Handelsrechtliche Publizitätspflicht von Kapitalgesellschaften keine Marktverhaltensregel

17. Januar 2018
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Jahresabschluss, Bericht auf dem Euro-Münzen und ein Stift liegen Urteil des OLG Köln vom 28.04.2017, Az.: 6 U 152/16

Die Pflicht von Kapitalgesellschaften zur Veröffentlichung ihres Jahresabschlusses regelt nicht das Marktverhalten im Interesse der Mitbewerber, da sie nicht die wettbewerbsrechtlichen Belange von Mitbewerbern schützt, insbesondere nicht die Freiheit ihrer wettbewerblichen Entfaltung. Kommt eine Gesellschaft dieser Publizitätspflicht nicht nach, so haben Mitbewerbern Anspruch auf Offenlegung. Allein das Bundesamt für Justiz kann bei Nichtbefolgung der Pflicht ein Ordnungsgeld festsetzen.

Oberlandesgericht Köln

Urteil vom 28.04.2017

Az.: 6 U 152/16

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 31. Juli 2016 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 1 O 205/16 – abgeändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 1. Juli 2016 zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Unterlassungsansprüche, weil die Antragsgegnerin ihrer Publizitätspflicht aus den §§ 325 ff. HGB nicht nachgekommen ist.

Die Antragstellerin vertreibt national und international Vakuum- und Dampfreinigungssysteme für Luft und Raum. Die Antragsgegnerin vertreibt im Ausland u.a. ein Dampfreinigungsgerät und einen Wasserstaubsauger. Ein Vertrieb in Deutschland findet nicht statt.

Mit Anwaltsschreiben vom 06.06.2016 mahnte die Antragstellerin die Antragsgegnerin erfolglos wegen der Nichteinhaltung ihrer Publizitätspflicht nach den §§ 325 ff. HGB ab und forderte die Antragsgegnerin zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zum Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten auf.

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, die Publizitätsvorschriften der §§ 325 ff. HGB seien Marktverhaltensregeln im Sinne von § 3a UWG. Die Nichteinhaltung dieser Pflichten sei überdies eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern gem. § 4 Nr. 4 UWG.

Mit Urteil vom 31.08.2016, auf das wegen der weiteren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht Bonn der Antragsgegnerin antragsgemäß im Wege der einstweiligen Verfügung unter Meidung der üblichen Ordnungsmittel aufgegeben, ihrer Publizitätspflicht im elektronischen Bundesanzeiger nicht dadurch zu genügen, dass sie dort die gesetzlich vorgesehene Information i.S.d. § 325 Abs. 1 HGB veröffentlicht bzw. – sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für sie zutreffen, s. § 326 Abs. 2 HGB – dort hinterlegt.

Mit ihrer Berufung wiederholt und vertieft die Antragsgegnerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Das Landgericht Bonn sei nicht zuständig gewesen, weil die Gerichtswahl rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Das Landgericht Bonn, das seine Zuständigkeit auch auf eigene richtungsweisende Urteile aus seiner Spezialzuständigkeit gestützt habe, hätte diese Urteile angeben müssen. Der Antrag sei zu unbestimmt.

Der Antrag sei auch unbegründet. Ein Verfügungsantrag bestehe nicht, weil § 325 HGB keine Marktverhaltensregel gemäß § 3a UWG darstelle. Die Überwachung von Verstößen obliege allein dem BMJ, nicht den Mitbewerbern. Soweit das Landgericht Bonn sich auf ein Schreiben des BMJ aus den 1990er Jahren beziehe, sei dieses Schreiben überholt.

Es bestehe auch kein konkretes Wettbewerbsverhältnis, weil die Antragsgegnerin auf dem deutschen Markt keine Produkte vertreibe; deutsches Recht könne deshalb auch nicht die reine Auslandstätigkeit der Antragsgegnerin erfassen.

