Satireseite mit Bezug zum Arbeitgeber kein Kündigungsgrund

08. Februar 2011
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
4927 mal gelesen
0 Shares

Eigener Leitsatz:

Erstellt ein Arbeitnehmer eine Satireseite, die sich in wesentlichen Bereichen an dem früheren Internetauftritt seines Arbeitgebers orientiert und deren Ursprung allein von Insidern identifiziert werden kann, ist eine außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam. Selbst bei bemerkenswerter Dreistigkeit, mangelnder Gestaltungsphantasie und fehlender Sensibilität für potentielle Diffamierungsrisiken bei der Erstellung ist die Satire grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Zwar können Insider die beschriebenen, angeblich herrschenden Zustände als einen Angriff auf den Arbeitgeber deuten. Es fehlt hier aber an einer tatsächlichen Auswirkung. Zudem sollte der Arbeitgeber nicht zielgerichtet getroffen oder angegriffen werden, sondern nur dessen Auftritt dreist "abgekupfert" als Folie für die satirische Umsetzung verwendet werden.

 

Landesarbeitsgericht München

Urteil vom 26.08.2010

Az.: 4 Sa 227/10

In dem Rechtsstreit
N. E.
– Kläger und Berufungsbeklagter –
Prozessbevollmächtigte:

gegen

Firma O. F./S. G. f. G. mbH & Co. KG
– Beklagte und Berufungsklägerin –
Prozessbevollmächtigte:

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. August 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht und die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter für Recht erkannt:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 09. November 2009 – 3 Ca 1480/09 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit außerordentlicher Arbeitgeberkündigungen der Beklagten gegenüber dem Kläger und einen von ihm geltend gemachten Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

Die Beklagte ist ein Unternehmen des Selbstbedienungsgroßhandels („Cash & Carry“), das in Deutschland sowie in Osteuropa Großhandelsmärkte für gewerbliche Kunden unterhält. Der am 0.0.1955 geborene und, nach seinen Angaben, noch für zwei Kinder unterhaltspflichtige Kläger war auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29.01.1991 (Anl. B 26, Bl. 259/260 d. A.) seit 06.11.1990 im Großmarkt der Beklagten in G. bei A. als Verkäufer – nach seinen Ausführungen: auch stellvertretender Disponent und Substitut – beschäftigt. Seine Vergütung betrug im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung zuletzt ca. 0,- € brutto/Monat. Er ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und war zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung(en) Mitglied des in diesem Betrieb bestehenden Betriebsrats.

Der Kläger war „Betreiber“/Urheber der ehemaligen Internetseiten „http://…“ und „http://…“, mit denen unter teilweise graphischer/farblicher und inhaltlicher Anlehnung an die Gestaltung des früheren Internetauftritts der Beklagten in satirischer Form das Elend der Arbeitsbedingungen und die Ausbeutung von Arbeitnehmern ersichtlich in Handelsbetrieben geschildert/karikiert wurden („N.-Sklavenmarkt“, mit Muttergesellschaften „Galeere GmbH & Co. KG“ und „Idi Amin-Handelsgruppe AG“, vom dort karikierten – nach Ansicht des Klägers: fiktiven – Unternehmen unterhaltene „Sklavenmärkte“ usw.).
Nachdem nach dem streitigen Vorbringen der Beklagten der Marktleiter des Betriebs G. am 16.03.2009 erfahren gehabt habe, dass der Kläger Betreiber dieser Internetseiten sei, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit gleichlautenden Schreiben vom 08.04.2009 und vom 09.04.2009 (Bl. 4/5 d. A.) jeweils fristlos. Zuvor hatte das Integrationsamt beim Zentrum Bayern Familie und Soziales, Region Schwaben, auf den Antrag der Beklagten zur Zustimmung zur Kündigung des Klägers vom 23.03.2009 (u. a. Anl. B 15, Bl. 234/235 d. A.) mit Schreiben vom 08.04.2009 (u. a. Anl. B 16, Bl. 236/237 d. A.) – ausweislich eines vorgelegten Vermerks der Beklagten, des Zeugen H.: am selben Tag zusätzlich vorab mündlich (Anl. B 17, Bl. 238 d. A.) – mitgeteilt, dass innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Zustimmungsantrages der Beklagten keine Entscheidung getroffen worden sei und deshalb nach der gesetzlichen Regelung die Zustimmung als erteilt gelte. Der vom Kläger hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid des Widerspruchsausschusses beim Zentrum Bayern Familie und Soziales – Integrationsamt – vom 16.12.2009 (Anl. B 18, Bl. 239 f d. A.) zurückgewiesen. Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren wurde hiergegen keine verwaltungsgerichtliche Klage erhoben. Die Erteilung einer Zustimmung auch des Betriebsrats zur Kündigung des Klägers ist streitig.
Die Beklagte stützt die streitgegenständlichen Kündigungen, im Rahmen einer Tatkündigung und gleichzeitig einer Verdachtskündigung, auf den Vorwurf des Vorliegens des Tatbestands einer üblen Nachrede – Beleidigung, Verleumdung – der Beklagten durch diese vom Kläger erstellten Internetseiten, die nicht durch dessen Meinungsäußerungsfreiheit i. S. d. Art. 5 GG gedeckt gewesen seien.

Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des streitigen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien im Ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Arbeitsgerichts Augsburg vom 09.11.2009, das den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 23.02.2010 zugestellt wurde, Bezug genommen, mit dem dieses der Feststellungs- und damit auch der Leistungsklage auf Weiterbeschäftigung mit der Begründung stattgegeben hat, dass das Verhalten des Klägers, diese Internetseiten zu unterhalten, zwar einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung an sich darstelle, nachdem insbesondere die Internetseite „…“ grobe Beleidigungen und Schmähungen des Arbeitgebers bzw. der Personen, die die Beklagte nach außen verträten, enthalte, da diese damit als menschenverachtend dargestellt worden seien. Diese Äußerungen des Klägers bzw. das von ihm verwendete Bildmaterial seien nicht mehr von der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 GG gedeckt gewesen. Jedoch sei nach den Grundsätzen der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und der wechselseitigen Interessen der Parteien eine sofortige Vertragsbeendigung ohne Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist nicht notwendig gewesen. Hierbei seien das Alter des Klägers von zum Zeitpunkt der Kündigung 54 Jahren, seine Betriebszugehörigkeit von zu diesem Zeitpunkt 18 Jahren und seine Unterhaltspflichten gegenüber zwei Kindern zu berücksichtigen, auch, dass er auf eine von der Beklagten nur bis März 2007 verwendete, veraltete, Internetpräsenz zurückgegriffen habe. Hinsichtlich Letzteren seien ein Bezug zu ihr nicht ohne weiteres herzustellen und eine Verwechslungsgefahr mit der Beklagten im Wesentlichen ausgeschlossen gewesen. Erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen bei ihr seien nicht ersichtlich.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 04.03.2010, am 05.03.2010 zunächst per Telefax beim Landesarbeitsgericht eingegangen, zu deren Begründung sie mit am 23.03.2010 eingegangenem Schriftsatz vom 22.03.2010 ausgeführt hat, dass der Kläger mit diesen unstreitig von ihm erstellten Internetseiten sie in nicht zu rechtfertigender Weise verleumdet habe: Er habe dort auf Webseiten, die dem früheren Erscheinungsbild der Internetseiten der Beklagten entsprochen hätten, diese und deren Verkaufsmärkte unter der Bezeichnung „N.-Sklavenmarkt“ u. a. mit einem Sklavenmarkt verglichen und auch nicht davor zurückgeschreckt, sie mit dem Diktator Idi Amin gleichzusetzen. Das auf diesen Internetseiten befindliche Foto habe ein Bild aus einem Verkaufsmarkt der Beklagten gezeigt. Der Kläger habe dort Zahlen und Fakten, unter Verwendung der Begriffe „Sklavenhandelsbetriebe“, „Sklavenmärkte“ …, der von ihr im Zeitraum von 2001 bis März 2005 betriebenen (55) Großhandelsmärkte in Deutschland, Polen und Rumänien genannt und das Firmensymbol der Beklagten in deren früherem Internetauftritt abgebildet. Auch habe er diverse Fotos aus ihrem Großhandelsmarkt mit ehrverletzenden Äußerungen versehen gezeigt. Der Kläger habe dort weiter einen Firmenausweis der Beklagten, bebildert mit einem Totenkopf, abgebildet und das Wort „F. S.“ gegen das Wort „N.“ ausgetauscht sowie die dort genannte Person mit der Bezeichnung „Sklavenschänderin“ mit Texten und Inhalten vermerkt, durch die er den ehemaligen Internetauftritt der Beklagten nachgeahmt habe. Der Kläger habe sie im Rahmen der von ihm betriebenen Homepages bezichtigt, die von ihr geführten Großhandelsmärkte wie Sklavenmärkte zu führen, die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer wie Sklaven zu halten, diese auf der Grundlage eines „Sklaventarifvertrages“ im Rahmen einer 168-Stunden-Woche auszubeuten. Indem er die Bildsprache des äußeren Erscheinungsbilds ihres früheren Internetauftritts unter Verwendung der identischen Farben und Formen kopiert habe, habe er sie in nicht zu rechtfertigender Weise in grobem Maße verunglimpft, diskreditiert und ehrverletzend beleidigt. Dies habe die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht des Klägers verletzt. Das Arbeitsgericht habe sein Verhalten deshalb unter dem Gesichtspunkt der üblen Beleidigung im Ansatz zu Recht als Kündigungsgrund an sich gewertet, wobei die von ihm aufgestellten Behauptungen in Richtung der Beklagten auch den Tatbestand einer üblen Nachrede erfüllten. Auf den Schutz der Meinungsfreiheit könne er sich, wie das Arbeitsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt habe, hierbei nicht berufen, zumal diese weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen schütze. Die Beklagte habe auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, da der Marktleiter und Zeuge H. am 11.03.2009 abends in seiner Freizeit seinen eigenen Namen in die Internetsuchmaschine „google“ eingegeben habe und dabei auf die vom Kläger betriebene Internetseite „…“ geleitet worden sei. Am Folgetag habe der hierüber informierte Betriebsleiter des Großhandelsmarkts in G. abends selbst recherchiert und sei dabei auch auf die weitere vom Kläger betriebene Internetseite „…“ gestoßen. Am 16.03.2009 habe die Beklagte durch ihren Leiter Netzwerkadministration und Zeugen P. daraufhin den Kläger als Betreiber dieser beiden Internetseiten in Erfahrung gebracht, der dieses unmittelbar danach dem kündigungsberechtigten Zeugen H. weitergegeben habe. Deshalb habe erst zu diesem Zeitpunkt die maßgebliche positive Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt bestanden. Am 20.03.2009 habe der Marktleiter und Zeuge H. die Mitglieder des Betriebsrats zusammengerufen und diesen die Internetseiten des Klägers gezeigt, wo der Kläger auch bestätigt habe, Betreiber beider Internetseiten zu sein. Am 23.03.2009 habe ihn die Beklagte im Rahmen einer außerordentlichen Verdachtskündigung angehört, wobei er ebenfalls eingeräumt habe, Betreiber dieser Internetseiten zu sein. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts könnten auch die Umstände der Interessenabwägung der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Klägers nicht entgegenstehen, da diese wesentlich vom Grad des Verschuldens beeinflusst seien – hier sei ein sehr hoher Grad des Verschuldens des Klägers gegeben – und auch zu berücksichtigen sei, dass diese Internetseiten öffentlich zugänglich und für jedermann einsehbar, zudem mit anderen Homepages verlinkt gewesen seien. Des Weiteren sei zu beachten, dass er es sich mit seinem Verhalten zur eigentlichen Aufgabe gemacht habe, die Ordnung des Betriebs und den Betriebsfrieden nachhaltig zu stören und unter dem Vorwand einer vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckten Darstellung den Arbeitnehmern der Beklagten zu suggerieren, dass sie unter unmenschlichen Bedingungen beschäftigt, wie Sklaven gehalten und ausgebeutet würden. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis während seiner gesamten Dauer nicht unbelastet gewesen sei und es insgesamt zwei Abmahnungen – zum einen vom 14.04.2008 wegen kundenunfreundlichen Verhalten des Klägers einem Kunden gegenüber und zum anderen vom 20.11.2008 wegen eines ähnlichen Sachverhalts – gegeben habe, seine Unterhaltspflichten mangels konkreten Bezugs zu seiner Pflichtverletzung unberücksichtigt bleiben müssten. Insbesondere das Gleichsetzen der Beklagten mit dem ugandischen Diktator Idi Amin führe dazu, dass eine Wiederherstellung jedes Vertrauens für eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht erwartet werden könne. Die Unrichtigkeit der Ansicht des Arbeitsgerichts, dass eine Verwechslungsgefahr der Internetseiten des Klägers mit der Beklagten ausgeschlossen sei, ergebe sich auch daraus, dass der Kläger nur bis März 2005 aktuelle Zahlen hinsichtlich der von ihr bis dahin betriebenen Großhandelsmärkte bereits zu diesem Zeitpunkt verwendet habe, zeitgleich zum von ihr im März 2007 überarbeiteten eigenen Internetauftritt. Hinsichtlich der Frage des zeitlichen Prüfungsmaßstabs beim Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit angesichts seines Betriebsratsmandats gehe das Arbeitsgericht offensichtlich von einer überholten BAG-Rechtsprechung aus, da dieses in der neueren Rechtsprechung nicht mehr auf die im Rahmen der Prüfung des § 626 Abs. 1 BGB maßgebliche fiktive Kündigungsfrist abstelle. Dies bedeute, dass bei der Interessenabwägung nicht die ordentliche Kündigungsfrist des Klägers, sondern die frühestmögliche Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2012, nach den im März 2010 stattgefundenen Neuwahlen des Betriebsrats und dem Nachwirkungszeitraum des besonderen Kündigungsschutzes, maßgeblich sei. Aus den gleichen Gründen sei die Kündigung jedenfalls als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Der Betriebsrat habe nach Information mit Schreiben der Beklagten vom 24.03.2009 unter genauer Darlegung der Kündigungsgründe mit dessen Schreiben vom 27.03.2009 der Kündigung des Klägers ausdrücklich zugestimmt. Auch sei die Kündigung unmittelbar nach Mitteilung des Integrationsamts über den Eintritt der Zustimmungsfiktion mangels dortiger Äußerung erklärt worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 09.11.2009 – Az.: 3 Ca 1480/09 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger trägt zur Begründung seines Antrags auf Zurückweisung der Berufung vor, dass bestritten bleibe, dass die fraglichen Internetseiten geeignet gewesen wären, die Beklagte, wie von ihr behauptet, in grobem Maße zu verunglimpfen, zu diskreditieren und ehrverletzend zu beleidigen, unabhängig von der Frage, ob gegen eine juristische Person eine ehrverletzende Beleidigung überhaupt möglich sei. Der Kläger habe die Inhalte der Internetseiten nicht mit dem Ziel der Diskreditierung, Verunglimpfung oder Beleidigung der Beklagten gestaltet. Sein Ziel sei es nicht gewesen, mit der satirischen Darstellung „N.-Sklavenmarkt“ auf die Beklagte zu verweisen, sondern – in übertriebener Form, da es sonst keine Satire wäre – auf alle abhängigen Beschäftigungsverhältnisse hinzuweisen und zum Nachdenken darüber anzuregen, wie sich aktuell die Arbeitsverhältnisse entwickelten. Die Seite „…“ sei von ihm als Satire gestaltet und für jeden unbefangenen – objektiven und unabhängigen, wie maßgeblich – Betrachter offensichtlich als solche erkennbar gewesen. Diese Seite habe er erst im März 2008 ins Netz gestellt – den Homepagenamen habe er erstmals Ende 2003 reserviert gehabt -, wobei die Beklagte ihre Internetpräsenz bereits im März 2007 wesentlich verändert gehabt habe, weshalb zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Internetseite kein erkennbarer Zusammenhang mehr mit ihrem neuen Internetauftritt bestanden habe. Die Seite des Klägers sei in wesentlichen Punkten vom früheren Internetauftritt der Beklagten unterscheidbar gewesen. Dort verwendete Fotos hätten auf keinen Zusammenhang mit einem Verkaufsmarkt der Beklagten schließen lassen können. Im Rahmen der weiteren Internetpräsenz „…“ habe er satirische mit informativen Inhalten gemischt. Eine Verwechslungsgefahr mit der Beklagten habe deshalb zu keinem Zeitpunkt bestanden. Er habe niemals das Ziel gehabt, die Beklagte zu diskreditieren. Die Satire des Klägers sei vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Er habe, auf seine Urheberschaft an den fraglichen Internetseiten angesprochen, unverzüglich die von ihm geforderten Unterlassungserklärungen abgegeben und die monierten Seiten sofort aus dem Netz genommen. Deren Kenntniserlangung erstmals am 11.03.2009 durch den von ihr benannten Zeugen H. als Marktleiter bestreite der Kläger unverändert. Obwohl auf seiner Lohnsteuerkarte nur ein Kinderfreibetrag für 0,5 Kinder eingetragen sei, habe er im April 2009, und unverändert, noch zwei Unterhaltspflichten gegenüber zwei Kindern gehabt und für diese Kindergeld bezogen. Ein sehr hoher Grad eines Verschuldens sei nicht gegeben. Es erschließe sich nicht, weshalb die Eintragungen in das Gästebuch, wie von der Beklagten vorgelegt, den Betriebsfrieden bei dieser stören könnten. Die von ihr im Rahmen der Interessenabwägung nunmehr angeführten Abmahnungen seien nicht gerechtfertigt gewesen. Die Beteiligung des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß gewesen, da dem vorgelegten Anhörungsbogen nicht eindeutig zu entnehmen sei, ob tatsächlich eine Zustimmung des Betriebsrats i. S. d. § 103 BetrVG vorgelegen habe, nachdem dort weiter angekreuzt sei, dass gegen die Kündigung des Klägers keine Bedenken vorlägen. Weitergehende, von der Beklagten behauptete, mündliche Mitteilungen gegenüber dem Betriebsrat würden bestritten.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Zweiten Rechtszug im Übrigen wird auf die Schriftsätze vom 22.03.2010 und 25.05.2010, nebst der jeweils vorgelegten Anlagen/Unterlagen, sowie ihre ergänzenden Einlassungen im Rahmen ihrer Parteianhörung in den mündlichen Verhandlungen im Berufungsverfahren am 09.06.2010 und am 19.08.2010 gemäß der entsprechenden Feststellungen in den betreffenden Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 24.06.2010 Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme der von der Beklagten benannten Zeugen H. und P. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 19.08.2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.
Die gem. § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und im Begründungsansatz zutreffend entschieden, dass die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten rechtsunwirksam sind – die beiden Kündigungsschreiben vom 08.04.2009 und vom 09.04.2009 sind identisch formuliert und betreffen ganz offensichtlich denselben Sachverhalt, werden von der Beklagten, den Parteien, auch nicht differenziert.

