Regimekritische Internetaktivitäten

03. November 2011
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
2490 mal gelesen
0 Shares

Eigener Leitsatz:

Ein Exiliraner setzt sich dem Risiko politischer Verfolgung in seinem Heimatland aus, wenn er einen Weblog unter eigenem Namen unterhält und dabei gleichzeitig Kontakte zu iranischen Oppositionsgruppen unterhält. Dies erzeugt den Verdacht, das Bloggen unterstütze oppositionelle Strömungen.

Hessischer Verwaltungsgerichtshof

Urteil vom 21.09.2011

Az.: 6 A 1005/10.A

 

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerinnen die gegen Nr. 1 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2009 gerichtete Klage zurückgenommen haben.

Auf die Berufung der Klägerinnen wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 25. Januar 2010 und teilweiser Abänderung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2009 verpflichtet, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 Abs. 1 AsylVfG, 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens auf Zulassung der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am … 1968 in Teheran geborene Klägerin 1. und ihre am … 1992 – ebenfalls in Teheran – geborene Tochter, die Klägerin zu 2., sind iranische Staatsangehörige. Die Klägerinnen verließen ihr Heimatland am 28. Juni 2007 und reisten nach ihren Angaben, von Teheran kommend, auf dem Luftweg über den Flughafen Hamburg in das Bundesgebiet ein.

Die Klägerinnen wurden am 12. Juli 2007 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu den Gründen ihres Asyl- und Flüchtlingsgesuchs angehört. Die Klägerin zu 1. gab hierbei im Wesentlichen an, ihr Ehemann habe vor sieben oder acht Monaten den Iran wegen politischer Probleme verlassen. Danach habe er sich bei seiner Familie nicht mehr gemeldet. Sie wisse nicht, wo er sich jetzt aufhalte. Er habe Schwierigkeiten mit Freunden in der Regierung bekommen, mit denen er zuvor zusammengearbeitet habe. Kurz bevor er weggegangen sei, habe er ihr – der Klägerin zu 1. – Unterlagen übergeben. Hierbei habe es sich um ein paar Überweisungen, Geldtransferscheine und Fotos von Mullahs gehandelt, die beim Rauchen von Opium fotografiert worden seien. Ihr Ehemann habe ihr gesagt, dass es sich um geheime Unterlagen handele, die sie zunächst einmal verstecken und später, falls er das Land verlassen habe und in Sicherheit sei, veröffentlichen solle. Ihre Tochter – die Klägerin zu 2. – habe die Unterlagen dann als Dateien auf CD gespeichert und sie selbst habe die CDs zwischen Dezember und Januar 2006/2007 an verschiedene Zeitungen geschickt. Einige Exemplare habe ihre Tochter an Freundinnen verteilt. Hiervon habe sie nichts gewusst. Eine der CDs habe man bei einer Freundin ihrer Tochter, die wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidervorschriften festgenommen worden sei, bei einer Hausdurchsuchung gefunden. Im Mai oder Juni hätten sie während eines Ausflugs zum Kaspischem Meer mit einer Freundin ihrer Tochter in Teheran telefoniert. Diese habe ihrer Tochter gesagt, dass sie in Teheran gesucht würden. Das gleiche habe sie von ihrer Schwester gehört, die bei einem Telefongespräch gleichfalls davor gewarnt habe, nach Teheran zurückzukehren. Danach hätten sie dann das Land verlassen. Um die Ausreise finanzieren zu können, habe sie ihr Auto in Zahlung gegeben.

Mit Bescheid vom 19. Februar 2009 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag der Klägerinnen auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen und forderte die Klägerinnen auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides, im Falle der Klageerhebung innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Im Falle der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde den Klägerinnen die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte seien im vorliegenden Fall schon aufgrund der Ausschlussbestimmung in Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfüllt, denn die Klägerinnen hätten nicht nachweisen können, auf direktem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Es bestehe auch kein Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach 60 Abs. 1 AufenthG. Der unglaubhafte Vortrag der Klägerinnen biete keine Grundlage für die Annahme, sie hätten aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung den Iran verlassen. Vielmehr seien sie offensichtlich aus rein persönlichen Gründen ausgereist. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor.

Am 25. Februar 2009 erhoben die Klägerinnen bei dem Verwaltungsgericht Kassel Klage.