Da die Antragstellerin selbst nicht rechtzeitig ihren Publizitätspflichten nachkomme, könne sie sich auf einen Einwand der „unclean hands“ berufen. Die Antragstellerin handele auch rechtsmissbräuchlich. Das Verfahren hier – wie auch andere Verfahren zwischen den Parteien – werde aus sachfremden Motiven geführt, insbesondere zur Behinderung der Antragsgegnerin und zur Generierung von Kostenerstattungsansprüchen. Die Verstöße selbst seien der Antragstellerin gleichgültig, was sich auch in dem Umstand zeige, dass die Antragstellerin in keinem der vielen zwischen den Parteien geführten Rechtsstreitigkeiten Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet habe.

Der Verfügungsgrund bestehe nicht, die entsprechende Vermutung sei widerlegt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des LG Bonn vom 31.08.2016 (1 O 205/16) die einstweilige Verfügung des LG Bonn vom selben Tage aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die zulässige Berufung ist auch in der Sache begründet.

1. Das Landgericht war international zuständig und hat zutreffenderweise deutsches Recht angewandt.

Aus dem Umstand, dass die Parteien nur im Ausland tatsächlich mit ihren Produkten um Kunden konkurrieren, folgt nichts anderes. Nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO ist international das Gericht zuständig, an dem die Beklagte – bzw. hier die Antragsgegnerin – ihren Sitz hat.

Die Anwendung deutschen Rechts folgt aus Art. 6 Abs. 1, 3a Rom-II-VO. Nach Abs. 1 ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Da es um Publizitätsanforderungen in Deutschland nach dem HGB geht, kommen nur Interessen deutscher Wettbewerber und/oder Verbraucher in Betracht. Nach Abs. 3a ist überdies auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten das Recht des Staates anzuwenden, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Auch das ist bei einem Verstoß gegen Offenlegungsvorschriften des HGB der deutsche Markt.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unzulässig.

a) Es fehlt am Verfügungsgrund. Beim Verfügungsgrund handelt es sich nach h. M. um eine besondere Form des Rechtsschutzbedürfnisses für das Eilverfahren, mithin eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung und nicht um ein Element der materiellen Begründetheit (OLG Stuttgart, Urteil vom 23. September 2015 – 4 U 101/15 –, juris, Rn. 85; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 940, Rn. 4; Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 12, Rn. 3.12)

Der Verfügungsgrund wird vorliegend nicht nach § 12 Abs. 2 UWG vermutet. Nach § 12 Abs. 2 UWG gilt die Vermutung nur zur Sicherung der im UWG bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung. Bei gebotener Auslegung des Verfügungsantrages ist das Begehren der Antragsstellerin allerdings nicht auf eine Unterlassung gerichtet, sondern auf die Vornahme einer Handlung.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist der Auslegung analog § 133, 157 BGB fähig (vgl. für die Klageschrift nach § 253 ZPO MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 253, Rn. 25; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG

4. Aufl., Vorb. zu § 12, Rn. 81).

Bei dieser Auslegung ergibt sich aus der Formulierung des Antrags wie folgt:

„… es zu unterlassen, ihrer Publizitätspflicht im elektronischen Bundesanzeiger nicht dadurch zu genügen, dass sie dort die gesetzlich vorgesehene Information i.S.d. § 325 Abs. 1 HGB veröffentlicht bzw. – sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für sie zutreffen, s. § 326 Abs. 2 HGB – dort hinterlegt.“,

dass die Antragstellerin der Sache nach keine echte Unterlassung, sondern die Vornahme einer Handlung begehrt, nämlich die Veröffentlichung bzw. Hinterlegung der notwendigen Information.

Für einen Unterlassungsantrag genügt es nicht, dass nach dem Wortlaut eine Unterlassung formuliert wird, sondern der Antrag muss seinem Inhalt nach tatsächlich eine Unterlassung bezwecken. Die Beantwortung der Frage, ob der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung oder den einer Leistungsverfügung begehrt, hängt nicht vom Wortlaut, sondern von der einheitlichen Zielrichtung des Antrages ab (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall OLG München, Urteil vom 14. September 1995 – 29 U 3707/95 –, juris). Ein solcher Antrag stellt ein in die Form eines Unterlassungsantrags gekleidetes Begehren eines Unterlassens einer Unterlassung dar, die sich dem Inhalt nach als Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung darstellt (vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12, Rn. 266; zur Vollstreckung eines solchen Tenors nach § 888 ZPO: KG WRP 2004, 112, 117).

