Dauerhafte Veröffentlichung des Namens eines verurteilten Straftäters in Pressearchiv ist unzulässig

01. Juni 2007
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Eigener Leitsatz:

Es ist unzulässig, den Namen eines verurteilten Straftäters dauerhaft in einem elektronischen, jedermann zugänglichen Pressearchiv zu veröffentlichen, da dadurch dessen Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Auch bei einer rechtskräftig verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung gilt nichts anderes, denn auch die Sicherungsverwahrung ist am Resozialisierungsgedanken ausgerichtet.

Landgericht Hamburg

Urteil vom 01.06.2007

Az.: 324 O 717/06

Sachverhalt:

Der Kl. macht gegen die Bekl. einen Unterlassungsanspruch wegen einer Veröffentlichung in einem Internetauftritt geltend. Der Kl. war in den 90er Jahren wegen Mordes an dem Geschäftsmann F festgenommen worden und wurde 1998 wegen Mordes zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Über den Fall, der für erhebliches Aufsehen in Deutschlang sorgte, berichteten die Medien bundesweit ausführlich. Die Bekl. – eine Tochtergesellschaft der R Verlagsgesellschaft mbH – unterhält die Internetseiten „www.r-online.de“, auf denen am 17.5. und 8.6.2000 im zeitlichen Zusammenhang mit der Entscheidung des BGH über die Revision des Kl. gegen seine Verurteilung zwei Artikel aus der Zeitung „R“ eingestellt wurden, in denen der volle Name des Kl. genannt wird. Diese Artikel waren auch im Jahre 2006 noch abrufbar.

Der Kl. ist der Ansicht, dass eine ihn identifizierbar machende Berichterstattung unter vollständiger Namensnennung über die zehn Jahre zurückliegende Tat unzulässig sei und ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Die Bekl. ist der Ansicht, dass die Grundsätze der „Lebach“-Entscheidung des BVerfG im vorliegenden Fall keine Anwendung finden könnten, da gegen den Kl. die Sicherungsverwahrung angeordnet sei, bei der nicht die Resozialisierung im Vordergrund stehe, sondern der Schutz der Allgemeinheit. Damit habe das öffentliche Interesse an dem Kl. als Täter einer spektakulären Straftat Vorrang.

Aus den Gründen:

I. Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kl. steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, denn die angegriffene Berichterstattung verletzt bei fortbestehender Wiederholungsgefahr sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.

1. Die angegriffenen Artikel verletzen das Persönlichkeitsrecht des Kl. Die Berichterstattung bei voller Namensnennung berührt den Schutzbereich seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Unstreitig hat die Bekl. die in Rede stehenden Artikel … in ihrem Onlinearchiv in der Weise zum Abruf vorgehalten, dass Nutzer diese lesen konnten. Bei einer derartigen „Archivierung“ handelt es sich gerade nicht um ein lediglich internes Archiv der Bekl., denn diese Artikel waren für jedermann über das Internet öffentlich zugänglich. Hierdurch wurde die Täterschaft des Kl. für die Öffentlichkeit ständig aktualisiert, indem die Artikel jederzeit abrufbar waren. Für die Bekl. streiten zwar vorliegend die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. … Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Einzelfalls hat das Interesse der Öffentlichkeit, etwas über die Person des Kl. zu erfahren, indessen hinter seinem Individualinteresse, mit seiner Tat „in Ruhe gelassen“ zu werden und so eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen (a.), i.R.d. erforderlichen Abwägung (b.) zurückzutreten.

a) Die angegriffene Berichterstattung gefährdet die Resozialisierung des Kl., weil sie ihn mit seiner Tat erneut an das Licht der Öffentlichkeit zerrt und sich so bereits in der Haftsituation schädliche Wirkungen ergeben können, die eine spätere Wiedereingliederung erschweren. Dem steht nicht entgegen, dass für die Zeit nach Ablauf der lebenslangen Freiheitsstrafe (aa.) eine Sicherungsverwahrung des Kl. angeordnet ist (bb.) und eine unklare relative zeitliche Nähe zur Haftentlassung besteht (cc.). Gem. § 2 StVollzG dient der Vollzug der Freiheitsstrafe ausschließlich der Resozialisierung und dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (§ 2 Satz 1, 2 StVollzG). Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2 StVollzG).