Zur Begründung wurde ausgeführt, sie – die Klägerinnen – hätten entgegen der Ansicht des Bundesamtes einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, den sie hätten, wie von Verwandten, die sie am Flughafen in Hamburg abgeholt hätten, bezeugt werden könne, Deutschland auf dem Luftweg erreicht. Ihr Asylvortrag sei auch nicht, wie in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt werde, unglaubhaft. Vielmehr hätten sie in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt eindeutig politische Verfolgungsgründe angegeben. Diese Verfolgungsgründe hätten deshalb einen politischen Hintergrund, weil der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen nicht nur im Besitz von brisantem politischem Material, sondern sogar Zeuge entsprechender Vorgänge gewesen sei. Zum einen gelte dies für das in hochrangigen Kreisen der iranischen Gesellschaft untersagte Opiumrauchen, zum anderen für die auf den CDs dokumentierten finanziellen Unterlagen. Es sei zu vermuten, dass diese Gelder auf illegale Weise erworben worden seien und dass der Kauf eines Autos als Geldwäsche gedient habe. Deshalb sei der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen als Zeuge sehr stark gefährdet gewesen, so dass er habe verschwinden müssen. Weiterhin könnten sich die Klägerinnen auf relevante Nachfluchtgründe berufen. Die Klägerin zu 1. habe in Deutschland den Aufruf der "Kampagne für Gleichheit" der iranischen Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi unterzeichnet und sich darüberhinaus im iranischen Menschenrechtsverein in Hannover engagiert. Insbesondere aber unterhalte sie unter ihrem eigenen Namen eine eigene Website, in der sie seit Monaten regierungs- bzw. regimekritische Stellungnahmen abgebe. In der vom iranischen Menschenrechtsverein Hannover herausgegebenen Zeitung "Azadegy" (Freiheit) habe sie mehrfach Artikel über die Lage der Frauen im Iran mit kritischem Unterton sowie Beiträge verfasst, in denen sie sich in außerordentlich kritischer Weise über die schlechte Arbeit der iranischen Regierung geäußert habe. Im Magazin "Bashariyat" Nr. 91 vom September 2009 habe sie zusammenfassend einen Artikel der Journalistin Christina Paterson wiedergegeben, die unter der Überschrift "Prostitutionsgefühl unter obligatorischer Verschleierung im Iran" die Eindrücke einer Besuchsreise im Iran geschildert habe. In ähnlicher Weise habe sich die Klägerin zu 2. politisch betätigt. Sie unterhalte ebenfalls eine eigene Website, in der sie regimekritische Stellungnahmen veröffentliche. Darüber hinaus habe die Klägerin zu 2. in der Zeitschrift "Azadegy" vom Juni 2009 sowie im Magazin "Bashariyat" selbstverfasste Gedichte mit regimefeindlichem Hintergrund veröffentlicht. In der Ausgabe Nr. 93 des Magazins "Bashariyat", in der Gedichte der Klägerin zu 2. abgedruckt seien, werde auch die Klägerin zu 1. erwähnt, und zwar als Verantwortliche der monatlichen Versammlungen der Gießener Ortsgruppe der Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran.

Die Klägerinnen beantragten,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Februar 2008 (richtig: 2009) zu verpflichten, die Klägerinnen als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG,
hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 25. Januar 2010 wies das Verwaltungsgericht Kassel die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Klägerinnen hätten weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte und Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, noch könne zu ihren Gunsten ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festgestellt werden. Die Klägerinnen seien unverfolgt aus ihrem Heimatland ausgereist und müssten auch im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit politische Repressalien des iranischen Staates befürchten. Die von Ihnen geschilderten Vorgänge vor der Ausreise seinen unglaubhaft. Die Klägerinnen hätten auch aufgrund ihrer politischen Betätigung in Deutschland mit keinen politisch begründeten Maßnahmen im Iran zu rechnen. Die Gefahr einer politischen Verfolgung könne bei vernünftiger Betrachtung der persischen Exilszene nur bei solchen Emigranten angenommen werden, die bei ihren Aktivitäten besonders hervorträten und deren Gesamtverhalten den iranischen Stellen als ernsthafte, auf die Verhältnisse im Iran einwirkende Regimegegnerschaft erscheinen müsse. Eine politische Verfolgung wegen oppositioneller Betätigung im Ausland sei nur dann zu befürchten, wenn die konkrete Betätigung mit einer gewissen Qualität gegen das iranische Regime gerichtet sei und die iranischen Behörden aufgrund dieser Betätigung und des Vorlebens des Betroffenen davon ausgehen müssten, dass es sich um einen ernsthaften Regimegegner handele. Diese Voraussetzungen seien im Falle der Klägerinnen nicht erfüllt. Zwar hätten sie mehrere Artikel bzw. Gedichte mit regimekritischem Unterton in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht und seien beide Mitglieder der regimekritischen Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran e.V. Angesichts der Vielzahl exiliranischer Publikationen, die sich allesamt kritisch mit dem derzeitigen Regime auseinandersetzten, höben sich die Klägerinnen auf diese Weise aber nicht in signifikanter Weise aus der Masse der in Westeuropa lebenden Exiliraner heraus. Auch seien sie nicht an führender Stelle innerhalb der Exilorganisation tätig. Auch der Umstand, dass die Klägerinnen Internetbloggs unterhielten, in denen sie unter Nennung des eigenen Namens regimekritische Texte und Fotos veröffentlicht hätten, führe zu keiner anderen Betrachtungsweise. Ungeachtet der intensiven Überwachung von Internetbeiträgen im Iran sei die Gefahr für solche Webblogger, bei denen es sich um eher private Aktivitäten handele, vergleichsweise gering. Ein Filtersystem sorge dafür, dass verdächtige Seiten mit bestimmten Wörtern nicht mehr zugänglich seien und damit auch politische Seiten gesperrt würden. Zwar sei es mit Rücksicht auf die in letzter Zeit zu beobachtenden verstärkten Anstrengungen des iranischen Regimes, die im Internet aktive Opposition unter Kontrolle zu bringen und angesichts der Ausweitung der Strafbarkeit auf bestimmte Handlungen im Internet mit dem Erlass des Gesetzes gegen Cyberkriminalität im Juli 2009 nicht völlig auszuschließen, dass auch die Klägerinnen ins Blickfeld iranischer Stellen gerieten. Angesichts der Vielzahl vergleichbarer kritischer Webbloggs und mit Rücksicht darauf, dass die Klägerinnen wie auch andere Blogger offensichtlich auf einen Pool bestimmter Bilder und Texte zurückgriffen, um ihrer Kritik Ausdruck zu verleihen, fehle es jedoch an der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung gerade der Klägerinnen.