1. a) Eine außerordentliche Kündigung setzt das Vorhandensein eines wichtigen Grundes und damit das Vorliegen von Tatsachen voraus, aufgrund derer dem – hier – kündigenden Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Frist einer ordentlichen Kündigung nicht zugemutet werden kann (§ 626 Abs. 1 BGB) – wobei hierbei näher zu prüfen ist, ob zunächst ein Sachverhalt vorliegt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden, und ob dieser sodann auch bei Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts). Weiter setzt die Wirksamkeit dieser Kündigung voraus, dass diese innerhalb der zweiwöchigen Kündigungserklärungsausschlussfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB, gerechnet nach positiver Kenntnis des Kündigungsberechtigten – insbesondere Vorstandsvorsitzende der Beklagten – von den maßgeblichen Kündigungsgründen erfolgt ist. Die außerordentliche Kündigung muss die ultima ratio sein, sie ist deshalb nur zulässig, wenn die Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis so unzumutbar belasten, dass keine milderen Mittel – wie eine ordentliche Kündigung, Änderungskündigung, Versetzung oder Abmahnung – in Betracht kommen (vgl. zuletzt etwa U. v. 05.11.2009, 2 AZR 609/08, NJW 2010, S. 955 f – Rz. 12 -).

b) Im vorliegenden Fall kann im Ergebnis offen bleiben, ob als zeitlicher Abwägungsmaßstab im Rahmen der Anforderungen des § 626 Abs. 1 BGB im Hinblick auf den zeitlich begrenzten Ausschluss einer ordentlichen Kündigung des Klägers aufgrund seines damaligen Betriebsratsmandats (§ 15 Abs. 1 KSchG) die ohne diese Funktion fiktiv für ihn geltende ordentliche Kündigungsfrist oder, wie die Beklagte zuletzt ausführt, die tatsächliche künftige Vertragsbindung (hier: angesichts der Neuwahl des Betriebsrats im März 2010, des sich hieran anschließenden nachwirkenden zwölfmonatigen Kündigungsschutzes gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG und der tarifvertraglichen Kündigungsfrist in gleicher Länge: wohl bis 30.04.2012, somit noch knapp drei Jahre) maßgeblich war, da sich die außerordentliche(n) Kündigung(en) der Beklagten in beiden Fällen als rechtsunwirksam erweist/erweisen.

Das Bundesarbeitsgericht hat bei der Frage des zeitlichen Abwägungsmaßstabes im Rahmen des wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB in ständiger Rechtsprechung gerade bei Mandatsträgern i. S. d. § 15 KSchG nicht auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung – Ablauf einer Kündigungsfrist nach mutmaßlichem Ende des Sonderkündigungsschutzes -, sondern, aufgrund andernfalls entstehenden Widerspruchs zum Benachteiligungsverbot beim Organ gemäß § 78 BetrVG, auf die ohne das Betriebsratsmandat geltende, somit zunächst fiktive, Kündigungsfrist abgestellt – hier also, ausgehend vom unbestrittenen Vorbringen der Beklagten zur einschlägigen tarifvertraglichen Regelung, zwölf Monate zum Monatsende (BAG, zuletzt U. v. 17.01.2008, 2 AZR 821/06, AP Nr. 62 zu § 15 KSchG 1969 – Rzn. 17 f, m. w. N. -; sh. auch die Beschlüsse der Beschwerdekammer (u. a.) vom 11.03.2010, 4 TaBV 86/09 – II. 1. b) d. Gr. – und vom 26.04.2007, 4 TaBV 11/07, PflegeR 2007, S. 535 f mit zustimm. Anm. Roßbruch; KR-Etzel, 9. Auf. 2009, § 103 BetrVG Rz. 21 und § 15 KSchG Rzn. 22 f). Die andere, vom Bundesarbeitsgericht hierzu ebenfalls vertretene Auffassung – Maßgeblichkeit der tatsächlichen Vertragsbindung nach mutmaßlichem Ende des Sonderkündigungsschutzes – ist vereinzelt geblieben.

Der Beklagten war hier nach allem jedenfalls aufgrund der abschließenden Interessenabwägung die Einhaltung einer – fiktiven – Kündigungsfrist bis (ca.) 30.04.2010 ebenso zumutbar wie die Einhaltung einer anzunehmenden realen Vertragsbindung bis (ca.) 30.04.2012.

2. a) Zwar ist nach dem Ergebnis der von der Berufungskammer, zunächst vorsorglich, durchgeführten Beweisaufnahme durch Einvernahme der – als Person glaubwürdigen – Zeugen H. und P. davon auszugehen, dass die Beklagte erst am 16.03.2009 bzw. am 20.03.2009 tatsächliche Kenntnis von den Kündigungsvorwürfen – Urheberschaft des Klägers für die inkriminierten Internetseiten – erlangt hat, als der Zeuge P. nach seiner glaubhaften Aussage den Kläger als Urheber dieser Internetseiten recherchiert und den kündigungsberechtigten Zeugen und Marktleiter H. umgehend hierüber informiert hatte, weshalb die Kündigungserklärungsausschlussfrist von zwei Wochen gem. § 626 Abs. 2 BGB i. V. m. § 91 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 SGB IX gewahrt war.