aa) Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

bb) Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für den Fall, dass gegen den Verurteilten nach § 66 StGB die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet wird, da es sich bei der Sicherungsverwahrung nicht lediglich um einen Verwahrvollzug des gefährlichen Täters i.S.e. „Wegsperren für immer“ handelt. Denn auch i.R.d. Sicherungsverwahrung ist auf eine Resozialisierung des Untergebrachten hinzuwirken (BVerfG NJW 2004, S. 739 ff., 740 – Sicherungsverwahrung). Die Sicherungsverwahrung ist normativ wie tatsächlich geradezu am Resozialisierungsgedanken ausgerichtet (BVerfG, a.a.O., – Sicherungsverwahrung): Speziell für den Verurteilten in Sicherungsverwahrung regelt § 129 Satz 2 StVollzG, dass ihm zu helfen sei, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Anordnung der Unterbringung ohne zeitliche Obergrenze erfolgt. Damit das Resozialisierungsziel zum Tragen kommt, hat der Gesetzgeber für jedes Vollzugsstadium der Maßregel Überprüfungsregelungen getroffen, die zur Freilassung des Betroffenen führen können.

cc) Auch ohne eine relative zeitliche Nähe zur Haftentlassung können die möglichen Folgen eines Berichts über die Straftat eines Verurteilten für sein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gravierend sein, indem sie zu Stigmatisierung, sozialer Isolierung und einer darauf beruhenden grundlegenden Verunsicherung führen (dazu vgl. BVerfG, a.a.O. – Lebach II). Mit dem Anspruch des Betroffenen, mit seiner Tat „in Ruhe gelassen“ zu werden, gewinnt es mit zeitlicher Distanz zur Straftat und zum Strafverfahren zunehmende Bedeutung, vor einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben (vgl. jüngst BVerfG NJW 2006, 2835 f. m.w.Nw.). Die Grenze zwischen dem Zeitraum, in dem eine den Täter nennende Berichterstattung als aktuelle Berichterstattung über ein Ereignis von öffentlichem Interesse grds. zulässig ist, und dem Zeitraum, zu dem wegen Zurücktretens des berechtigten öffentlichen Interesses eine spätere Darstellung oder Erörterung unzulässig geworden ist, lässt sich nicht allgemein, jedenfalls nicht mit einer nach Monaten und Jahren für alle Fälle fest umrissenen Frist fixieren (so schon BVerfG, a.a.O. – Lebach I; nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls kann bereits nach einem Zeitraum von nur sechs Monaten nach Rechtskraft des Strafurteils die Namensnennung unzulässig geworden sein, s. etwa BGH NJW 1965, 2148 ff. – Spielgefährtin I). Der maßgebende Zeitpunkt für eine die Resozialisierung gefährdende, unzulässige Berichterstattung unter Namensnennung ist aber jedenfalls erheblich früher anzusetzen, als auf das Ende der Strafverbüßung.

b) Es besteht auch kein vorrangiges, die Interessen des Kl. überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer Aufrechterhaltung einer Berichterstattung über die nunmehr mehr als zehn Jahre zurückliegende Straftat bzw. die nahezu zehn Jahre zurückliegende Verurteilung unter Nennung des Namens des Kl.

aa) … Die Unzulässigkeit einer solchen Berichterstattung beschränkt die Bekl. in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG nur geringfügig. Denn die Tat selbst wird dadurch nicht dem Bereich der Gegenstände, über die öffentlich berichtet werden darf, entzogen. Eingeschränkt wird das Recht, über die spektakuläre Tat des Kl. zu berichten, nur dadurch, dass er den Lesern nicht durch Nennung seines Namens ohne weiteres erkennbar gemacht werden darf. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dadurch die Berichterstattungsfreiheit mehr als nur geringfügig begrenzt würde. Auf der anderen Seite ist nicht ersichtlich, weshalb es für den Kl. weniger gravierend sein soll, wenn dem Leser einer Veröffentlichung deutlich wird, dass diese bereits vor vielen Jahren erstmals veröffentlicht worden war; die stigmatisierende Wirkung, die mit einer Verknüpfung seines Namens mit seinen schrecklichen Taten einhergeht, wird durch alte Artikel genauso perpetuiert wie durch solche, die aktuell veröffentlicht wurden. … Zwar ist zutreffend, dass „archivierte“ Artikel in der Regel nicht „zufällig“ gelesen werden, die durch den Einsatz hocheffizienter Suchmaschinen ermöglichte einfache und blitzschnelle Auffindbarkeit befördert aber alle älteren Artikel gleichberechtigt auf eine Ebene der Wahrnehmbarkeit und Reichweite, die nur knapp unterhalb der einer Veröffentlichung im „aktuellen“ Teil einer Internetplattform liegt. Demnach stellt es für den Kl. keine Erleichterung dar, dass ihn betreffende Artikel „nur“ über Suchmaschinen auffindbar sind, sondern die Möglichkeit einer derartigen Auffindbarkeit begründet gerade ein ggü. anderen Formen der Publikation erheblich intensiviertes und ganz eigenes Maß an perpetuierter Beeinträchtigung.