Auf Antrag der Klägerinnen wurde die Berufung gegen das vorgenannte Urteil vom 25. Januar 2010 zugelassen.

Zur Begründung der zugelassenen Berufung verweisen die Klägerinnen auf ihr Vorbringen erster Instanz und tragen ergänzend vor, das Verwaltungsgericht sei zwar prinzipiell zu Recht von der Strafbarkeit regimekritischer Äußerungen im Internet im Iran ausgegangen, habe jedoch unzutreffend die Auffassung vertreten, dass nur solche Autorinnen und Autoren in Verfolgungsgefahr gerieten, die in besonderer Weise aus dem Kreis der Oppositionellen herausgehoben seien. Die Verfolgungsmaßnahmen des iranischen Staates richteten sich bereits seit längerer Zeit nicht mehr nur gegen besonders herausgehobene Oppositionelle oder Anführer der Opposition, sondern schonungslos gegen jedweden, der sich regimekritisch äußere und identifizierbar sei. Ihr bereits erstinstanzlich vorgetragenes exilpolitisches Engagement hätten sie – die Klägerinnen – kontinuierlich fortgeführt; sie seien beide weiterhin aktive Mitglieder in der Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran und veröffentlichen regelmäßig Beitrage in den Zeitschriften "Bashariyat" und "Azadegy".

Die Klägerinnen haben in der mündlichen Verhandlung am 21. September 2011 ihre Klage insoweit zurückgenommen, als diese auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet war, sie – die Klägerinnen – als Asylberechtigte anzuerkennen.

Sie beantragen,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 25. Januar 2010 und des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2009 zu verpflichten, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft gem. §§ 3 Abs. 1 AsylVfG, 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen,
hilfsweise,
Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerinnen wurden im Berufungsverfahren durch den Vorsitzenden des Senats als Beteiligte ergänzend zu den Gründen ihrer Ausreise und zu ihren exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschrift vom 8. September 2010 (Bl. 243-245 der Gerichtsakten) verwiesen. Der Senat hat gutachterliche Stellungnahmen des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und von Herrn Uwe Brocks sowie eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt. Hinsichtlich der Einzelheiten des Auskunftsersuchens wird auf Bl. 184-186 der Gerichtsakten, wegen des Inhalts der den Senat zugegangen gutachterlichen Stellungnahmen von Uwe Brocks vom 22. Oktober 2010 und Dr. Jörn Thielmann vom Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa vom 21. Februar 2011 wird auf Bl. 277-289 und Bl. 324-330 der Gerichtsakten, wegen des Inhalts der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. August 2010 auf Bl. 225-227 der Gerichtsakten verwiesen.

Dem Senat liegen die Behördenakten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (ein Hefter) vor. Sie waren, ebenso wie die Auskünfte und Gutachten, die dem Senat zu Iran vorliegen und die den Beteiligten in Form einer Erkenntnisquellenliste mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugänglich gemacht worden sind, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Nachdem die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung am 21. September 2011 ihre Klage insoweit zurückgenommen haben, als es die von der Beklagten in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2009 versagte Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Abs. 1 GG betrifft, ist das Verfahren bezüglich dieses Teils des Streitgegenstandes nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

Im Übrigen – hinsichtlich des von den Klägerinnen im Berufungsverfahren weiter verfolgten Anspruchs auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 1 AsylVfG – ist die von dem Senat zugelassene und auch im übrigen zulässige Berufung der Klägerinnen gegen das erstinstanzliche Urteil vom 25. Januar 2010, über die der Vorsitzende mit Zustimmung der Beteiligten an Stelle des Senats entscheidet, begründet und führt unter Abänderung des angefochtenen Urteils erster Instanz und unter entsprechender Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Bescheid vom 19. Februar 2009 zur Verpflichtung der Beklagten, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft gem. §§ 3 Abs. 1 AsylVfG, 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.

Nach der für die gerichtliche Entscheidung maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) haben die Klägerin Anspruch darauf, dass ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2009 ist, soweit darin in Nr. 2 festgestellt wird, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in ihren Rechten.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer dann Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist in Anwendung des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge – Genfer Flüchtlingskonvention – die Abschiebung eines Ausländers in einen Staat untersagt, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung im vorgenannten Sinne vorliegt, sind gem. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Regelungen in Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29 April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – Qualifikationsrichtlinie – ergänzend anzuwenden.