So liegt der Fall auch hier. Der Antrag ist als Unterlassungsantrag formuliert, bezweckt aber die Vornahme einer Handlung. Er enthält eine doppelte Verneinung, die nach allgemeinen logischen Grundsätzen kein Verbot einer aktiven Handlung formuliert, sondern das Verbot, einem gesetzlichen Gebot nicht nachzukommen. Eine Erfüllung dieses Antrags bzw. Tenors wäre allein durch die Erfüllung der Publizitätspflicht möglich. Damit würde die Antragsgegnerin durch die Verpflichtung zur Veröffentlichung etwa des Jahresabschlusses, der auf internen Dokumenten und Informationen beruht, eine unvertretbare Handlung gemäß § 888 ZPO schulden. Ein bloßes Unterlassen im Sinne der Einstellung der Verletzung würde hingegen an dem angegriffenen Zustand nichts ändern. Eine Vollstreckung nach § 890 ZPO würde dabei schon daran scheitern, dass wiederum keine aktive Zuwiderhandlung der Antragsgegnerin denkbar ist. Das bloße Nichtstun würde wiederum die Zuwiderhandlung darstellen, was sich nicht unter den Wortlaut von § 890 ZPO subsumieren lässt.

b) Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG lässt sich auch nicht analog auf den vorliegenden Fall anwenden. Eine Analogie für den vorliegenden Antrag auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung verbietet sich schon vor dem Hintergrund der besonders strengen Voraussetzungen für Leistungsverfügungen.

Bei der von der Sicherungs- und Regelungsverfügung abzugrenzenden Leistungsverfügung setzt die Annahme eines Verfügungsgrundes kumulativ voraus, dass

– a) der Antragsteller der sofortigen Erfüllung seines Anspruchs dringend bedarf,

– b) die geschuldete Handlung, soll sie nicht ihren Sinn verlieren, so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht mehr möglich erscheint und

– c) die dem Antragsteller aus der Nichtleistung drohenden Nachteile schwer wiegen und außer Verhältnis stehen zu dem Schaden, den der Antragsgegner erleiden kann (Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 940, Rn. 14).

Diese Voraussetzungen hat die Antragstellerin weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Glaubhaftmachung möglich ist. Denn die Antragstellerin bedarf der Erfüllung nicht, die begehrte Handlung ist nicht sinngemäß kurzfristig zu erbringen und Nachteile für die Antragstellerin aus der Nichtleistung sind nicht ersichtlich; jedenfalls überwiegen sie nicht mögliche Nachteile der Antragsgegnerin. Aus diesem Grunde war auch ein gerichtlicher Hinweis an die Antragstellerin – wie er im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 20.4.2017 gefordert wird – wegen der Auslegung des Antrags nicht geboten. Bei der angegriffenen Verhaltensweise ist schlechthin kein Antrag denkbar, der dem Inhalt nach eine Unterlassung darstellt.

c) Einer Entscheidung über die anderen Zulässigkeitsrügen bedarf es insoweit nicht.

3. Darüber hinaus ist aber auch ein Verfügungsanspruch nicht gegeben.

a) Ein solcher folgt nicht aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG iVm § 325 HGB.

Ob eine geschäftliche Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG) vorliegt und die Parteien Mitbewerber (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) sind kann dabei offenbleiben.

Entscheidend ist, dass § 325 HGB keine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG darstellt.

