Plagiatsvorwurf begründet Persönlichkeitsverletzung des Autors

27. April 2011
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Eigener Leitsatz: 

Wird einem Autor vorgeworfen, er habe Gedankengänge Dritter ohne Zitat übernommen, liegt hierin ein Plagiatsvorwurf. Zwar kann derjenige, der eine solche Behauptung in einem wissenschaftlichen Werk aufstellt sich sowohl auf die Wissenschaftsfreiheit, als auch auf die Meinungsfreiheit berufen, jedoch müssen in einem solchen Fall ausreichende Anknüpfungspunkte vorliegen für die dieser beweispflichtig ist. Der Plagiatsvorwurf begründet eine Persönlichkeitsverletzung und hieraus resultierende Schadensersatzansprüche.

Amtsgericht Hamburg

Urteil vom 26.01.2011

Az.: 36 A C 243 /10

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger durch Vorlage eines geordneten Verzeichnisses Auskunft über die Höhe der hergestellten Auflage und die Menge der veräußerten, der in den Vertrieb gegebenen sowie der noch im Lager befindlichen Exemplare des Werkes "D… W…" von Professor Dr. V… R… zu erteilen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 6.200,00 € vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft.

Der Kläger ist Lehrstuhlinhaber an der L…-M…-Universität M…, Mitglied des B… V…, Herausgeber der Zeitschrift "J… – J… S…" und Autor zahlreicher rechtswissenschaftlicher Veröffentlichungen, darunter Kommentierungen im M… K… zum BGB, im S… BGB – Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und im B…/R… – Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Die Beklagte verlegt bundesweit das von Professor Dr. V… R… verfasste Werk "D… W… – V… V… e… S…".

Das Werk enthält auf dem Cover und Seite 19 (Anlage B 1) folgende – streitgegenständlichen – Textpassagen:

"D… W…" 02"Am Ende der plagiatorischen Verwurstung steht der bloße Ideenklau. Verdächtig ist etwa S… L…. Er gibt sich als Schöpfer des Rechtsgedankens aus, dass der voreilig nachbessernde Käufer zumindest nicht schlechter stehen dürfe, als derjenige Käufer, der als Gläubiger die Leistung unmöglich mache – weswegen nach § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB die ersparten Nachbesserungsaufwendungen auszugleichen seien. (Fußnote 42: L… Selbstvornahme der Mängelbeseitigung im Kaufrecht, NJW 2003, 1417; der., Voreilige Selbstvornahme der Nacherfüllung im Kaufrecht: Der BGH hat gesprochen und nichts ist geklärt, NJW 2005, 1321.) Diese Meinung wurde schon vor der Schuldrechtsreform mit demselben Argument (§ 324 Abs. 1 Satz 26GB aF) vertreten – freilich nur für das Werkvertragsrecht, weil es im Stückkauf keine Nacherfüllung gab. (Fußnote 43: R…, Ausgleichsansprüche bei unzulässiger Ersatzvornahme nach § 633 Abs. 3 BGB, DB 1989, 1759, 1760f; Seidel, Das Nachbesserungsrecht des Unternehmers beim Werkvertrag, JZ 1991, 391, 392f, Magnussen, Die eigenmächtige Mängelbeseitigung durch den Besteller (1992) S. 59 ff.) Während andere Autoren dieses "Vordenken" in ihren Zitaten aufdecken (Fußnote 44: Etwa: Dauner-Lieb/Dötsch, Selbstvornahme im Kaufrecht? ZGS 2003, 250, 252 und dort Fn 21 sowie dieselben, Nochmals: Selbstvomahme im Kaufrecht?, ZGS 2003, 455, 457 und dort Fn 19; Anwaltkommentar/Dauner-Lieb (2005) § 326 Rn 24 Fn 92.) fehlt bei L… jeder Rückblick. (Fußnote 45: In seiner Fn 16 ist zum alten Werkvertragsrecht nur "BGHZ 92, 123 (125) = NJW 1984, 2573" zitiert. Bei Herresthal/Riehm, Die eigenmächtige Selbstvornahme im allgemeinen und besonderen Leistungsstörungsrecht, NJW 2005, 1457, 1458 Fn 11 ist für das alte Recht immerhin Seidel zitiert, der mich zustimmend aufnimmt.) Daraus kann man auf zielgerichteten Ideenklau schließen – oder dem Autor zugutehalten, er sei einfach so auf dieselbe Idee ein zweites Mal verfallen oder habe diese unbewußt entlehnt und mithin nur "ein bisschen unsorgfältig" recherchiert. Originalität ist mit Fritz Rittner doch nur mangelnde Belesenheit. Nachweisbar ist der vorsätzliche Ideenklau nicht – wohl aber das unzureichende Recherche- und Zitierverhalten."