Die Qualifikationsrichtlinie definiert in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) und b) die für die Flüchtlingszuerkennung relevante Verfolgung als Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte, insbesondere der Rechte, von denen gem. Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, darstellt oder als Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person hierdurch in grundlegenden Menschenrechten oder in den durch die EMRK gewährleisteten Grundfreiheiten betroffen ist. Die Tatsache, dass der um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nachsuchende Antragsteller in dem Herkunftsstaat bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden ( im Sinne von Art. 15 Buchstabe a) Qualifikationsrichtlinie) erlitten hat bzw. von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Zu Gunsten des Vorverfolgten bzw. Geschädigten gilt damit eine (widerlegbare) Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – BVerwG 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377).

Die §§ 15 und 25 AsylVfG legen den Umfang der besonderen Mitwirkungspflichten des Flüchtlings fest. Diese Vorschriften erlegen es ihm auf, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, selbst die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen und die erforderlichen Angaben hierzu zu machen. Zu diesen Angaben gehören neben den seine Person und seine Herkunft betreffenden Tatsachen eine Schilderung der die Flucht auslösenden Ereignisse, d.h. Angaben darüber, welchen Verfolgungsmaßnahmen der Betreffende ausgesetzt war, von wem diese verübt worden sind und/oder vor welchen befürchteten Verfolgungsmaßnahmen er geflohen ist. Die im nationalen Recht geregelten Mitwirkungspflichten entsprechen damit den in Art. 4 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie niedergelegten Pflichten zur Mitwirkung des Flüchtlings im Rahmen der Prüfung von Ereignissen und Umständen für die Gewährung internationalen Schutzes (vgl. Hess VGH, Urteil vom 24. August 2010 – 3 A 2049/08.A -, Jurisdokument, Rn 26). Die besonderen Mitwirkungspflichten des Schutzsuchenden begrenzen zugleich den Umfang der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Diese findet dort ihre Grenze, wo das Vorbringen des Schutzsuchenden keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Im Asylstreitverfahren besteht folglich Anlass zu weiterer Sachaufklärung generell dann nicht, wenn der Asylbewerber unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflichten seine guten Gründe für eine drohende politische Verfolgung nicht unter Angaben genauer Einzelheiten schlüssig und nachvollziehbar schildert und es ihm nicht gelingt, aufgetretenen Widersprüche und Unstimmigkeiten in schlüssiger Weise aufzulösen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 – BVerwG 9 C 36.98 -, BVerwGE 109, 174).

Die nach den vorgenannten Grundsätzen für vorverfolgte Schutzsuchende geltende Privilegierung gem. Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie können die Klägerinnen nicht für sich in Anspruch nehmen.

Auch nach der im vorliegenden Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme mit Beteiligtenvernehmung der Klägerinnen gelten die bereits von dem Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerinnen zu den Gründen ihrer Ausreise aus dem Iran im Jahre 2007 fort. In den Entscheidungsgründen des Urteils vom 25. Januar 2010 wird hierzu ausgeführt, es sei unter keinem denkbaren Gesichtspunkt nachvollziehbar, warum die Klägerin zu 1. die ihr von ihrem Ehemann angeblich übergebenen Unterlagen an reformorientierte Zeitungen übersandt haben wolle, obgleich sie davon ausgegangen sei, dass ihr Ehemann in Gefangenschaft geraten gewesen sei und er ihr zudem ausdrücklich gesagt habe, diese Unterlagen erst dann aus der Hand zu geben, wenn er ihr mitgeteilt habe, in Sicherheit zu sein. Die Behauptung der Klägerin zu 1., sie habe auf diese Weise ihren Ehemann entlasten wollen, sei geradezu absurd. Ein möglicherweise gegen den Ehemann bestehender Verdacht sei durch die Weitergabe kompromittierender Unterlagen durch seine Familienangehörigen nicht etwa entkräftet, sondern in entscheidender Weise verstärkt worden. Auch das Anfertigen weiterer CD-Kopien der Daten der belastenden Unterlagen durch die Klägerin zu 2. sei, auch wenn man ihr Alter in Rechnung stelle, nicht mehr nachvollziehbar.

Den Klägerinnen ist es im Verlaufe des Berufungsverfahrens nicht gelungen, diese von der Vorinstanz zu Recht geäußerten durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit des Verfolgungsvorbringens auszuräumen. Auch für das erkennende Gericht ist trotz intensiver Nachfrage im Termin zur Beweisaufnahme am 8. September 2010 unklar geblieben, weshalb die Klägerin zu 1. durch die Weitergabe der ihr von ihrem Ehemann überlassenen Unterlagen an reformorientierte Zeitungen und die Klägerin zu 2. durch Anfertigung zusätzlicher Datenträger mit Kopien dieser Unterlagen und Weitergabe dieser CDs an Freundinnen ein eigenes unkalkulierbares Risiko eingegangen sind. Die hierfür von beiden Klägerinnen gegebene Begründung, sie hätten hierdurch von ihrem Ehemann bzw. Vater ablenken und den eventuellen Verdacht der iranischen Behörden auf sich selbst lenken wollen, ist nicht plausibel und letztlich unverständlich. Die Klägerinnen mussten nämlich damit rechnen, dass für ihren Ehemann bzw. Vater durch ihr eigenes Verhalten ein zusätzliches Gefahrenpotenzial entstand, da man ihm seitens der iranischen Sicherheitsorgane den weiteren Vorwurf machen konnte, über das ihm selbst zur Last gelegte eigene Fehlverhalten hinaus auch seine Familienangehörigen zu staatsfeindlichen Handlungen angestiftet zu haben. Dass diese offensichtlichen Zusammenhänge für die Klägerinnen nicht erkennbar waren und nicht in ihre Überlegungen einbezogen wurden, hält das erkennende Gericht für nahezu ausgeschlossen. Auch der von der Klägerin zu 2. angeführten Umstand, dass sie als damals 14- jährige die Folgen ihres Handelns nicht habe überblicken können und erst im Nachhinein erkannt habe, dass das Pressen der zusätzlichen CDs und deren Weitergabe an andere Personen einer "Dummheit" gewesen sei, vermag letztlich zu keiner anderen, für sie günstigen Betrachtungsweise zu führen. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass sich die Klägerin zu 2. allein durch die "vage Vorstellung", durch die Weitergabe der Kopien "irgendwie" von ihrem Vater ablenken und den Verdacht "möglicherweise auf andere Personen lenken" zu können, zu einem derartigen, eine Gefährdung der gesamten Familie geradezu heraufbeschwörenden Tun hat verleiten lassen.