Insoweit ist das Landgericht Bonn im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass das Ergebnis auf die Frage, ob eine Norm eine Marktverhaltensregelung enthält, durch Auslegung zu ermitteln ist. Dies ist dann der Fall, wenn die in Frage stehende Norm zumindest auch den Schutz der Interessen der Marktteilnehmer bezweckt, mag sie auch in erster Linie die Interessen der Allgemeinheit im Auge haben (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 3a, Rn. 1.61, 1.64f.). Auch zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass eine Norm dann den Interessen der Mitbewerber dient, wenn sie die Freiheit ihrer wettbewerblichen Entfaltung schützt (BGH GRUR 2010, 654, zitiert nach juris, Rn. 18). Dabei ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen Zweck der jeweiligen Vorschrift ist oder nur unbeachtliche Folge der Gesetzesanwendung (vgl. Köhler/Bornkamm, a.a.O., Rn. 1.66).

Zur in Frage stehenden Norm des § 325 HGB hat das Landgericht ausgeführt, dass Zweck der Vorschrift zum einen der Funktionsschutz des Marktes und zum anderen der Individualschutz der Marktteilnehmer sei. Offenlegung bilde das Korrelat der Marktteilnahme (Baumbach/Hopt, HGB, 37. Aufl., § 325, Rn. 1). Die Publizitätspflichten dienten insbesondere dem Schutz der Gläubiger und der übrigen Teilnehmer am Wirtschaftsleben, die so einen Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse erhielten (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 08. März 1991 – 2 Wx 1/91 –, BB 1991, 1748).

Es führt überdies zur Begründung seiner Entscheidung bestimmte Gesetzesmaterialien zum Kapitalgesellschaften- und Co-Richtline-Gesetz (KapCoRiLiG) aus dem Jahre 1999 an, die die Antragstellerin in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 09.08.2016 zitiert hatte. Dabei handelt es sich um ein Schreiben des BMJ vom 30.03.1999 (Zeichen 3507/20 – 320546/99 – abrufbar unter http://www.gmbhr.de/frueher/09_99/rechnung.htm). Darin heißt es an den relevanten Stellen zur GmbH-Publizität wie folgt:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei übersende ich Ihnen den Entwurf eines Gesetzes (…) (Kapitalgesellschaften und Co-Richtlinie-Gesetz — KapuCoRiLiG) mit der Bitte um Kenntnisnahme. …

A. Ziele und Konzeption des Gesetzentwurfs

1. Ziele

Mit dem beigefügten Entwurf eines Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetzes werden folgende Ziele verfolgt:

a) Umsetzung der Richtlinie 90/605/EWG — sog. GmbH und Co-Richtlinie –; nach dieser Richtlinie werden OHG und KG, deren persönlich haftende Gesellschafter ausschließlich Kapitalgesellschaften sind, verpflichtet, die für Kapitalgesellschaften geltenden Regelungen zur Rechnungslegung, Prüfung und Offenlegung des Jahresabschiusses zu beachten;

b) Umsetzung des EuGH-Urt. v. 29.9.1998 zur sog. GmbH-Publizität; hiernach sind die Sanktionen bei einer Verletzung der Pflicht zur Offenlegung von Jahres- und Konzernabschluß zu verschärfen; (…)

B. Die vorgesehenen Regelungen im einzelnen (…)

2. Regelungen zur sog. GmbH-Publizität

Im Vertragsverletzungsverfahren C-191/95 zur sog. GmbH-Publizität hat der EuGH mit Urt. v. 29.9.1998 bereits entschieden, daß die derzeit im HGB vorgesehenen Sanktionen bei Verletzung der Offenlegungspflicht unzureichend sind. Aufgrund dieses Urteils ist eine Verschärfung der bisher in § 335 S. 1 Nr. 6 und 7 i.V.m. S. 2 HGB vorgesehenen Sanktionen erforderlich. Hiernach ist bisher bei Verletzung der Publizitätspflicht vorgesehen, daß das Registergericht ein Zwangsgeldverfahren (nur) auf Antrag von Gesellschaftern, Gläubigern oder Arbeitnehmern einleitet. Zur Verschärfung dieser Sanktionen ist im Gesetzentwurf folgendes vorgesehen:

— Einführung eines Zwangsgeldverfahrens von Amts wegen durch entsprechende Änderung des § 335 HGB; gleichzeitig Erhöhung des Zwangsgeldrahmens von DM 10.000 auf DM 50.000;

— zusätzlich Einführung einer Registersperre in § 328 Abs. 4 HGB-E; hiernach darf das Registergericht Handelsregistereintragungen — soweit diese nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag der betroffenen Gesellschaft vorzunehmen sind — erst dann vorzunehmen, wenn Jahres- und ggfs. Konzernabschluß offengelegt worden sind.

