Problem der Forderungspfändung auf Verdacht

19. März 2004
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Bundesgerichtshof

Beschluss vom 19.03.2004

Az.: IXa ZB 229/03

Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzenden Richter … am 19. März 2004

b e s c h l o s s e n:

Auf die Rechtsmittel des Gläubigers werden der Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 25. Juli 2003 und der Beschluß des Amtsgerichts Freiberg vom 24. Juni 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das Amtsgericht Freiberg zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.
Der Gläubiger beantragte beim Amtsgericht den Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen einer titulierten Hauptforderung in Höhe von 502,97 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten. In einem vorformulierten Beschlußformular benannte er als Drittschuldner drei Geldinstitute, die am Wohnort des Schuldners einen Geschäftsbetrieb unterhalten. Nachdem das Amtsgericht den Gläubiger erfolglos aufgefordert hatte, zum Bestehen der zu pfändenden Forderungen nähere Angaben zu machen, hat es den Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses mit der Begründung abgelehnt, es liege eine unzulässige Ausforschungspfändung vor. Die vom Gläubiger gegen diese Entscheidung eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Gläubigers, mit der er den Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erreichen will.

II.
Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Beschlüsse des Land- sowie des Amtsgerichts und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe die Pfändung zu Recht als unzulässige Ausforschungspfändung abgelehnt, weil der Gläubiger keine ausreichenden Tatsachen für das Bestehen der zu pfändenden Forderungen und deren Pfändbarkeit vorgetragen habe. Da die Schlüssigkeitsprüfung – vor allem aufgrund der Tatsache, daß der Gläubiger gegen verschiedene Schuldner in gleicher Art und Weise mit der Benennung von drei Geldinstituten als Drittschuldner vorgegangen sei – Anhaltspunkte dafür ergeben habe, die Pfändung könne wegen Nichtbestehens der Forderungen ins Leere gehen, hätte der Gläubiger nach Aufforderung durch den Rechtspfleger darlegen müssen, aus welchen Gründen er das Bestehen der zu pfändenden Ansprüche des Schuldners gegen die benannten drei Drittschuldner behaupte. Dies folge aus der Pflicht des Vollstreckungsgerichts, auch die Interessen des Schuldners und der Drittschuldner zu wahren. Der Gläubiger müsse sich durch das Verfahren auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, welches das Gesetz für die Ausforschung vorsehe, die für die Forderungspfändung notwendigen Kenntnisse verschaffen. Jede andere Vollstreckungsmaßnahme mit identischer Zweckbestimmung sei rechtsmißbräuchlich.

2. Die Rechtsbeschwerde vertritt die Auffassung, die Angaben im Antrag auf Pfändung und Überweisung seien als hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag anzusehen. Eine unzulässige Ausforschung liege nicht vor; auch sei das Vorgehen des Gläubigers nicht rechtsmißbräuchlich.

3. Die von der Rechtsbeschwerde vertretene Meinung ist überzeugend.

a) Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses prüft das zuständige Vollstreckungsgericht nicht, ob die zu pfändende Forderung besteht; es prüft nur, ob diese nach dem Sachvortrag des Gläubigers dem Schuldner gegen den Drittschuldner zustehen kann und ob sie nicht unpfändbar ist (BGH, Beschl. v. 27. Juni 2003 – IXa ZB 62/03, WM 2003, 1875, 1876; vgl. Musielak/Becker, ZPO 3. Aufl. § 819 Rn. 8; ZöIIer/Stöber, ZPO 23. Aufl. § 829 Rn. 4, 5; Thomas/Putzo, ZPO 25. Aufl. § 829 Rn. 20). Der Sachvortrag des Gläubigers ist dabei als wahr zu unterstellen. Da der zu pfändende Anspruch nicht begründet, sondern lediglich bezeichnet wird, darf der Rechtspfleger den Antrag nur ausnahmsweise ablehnen, wenn dem Schuldner der Anspruch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen offenbar nicht zustehen kann oder ersichtlich unpfändbar ist. Deshalb pfändet das Vollstreckungsgericht auch nur die „angebliche Forderung“ des Schuldners gegen den Drittschuldner (vgl. Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3. Aufl. § 829 ZPO Rn. 32; Musielak/Becker aaO; Zöller/Stöber aaO).

b) Die Frage, ob von einem schlüssigen Sachvortrag ausgegangen werden kann, wenn der Gläubiger in einem Formular gleichzeitig die Pfändung und Überweisung von mehreren Forderungen des Schuldners gegen eine Vielzahl von an seinem Wohnort ansässigen Geldinstituten beantragt, ist streitig.

Zum Teil wird die Meinung vertreten, der sich das Beschwerdegericht angeschlossen hat, daß in einem solchen Fall der Gläubiger lediglich unsubstantiierte Behauptungen und Vermutungen aufstelle, die auf die Ausforschung von Erkenntnisquellen zielten und die beantragte Pfändung nicht rechtfertigen könnten (vgl. Zöller/Stöber, aaO Rn. 5, Stöber, Forderungspfändung 13. Aufl. Rn. 485 d; Alisch DGVZ 1985, 107 ff.). Eine solche unzulässige Ausforschungspfändung ist von der Rechtsprechung bejaht worden bei der Benennung von 20 (LG Hannover, JurBüro 1985, 789) oder 264 Geldinstituten (OLG München, DB 1990, 1916) ohne einen weiteren Tatsachenvortrag für konkrete Geschäftsbeziehungen.

