DocMorris: Apotheken-Automaten werden weiterhin verboten bleiben

03. März 2021
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Einkaufswagen mit Medikamenten Beschluss des BGH vom 30.04.2020, Az.: I RZ 123/19

Die Frage, ob der Betrieb eines sogenannten Apothekenautomaten (d.h. eine pharmazeutische Videoberatung mit Arzneimittelabgabe) erlaubt ist oder nicht, beantwortete der BGH dahingehend, dass das Aufstellen eines solchen Automat wettbewerbswidrig ist und dementsprechend verboten bleibt. Die objektive Verknüpfung zwischen Apotheke und Medikamentenausgabe diene dem Gesundheitsschutz und ist mit dem Geschäftsmodell der Beschwerdeführerin nicht vereinbar.

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 30.04.2020

Az.: I ZR 123/19

 

 

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 6. Zivilsenat – vom 29. Mai 2019 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Streitwert: 100.000 €

Gründe

I. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist unbegründet, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

1. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Ein – vom Berufungsgericht verneinter – Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) durch die Anforderungen an einen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG zulässigen Versandhandel wäre jedenfalls nach Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt (vgl. Berufungsurteil, Umdruck Seite 23 bis 25 unter B III 2 e bb (1) (b); OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2019, 479, 485 f. [juris Rn. 100 bis 103]; VG Karlsruhe, PharmR 2019, 356 [juris Rn. 125 bis 139]). Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit bei Gefährdung der Arzneimittelsicherheit durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantwortet. Mit ihren gegen die Würdigung des Berufungsgerichts gerichteten Angriffen legt die Beschwerde keinen fortbestehenden Klärungsbedarf dar.

a) Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist es ohne Bedeutung, dass der streitgegenständliche Vertrieb von Arzneimitteln aus den Niederlanden mittels eines in Deutschland betriebenen sogenannten Arzneimittelabgabeautomaten nicht Gegenstand der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Fremdbesitzverbot (Urteil vom 19. Mai 2009 – C-171/07 und C-172/07, Slg. 2009, I-4171 = NJW 2009, 2112 Rn. 19 – Apothekerkammer des Saarlandes u.a.) war. Die Verpflichtung zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union entfällt nicht erst dann, wenn eine auf den konkreten, im Streitfall gegenständlichen Sachverhalt bezogene Entscheidung des Gerichtshofs vorliegt. Vielmehr genügt es, dass eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist, gleich in welcher Art von Verfahren sich diese Rechtsprechung gebildet hat und selbst dann, wenn die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind („acte éclairé“; vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 14 = NJW 1983, 1257 – Cilfit u.a.).

b) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die von der Beklagten nicht beachteten Beschränkungen bei der Abgabe von Arzneimitteln, insbesondere die nationale Apothekenpflicht (§ 43 Abs. 1 Satz 1 AMG) und die Modalitäten eines zulässigen Versands nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG, die eine Versendung unmittelbar von der Apotheke an den Kunden verlangen, der Arzneimittelsicherheit dienen und im Interesse eines hohen Schutzniveaus für den Endverbraucher nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt sind.

c) Die Beschwerde wendet ohne Erfolg ein, das Vertriebsmodell der Beklagten ermögliche es, die Warenverkehrsfreiheit weniger zu beschränken als der regelhafte Ausschluss von Nichtapothekern (vgl. zur Niederlassungsfreiheit EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 39, 61 – Apothekerkammer des Saarlandes u.a.) und das Niveau der Sicherheit und Qualität der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ebenso wirksam wie dieser sicherzustellen.

aa) Bei der Prüfung, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich des Gesundheitsschutzes beachtet worden ist, ist zu berücksichtigen, dass den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum zusteht (vgl. EuGH, Urteil vom 11. September 2008 – C-141/07, Slg. 2008, I-6935 = NJW 2008, 3693 Rn. 51 – Kommission/Deutschland; EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 19 – Apothekerkammer des Saarlandes u.a.; EuGH, Urteil vom 18. September 2019 – C-222/18, juris Rn. 71 – VIPA). Innerhalb dieses Wertungsspielraums ist die Einschätzung zulässig, dass der Betrieb einer Apotheke durch einen Nichtapotheker im Unterschied zu einer von einem Apotheker betriebenen Apotheke eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere für die Sicherheit und Qualität des Einzelhandelsvertriebs der Arzneimittel, darstellen kann, weil das Gewinnstreben nicht mit mäßigenden Faktoren wie Ausbildung, berufliche Erfahrung und die einem Apotheker obliegende Verantwortung gezügelt wird (vgl. EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 37, 39 – Apothekerkammer des Saarlandes u.a.). Nichts Abweichendes gilt für den Versandhandel, bei dem nach der Intention des nationalen Gesetzgebers das Arzneimittel dem Verbraucher – ebenso wie bei der persönlichen Aushändigung – von einer staatlich zugelassenen und überwachten Apotheke nach den entsprechenden Rechtsvorschriften zugänglich gemacht wird (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Modernisierungsgesetz – GMG], BT-Drucks. 15/1525, S. 165).

bb) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts genügt das Vertriebsmodell der in den Niederlanden ansässigen Beklagten der Arzneimittelsicherheit nicht in gleicher Weise wie die nationalen, unmittelbar dem Gesundheitsschutz dienenden Vorschriften.