— Ohne daß es einer ausdrücklichen Regelung im Gesetz bedarf, wird künftig bei einer Verletzung der Offenlegungspflicht eine Klage nach § 1 UWG grundsätzlich möglich sein (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, Zu Artikel 1, Zu Nr. 12 — § 335 HGB). (…)“

Der in dem angegebenen BMJ-Schreiben genannte Gesetzesentwurf (abrufbar unter: http://www.gmbhr.de/frueher/09_99/entwurf.htm) sieht dabei eine Änderung des für Zwangsmittelverfahren maßgeblichen § 335 HGB wie folgt vor:

„12. § 335 wird wie folgt geändert:

a) In Satz 1 wird in der Nummer 5 das Wort „oder“ durch ein Komma ersetzt und in Nummer 6 wird nach dem Wort „Rechnungslegung“ das Wort „oder“ eingefügt.

b) In Satz 2 werden die Wörter „Das Registergericht schreitet“ durch die Wörter „In den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 bis 5 schreitet das Registergericht“ ersetzt

c) In Satz 8 werden nach dem Wort „Mark“ folgende Wörter eingefügt:

“ , in den Fällen des Satzes 1 Nr. 6 und 7 fünfzigtausend Deutsche Mark“.

Diese vorgeschlagene Änderung enthielt im Entwurf folgende Begründung:

„Unabhängig davon ist nicht auszuschließen, daß ein Verstoß gegen die Offenlegungsverpflichtung nach § 325 HGB auch einen Verstoß gegen § 1 UWG darstellt. Aus dem Urteil des EuGH vom 4. Dezember 1997 in der Rechtssache C-97/96 (Daihatsu-Entscheidung) ergibt sich, daß gesellschaftsrechtliche Publizitätsvorschriften nicht nur dem Schutz der Gesellschafter und Gläubiger, sondern der Unterrichtung aller dienen, die Interesse an der finanziellen Situation der Gesellschaft haben. Diese Information muß jeder interessierten Person zugänglich gemacht werden, um „gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Gesellschaften herzustellen“ (EuGH-Urteil vom 4. Dezember 1997, S. 6 und 7). Vor diesem Hintergrund kommt ein Verstoß gegen § 1 UWG in Betracht.

In der Praxis kann dies dazu führen, daß das Zwangsgeldverfahren von Amts wegen und eine Unterlassungsklage wegen Verstoß gegen § 1 UWG parallel betrieben werden. In diesem Fall wird das Gericht, bei welchem die Unterlassungsklage anhängig ist, zu beurteilen haben, ob die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO (unmittelbar oder analog) in Betracht kommt. Für den Fall, daß das Registergericht das Zwangsgeld bereits festgesetzt hat, wird das für die UWG-Klage zuständige Gericht auch zu prüfen haben, ob das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gleichwohl vorliegt, da beide Verfahren auf dasselbe Ziel, Offenlegung des Jahresabschlusses, gerichtet sind.“

Diese Materialien könnten den Schluss nahelegen, dass im Gesetzgebungsverfahren ein Nebeneinander von amtlichen Verfahren und wettbewerbsrechtlichen Zivilverfahren gewollt war.

Der oben genannte Entwurf des BMJ im Gesetzgebungsverfahren wurde jedoch nachfolgend noch geändert. Ausweislich der BT-Drucksache 14/1806 sah der Gesetzesentwurf der Bundesregierung aus Oktober 1999 erhebliche Änderungen des § 335 HGB und Abweichungen vom Entwurf des BMJ vor. In der nachfolgenden Begründung wird an keiner Stelle mehr die Anwendung des UWG diskutiert. Auch sonst ist ein Hinweis auf das Wettbewerbsrecht nicht mehr zu finden.