Auch dürfte – ohne dass dies aufgrund der nachfolgenden Ausführungen endgültig zu entscheiden ist – davon auszugehen sein, dass sowohl die Information des Betriebsrats durch die Beklagte mit deren Schreiben vom 24.03.2009 und den dortigen Anlagen/der Dokumentation (Anl. B 14 zum Berufungsbegründungsschriftsatz vom 22.03.2010, Bl. 207 f d. A., bzw. Anl. B 16 zum erstinstanzlichen Klageerwiderungsschriftsatz vom 18.06.2009) ordnungsgemäß und vollständig als auch dessen Zustimmung vom 27.03.2009 erkennbar als solche erfolgt waren – wenngleich im dortigen Formular allerdings einerseits abschließend die Alternative (zum ausdrücklich vermerkten „Widerspruch“), dass „gegen die Kündigung … keine Bedenken“ vorliegen, angekreuzt war, jedoch zusätzlich davorstehend ebenfalls angekreuzt war, dass der Kündigung „zugestimmt“ werde – was auch unabhängig von der von der Beklagten behaupteten ergänzenden mündlichen Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden am 27.03.2009 die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats (§ 103 Abs. 1 BetrVG) insgesamt betrachtet ausreichend deutlich zum Ausdruck brachte (§ 133 BGB – entsprechend -). Es wurde hiernach allerdings nur ein einziges Zustimmungsverfahren durchgeführt, weshalb insoweit auch nur von einer einzigen, zunächst formal wirksam möglichen, Kündigungserklärung ausgegangen werden könnte …

Weiter liegt die bestandskräftige Zustimmung des zuständigen Integrationsamts beim Zentrum Bayern Familie und Soziales, Region Schwaben, aufgrund, ihrerseits nicht angegriffener, Zurückweisung des Widerspruchs des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid qua Fiktion gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2009 (Anl. B 18, Bl. 239 f d .A.) vor, die im Hinblick auf den unstreitigen Status des Klägers als einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellter Person erforderlich war.

b) Jedoch kann, mit dem Arbeitsgericht, hier nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagten nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht jedenfalls die Einhaltung einer fiktiven Kündigungsfrist (bzw. ggf. künftigen Vertragsbindung, s. o. 1. b) zumutbar gewesen wäre.

aa) Die Kündigung(en) der Beklagten ist (sind) allein (eine) Tatkündigung(en) – der Sachverhalt des Erstellens und Einstellens der beiden inkriminierten Internetseiten durch den Kläger ist unstreitig. Das parallele Abstellen der Beklagten auch auf den Tatbestand einer Verdachtskündigung ist deshalb ersichtlich überflüssig.

bb) Es ist davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls die beiden hier inkriminierten Webseiten (erst) im März 2008 ins Internet eingestellt hat, wie er unwiderlegt ausgeführt hat. Nach der von ihm vorgelegten Auskunft des Providers „freenet“ vom 16.03.2010 (Bl. 298 d. A.) – ebenso die Auskunft dieses Providers gegenüber der Beklagten vom 12.11.2009 (Anl. B 24 zum Berufungsbegründungsschriftsatz, Bl. 256 d. A.) – wurde der Domainname „…“ erstmals Ende 2003 unter dem Namen des Klägers registriert/reserviert. Gleiches hat er für die Internetseite „…“ ausgeführt.

Es ist von der Beklagten nicht, wie aufgrund des insoweit substanziierten Bestreiten des Klägers zum zeitlichen Zusammenhang der Veröffentlichung dieser Internetseiten erforderlich, widerlegt, dass er, wie er behauptet, diese beiden Internetauftritte nicht erst im März 2008 ins Netz gestellt habe – somit nach dem Zeitpunkt der Veränderung/Überarbeitung ihrer Homepage durch die Beklagte unstreitig bereits etwa ein Jahr davor, im März 2007. Dass er diese Webseiten bereits sehr viel früher, Jahre vor der Änderung ihrer Homepage durch die Beklagte, ins Internet gestellt gehabt habe – beides „damit für einen Zeitraum von länger als drei Jahren gleichzeitig im Internet zugänglich“ gewesen sei, wie sie ausführen lässt -, ist nicht erwiesen, nicht einmal als indiziell wahrscheinlich oder naheliegend anzunehmen, ungeachtet der Anforderungen an den hier maßgeblichen Streng-/Vollbeweis der Beklagten.

Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die inkriminierten Webseiten des Klägers und der alte Internetauftritt der Beklagten über einen erheblichen Zeitraum parallel zugänglich gewesen seien – deren Verwechslungsgefahr deshalb auf der Hand hätte liegen müssen, wie sie einwendet.