(1) Das Berufungsgericht hat angenommen (vgl. Berufungsurteil, Umdruck S. 19 unter B III 2 c bb (3) (b); vgl. auch OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2019, 479, 485 f. [juris Rn. 80]), die Verknüpfung des Arzneimittelversands mit der Apotheke solle objektiv sicherstellen, dass die Arzneimittelsicherheit und insbesondere die Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel in gleicher Weise gewährleistet seien wie bei persönlicher Übergabe durch die Apotheke an den Endverbraucher. Ziel sei es, Gesundheitsschäden durch abgegebene Arzneimittel zu verhindern, die aufgrund von Verwechslungen, fehlerhafter Lagerung und Aufbewahrung sowie durch Arzneimittelfälschung, Wirkstoffverlust oder den Zugriff Unberechtigter auf Arzneimittel verursacht werden könnten.

Das Vertriebsmodell der Beklagten mit einem einer Bestellung durch einen Kunden vorausgehenden „antizipierten“ Transport von Arzneimitteln zu einem inländischen Lager außerhalb von Apothekenräumen und anschließender Zwischenlagerung dieser Arzneimittel bis zum Zeitpunkt der eigentlichen – aber ungewissen – Kundenanforderung unterlaufe die angestrebte staatliche Überwachung. Es stelle entgegen der Intention des Gesetzes nicht sicher, dass die Arzneimittel aus einer vom Apotheker bis zur Absendung an den konkreten Patienten kontrollierten, eine arzneimittelsichere Lagerung gewährleistenden Sphäre stammten (Berufungsurteil, Umdruck S. 20 unter B III 2 c bb (3) (b)).

(2) Die Beschwerde setzt sich weder mit diesen Gesichtspunkten auseinander noch nennt sie vom Berufungsgericht übergangenen Sachvortrag der Beklagten, wonach das streitgegenständliche Modell den Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit in gleicher Weise genüge und damit die Gesundheit der Bevölkerung ebenso wirksam schütze wie eine nach dem nationalen Recht zulässige Versandapotheke, also das Niveau der Sicherheit und Qualität der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gleichermaßen sicherstelle.

d) Schließlich gebietet auch die von der Beschwerde in Bezug genommene Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Deutsche Parkinson Vereinigung (Urteil vom 19. Oktober 2016 – C-148/15, GRUR 2016, 1312 = WRP 2017, 36) keine abweichende Beurteilung. Anders als die Beschwerde meint, bedurfte es für die Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 36 AEUV keiner zusätzlichen Darlegungen des Klägers. Ebenso wenig musste das Berufungsgericht „mit Hilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel objektiv prüfen, ob die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken“ (vgl. zu diesen Anforderungen EuGH, GRUR 2016, 1312 Rn. 35 f. – Deutsche Parkinson Vereinigung; vgl. auch EuGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – C-333/14, NJW 2016, 621 Rn. 54 – Scotch Whisky Association u.a., mwN; Urteil vom 18. September 2019 – C-222/18, juris Rn. 70 – VIPA). Die in dieser Entscheidung aufgestellten Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind auf die hier in Rede stehende Fallgestaltung nicht entsprechend anwendbar.

aa) Im Unterschied zu der Sache „Deutsche Parkinson Vereinigung“, bei der die Geeignetheit der nationalen einheitlichen und verbindlichen Apothekenabgabepreise an die Endverbraucher zur Erreichung des Ziels einer – nur mittelbar dem Gesundheitsschutz dienenden – Sicherstellung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln in Frage stand (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drucks. 11/5373, S. 27), betreffen die im Streitfall am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 und 36 AEUV) zu überprüfenden nationalen Regelungen unmittelbar die Arzneimittelsicherheit und damit auch unmittelbar Leben und Gesundheit der Bevölkerung im Sinne von Art. 36 AEUV.

bb) Ist die Abgabe von Arzneimitteln unmittelbar betroffen, ist außerdem zu berücksichtigen, dass deren therapeutische Wirkungen sie substanziell von den übrigen Waren unterscheiden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Mai 2009 – C-531/06, Slg. 2009, I-4103 = PharmR 2009, 451 Rn. 53 – Kommission/Italien; EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 31 – Apothekerkammer des Saarlandes u.a.; EuGH, Urteil vom 18. September 2019 – C-222/18, juris Rn. 73 – VIPA). Die Unzulässigkeit bestimmter Vertriebsmodelle lässt sich deshalb mit Argumenten rechtfertigen, die den Schutz des Kunden bei der Abgabe von Arzneimitteln sowie die Kontrolle der Echtheit von ärztlichen Verschreibungen betreffen (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – C-322/01, Slg. 2003, I-14887 = GRUR 2004, 174 Rn. 106 – Deutscher Apothekerverband).

cc) Mit Blick darauf erlauben die im Streitfall von der Beklagten verletzten Vorschriften, mit denen eine ständige Überwachung und Kontrolle der Arzneimittel durch einen Apotheker gewährleistet ist, bei verständiger Würdigung die Einschätzung, dass sie zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind und diese Ziele bei gleich hohem Schutzniveau nicht durch Maßnahmen erreicht werden können, die den freien Warenverkehr weniger einschränken. Der Umstand, dass die Vorschriften strenger sein mögen als in anderen Mitgliedstaaten, bedeutet nicht, dass sie unverhältnismäßig sind (vgl. EuGH, NJW 2008, 3693 Rn. 51 – Kommission/Deutschland; EuGH, Urteil vom 18. September 2019 – C-222/18, juris Rn. 71 – VIPA).

2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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