Die mithin unverfolgt ausgereisten Klägerinnen sind aber deshalb als Flüchtlinge im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG zu betrachten, weil sie aufgrund ihrer nach der Einreise im Bundesgebiet entwickelten exilpolitischen Aktivitäten dem ernsthaften Risiko ausgesetzt sind, im angenommenen Fall der Rückkehr in den Iran dort wegen einer ihnen unterstellten staatsfeindlichen Gesinnung aus politischen Gründen verfolgt zu werden. Diese von den Klägerinnen nach der Ausreise selbst geschaffene Gefährdungslage ist im vorliegenden Erstverfahren gemäß § 28 Abs. 1a AsylVfG uneingeschränkt zu berücksichtigen.

Für die Klägerin zu 1. besteht die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Gefahr, im Iran politisch begründeten staatlichen Repressalien ausgesetzt zu werden deshalb, weil sie über einen von ihr unter eigenem Namen unterhaltenen Weblog selbst oder von anderen Personen verfasste Beiträge und Fotografien veröffentlicht, deren Inhalt sich kritisch mit der derzeitigen Lage im Iran, der Situation der Frauen im Land, der Politik der iranischen Regierung sowie der Rolle des Islam in der iranischen Gesellschaft auseinandersetzt, sich aktiv und in organisatorisch herausgehobener Weise als Mitglied der oppositionellen iranischen Gruppierung "Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Irak e.V." betätigt und überdies in der von der vorgenannten Vereinigung herausgegebenen Publikation "Bashariyat" und in dem von iranischen Oppositionellen in Deutschland publizierten Magazin "Azadegy" sowie in den entsprechenden Webseiten der beiden Zeitschriften (www.azadegy.de und www.bashariyat.de) mehrfach und in kontinuierlicher Folge Artikel mit kritischen Betrachtungen der derzeitigen Situation im Iran und der Politik des iranischen Regimes verfasst hat. Angesichts dieser in unterschiedlicher und vielfältiger Weise nach außen hin in Erscheinung tretenden oppositionellen Haltung der Klägerin zu 1., die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Iran durch Ermittlungen der dortigen Sicherheitsbehörden und Agenten der iranischen Auslandsvertretungen in Deutschland bekannt geworden ist, muss die Klägerin zu 1. in den Augen der iranischen Machthaber als eine überzeugte und besonders aktive Regimegegnerin erscheinen, die aus Sicht der iranischen Behörden wegen der von ihr ausgehenden Gefahr für den islamischen Staat nachhaltig zu bekämpfen ist.

Ein wesentliches, bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung deutlich für ein Verfolgungsrisiko der Klägerin zu 1. sprechendes Gefährdungsmoment folgt daraus, dass sie im Internet – im eigenen Weblog und in den Internetseiten der beiden Oppositionszeitschriften "Azadegy" und "Bashariyat" – selbst verfasste oder von anderen Personen stammende Artikel veröffentlicht hat und weiter publiziert, deren Inhalt sich in deutlicher Weise kritisch mit den Verhältnissen im Iran und mit der Politik der derzeitigen iranischen Regierung auseinandersetzt.

Wie sich aus den von dem Senat im vorliegenden Verfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen von Uwe Brocks und Dr. Jörn Thielmann und den ansonsten vorliegenden Erkenntnisquellen entnehmen lässt, wird im Iran gegen die im Internet tätige iranische Opposition, vor allem seit den Erfahrungen mit der Bedeutung der über das Internet laufenden Kommunikationswege bei den Demonstrationen der "Grünen Bewegung" im Zuge der Präsidentschaftswahlen im Jahre 2009, mit allen zur Verfügung stehenden technischen, rechtlichen und administrativen Möglichkeiten vorgegangen.