Der Entwurf der Bundesregierung wiederum wurde in der BT-Drucksache 14/2352 „Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses“ nochmals erheblich geändert. In der Begründung äußerte sich der Rechtsausschuss wie folgt zum Thema der Anwendbarkeit des UWG:

„Schließlich hat der Ausschuss auch geprüft, ob ein Verstoß gegen die Offenlegungsverpflichtung nach § 325 HGB gleichzeitig einen Verstoß gegen § 1 UWG darstellen kann. Im Ergebnis kann hiernach das Bestehen eines Anspruchs nach § 1 UWG zwar nicht von vornherein ausgeschlossen werden; im Hinblick auf die Regelung des § 13 Abs. 5 UWG dürften aber die gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung dieses Anspruchs, insbesondere durch die sog. Abmahnvereine, wegen der bestehenden Antragsmöglichkeit nach § 335a HGB und der sich daran anschließenden registerrechtlichen Durchsetzung des Offenlegungsanspruchs rechtsmissbräuchlich sein.

Im Einzelnen ist darauf hinzuweisen, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Beschluss vom 4. Dezember 1997 in der Rechtssache C-97/96 (Daihatsu-Entscheidung) festgestellt hat, dass gesellschaftsrechtliche Publizitätsvorschriften nicht nur dem Schutz der Gesellschafter und Gläubiger, sondern der Unterrichtung aller dienen, die Interesse an der finanziellen Situation der Gesellschaft haben. Dazu gehören auch im Wettbewerb stehende Unternehmen. Nach § 13 Abs. 5 UWG kann ein Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG aber nicht geltend gemacht werden, wenn die Geltendmachung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Da jedem an der Offenlegung Interessierten der einfache, kostengünstige und effektive Weg eines Antrags nach § 335a HGB zur Erzwingung der Offenlegung zur Verfügung steht, dürfte ein berechtigtes eigenständiges Interesse statt dessen oder zusätzlich den zivilrechtlichen Anspruch nach § 1 UWG gerichtlich oder außergerichtlich geltend zu machen, regelmäßig nicht vorliegen. Das Motiv, den UWG-Anspruch nur im Hinblick auf Aufwandsersatz und Kostenerstattung geltend zu machen, liegt angesichts der gebotenen Alternative des § 335a HGB auf der Hand.“

Schon der Rechtsausschuss positionierte sich mithin anders als das BMJ, das eine Anwendung des UWG als sicher annahm. In den Ausführungen des Rechtsausschusses zeigt sich, dass die Anwendung des UWG nicht als sicher angesehen wurde, sondern im Rahmen der Gesetzesanwendung durch das zuständige Gericht erst festgestellt werden musste. Insoweit ist die Schlussfolgerung der Antragstellerin und des Landgerichts, dass im Gesetzgebungsverfahren eine Anwendung des UWG gewollt bzw. als sicher unterstellt gewesen sei, nicht überzeugend. Eine Bindungswirkung der Gerichte durch die damaligen Überlegungen des BMJ besteht nicht. Gleiches gilt auch für die Ausführungen des Rechtsauschusses, soweit dieser eine Anwendung des UWG für nicht ausgeschlossen hielt.

Das Gesetz – das KapCoRiLiG – wurde entsprechend dem Entwurf des Rechtsausschusses am 08.03.2000 im Bundesgesetzblatt Teil 1 2000 Nr. 8 08.03.2000 S. 154 verkündet und trat am folgenden Tage in Kraft.

Seitdem wurde § 335 HGB noch einige Male geändert, u.a. wie folgt:

– zum 01.01.2007 durch das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG – BGBl. I S. 2553),

– zum 29.05.2009 durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG – BGBl. I S. 1102),

– zum 28.12.2012 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU (…) über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (MicroBilG – BGBl. I S. 2751),

– zum 10.10.2013 durch ein Gesetz zur Änderung des HGB (BGBl. I S. 3746),

– zum 10.07.201 durch das Kleinanlegerschutzgesetz (BGBl. I S. 1114) und

– zum 26.11.2015 durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie – Änderungsrichtlinie (BGBl. I S. 2029).

