Beitrag über Lokalpolitiker bleibt online – BVerfG verneint Recht auf Vergessen

28. April 2020
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Frau trinkt Kaffee und liest Zeitung Urteil des BVerfG vom 25.02.2020, Az.: 1 BvR 1282/17

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht das Recht so wahrgenommen zu werden, wie es den eigenen Wünschen entspricht. Außerdem stehe es im Interesse der Presse, ihre Archive möglichst vollständig und unverändert zu halten. Folglich gibt es im vorliegenden Fall kein Recht auf Vergessen, da es nicht vor der Mitteilung personenbezogener Informationen im öffentlichen Kommunikationsprozess schützt.

Bundesverfassungsgericht

Urteil vom 25.02.2020

Az.: 1 BvR 1282/17 

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn K…,

– Bevollmächtigte:

… –

gegen

a) das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 9. Mai 2017 – 7 U 118/15 -,

b) das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. November 2015 – 324 O 222/15 –

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

(…)

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 25. Februar 2020 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

G r ü n d e

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die zivilgerichtliche Zurückweisung eines Unterlassungsbegehrens gegen ein Online-Pressearchiv.

1. Der Beschwerdeführer ist Sohn des ehemaligen Oberbürgermeisters einer süddeutschen Großstadt (Amtszeit: Ende der siebziger Jahre bis Mitte der achtziger Jahre) und praktiziert als Partner einer seinen Familiennamen tragenden Anwaltskanzlei im Raum Rosenheim. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Verlegerin des Magazins „…“, veröffentlichte im Jahr 1978 einen Porträtbeitrag, der sich mit K. befasst. Im Fließtext heißt es in Bezug auf die Ehefrau K., sie sei „Mutter von R., E., S., K., und B.“. Der Beitrag ist weiterhin im Online-Archiv des „…“ auffindbar. Bei einer Eingabe des Namens des Beschwerdeführers in die Internetsuchmaschine „Google“ erschien ein Nachweis und eine Verlinkung dieses Beitrags auf der fünften Seite der Liste dort nachgewiesener Internetseiten, also ungefähr an 45. Stelle der Suchergebnisse.

2. Wegen dieses Beitrags verklagte der Beschwerdeführer, der nicht öffentlich als Sohn mit K. in Verbindung gebracht werden möchte, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, es zu unterlassen, ihn namentlich als Sohn des ehemaligen Oberbürgermeisters zu nennen. Dieses Begehren wies das Landgericht Hamburg zurück. Die ursprüngliche Zulässigkeit des Berichts könne offenbleiben. Es überwiege jedenfalls auch zum jetzigen Zeitpunkt das Interesse an der fortgesetzten Bereitstellung des Beitrags. Wahre Tatsachenbehauptungen aus dem Bereich der Sozialsphäre, zu denen auch die Namensnennung gehöre, seien im Grundsatz hinzunehmen. Es sei nicht erkennbar, dass dem Beschwerdeführer aus einer Namensnennung und dem Wissen um seine Kindschaftsbeziehung zu K. erhebliche Nachteile drohten. Zudem seien durchaus Fälle denkbar, in denen dieses Abstammungsverhältnis legitimer öffentlicher Erörterungsgegenstand sei.

3. Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Hanseatische Oberlandesgericht ohne Zulassung der Revision zurück. Zwar sei das öffentliche Informationsinteresse an den Familienverhältnissen K. heute nicht groß. Dem stehe aber ein geringes Eingriffsgewicht in die Persönlichkeit des Beschwerdeführers gegenüber, da er keine erheblichen negativen Folgen dargetan habe.

4. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner informationellen Selbstbestimmung und seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie des Benachteiligungsverbots aufgrund der Abstammung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

II.