Das Internet ist im Iran zu einer äußerst wichtigen Informationsquelle geworden. Besondere Bedeutung hat das Internet dabei für die iranische Opposition, die hierauf als einzigen nicht leicht zu behinderten Informations- und Kommunikationsweg zurückgreift, mit dessen Hilfe oppositionelle Aktivitäten koordiniert werden können (Gutachten Brocks, S. 2). Das iranische Regime sieht sich nach eigener Aussage einem "Kulturkrieg" des Westens gegen den Iran ausgesetzt, den es insbesondere im Internet auszuschalten gelte (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. Februar 2011 – Stand Januar 2011 – Seite 19). Seit Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Ahmadinejad wird deshalb intensiv gegen die Bloggerszene vorgegangen. Hierfür wurde Anfang November 2009 eine spezielle Abteilung "für Verbrechensbekämpfung im Internet" gegründet, die "Betrug, illegale Werbung, Beleidigungen und falsche Behauptungen" verfolgen soll. Zur Bekämpfung der im Internet tätigen Opposition werden der Inhalt von Webseiten und der gesamte elektronische Kommunikationsverkehr eingehend und strikt kontrolliert. Die entsprechenden Filterprogramme sind im Lauf der Zeit zunehmend ausgebaut und verbessert worden. Im Iran wird intensiv und auf zwischenzeitlich sehr hohem computertechnischen Niveau daran gearbeitet, die Internetkommunikation einschließlich des E-Mail-Verkehrs und die Browser-Verbindungen möglichst lückenlos zu überwachen und sie nach eigenen inhaltlich-sittlichen Maßgaben zu kontrollieren. Organisatorisch erfolgt die Überwachung der Internetkommunikation über Einwirkung auf die hierfür konzessionierten Internetserviceprovider, die als Hilfsagenturen des Staates agieren und entsprechende Filteraktivitäten im staatlichen Auftrag durchführen. Ein Ausweichen auf andere Internetprovider, die die staatlichen Vorgaben nicht in gleicher strikter Weise umsetzen, ist zwar möglich, allerdings ist ein Umgehen der staatlichen Kontrolle durch die Konzentration des gesamten Internetverkehrs und der Telekommunikationsinfrastruktur auf die "Telecommunication Company of Iran" als zentraler Leitstelle zunehmend schwieriger. Die Filterung erfolgt in der Weise, dass die entsprechende Software Begriffe und Wortgruppen auf verdächtige Stellen untersucht und die entsprechende Webseite dann gesperrt wird und nicht mehr aufrufbar ist. Die Bloggs von Einzelpersonen unterliegen hierbei einer intensiveren Kontrolle als die Webseiten internationaler Organisationen. Im Zuge der Filterung und Aussonderung wurden in den Jahren 2008 und 2009 zahlreiche Webseiten in die Liste der gesperrten Internetseiten aufgenommen. Die Identifizierung der Betreiber von Webseiten im Iran ist über deren IP-Adresse für die iranischen Sicherheitsbehörden problemlos möglich. Außer der Sperrung von Internetseiten wird versucht, das technische Potenzial der Internetnutzer durch die Beschränkung der Leistungsbreite ihres Internetzugangs zu behindern. Das iranische Ministerium für Kommunikations -und Informationstechnologie hat hierzu im Oktober 2006 eine Anordnung erlassen, nach welcher Internetserviceprovider Haushalte und Anschlüsse in Internetcafés mit einer Datengeschwindigkeit von nicht mehr als 128 KByte pro Sekunde ausstatten dürfen. Hierdurch wird der Versuch unternommen, die Möglichkeit des Downloads größerer Seiten und Datenmengen einzuschränken oder zu verhindern (vgl. zum Vorstehenden Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Senat vom 9. August 2010; Gutachten Dr. Thielmann, S. 1 und 2; Gutachten Brocks, S. 2 ff.).

