde; die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluss.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt nach dem auch im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO zu berücksichtigenden Rechtsgedanken des § 93 ZPO dazu, dass die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen sind.
1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Antragstellerin gegen den Antragsgegner ein Unterlassungsanspruch zustand. Es kann insofern dahinstehen, ob dieser Anspruch, wie dies dem gestellten Antrag zugrunde liegt, auf eine Haftung des Antragsgegners als Täter gegründet ist oder, wie dies der Antragsgegner (hilfsweise) geltend macht, sich aus einer Haftung als Störer ergibt. Dabei haftet der Antragsgegner nach seinem eigenen Vortrag als Störer. Denn er hat die angesichts der von ihm behaupteten mehrtägigen Abwesenheit nächstliegende Sicherungsmaßnahme seines W-LANs unterlassen, indem er dieses nicht abgeschaltet hat.
Selbst wenn die Antragstellerin also den Antrag entsprechend hätte einschränken müssen, würde dies es nicht rechtfertigen, sie an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen. Der Senat hält an den folgenden Erwägungen aus seinem Beschluss vom 9.9.2010 (6 W 114/10, 115/10) fest:
Zu einer Beteiligung der Antragstellerin an den Kosten des Verfahrens führt es (…) nicht, dass sie einen Antrag gestellt hat, der die konkrete Verletzungsform (das Bereitstellen des Internetanschlusses) nicht erfasst, sondern auf das Angebot des Hörbuchs im Internet abstellt. Die Antragstellerin hätte daher den Antrag entsprechend einschränken müssen (vgl. BGH GRUR 2010, 633, 636, Tz. 35 ff. – Sommer unseres Lebens). Es kann im Rahmen des § 91a ZPO davon ausgegangen werden, dass sie dies – ggf. nach einem Hinweis des Landgerichts – getan hätte (vgl. OLG Köln OLGReport 2005, 587). Darin hätte dann zwar möglicherweise eine teilweise Antragsrücknahme gelegen; dies kann aber offenbleiben, weil der Antragsgegner auch in diesem Fall für die Kosten in vollem Umfang haftet.
Es obliegt dem Gläubiger eines (…) Unterlassungsanspruchs zur Vermeidung des Prozessrisikos aus § 93 ZPO, den Störer vor Erhebung einer Unterlassungsklage abzumahnen. Hierdurch soll der Störer Gelegenheit erhalten, im eigenen Interesse einen aussichtslosen Unterlassungsrechtsstreit und die damit für ihn verbundenen Kosten zu vermeiden. Diese grundsätzliche Abmahnlast und die in einer Abmahnung zum Ausdruck kommende Rücksichtnahme auf die Interessen des Störers machen es nach Treu und Glauben erforderlich, den Störer im Gegenzuge als verpflichtet anzusehen, auf eine Abmahnung fristgemäß durch Abgabe einer ausreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung oder deren Ablehnung zu antworten. Diese Pflicht erwächst aus der durch die Rechtsverletzung entstandenen Sonderbeziehung. Verletzt der Störer schuldhaft seine Pflicht, auf die Abmahnung fristgemäß zu antworten, steht dem Gläubiger ein Schadensersatzanspruch zu, der insbesondere die durch das in Rede stehende Verhalten des abgemahnten Störers verursachten Rechtsverfolgungskosten umfasst (BGH GRUR 1990, 381, 382 – Antwortpflicht des Abgemahnten). Diese Grundsätze gelten auch im Urheberrecht (vgl. Schuschke/Walker/Schmukle, ZPO, Anhang zu § 935, Teil A, Rdn. 1).
Danach steht der Antragstellerin in Höhe der Kosten, die auf dem (unterstellt) zu weitgehenden Antrag beruhen, ein Schadensersatzanspruch gegen den Antragsgegner zu. Denn die Antragstellerin hätte von vornherein einen auf die konkrete Verletzungsform beschränkten Antrag stellen können, wenn der Antragsgegner pflichtgemäß auf ihre berechtigte Abmahnung, die auch eine Haftung als Störer zum Gegenstand hatte, reagiert hätte. Insofern erscheint es als billig, auch die Kosten, die Gegenstand dieses materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch sind, dessen Bestehen ohne weitere Sachaufklärung festgestellt werden kann, im Rahmen des § 91a ZPO dem Antragsgegner aufzuerlegen (vgl. BGH NJW 2002, 680).
2. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin jedoch keinen Anlass zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegeben.
a) Grundsätzlich gibt der Schuldner Anlass zu seiner gerichtlichen Inanspruchnahme, wenn er auf eine Abmahnung hin nicht eine (strafbewehrte) Unterlassungserklärung abgibt. Zudem ist es im gewerblichen Rechtsschutz anerkannt, dass den Gläubiger nicht eine Obliegenheit trifft, der Abmahnung den Entwurf einer Unterlassungserklärung beizufügen. Daher ist es grundsätzlich auch unschädlich, wenn der Gläubiger mit der einer Abmahnung beigefügten vorgeschlagenen Unterwerfungserklärung mehr verlangt, als ihm zusteht; es ist dann Sache des Schuldners, die Wiederholungsgefahr durch Abgabe einer Unterwerfungserklärung in dem dazu erforderlichen Umfang auszuräumen (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rdn. 1.17).
Diese Grundsätze können auf die Abmahnung, die gegenüber einem nicht geschäftlich handelnden Rechtsverletzer ausgesprochen wird, nicht uneingeschränkt angewandt werden. Auch eine im gewerblichen Bereich ausgesprochene Abmahnung darf sich nicht darauf beschränken, eine Rechtsverletzung aufzuzeigen. Die Abmahnung soll dem Schuldner einen Weg weisen, den Gläubiger ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen (vgl. BGH GRUR 2009, 502 Tz. 11 – pcb; GRUR 2010, 354 Tz. 8 – Kräutertee). Zu diesem Zweck ist es im geschäftlichen Verkehr ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Abmahnung die Aufforderung zur Abgabe einer Unterwerfungserklärung enthält (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rdn. 1.16; Teplitzky, Kap. 41 Rdn. 14). Was einem Verbraucher gegenüber erforderlich ist, um ihm den Weg zur Vermeidung einer gerichtlichen Inanspruchnahme zu weisen, kann nicht nach denselben Grundsätzen beurteilt werden. Insoweit ist jedenfalls von einem gewerblich tätigen und rechtlich beratenen Gläubiger zu verlangen, dass er dem Schuldner keine Hinweise erteilt, die den Schuldner von der Anerkennung des Anspruchs abhalten können. Geschieht dies gleichwohl, kann der Gläubiger – nach objektiven Maßstäben – aus einer unterbliebenen Reaktion des Schuldners auf die Abmahnung nicht schließen, dass eine gerichtliche Inanspruchnahme erforderlich ist. Der Senat verkennt nicht, dass diese Einschätzung bisher – wie die Antragstellerin dargelegt hat – in der Literatur nicht vertreten worden ist. Es lässt sich den angeführten Literaturnachweisen jedoch nicht entnehmen, dass diese sich mit den hier gegebenen Besonderheiten auseinandergesetzt haben. Dass Privatpersonen wegen Urheberrechtsverletzungen in Anspruch genommen werden, kommt nämlich erst in jüngerer Zeit in einem früher kaum vorstellbaren Umfang vor.