1. Mit Blick auf die geltend gemachte Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

a) Soweit der Beschwerdeführer sich auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stützt, ist der Schutzgehalt dieser Gewährleistung nicht berührt. Denn dieses Grundrecht schützt im Schwerpunkt vor den spezifischen Gefährdungen der von Betroffenen nicht mehr nachzuvollziehenden oder zu kontrollierenden Datensammlung und -verknüpfung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I, Rn. 89 f.), nicht vor der Mitteilung personenbezogener Informationen im öffentlichen Kommunikationsprozess. Der diesbezügliche Schutz bleibt den äußerungsrechtlichen Schutzdimensionen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorbehalten (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 91).

b) Auch in seiner äußerungsrechtlichen Dimension ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers nicht verletzt.

aa) Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit und bietet dabei insbesondere Schutz vor einer personenbezogenen Berichterstattung und Verbreitung von Informationen, die geeignet sind, die Persönlichkeitsentfaltung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG a.a.O., Rn. 80). Es gewährleistet jedoch nicht das Recht, öffentlich so wahrgenommen zu werden, wie es den eigenen Wünschen entspricht (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 107). Die Reichweite von Schutzansprüchen gegenüber der Verbreitung von Presseberichten im Einzelfall richtet sich nach einer Abwägung der sich gegenüberstehenden grundrechtlich geschützten Interessen unter umfassender Berücksichtigung der konkreten Umstände. Ihren Ausgangspunkt nimmt diese Abwägung im Grundsatz der Zulässigkeit wahrhafter Berichterstattung aus der Sozialsphäre (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 82). Hieran anknüpfend ist dann der jeweils in Frage stehende persönlichkeitsrechtliche Schutzbedarf, insbesondere unter Würdigung von Anlass und Gegenstand sowie Form, Art und Reichweite der Veröffentlichung und deren Bedeutung und Wirkung unter zeitlichen Aspekten zu ermitteln, in die Abwägung einzustellen und mit den Berichterstattungsinteressen in Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 108 f., 114).

Soweit nicht die ursprüngliche oder neuerliche Berichterstattung, sondern das öffentlich zugängliche Vorhalten eines Berichts, insbesondere in Pressearchiven, in Rede steht, ist dessen Zulässigkeit im Ausgangspunkt anhand einer neuerlichen Abwägung der im Zeitpunkt des jeweiligen Löschungsverlangens bestehenden gegenläufigen grundrechtlich geschützten Interessen zu beurteilen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 115 f.). Dabei ist die ursprüngliche Zulässigkeit eines Berichts allerdings ein wesentlicher Faktor, der ein gesteigertes berechtigtes Interesse von Presseorganen begründet, diese Berichterstattung ohne erneute Prüfung oder Änderung der Öffentlichkeit dauerhaft verfügbar zu halten (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 112 f., 130). Denn in diesem Fall hat die Presse bei der ursprünglichen Veröffentlichung bereits alle für sie geltenden Maßgaben beachtet und kann daher im Grundsatz verlangen, sich nicht erneut mit dem Bericht und seinem Gegenstand befassen zu müssen (vgl. im Kontext eines Anspruchs auf Veröffentlichung einer Richtigstellung einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung: BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Mai 2018 – 1 BvR 666/17 -, Rn. 19 ff.).

Ist – wie vorliegend – die ursprüngliche rechtliche Zulässigkeit der Veröffentlichung nicht geklärt, sind die Gerichte nicht gehindert, diese Frage offen zu lassen und hiervon unabhängig eine Abwägung vorzunehmen. Auch hierbei haben sie dann den Zeitablauf seit der Erstveröffentlichung in ihre Abwägung einzustellen. Insoweit haben die Gerichte insbesondere die Schwere der aus der trotz der verstrichenen Zeit andauernden Verfügbarkeit der Information drohenden Persönlichkeitsbeeinträchtigung (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 121), den Zeitablauf seit dem archivierten Bericht (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 101-109), das zwischenzeitliche Verhalten des Betroffenen einschließlich möglicher Reaktualisierungen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 107, 109, 122 f.), die fortdauernde oder verblassende konkrete Breitenwirkung der beanstandeten Presseveröffentlichung (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 114, 125), die Priorität, mit der die Information bei einer Internetsuche kommuniziert wird (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 125), das generelle Interesse der Allgemeinheit an einer dauerhaften Verfügbarkeit einmal veröffentlichter Informationen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 112 f., 121, 130) und das grundrechtliche Interesse von Inhalteanbietern an einer grundsätzlich unveränderten Archivierung und Zurverfügungstellung ihrer Inhalte (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 112 f., 130; EGMR, M. L. und W.W. v. Deutschland, Urteil vom 28. Juni 2018, Nr. 60798/10 und 65599/10, § 90) angemessen zu berücksichtigen.

bb) Diesen Vorgaben genügen die angegriffenen Entscheidungen.