Die rechtliche Grundlage für die Zensur des Internet und für die administrative und strafrechtliche Verfolgung einer unerlaubten Nutzung des Internet im Iran bietet – nach wie vor – das iranische Pressegesetz in der vom Wächterrat am 9. Dezember 2009 bestätigten ergänzenden Fassung, die die Anwendung des Pressegesetzes auf alle elektronischen Veröffentlichungen vorschreibt und damit jegliche in die Öffentlichkeit hineinwirkende Internetaktivität erfasst. Das in verschiedenen Entwürfen vorliegende spezielle "Gesetz gegen Cyberkriminalität" ist bislang nicht vom Parlament verabschiedet und vom Wächterrat bestätigt worden. Das Pressegesetz erlaubt in Art. 6 nur solche Publikationen, die nicht gegen die islamischen Gesetze und gegen das allgemeine Recht und das Privatrecht verstoßen. In umfassender und pauschaler Weise sind durch das Pressegesetz Veröffentlichungen von Presseerzeugnissen untersagt, die gegen das islamische Gesetz und die Grundanschauungen der Islamischen Republik Iran eingestellt sind. Ferner sind u.a. verboten die Ausbreitung von Prostitution und der Druck von Bildern oder Fotos und Schriften, die gegen die allgemeine Sittlichkeit und den Anstand verstoßen, Berichte oder Meldungen, die Konflikte zwischen Rassen und Gesellschaftsgruppen anstiften, das Aufhetzen der Menschen und die Aufstachelung ihrer Meinung in Angelegenheiten, die die innere und äußere Sicherheit des Landes bedrohen, die Beleidigung der Religion des Islams und deren Heiligen und die Beleidigung der Führer des Landes und der (früheren) islamischen Rechtslehrer sowie die Beleidigung und Beschimpfung von Organen und Personen, die wichtige Persönlichkeiten sind oder höhere Positionen einnehmen; verboten sind insoweit auch Karikaturen oder sonstige ehrverletzende Bildnisse. Nach den Strafbestimmungen des Pressegesetzes wird derjenige, der durch die Presse den Islam und deren Heiligen beleidigt und sich als Gottesfeind darstellt, wegen "Verderbenstiften auf Erden" verurteilt, wobei nach dem Islamischen Strafgesetzbuch die Todesstrafe oder eine im Ermessen des Richters stehende Strafe verhängt werden kann. Darüber hinaus wird im Pressegesetz die Anwendbarkeit des allgemeinen Islamischen Strafgesetzbuches ermöglicht, wobei vor allem die Strafbestimmung in Art. 698 des islamischen Strafgesetzbuches mit einer Strafandrohung von zwei Monaten bis 10 Jahren Gefängnis für denjenigen in Betracht kommt, der einen anderen absichtlich beleidigt und dessen Ehre verletzt und andere absichtlich aufhetzt. Daneben können sämtliche anderen politisch ausgerichteten Strafbestimmungen für Aktivitäten verbotener Organisationen zur Anwendung gelangen, wenn diese durch Veröffentlichungen im Internet begangen wurden. Hierzu gehört auch und insbesondere Art. 183 ("Kampf gegen Gott und Verderbenstiften auf Erden"), der den gesamten in Art. 4 genannten Komplex der Aktivitäten gegen die Islamische Republik Iran, d.h. Hochverrat, Umsturzversuche usw. umfasst. Hierzu werden zweifelsfrei auch regimekritische Aktivitäten im Internet durch Veröffentlichung von Texten, Fotos, Filmen oder Illustrationen und Karikaturen gerechnet (vgl. zum Vorstehenden Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Senat vom 9. August 2010; Gutachten Dr. Thielmann, S. 2 und 3; Gutachten Brocks, S. 4 ff.).

Die Verfolgung von nach den presserechtlichen Vorschriften unerlaubten Aktivitäten im Internet wird in gleicher Weise unnachgiebig gehandhabt wie die Zensur unliebsamer Internetseiten und verdächtiger elektronischer Kommunikation. Im Fokus der Verfolgung stehen Personen, die als Journalisten oder Herausgeber von Zeitschriften oder anderen Publikationen in besonders hervortretender Weise das Internet als Umgehung der fehlenden Pressefreiheit benutzen. Diese werden ebenso wie besonders bekannte und prominente Blogger systematisch und streng verfolgt. So wurde am 28. September 2010 der weltweit als "Blogfather" bekannte iranisch-kanadische Journalist und Blogger Hossein Derakhshan, der das Bloggen im Iran populär gemacht und entsprechende Anleitungen veröffentlicht hatte, wegen der Zusammenarbeit mit feindlichen Ländern, der Verbreitung von Propaganda und Beschimpfung der Religion zu 19 Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Hossein Ronaghi Maleki erhielt am 5. Oktober 2010 15 Jahre Haft wegen Kooperation mit der Gruppe "Iran Proxy" und "Beleidigung des obersten Führers". Nach Informationen der Organisation "Reporter ohne Grenzen" sollen seit den Präsidentschaftswahlen über 100 Journalisten und Blogger im Iran verhaftet worden sein (vgl. zum Vorstehenden Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. Februar 2011 – Stand Januar 2011 -, a.a.O.; Gutachten Dr. Thielmann, S. 2 und 3; Gutachten Brocks, S. 7 ff.).

Der Frage, ob allein das Betreiben eines eigenen, von der staatlichen Zensur gesperrten Weblogs mit Veröffentlichung von im Iran als regimefeindlich betrachteten Texten, Fotos und Karikaturen als solches, d.h. ohne das Hinzutreten weiterer belastender Faktoren, geeignet ist, die ernsthafte Gefahr zielgerichteter politischer Verfolgung im Iran auszulösen, braucht das vorliegend zur Entscheidung berufene Gericht nicht abschließend nachzugehen. Gegen eine solche Annahme könnte allein die Masse der iranischen Oppositionellen und der von ihnen betriebenen Internetportale und Blogs sprechen, deren Zahl von dem Gutachter Brocks (Seite 7 des Gutachtens) auf 60.000 geschätzt wird. Es dürfte trotz der den iranischen Behörden zur Verfügung stehenden umfangreichen technischen Möglichkeiten nicht möglich sein, sämtliche Internetaktivitäten der Opposition bis ins Detail zu überprüfen. Es steht deshalb zu vermuten, dass sich die iranischen Behörden in erster Linie auf die Verfolgung der Internetaktivitäten von Journalisten oder bekannter Blogger konzentrieren und sich im Übrigen darauf beschränken, den Zugang zu Webseiten mit auffälligem Inhalt zu sperren (vgl. Gutachten Brocks, S. 7, 9). Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn in dem Weblog lediglich Fremdbeiträge, Fotos, Bilder oder Karikaturen veröffentlicht werden, die schon über andere Webseiten oder sonstige Quellen mehrfach verbreitet wurden oder wenn in dem Weblog oder der Internetseite auf einen Pool von weitgehend allgemein zugänglichen Informationen zurückgegriffen wird (vgl. Gutachten Brocks, S. 12).