Nach erfolgloser Abmahnung erließ das Landgericht Hamburg mit Datum vom 1.06.2010 zum Az. 324 O 238/10 (Anlage K 1) auf Antrag des Klägers eine einstweilige Verfügung, mit der der Beklagten die Verbreitung des Buches mit den vorgenannten Passagen verboten wurde, wobei die bei Zustellung der einstweiligen Verfügung bereits aufgebundenen Exemplare des Buches ausgenommen sind. Die einstweilige Verfügung wurde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten von Anwalt zu Anwalt am 2.06.2010 zugestellt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.06.2010 (Anlage K 2) erkannte die Beklagte die einstweilige Verfügung als abschließende Regelung an.

Alle existierenden Exemplare der ersten Auflage des Buches waren bei Zustellung der einstweiligen Verfügung bereits aufgebunden.

Der Kläger ist der Ansicht, sein Persönlichkeitsrecht sei durch die genannten Textpassagen verletzt. Die Behauptungen seien unwahr. Von dem in DB 1989, 1759 ff. veröffentlichten Aufsatz von V… R… habe er erstmals durch die inkriminierte Veröffentlichung Kenntnis erlangt. Der Auskunftsanspruch folge aus der Abschlussvereinbarung in Verbindung mit §§ 241 Abs. 2, 242, 259, 260 BGB sowie aus der begangenen Persönlichkeitsrechtsverletzung. Der Kläger benötige die Auskunft, um das Unterlassungsverbot zu kontrollieren und um zu prüfen, in welchem Umfang er die Beklagte auf Widerruf, Richtigstellung oder Geldentschädigung in Anspruch nehmen könne.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger durch Vorlage eines geordneten Verzeichnisses Auskunft über die Höhe der hergestellten Auflage und die Menge der veräußerten, der in den Vertrieb gegebenen sowie der noch im Lager befindlichen Exemplare des Werkes "D… W…" von Professor Dr. V… R… zu erteilen.

Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger werde durch die streitgegenständlichen Textpassagen nicht in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Anspruchsgrundlagen für einen Auskunftsanspruch seien nicht ersichtlich. Der Autor des Werkes habe keine falschen Tatsachen behauptet. Es handele sich um eine zulässige, wenn auch kritische Meinungsäußerung des Autors, die durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 24.11.2010 und 26.01.2011 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Das Amtsgericht Hamburg ist örtlich zuständig gemäß § 32 ZPO. Die Beklagte vertreibt das Werk "D… W…" unstreitig bundesweit und damit auch in Hamburg.

Dem Kläger steht aus den §§ 823 Abs. 1,823 Abs. 2, 1004 Abs. 1,242 BGB i. V. m. Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gegen die Beklagte der Anspruch auf Auskunft über die Höhe der hergestellten Auflage sowie die Menge der veräußerten, der in den Vertrieb gegebenen sowie der noch im Lager befindlichen Exemplare des streitgegenständlichen Werkes zu.