Die Gerichte haben zunächst zutreffend erkannt, dass sie über das Bestehen des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs im Wege einer grundrechtlich angeleiteten Abwägung unter Würdigung der konkreten Umstände des Falles zu entscheiden hatten. Bei dieser Abwägung sind sie zu Recht davon ausgegangen, dass die rechtliche Zulässigkeit des öffentlichen Vorhaltens eines Presseberichts ein fortbestehendes Interesse an seiner weiteren Verfügbarkeit zur Voraussetzung hat. Auch unter Berücksichtigung des langen Zeitablaufs seit der ursprünglichen Veröffentlichung des Berichts durften die Gerichte hierbei allerdings davon ausgehen, dass zutreffende Berichte über Umstände mit sozialem Bezug im Grundsatz hinzunehmen sind. Gleichfalls nicht zu beanstanden ist es, dass die Gerichte in Anbetracht des langen Zeitablaufs seit der Erstveröffentlichung davon abgesehen haben, die möglicherweise von schwer zu ermittelnden tatsächlichen Umständen abhängige ursprüngliche Zulässigkeit der Veröffentlichung abschließend zu klären.

Bei der Würdigung der für eine fortdauernde Verfügbarkeit des Berichts sprechenden Umstände und Gesichtspunkte erkennen die angegriffenen Entscheidungen zu Recht neben dem weiterhin bestehenden Informationswert des archivierten Artikels, den sie in nachvollziehbarer Weise begründen, auch ein allgemeines Interesse der Presse an, ihre Archive möglichst vollständig und unverändert der Öffentlichkeit verfügbar zu halten.

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Annahme der Gerichte, dass dem Beschwerdeführer aus der öffentlichen Kenntnis um sein Kindschaftsverhältnis zu K. keine erheblichen negativen Folgen drohen. Insofern sind sie nachvollziehbar davon ausgegangen, dass die bei einer fortgesetzten Verfügbarkeit des Berichts drohenden Persönlichkeitsbeeinträchtigungen nicht ähnlich schwer wiegen wie bei einer zutreffenden Berichterstattung über schwere Straftaten oder allgemein grob missbilligtes Verhalten.

Eine belastende Wirkung des Berichts ergibt sich insbesondere auch nicht aus einer gesteigerten Breitenwirkung aufgrund eines prioritären Nachweises bei einer Namenssuche mithilfe von Internetsuchmaschinen. Anders als in dem Fall Recht auf Vergessen I (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -), in dem der beanstandete Pressebericht auf einem der ersten Plätze der Suchnachweise geführt wurde (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I, Rn. 3) und damit eine Namenssuche zu dem Betroffenen Suchmaschinennutzer sofort auf dessen frühere schwerwiegende Gewalttaten stieß, erscheint der angegriffene Bericht hier nur auf Position 40 bis 50 der nachgewiesenen Inhalte. Es ist damit nicht erkennbar, dass Personen, die nicht intensive Recherchen anstellen, in persönlichkeitsverletzender Weise auf den beanstandeten Bericht und damit auf das Kindschaftsverhältnis zu K. hingelenkt würden. Aus diesem Grund bestand vorliegend insbesondere kein Anlass, vermittelnde Modelle zur Abmilderung der besonderen, aus der Nutzung von Suchmaschinen drohenden Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigungen zu erwägen (vgl. dazu BVerfG, a.a.O., Rn. 129 ff.).

Schließlich begründet es auch keinen verfassungsrechtlichen Mangel, dass sich die angegriffenen Entscheidungen mit den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Erschwerungen einer selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung aufgrund der Kenntnis um die prominente Stellung seines Vaters nicht umfassend auseinandersetzen. Zwar mag dieser Gesichtspunkt eine selbständige Persönlichkeitsrelevanz für die Kinder prominenter Personen besitzen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet jedoch auch insoweit keine einseitig durch die Betroffenen bestimmte Selbstdefinition (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 107). Angesichts dessen ist es verfassungsrechtlich unproblematisch, dass die Gerichte den Beeinträchtigungen, die für den Beschwerdeführer aus der öffentlichen Bekanntheit seiner Abstammung von K. folgen, keine die gegenläufigen berechtigten Interessen der Presse und der Allgemeinheit übersteigende Bedeutung beigemessen haben.

2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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