cc) Tatsache ist, dass der Kläger sich mit seinen dortigen, zwar auf den ersten Blick als solchen erkennbaren, satirischen Darstellungen zum Elend der entrechteten Arbeitnehmer – „Sklaven“ – des Einzelhandels, die in allerdings sehr krasser bis unflätiger Form – Diktion – gestaltet waren – „N.-Sklavenhandelsmärkte“, „Sklaventreiberinnen und Sklaventreiber“, „Sklavenhändler“/„Sklavenhandel“, Muttergesellschaften: „Galeere GmbH & Co. KG … der Idi Amin-Handelsgruppe AG“, „Sklavenhandelstarifvertrag“, Angebot „urlaubsfreie(r) Jahre“ und der „beliebte(n) 168-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich“, „Exitus-Pensionskasse“ … -, in wesentlichen Darstellungsbereichen am früheren Internetauftritt der Beklagten (bis März 2007) bedient und sich in farblicher und grafischer Gestaltung, Inhalten, Übernahme von Bebilderungsteilen hieran angelehnt, Ersatzstücke hieraus „entliehen“ hat.
Der Kläger hat in der ersten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren ausgeführt, dass er bei früherer Beschäftigung mit der HTML-Programmiersprache für Internetauftritte auf den Quellcode der früheren offiziellen Homepage der Beklagten gestoßen sei und diesen gespeichert habe, was er dann später – hier – als Vorlage für seine satirischen Seiten verwendet habe. Der Kläger hat hierbei jedoch die „Corporate Identity“ des früheren Internetsauftritts der Beklagten, dessen optisches Erscheinungsbild und sprachliche Inhalte, in Teilen – und dabei vielfach nicht substantiell verändert/verfremdet – übernommen, wie sie nachvollziehbar vorträgt: Grundlegende grafische Gestaltung und Farbgebung ihrer früheren Homepage und der beiden inkriminierten Internetseiten des Klägers sind in wesentlichen Bereichen ebenso unverkennbar ähnlich wie die eher semantische Verfremdung der Bezeichnung „N.“ (gegenüber: „F.“ …), die Verwendung des abgebildeten Firmenausweises der Beklagten als Vorlage für einen solchen auf den Internetseiten des Klägers, Verwendung dortiger Fotos – auch aus dem Großmarkt in G. -, Übernahme der (früheren) Zahl der Großmärkte und Firmengeschichte und anderer „Angaben“.

Für Insider mussten sich diese inkriminierten Internetseiten des Klägers in der Tat auf den ersten Blick damit als, harsche, Satire auf die Verhältnisse nicht nur im Einzelhandel insgesamt und abstrakt, sondern konkret bei der Beklagten darstellen, weil deren Internetpräsenz hier teilweise bis zur Kenntlichkeit verfremdet übernommen war.

Jedoch konnte dies eben so nur für „Insider“ gelten – für Arbeitnehmer der Beklagten (insbesondere solche aus deren Großmarkt in G.) oder mit dem betreffenden Marktgeschehen sonst in besonderem, professionellem, Maß vertraute Personen (etwa Lieferanten, (Groß-)Kunden der Beklagten u. ä.) -.
Im umgekehrten Sinn galt dies jedoch offensichtlich nicht: „Normale“ dritte Betrachter, Personen, die mit solchen Interna und der (früheren) optischen Corporate Identity der Beklagten nicht spontan vertraut sind, werden bei diesen vom Kläger erstellten Webseiten nicht ohne weiteres die Beklagte assoziieren und diese nicht lediglich als Satire auf die Verhältnisse im Einzelhandel allgemein, sondern als solche (insbesondere) bezogen auf die Situation bei der Beklagten im Besonderen wahrnehmen.
Auch die Beklagte trägt nicht vor, dass irgendwelche anderen Personen ihres Bereiches – Mitarbeiter ihres Unternehmens und/oder des Großmarkts in G. oder auch etwa Kunden, Lieferanten sonst – diese Seiten des Klägers – überhaupt und zumal – als Satire hinsichtlich der Beklagten registriert hätten. Außer dem Marktleiter und Zeugen H., der nach seiner Aussage anlässlich einer harmlosen „google“-Recherche zufällig und über Links zunächst auf die Seite „…“ gestoßen sei, hat offensichtlich sonst keine Person, zumal keine solche, die dies mit der Beklagten assoziieren hätte können – gerade etwa Mitarbeiter ihres Unternehmens allgemein und solche des Großmarkts in G. im Besonderen – Kenntnis hiervon erlangt. Diese waren ersichtlich in Kreisen potenzieller solcher Insider, die dies überhaupt erst auf die Beklagte beziehen hätten können, unbekannt geblieben, nicht einmal informeller Kenntnis-/Gesprächsgegenstand, mit der Folge eventueller Auswirkungen auf das betriebliche Geschehen bei ihr bzw. konkret deren Großmarkt in G., wie sie allgemein akzentuiert. Diese Webseiten waren offensichtlich eher virtuell im Milliarden von Seiten umfassenden Meer des world-wide-web vorhanden. Deren tatsächliche Kenntnis durch Kollegen des Klägers – oder sonstige Insider – schied offensichtlich aus, erst recht damit irgendeine dadurch etwa verursachte Störung des Betriebsfriedens, konkrete Auswirkungen auf das betriebliche Geschehen durch beleidigende – verleumderische – Inhalte dieser Seiten in Richtung der Beklagten.

Auch der von ihr vorgelegte Ausdruck des „… Gästebuch“ dokumentiert nur sehr wenige dortige Eintragungen überhaupt und zu den hier relevanten satirischen Darstellungen im Besonderen – und hierbei keine einzige, die auch nur inzident einen Zusammenhang mit dem Unternehmen der Beklagten herstellen würde.

dd) (1) Bei der Bewertung des Verhaltens des Klägers als Erstellers, „Betreibers“, dieser Internetseiten als Kündigungsgrund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB ist weiter zu berücksichtigen, dass, zum einen, die Beklagte als juristische Person – bzw. Personengesellschaft – des Privatrechts nicht ohne weiteres in gleicher Weise beleidigungsfähig i. S. der Beleidigungsdeliktstatbestände der §§ 185 f StGB ist, auf die sie wiederholt und forciert abstellt (Beleidigung (vgl. § 185 StGB), üble Nachrede (vgl. § 186 StGB), Verleumdung (vgl. § 187 StGB)). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Personengemeinschaften und Kapitalgesellschaften als solche nur dann beleidigungsfähig i. S. d. §§ 185 f StGB, soweit sie eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden (etwa BGH, U. v. 08.01.1954, 1 StR 260/53, BGHSt 6, S. 187 f; BGH, U. v. 05.05.1981, VI ZR 184/79, NJW 1981, S. 616 f; BGH, U. v. 17.11.1992, VI ZR 352/91, NJW 1993, S. 525 f; s. a. Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, Vorbem. zu §§ 185 f, II. 1.; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, Vorbem. zu § 185 StGB Rz. 5).

Eine Beleidigung (o. ä.) von Mitarbeitern der Beklagten, insbesondere solchen in leitender Stellung, im Großmarkt in G., konnte mit diesen satirischen Seiten keinesfalls bereits verbunden sein.