Nach der Gegenmeinung (vgl. Schulz DGVZ 1985, 105 ff; Münzberg ZZP 102 [1989], 129, 131 ff), auf die sich die Rechtsbeschwerde beruft, ist der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß zu erlassen, weil der Antrag genügend bestimmt sei, nicht der Ausforschung diene und auch nicht als rechtsmißbräuchlich zu bewerten sei.

c) Für den zu entscheidenden Fall, in dem in einem vorformulierten Antrag zu pfändende Ansprüche des Schuldners gegen drei an seinem Wohnort ansässige Geldinstitute als Drittschuldner benannt sind, ist der zuletzt dargestellten Rechtsauffassung zu folgen.

Der Gläubiger hat zum Bestehen der zu pfändenden Forderungen schlüssig vorgetragen, weil diese nach Schuldner, Drittschuldner und Schuldgrund bestimmt bezeichnet sind. Zwar ist es nach der Lebenserfahrung wenig wahrscheinlich, daß dem Schuldner, der es wegen einer Forderung in geringer Höhe zu Vollstreckungsmaßnahmen kommen läßt, die in dem Antrag auf Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bezeichneten Ansprüche insgesamt oder zumindest überwiegend zustehen (vgl. LG Aurich Rpfleger 1993, 357). Dies genügt jedoch für die Antragsablehnung nicht, weil damit das Nichtbestehen jedes der bezeichneten Ansprüche weder positiv feststeht noch offenkundig ist (vgl. Schulz aaO S. 106; Münzberg aaO S. 132). Denn es ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung ebenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen, daß der Schuldner mit den drei Geldinstituten an seinem Wohnort in Geschäftsbeziehungen steht und insoweit die zu pfändenden Ansprüche bestehen. Die Unterhaltung von bis zu drei örtlichen Bankverbindungen bezeichnet allerdings auch die Obergrenze, die im allgemeinen bei nicht gewerblich tätigen Schuldnern in Betracht kommt.

Mit seinem weit gefaßten Antrag auf Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses verstößt der Gläubiger nicht gegen die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO, die es lediglich verbietet, Erklärungen gegen besseres Wissen abzugeben (Thomas/Putzo, aaO § 138 Rn. 3). Er darf Tatsachen behaupten, über die er keine positive Kenntnis hat und im Regelfall auch nicht haben kann, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich und möglich hält (vgl. BGH, Urt. v. 19. September 1985 – IX ZR 138/84, NJW 1986, 246, 247 und ständig). Nur eine willkürliche, „ins Blaue hinein“ aufgestellte Behauptung einer Forderung ohne jeden Anhaltspunkt für ihr Bestehen ist unbeachtlich. Davon kann bei der Bezeichnung von Ansprüchen des Schuldners gegen drei an seinem Wohnsitz tätige Geldinstitute nicht gesprochen werden.

Soweit das Vollstreckungsgericht aufgrund des gleichartigen Vorgehens des Gläubigers gegen verschiedene Schuldner in Parallelverfahren am Bestehen der zu pfändenden Forderungen gezweifelt und deshalb ergänzende Angaben verlangt hat, beruht dies auf einer unzulässigen Amtsermittlung. Die §§ 829 ff ZPO sehen – wie oben unter 3. a) dargestellt worden ist – eine materielle Prüfung der zu pfändenden Ansprüche nicht vor, wenn diese nach dem Sachvortrag des Gläubigers im konkreten Zwangsvollstreckungsverfahren bestehen und pfändbar sein können.

Ene „Forderungspfändung auf Verdacht“ ist bis zur Grenze einer Ausforschungspfändung wegen des durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Befriedigungsrechts des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung (vgl. BGHZ 141, 173, 177) nicht rechtsmißbräuchlich. Zwar könnte der Gläubiger zunächst die Sachpfändung durchführen und nach deren Fruchtlosigkeit im Rahmen des Verfahrens auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§§ 807, 900 ff ZPO) ausforschen, ob und welche Ansprüche dem Schuldner gegen Geldinstitute zustehen. Bei einem solchen Vorgehen besteht aber – worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist – die Gefahr, daß der Schuldner, der nach der Bezeichnung seiner Konten im Vermögensverzeichnis mit Pfändungen rechnen muß, diese räumt, so daß die spätere Pfändung ins Leere geht (vgl. Schulz aaO S. 107).

Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts werden dadurch weder die schützenswerten Interessen der als Drittschuldner beteiligten Geldinstitute noch die des Schuldners in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Wer als Geldinstitut Konten führt, muß und wird sich auf Pfändungen von Guthaben einstellen. Im Normalfall ist für ein Geldinstitut, das über einen voll eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt, die Drittschuldnererklärung (§ 840 ZPO) nicht mit einem ins Gewicht fallenden zusätzlichen personellen und sachlichen Aufwand verbunden, weil es die erforderlichen Erklärungen mit Hilfe moderner Datentechnik leicht abgeben kann (vgl. Schulz aaO S. 106). Der Schuldner, der die Ursache für die Zwangsvollstreckung gesetzt hat, muß die für ihn durch ins Leere gehende Pfändungen möglicherweise eintretenden Nachteile im vorrangigen Interesse des Gläubigers hinnehmen.

4. Nach alledem können die angefochtenen Entscheidungen keinen Bestand haben. Gemäß § 577 Abs. 5, § 572 Abs. 3 ZPO ist die Sache an das Amtsgericht zurückzuweisen.

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