Die streitgegenständliche Veröffentlichung der Beklagten verletzt den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Zwar unterfällt das Werk, aus dem die streitgegenständlichen Passagen stammen, sowohl der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG als auch der Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine wissenschaftliche Tätigkeit "… alles was nach Inhalt und Form als ernsthaft planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist. Dies folgt unmittelbar aus der prinzipiellen Unabgeschlossenheit jeglicher wissenschaftlicher Erkenntnisse" (BVerfGE 35, 79, 113). In dem vorliegenden Werk setzt sich der Autor – auch in den streitgegenständlichen Textpassagen – mit anderen rechtswissenschaftlichen Publikationen auseinander in der Analyse, ob Gedankengänge ohne hinreichende Zitate übernommen wurden. Damit ist das streitgegenständliche Werk am Maßstab der Wissenschaftsfreiheit zu messen, die ihre Schranken nur in den verfassungsgemäßen Rechten Dritter findet.

Im Rahmen der Abwägung der betroffenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter überwiegt jedoch das ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers gemäß Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG:

Bei den angegriffenen Textpassagen kann dahin stehen, ob es sich um eine unzulässige Verdachtsberichterstattung, Meinungsäußerungen oder gemischte Äußerungen handelt. Denn alle Passagen enthalten insgesamt einen tatsächlichen Gehalt, dass der Kläger in seinen Veröffentlichungen Gedankengänge anderer Autoren ohne den Hinweis auf die Quellen übernommen hat. Insbesondere wird der Verdacht verbreitet, dass der Kläger seine Aufsätze in NJW 2003, 1417 und NJW 2005, 1321 in Kenntnis des Beitrages von V… R… "Ausgleichsansprüche bei unzulässiger Ersatzvornahme nach § 633 Abs. 3 BGB" in DB 1989, 1759 verfasst und Gedankengänge übernommen hat, ohne den Aufsatz zu zitieren.

Daher wäre für die Zulässigkeit dieser Textpassagen sowohl als Verdachtsberichterstattung als auch als Meinungsäußerung Voraussetzung, dass hinreichende Anknüpfungspunkte im Tatsächlichen bestehen, die dies belegen. Liegen keine hinreichenden Anknüpfungspunkte vor, da sich keine Anhaltspunkte für die zitatlose Übernahme von Gedanken Dritter finden, so treten die Rechte der Beklagten auf Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit hinter den Rechten des Klägers zurück.

An den hinreichenden Anknüpfungspunkten fehlt es hier. Die Beklagte trägt analog § 186 StGB die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass hinreichende Anknüpfungspunkte für eine Verdachtsberichterstattung oder Meinungsäußerungen vorliegen. Denn es handelt sich bei dem Vorwurf, Gedanken Dritter zitatlos zu übernehmen – insbesondere bei einem Wissenschaftler – um ehrenrührige Äußerungen. Insoweit fehlen sowohl substantiierter Vortrag als auch Beweisangebote der Beklagten.

Damit kann dahinstehen, ob die Textpassagen als Verdachtsberichterstattung oder Meinungsäußerung einzuordnen sind, da sie jedenfalls unzulässig sind.

Die Beklagte hat das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt, indem sie das streitgegenständliche Werk verlegt und verbreitet hat. Der Beklagten fällt jedenfalls Fahrlässigkeit zur Last.

Dem Kläger steht auch der geltend gemachte Auskunftsanspruch zu. Denn für die Frage, ob aufgrund der Persönlichkeitsrechtsverletzung neben dem im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemachten Unterlassungsanspruch ein Anspruch auf Geldentschädigung und/oder ein Anspruch auf Widerruf und ggf. in welcher Höhe und Form besteht, kommt es auf die Auskunft an. Die Frage, ob eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, hängt von dem Ausmaß der Verbreitung des streitgegenständlichen Werkes ab. Ob eine fortdauernde Beeinträchtigung durch die Rechtsverletzung vorliegt, hängt auch davon ab, mit welcher Anzahl von Exemplaren das Werk bereits in den Markt gelangt ist bzw. noch gelangen kann.

Der Klage war daher statt zu geben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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