Die Auffassung der Antragstellerin, Verbraucherinteressen seien bereits dadurch abschließend berücksichtigt, dass die Verfolgbarkeit auf Rechtsverletzungen von "gewerblichem Ausmaß" nach einer gerichtlichen Prüfung desselben beschränkt sei (§ 101 Abs. 2 Satz 3, Abs. 9 UrhG), und der Antragsgegner könne sich daher nicht darauf berufen, bei der Rechtsverletzung privat gehandelt zu haben, überzeugt nicht. Der Annahme, dass der Antragsgegner nicht geschäftlich tätig ist, steht nicht entgegen, dass ihm eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorgeworfen wird. Denn das Tatbestandsmerkmal "gewerbliches Ausmaß" bezieht sich auf die Schwere der Rechtsverletzung und damit auf den Umfang der Beeinträchtigung der Interessen des Rechteinhabers (vgl. Beschluss des Senats vom 21.10.2008 – 6 Wx 2/08). Eine solche Rechtsverletzung kann (und wird in der überwiegenden Zahl der Fälle von Angeboten in sog. Tauschbörsen) durch eine privat handelnde Person erfolgen, die wie (aber nicht als) ein gewerblicher Anbieter auftritt, indem sie der Öffentlichkeit ein fremdes Werk anbietet (vgl. Beschluss des Senats vom 9.2.2009 – 6 W 182/08). Die oben dargestellten Gründe für die Anwendung des § 93 ZPO beruhen auch nicht auf Erwägungen zum Verbraucherschutz, sondern ergeben sich daraus, dass das Verhalten einer geschäftlich unerfahrenen und rechtlich nicht beratenen Person anders auszulegen ist als die Reaktion einer Person, die gewerblich tätig ist.
b) Nach diesen Maßstäben hat der Antragsgegner keine Veranlassung zu seiner gerichtlichen Inanspruchnahme gegeben. Die Antragstellerin hat in der von ihr vorformulierten Unterlassungsklärung eine Verpflichtung vorgesehen, die sämtliche Werke einschließt, an denen die Antragstellerin Rechte innehat. Dies geht weit über den ihr zustehenden Unterlassungsanspruch hinaus, der nur hinsichtlich des Werks besteht, bezüglich dessen der Antragsgegner Rechte verletzt hat. Obwohl also eine Beschränkung der geforderten Unterlassungserklärung nicht fernliegend gewesen wäre, hat die Antragstellerin mehrfach darauf hingewiesen, dass Einschränkungen der vorgeschlagenen Erklärung zur "Unwirksamkeit der Unterlassungserklärung" führen könnten. Neben dem Hinweis auf der vorbereiteten Unterlassungserklärung selbst ist der Antragsgegnerin in der Abmahnung ausdrücklich zur Verwendung dieser Erklärung aufgefordert worden und auf Kostennachteile hingewiesen worden, wenn er die Unterlassungserklärung abändern sollte. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner den Weg gewiesen hat, der zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung geboten war.
Dass von einigen Rechtsanwälten sowie im Internet die Abgabe derart weit gefasster Unterlassungserklärungen empfohlen wird, führt nicht zu einer anderen Beurteilung: Denn eine solche Empfehlung kann jedenfalls nur im Einzelfall erteilt werden und erfordert die Kenntnis der Umstände der Rechtsverletzung, damit beurteilt werden kann, ob ein "umfassendes Erledigungsinteresse" (wie die Antragstellerin meint) besteht.
Diese Bewertung steht auch nicht im Widerspruch zur oben dargestellten Antwortpflicht des Abgemahnten. Denn diese bezieht sich auf die Mitteilung rein tatsächlicher Umstände, die auch einer Privatperson möglich und zumutbar ist.
3. a) Der Antragsgegner hat den geltend gemachten Anspruch zwar nicht förmlich anerkannt, aber eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben, die einem Anerkenntnis entspricht und sogar darüber hinaus geht, weil sie den geltend Anspruch zugleich befriedigt. Dass der Antragsgegner sodann Widerspruch eingelegt hat, ist unerheblich (vgl. OLG Hamburg NJW-RR 2002, 215 f.), denn die einstweilige Verfügung wäre, nachdem der Unterlassungsanspruch beseitigt worden war, aufzuheben gewesen.
Der Antragsgegner hat die Unterlassungserklärung "sofort" im Sinne des § 93 ZPO abgegeben. Zwar waren seit der Zustellung der einstweiligen Verfügung mehr als sechs Wochen vergangen, der Antragsgegner hat sich aber dem Verfügungsanspruch zu keinem Zeitpunkt widersetzt.
b) Dass der Antragsgegner sich der Erledigungserklärung erst verzögert angeschlossen hat, führt ebenfalls nicht dazu, dass er an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn hierdurch weitere Kosten entstanden wären (vgl. PG-Hausherr, 3. Aufl., § 91a Rdn. 35); dafür ist aber nichts ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 91 ZPO.