bb) Auch der von der Bekl. angeführte Grundgedanke eines „Archivprivilegs“ vermag zu keiner abweichenden Beurteilung zu führen, jedenfalls soweit es um sog. „Onlinearchive“ im Internet geht.

(b) Auf ein Archivprivileg, das analog dem des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG gestaltet wäre, kann sich die Bekl. nicht mit Erfolg berufen. … Gegen eine analoge Anwendung der urheberrechtlichen Archivregelung spricht …, dass für eine solche Privilegierung hier bereits deshalb kein Raum besteht, weil ein Zugriff auf das Archiv der Bekl. jedermann möglich ist. Die Regelung in § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG, die den „Archivar“ von Ansprüchen des Urhebers freistellt, wenn zur Aufnahme in sein Archiv fremde Werkstücke vervielfältigt werden, findet nicht für jedes Archiv Anwendung. Nach § 53 Abs. 5 UrhG ist das Archivprivileg insb. auf solche Datenbanken beschränkt, die nicht mit elektronischen Mitteln zugänglich sind. Diese Ausnahmevorschrift kommt bereits dann nicht zum Tragen, wenn das Archiv auch nur von einer Mehrzahl von Unternehmensangehörigen genutzt werden kann (BGH GRUR 1999, 325 ff., 327 m.w.Nw.). Erst recht findet sie keine Anwendung, wenn außenstehenden Dritten Zugriff auf das Archiv gewährt wird (BGH GRUR 1997, 459 ff., 463 – CB-Infobank I). Das hat seinen Grund darin, dass eine Multiplikatorfunktion mit der bezweckten Beschränkung auf bloße Bestandssicherung nicht zu vereinbaren ist, weshalb auch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG nicht anhängig ist (vgl. BGH GRUR 1999, 325 ff., 327 m.w.Nw. [= MMR 1999, 409 m. Anm. Hoeren] – Elektronische Pressearchive).

Diese für das Urheberrecht entwickelten Grundsätze sind es, die gerade dafür sprechen, dass es ein „Archivprivileg“ für in das Internet eingestellte ehemals aktuelle Meldungen nicht geben kann, sondern dass jedenfalls ein Medienunternehmen, das sein Archiv gerade durch Gewährung des Zugangs über das Internet auch für dritte Nutzer zugänglich macht, dafür Sorge zu tragen hat, dass Beiträge, deren Verbreitung nicht oder nicht mehr zulässig ist, gelöscht oder so archiviert werden, dass ihre weitere Verbreitung ausgeschlossen ist. Denn der technische Fortschritt, der die Speicherung und Zugänglichmachung von Daten in immer weiterem Umfang zulässt, darf nicht dazu führen, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen eher hinzunehmen sind (BGH NJW 1966, 2353 ff., 2354; BVerfG NJW 2002, 3619 ff., 3621[= MMR 2003, 35]; s.a. BVerfG BVerfGE 65, 1 ff. – Volkszählung).

(c) I.Ü. wird auch aus den gesetzlichen Regelungen über die Verwaltung von Archivgut deutlich, dass nach gesetzgeberischer Wertung zeitliche Schutzfristen für archivierte Beiträge zu beachten sind, die dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der von dem Archivgut betroffenen Personen dienen, und dass solche Schutzfristen geradezu zum Wesen des Archivrechts gehören. So darf etwa nach § 5 Abs. 2 BArchG Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht, erst 30 Jahre nach dem Tode der betroffenen Person durch Dritte benutzt werden; ist das Todesjahr nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist erst 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen. … Schon zuvor darf Archivgut genutzt werden, ggf. sind aber die von ihm betroffenen Personen unkenntlich zu machen (s. z.B. auch § 12 Abs. 4 und 5 Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 30 BDSG). Auch dies zeigt, dass der Gesetzgeber es als durchaus zumutbar ansieht, wenn ggf. eine nur unter Anonymisierung (§ 3 Abs. 6 BDSG) der betreffenden Person erfolgende Verbreitung von Informationen zugelassen wird.

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