In den die nachfolgenden Gesetzesänderungen betreffenden Gesetzesmaterialien wurde die Frage der Anwendbarkeit des UWG im Zusammenhang mit § 325 HGB nicht mehr thematisiert. Das gleiche gilt für Änderungen des § 325 HGB selbst. Auch diese Norm wurde mehrfach geändert, aber in den entsprechenden Materialien ist zur hier behandelten Frage keine weitere Fundstelle zu finden. Nicht zuletzt wurde auch das UWG in der Zeit seit 1999/2000 bekanntlich mehrfach geändert, sodass die ursprünglichen Überlegungen des BMJ nicht die heutige ausdifferenzierte Rechtslage im Blick haben konnten.

Aus alledem folgt in erster Linie, dass die Begründung des Landgerichts die Entscheidung, § 325 HGB als Marktverhaltensregel anzusehen, nicht zu tragen vermag. Die Erwägungen des BMJ wurden im Gesetzgebungsverfahren 1999/2000 erörtert und sind überholt. Da die Erwägungen des Rechtsausschusses zum KapCoRiLiG jedoch die Anwendung des UWG im Ergebnis wegen Rechtsmissbrauches ablehnen, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das historische Auslegungsargument nicht eindeutig für oder gegen die Einordnung als Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG spricht.

Die Entscheidung muss sich deshalb am Wortlaut, an der Systematik und am Gesetzeszweck des § 325 HGB orientieren.

Als Zweck des Gesetzes ist mit dem Landgericht Bonn der Schutz der Gläubiger und der übrigen Teilnehmer am Wirtschaftsleben anzunehmen (s.o.; OLG Köln, Beschluss vom 08. März 1991 – 2 Wx 1/91 –, BB 1991, 1748). Der Wortlaut der Norm ist nicht eindeutig.

In systematischer Hinsicht steht § 325 HGB in Verbindung mit § 335 HGB. Nach letzterer Vorschrift kann das Bundesamt für Justiz bei Nichtbefolgung der Pflicht nach § 325 HGB ein Ordnungsgeld festsetzen. Dieses Verfahren nach § 335 HGB sieht ein besonderes Prozedere mit Fristen und Abwendungsmöglichkeiten vor. So ist den Beteiligten nach § 335 Abs. 3 HGB zunächst unter Androhung eines Ordnungsgeldes in bestimmter Höhe aufzugeben, innerhalb einer Frist von sechs Wochen vom Zugang der Androhung an, ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen oder die Unterlassung mittels Einspruchs gegen die Verfügung zu rechtfertigen. Nach Abs. 4 ist, wenn die Beteiligten nicht spätestens sechs Wochen nach dem Zugang der Androhung der gesetzlichen Pflicht entsprochen oder die Unterlassung mittels Einspruchs gerechtfertigt haben, das Ordnungsgeld festzusetzen und zugleich die frühere Verfügung unter Androhung eines erneuten Ordnungsgeldes zu wiederholen.

In diesem speziellen Verfahren zeigt sich eine ausdifferenzierte Regelung, die Ergebnis eines nunmehr jahrzehntelangen Gesetzgebungsprozesses ist.

Dies wird auch durch den Gesetzesentwurf zur Änderung des HGB aus April 2013 (BT-Drs. 17/13221) belegt. Hier zeigt sich die vom Gesetzgeber gewollte differenzierte Betrachtung der Sanktionierung eines Verstoßes gegen die Offenlegungspflicht und insbesondere der Wille, Kleinstunternehmen zu privilegieren. So wurde das Mindestordnungsgeld von 2.500 € auf 500 € herabgesetzt und eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit bei nicht schuldhafter Fristversäumung eingeführt.