(2) Weiter ist einzubeziehen, dass grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung bedeuten, zwar wegen Vorliegens eines gewichtigen Verstoßes gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) eine auch außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen können. Das Grundrecht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) schützt den Arbeitnehmer hierbei weder bei Formalbeleidigungen und Schmähungen noch bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen. Im groben Maß unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position etwa eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber nicht hinnehmen, wobei bei der rechtlichen Würdigung allerdings die konkreten Umstände zu berücksichtigen sind (vgl. BAG, zuletzt etwa U. v. 10.12.2009, 2 AZR 534/08, NZA 2010, S. 698 f; BAG, U. v. 24.11.2005, 2 AZR 584/04, NZA 2006, S. 650 f; BAG, U. v. 17.02.2000, 2 AZR 927/98, RzK I. 6. e) Nr. 20, jew. m. w. N.).

Im vorliegenden Fall geschah dies jedoch in Form einer, auf den ersten Blick als solcher erkennbaren, Satire. Bei der Frage der Zulässigkeit einer Satire gilt im Spannungsfeld zur Meinungsfreiheit jedoch ein weiter Maßstab. Bei erkennbar satirisch gemeinten Äußerungen sind der vom Äußernden in Wahrheit gemeinte Kern der Äußerung und die zu seiner Vermittlung verwendete sprachliche Einkleidung, die satirische Überhöhung der Aussage, gesondert zu betrachten, da dem Stilmittel der Satire oder auch der Ironie oder der Karikatur ein Element der Verzerrung und Verfremdung wesenseigen ist. An die Beurteilung der Einkleidung sind weniger strenge Maßstäbe anzulegen als an die Bewertung des Aussagekerns. Dies gilt auch außerhalb einer bereits in den Rang eines Kunstwerks (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) erhobenen etwa literarischen satirischen Äußerung (vgl. näher BVerfG, B. v. 19.10.2006, 1 BvR 361/00, Juris – Rz. 14 -; BVerfG, B. v. 10.07.2002, 1 BvR 354/98, NJW 2002, S. 3767 f; BVerfG, B. v. 29.07.2003, 1 BvR 2145/02, NJW 2003, S. 3760 f).

Im Übrigen muss hierbei jeweils eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) einerseits und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen bzw. dem Vorliegen einer auch im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht mehr tolerierbaren Schmähkritik oder Formalbeleidigung andererseits vorgenommen werden. Die Annahme einer nicht mehr zulässigen Schmähkritik kommt bei Stellungnahmen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich beschäftigen, nur ausnahmsweise in Betracht (BVerfG, aaO).

Hiernach kann nach Auffassung der Berufungskammer nicht davon ausgegangen werden, dass die satirisch immanent weit überzeichnete/dramaturgisch überhöhte Darstellung der Situation von Arbeitnehmern des Einzelhandels („Sklaven …“) durch diese Webseiten vorliegend bereits eine Schmähkritik – zumal in Richtung der Beklagten -, der gegenüber die Meinungsfreiheit des Klägers zurücktreten müsste, darstellen würde – auch wenn berücksichtigt wird, dass vor allem die Konnotation zum berüchtigten ugandischen Diktator Idi Amin in diesem Zusammenhang zweifellos nicht nur überzeichnet, sondern geschmacklos war, wie die Beklagte nachvollziehbar rügt.

ee) Es bleibt nach allem, dass der Kläger eine massiv überzeichnete, jedoch (nicht zuletzt dadurch) als solche sofort erkennbare, Satire zu den ausbeuterischen Zuständen für Arbeitnehmer des deutschen Einzelhandels ins Netz stellte und hierbei in erheblichem Umfang Versatzstücke des früheren Internetsauftritts der Beklagten – hinsichtlich grundlegender farblicher und grafischer Gestaltung, Bildern, Diktion – verwendete, die Insider deshalb auf diese identifizieren hätten können.
Es ist aber weder widerlegt noch von vornherein als unglaubhaft anzusehen, dass der Kläger subjektiv hierbei kein Handeln zulasten der Beklagten beabsichtigte/anstrebte – (auch) diese damit mehr oder weniger verkappt angreifen und zielgerichtet verleumden oder beleidigen wollte -. Er stellt in nicht von vornherein unglaubhafter Weise auch in Abrede, dass der Gestaltung dieser Seiten etwa irgendwelche Auseinandersetzungen mit der Beklagten oder bei dieser bestehende tarifpolitische oder betriebsverfassungsrechtliche Probleme vorausgegangen oder durch solche angestoßen worden seien.

Hiernach lagen zwar eine bemerkenswerte Dreistigkeit, eine mangelnde satirische Gestaltungsphantasie und fehlende Sensibilität für potentielle Diffamierungsrisiken vor, als der Kläger seine an sich, auch in dieser überspitzten Form, grundsätzlich von seiner Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gedeckte Satire unter Verwendung von Ersatzstücken aus dem früheren Internetauftritt der Beklagten erstellte und ins Netz stellte – wenngleich er nicht damit nicht gerade diese, unmittelbar oder auch nur mittelbar, treffen wollte. Er muss sich jedoch vorwerfen und zurechnen lassen, dass dies aufgrund der Umstände so geschehen konnte, dass Insider diese satirischen Darstellungen bei Wahrnehmung mit der Beklagten assoziieren hätten können.

ff) Auch wenn Letzteres, unabhängig vom Vorliegen eines Beleidigungs- oder Verleumdungstatbestands im engeren strafrechtlichen Sinn der §§ 185 f StGB, nach dem objektiven und subjektiven Tatbestand, und auch unter Berücksichtigung des Spannungsfeldes mit der Meinungsfreiheit, zur Annahme des Vorliegens eines Kündigungsgrundes an sich veranlassen könnte, wie das Arbeitsgericht nicht ohne Überzeugungskraft angenommen hat, würde sich eine außerordentliche Kündigung hier jedoch jedenfalls nach den Grundsätzen der Interessenabwägung als rechtsunwirksam erweisen:

Zulasten des Klägers fällt vor allem ins Gewicht, dass mit der konkreten Gestaltung seiner satirischen Internetauftritte für den Insider, der diese Seiten auffinden würde, ein Angriff spezifisch auf die Beklagte, die bei ihr angeblich herrschenden arbeitsrechtlichen Zustände, assoziiert werden konnte, dies somit ein grundsätzliches Gefährdungspotenzial, die Gefahr einer Rufschädigung der Beklagten, darstellen konnte – was weiter Risiken hinsichtlich einer Störung des Betriebsfriedens im Mitarbeiterkreis, wie die Beklagte hervorhebt, oder bei Kunden etc., eine Beeinträchtigung des Images der Beklagten, zur Folge haben hätte können.
Die von der Beklagten erkennbar im Rahmen der Interessenabwägung nachgeschobenen abgemahnten beiden früheren Vorfälle im Jahr 2008 wegen kundenunfreundlichen Verhaltens des Klägers – er habe einen Kundenauftrag „sehr unfreundlich“ entgegengenommen, habe im Tonfall „patzig und kurz angebunden“ geantwortet – sind zum Teil unsubstanziiert dargelegt und insofern einer Beweisaufnahme grundsätzlich nicht zugänglich und würden auch bei deren wesentlicher Wahrunterstellung nicht geeignet sein, das Gewicht des Kündigungsgrundes in diesem Rahmen entscheidend zu erhöhen.

Zugunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass eine tatsächliche Auswirkung, ersichtlich auch nur eine Kenntnis durch der Beklagten nahestehende Dritte, dieser Webseiten des Klägers nicht stattgefunden hat. Wie ausgeführt ist es weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass anderen Mitarbeitern oder Lieferanten etc. der Beklagten diese Seiten überhaupt zur Kenntnis gelangt, geschweige denn dann von diesen mit ihr in Verbindung gebracht worden wären. Irgendeine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens oder Imagebeeinträchtigung der Beklagten sonst durch diese von ihm gestalteten Seiten fand offensichtlich nicht statt. Diese wurden allem Anschein nach lediglich durch Zufall durch den Marktleiter und dann den Betriebsleiter entdeckt, ohne dass dies vorher etwa bereits im (betrieblichen) Gespräch gewesen wäre oder Kreise gezogen gehabt hätte. Der Kläger hat Glück gehabt, dass diese Webseiten offensichtlich von Kollegen, Vorgesetzten, Insidern über einen längeren Zeitraum nicht bemerkt worden sein dürften.
Für ihn sprechen auch seine relativ lange Betriebszugehörigkeit von zum Zeitpunkt der Kündigung etwa 18,5 Jahren und sein Lebensalter von zu diesem Zeitpunkt fast 54 Jahren, was es ihm schwer machen dürfte, innerhalb überschaubarer Zeit eine angemessen dotierte Ersatzbeschäftigung zu finden. Weiter ist auch sein Status als einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Person i. S. d. § 2 Abs. 3 SGB IX als Indiz für eine besondere Schutzbedürftigkeit zu berücksichtigen. Allenfalls am Rand können hierbei allerdings die beiden nach Vortrag des Klägers tatsächlich noch bestehenden Unterhaltspflichten für zwei in Ausbildung befindliche Kinder ins Gewicht fallen (soweit sie von Bedeutung für die finanziellen Folgen des Arbeitsplatzverlustes sind, vgl. etwa BAG, U. v. 11.03.1999, 2 AZR 507/98, AP Nr. 149 zu § 626 BGB – II. 2. a) d. Gr. -).
Ein besonders hoher Grad des Verschuldens des Klägers, den die Beklagte in der Berufungsbegründung heraushebt, ist dagegen nicht erkennbar: Es ist, wie ausgeführt, davon auszugehen, dass der Kläger mit diesen in wesentlichen Bereichen an ihrem früheren Internetauftritt orientierten Satireseiten nicht zielgerichtet die Beklagte treffen und angreifen wollte, sondern diesen, wenngleich dreist „abgekupfert“, als Folie für seine satirische Anklage verwendete, er jedoch, im Sinne einer Art bewusster Fahrlässigkeit, das Risiko eines Fokussierens auf die Beklagte durch Insider im dargelegten Sinn dabei nicht ausschließen konnte.
Eine Verwechslungsgefahr mit ihrem eigenen (früheren) Original-Internetauftritt dagegen, auf die sie hierzu in ihrer Berufungsbegründung abhebt, scheidet, wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, schon deshalb aus, weil die vom Kläger erstellten Internetseiten auf den ersten Blick, nicht nur für Insider, als Satire erkennbar waren. Dies würde selbst dann gelten, wenn er diese Seiten, ganz oder zum Teil, tatsächlich bereits vor Änderung des offiziellen Internetauftritts durch die Beklagte im März 2007 ins Netz gestellt haben sollte – also die inkriminierten Webseiten und ihr früherer Internetauftritt in insoweit vor allem äußerlich ähnlicher Gestaltung noch eine gewisse Zeit parallel im Internet gestanden haben sollten, wie sie annimmt -.
Auch eine Wiederholungsgefahr solchen Verhaltens des Klägers ist nicht konkret erkennbar.

gg) Nach allem, nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles, musste der Beklagten zur Überzeugung auch der Berufungskammer im Rahmen des Abwägungsmaßstabes des § 626 Abs. 1 BGB die Einhaltung einer auch längeren Kündigungsfrist, selbst im Anschluss an ein anzunehmendes Ende des Sonderkündigungsschutzes des Klägers nach § 15 Abs. 1 KSchG, noch zumutbar sein, weshalb ihre Berufung zur Feststellungsklage zurückzuweisen ist.

3. Gegen die damit konsequente Entscheidung des Arbeitsgerichts zur Leistungsklage auf Weiterbeschäftigung wendet die Beklagte sich nicht gesondert, weshalb ihre Berufung auch insoweit keinen Erfolg haben kann.

III.
Die Beklagte hat damit die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

IV.
Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gem. § 72 a ArbGG die Beklagte hingewiesen wird, zulassen sollte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a