Zu diesen Personen, die nicht aus der letztlich anonym bleibenden Masse der sich im Internet in oppositioneller Weise äußernden Iraner hervortreten (vgl. Gutachten Brocks, S. 10: „Heer der iranischen Webblogger“), gehört die Klägerin zu 1. nicht.

Zwar besteht offenbar ein großer Teil der auf der Webseite der Klägerin zu 1. abrufbaren Informationen aus Downloads von anderen Seiten, die „keine echten und wirklichen Neuigkeiten“ enthalten (vgl. Gutachten Brocks, S. 11). Die Klägerin zu 1. hat indessen, wie sie im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens umfassend vorgetragen und durch entsprechende Nachweise belegt hat, in den Zeitschriften der Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran e.V. „Azadegy“ und „Bashariyat“ nicht nur zahlreiche eigene Beiträge veröffentlicht, sondern ist darüber hinaus als aktives Mitglied der vorgenannten exilpolitischen Vereinigung nach außen in Erscheinung getreten. Hierzu wird im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 5. Januar 2010 vorgetragen, dass sich etwa in der Ausgabe Nr. 93 des Magazins „Bashariyat“ ein Bericht über die monatliche Versammlung der Gießener Ortsgruppe der Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran mit der Angabe befinde, dass die Klägerin zu 1. als Verantwortliche die monatlichen Versammlungen leite. Beim Bestehen derartiger Kontakte und organisatorischer Verbindungen zu Oppositionsgruppen, die bei den iranischen Sicherheitsbehörden den Verdacht hervorrufen können, dass das Bloggen geradezu der Organisierung oppositioneller Strömungen dient, hält auch der in seiner Bewertung eher zurückhaltende Gutachter Brocks "erhebliche Konsequenzen" in der Form von mit körperlichen Züchtigungen verbundenen Gefängnisstrafen oder der Verhängung von Prügelstrafen für wahrscheinlich (vgl. Seite 10 des Gutachtens). Es kommt hinzu, dass die Klägerin zu 1. mit der zusammenfassenden Veröffentlichung eines Artikels von Christina Patterson aus der britischen Zeitschrift „Independent“ vom 16. Mai 2009 einen aus iranischer Sicht besonders gefährlichen Beitrag für das persischsprachige Publikum in Deutschland zugänglich gemacht hat. In dem Gutachten von Dr. Thielmann wird hierzu (Seite 4 und 5) ausgeführt, der erwähnte Artikel setzte sich kritisch mit der Rolle der schiitischen Richtung des Islam im Iran auseinander und unterstreiche, dass der Iran bis Anfang des 16. Jahrhunderts sunnitisch gewesen sei. Beide historischen Gegebenheiten stellten im heutigen Iran Tabus dar. Da vielen Iranern aufgrund fehlender Sprachkenntnisse Artikel in anderen Sprachen nicht zugänglich seien, treffe die Übersetzung regimekritischer Artikel aus internationalen Medien ins Persische im Iran auf eine besonders kritische Würdigung.

Kein ernstlicher Zweifel kann daran bestehen, dass die iranischen Sicherheitsbehörden ohne Schwierigkeiten die Klägerin zu 1. als Inhaberin der Website identifizieren und folglich spätestens nach einer Rückkehr der Klägerin zu 1. in ihr Heimatland auf der Grundlage intensiver Befragungen über Art und Umfang der exilpolitischen Aktivitäten unschwer alle Einzelheiten der oppositionellen Betätigung der Klägerin zu 1. in Erfahrung bringen können.

Der ernstlichen Gefahr einer politischen Verfolgung unterliegt auch die Klägerin zu 2. Ob eine solche Gefährdungslage bereits aufgrund der eigenen Aktivitäten der Klägerin zu 2., d.h. der Veröffentlichung von Gedichten in den oben erwähnten Publikationen, anzunehmen ist, bedarf keiner vertiefenden Betrachtung. Die Gefahr von politisch begründeten Repressalien besteht jedenfalls im Hinblick darauf, dass die exilpolitische Betätigung der Klägerin zu 2. in engem Kontext zu den entsprechenden Aktivitäten ihrer Mutter steht, so dass sie im Iran mit hoher Wahrscheinlichkeit für das Verhalten ihrer Mutter mitverantwortlich gemacht würde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO und § 83b AsylVfG. Dass die Klägerinnen ihre auf Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung als Asylberechtigte gerichtete Klage zurückgenommen haben, führt ungeachtet der gesetzlichen Kostentragungspflicht nach § 155 Abs. 2 VwGO nicht zu einer Kostenquotelung, da der zurückgenommene Teil der Klage kostenmäßig nicht ins Gewicht fällt. Durch die weitgehende Angleichung des Flüchtlingsstatus an die Rechtsstellung des Asylberechtigten (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2006 – 1 C 29.03 -, Juris) wirkt sich die Rücknahme der auf Anerkennung als Asylberechtigter gerichteten Klage bei Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kostenmäßig nicht (mehr) aus (so etwa auch Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 14. März 2011 – A 11 K 553/10 -, und Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 12. März 2008 – A 5 K 100/07 -, beide Juris).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 und § 711 Satz 1 ZPO i.V.m. § 167 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a