Der Zweck der Herabsetzung und der Wiedereinsetzungsmöglichkeit würde durch die Einstufung von § 325 HGB als Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG und der damit einhergehenden Möglichkeit eines parallelen Vorgehens seitens Mitbewerbern und Verbänden nach dem UWG ohne triftigen Grund unterlaufen. So würde nach zivilrechtlichen Maßstäben ohne Möglichkeit einer Wiedereinsetzung die Verhängung empfindlicher Vertragsstrafen möglich.

Weiter ist auch zu beachten, dass es Verbrauchern oder Mitbewerbern jederzeit freisteht, sich beim Bundesamt für Justiz über das nicht publizierende Unternehmen zu beschweren und damit ggf. das spezielle Verfahren nach § 335 HGB in Gang zu setzen. Einer marktinternen Kontrolle durch Mitbewerber bedarf es insoweit nicht. Angesichts des Wortlauts des § 335 Abs. 1 HGB („…. ist…ein Ordnungsgeldverfahren…durchzuführen“) kann im Falle der Weigerung des Bundesamtes für Justiz ein Anspruch auf hoheitliches Einschreiten bestehen und so ein Verfahren erzwungen werden.

Diese Systematik relativiert insoweit auch das Argument des o.g. Gläubiger- und Marktteilnehmerschutz als Zweck des § 325 HGB. Denn dieser Schutz soll nach der Entscheidung des Gesetzgebers hauptsächlich durch das besondere Verfahren des § 335 HGB erreicht werden. Die Vielzahl der Gesetzesänderungen nach der vom Landgericht angeführten EuGH-Entscheidung (Rs. C-97/96, NJW 1998, 129 – Daihatsu) zeigt auch, dass der Gesetzgeber mehrfach die Möglichkeit gehabt hätte, eine effektive Durchsetzung durch einen wettbewerbsimmanenten Rechtsschutz zu eröffnen. Stattdessen wurde das hoheitliche Sanktionsverfahren mehrfach modifiziert und optimiert. Da mit der nunmehrigen Regelung die Umsetzung der im EuGH-Urteil genannten EU-Richtlinien vollständig erfolgt ist, spricht auch die europarechtliche Grundlage des § 325 HGB – anders als das Landgericht ausführt – nicht zwingend für eine Einstufung als Marktverhaltensregel.

Ergänzend lässt sich schließlich noch eine Parallele zu § 37 HGB ziehen. Nach Abs. 1 der Norm ist ein Kaufmann bei Gebrauch einer nicht zulässigen Firma von dem Registergericht zur Unterlassung des Gebrauchs der Firma durch Festsetzung von Ordnungsgeld anzuhalten. § 37 Abs. 2 HGB lautet sodann:

„Wer in seinen Rechten dadurch verletzt wird, daß ein anderer eine Firma unbefugt gebraucht, kann von diesem die Unterlassung des Gebrauchs der Firma verlangen.“

Zwar betrifft § 37 einen anderen Regelungsgegenstand und hat eine andere historische Entwicklung. Gleichwohl zeigt diese Norm, dass das Konzept konkurrierender hoheitlicher und zivilrechtlicher Unterlassung dem Gesetzgeber bekannt war. Da er die Fraglichkeit der Anwendung des UWG auch erkannt hat, hätte es beim Vorliegen der Intention, eine zivilrechtliche Ahndung neben dem hoheitlichen Verfahren des § 335 HGB zuzulassen, nahegelegen, eine dem § 37 Abs. 2 HGB vergleichbare Regelung aufzunehmen.

Ob das Verhalten der Antragstellerin zudem rechtsmissbräuchlich ist, kann dahingestellt bleiben.

b) Ein Verfügungsanspruch folgt auch nicht aus § 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG wegen gezielter Mitbewerberbehinderung. Es mangelt schon an einer Behinderung. Diese liegt vor bei Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten eines Mitbewerbers (BGH GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker). Es ist nicht ersichtlich, dass die Nichtoffenlegung von Jahresabschlüssen die Antragstellerin in ihrer wettbewerblichen Entfaltung tangiert.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 S. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.

5. Der Streitwert für das Verfahren in beiden Instanzen wird auf 20.000 € festgesetzt.

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