Kulturchampignons – Ursprungsland gleich Ernteland?

30. März 2020
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Nahaufnahme von frischen Champignons in Holzkisten in einem Gemüseladen Urteil des BGH vom 16.01.2020, Az.: I ZR 74/16

a) Das kennzeichnungsrechtliche Irreführungsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB aF sowie § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV) findet auf die Ursprungsangabe für ein Lebensmittel, die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschrieben ist, keine Anwendung. Es dürfen im Falle einer solchen Angabe keine aufklärenden Zusätze verlangt werden, um einer etwaigen Irreführung des Verbrauchers entgegenzuwirken.

b) Das nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 anzugebende Ursprungsland von in Deutschland geernteten Kulturchampignons ist das Ernteland, auch wenn wesentliche Produktionsschritte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgt sind und die Kulturchampignons erst drei oder weniger Tage vor der ersten Ernte ins Erntegebiet verbracht worden sind.

c) Ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 UWG scheidet aus, wenn gesetzliche Kennzeichnungsvorschriften eine bestimmte Bezeichnung vorschreiben und das so gekennzeichnete Produkt den gesetzlichen Kriterien entspricht. In einem solchen Fall genießt das Kennzeichnungsrecht Normvorrang und ist eine unlautere Irreführung auch dann nicht anzunehmen, wenn relevante Teile des Verkehrs die verwendete Bezeichnung falsch verstehen.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 16.01.2020

Az.: I ZR 74/16

 

 

Der I.  Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16.  Januar 2020 durch […]

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart – 2.  Zivilsenat – vom 10. März 2016 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte produziert und vertreibt Kulturchampignons mit der Angabe „Ursprung: Deutschland“.
Der Herstellungsprozess der Champignons erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst werden für die Dauer von 7 bis 11 Tagen die Rohsubstanzen für den Kompost in Belgien und den Niederlanden verschnitten und vermischt. Zweiter Herstellungsschritt ist die über 5 bis 6 Tage andauernde Pasteurisierung und Aufbereitung des Komposts in den Niederlanden. Im dritten Herstellungsschritt wird über die Dauer von 15 Tagen in den Niederlanden das Myzel (Pilzsporen) in den Kompost injiziert. Im vierten Abschnitt wird in den Niederlanden die Fruchtkörperbildung auf einer Torf- und Kalkschicht in Kulturkisten initiiert, wobei die Pilze nach 10 bis 11 Tagen bis zu 3 mm gewachsen sind. Die Kulturkisten werden nach etwa 15 Tagen nach Deutschland transportiert, wo im Betrieb der Beklagten nach etwa 1 bis 5 Tagen die erste Ernte und nach etwa 10 bis 15 Tagen die zweite Ernte der Champignons erfolgt.

Die Klägerin hält die Herkunftsbezeichnung der Pilze „Ursprung: Deutschland“ ohne zusätzliche Hinweise für irreführend und hat die Beklagte im Dezember 2013 vorgerichtlich abgemahnt.Die Klägerin hat beantragt,die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Kulturchampignons mit der Angabe „Ursprung: Deutschland“ anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben, wenn wesentliche Produktions-und Wachstumsschritte, d.h. wenn der Herstellungszyklus vor der Ernte, d.h. insbesondere

a) die Vermischung und champignonspezifische Fermentation der Rohsubstanzen insbesondere in einer Kompostproduktionseinrichtung

b) die Pasteurisierung und das Durchwachsen des Substrats mit Mycel

c) die Bedeckung der Kompostschicht mit in der Regel Torf und Kalk und

d) hierauf die qualitative und quantitative Initiierung der Fruchtkörperbildung

nicht in Deutschland stattfinden und der Kompost mit den Pilzen erst drei oder weniger Tage vor der ersten Ernte nach Deutschland verbracht wird, ohne darauf hinzuweisen, dass ein Teil des Herstellungszyklus im Ausland stattgefunden hat.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin auch die Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 219,35 € nebst Zinsen verlangt. Die Berufung der Klägerin ist ohneErfolg geblieben.Die Klägerin verfolgt mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, ihre Klageanträge weiter.

Der Senat hat dem Gerichtshofder Europäischen Union mit Beschluss vom 21. September 2017 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 21. September 2017, GRUR 2018, 104 = WRP 2018, 56 – Kulturchampignons I):

1. Ist für die Bestimmung des Begriffs des Ursprungslands gemäß Art. 113a Abs.1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse in der durch die Verordnung (EG) Nr. 361/2008 des Rates vom 14. April 2008 geänderten Fassung und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und Nr. 1234/2007 des Rates auf die Begriffsbestimmungen in Art.23 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Zollkodex) und Art.60 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (Unionszollkodex)abzustellen?

2. Haben Kulturchampignons, die im Inland geerntet werden, gemäß Art. 23 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 und Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 einen inländischen Ursprung, wenn wesentliche Produktionsschritte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgt und die Kulturchampignons erst 3 oder weniger Tage vor der ersten Ernte ins Inland verbracht worden sind?

3. Ist das Irreführungsverbot des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür und des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission auf die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebene Ursprungsangabe anzuwenden?

4. Dürfen der nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art.76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebenen Ursprungsangabe aufklärende Zusätze hinzugefügt werden, um einer nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG sowie Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verbotenen Irreführung entgegenzuwirken?

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage wie folgt beantwortet (Urteil vom 4. September 2019 -C-686/17, GRUR 2019, 1067 = WRP 2019, 1433 – Wettbewerbszentrale/Prime Champ):

1. Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 sind dahin auszulegen, dass für die Bestimmung des Begriffs des Ursprungslands gemäß diesen Vorschriften auf die Zollregelungen zur Bestimmung des nichtpräferenziellen Ursprungs von Waren abzustellen ist, d.h. auf die Art. 23 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 und auf Art. 60 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013.

2. Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92 und Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 952/2013 in Verbindung mit Art. 31 Buchst. b der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung Nr. 952/2013 mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union sind dahin auszulegen, dass das Ursprungsland von Kulturchampignons ihr Ernteland im Sinne dieser Vorschriften ist, und zwar unabhängig davon, ob wesentliche Produktionsschritte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgt sind und ob die Kulturchampignons erst drei oder weniger Tage vor der ersten Ernte ins Erntegebiet verbracht worden sind.

3. Das in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13/EG und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 aufgestellte allgemeine Verbot, den Verbraucher über das Ursprungsland von Lebensmittelnzu täuschen, ist bei frischem Obst und Gemüse nicht auf die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1308/2013 vorgeschriebene Ursprungsangabe anzuwenden.

4. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass keine aufklärenden Zusätze als Ergänzung der nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1308/2013 vorgeschriebenen Angabe des Ursprungslands vorgeschrieben werden dürfen, um einer nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13 sowie Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1169/2011 verbotenen Irreführung des Verbrauchers entgegenzuwirken.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche als nicht begründet angesehen und hierzu ausgeführt:

Zwar rufe die Angabe „Ursprung: Deutschland“ eine Irreführung hervor, weil der angesprochene Verkehr ihr entnehme, nicht nur die Ernte, sondern der gesamte Produktionsprozess habe in Deutschland stattgefunden. Dies folge schon aus der natürlichen Betrachtungsweise, dass eine Pflanze ihren Standort nicht wechsele. Der Durchschnittsverbraucher wisse nicht, dass es bei unverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln grenzüberschreitende Produktionsprozesse gebe. Selbst für diejenigen Verbraucher, die von grenzüberschreitenden Produktionsprozessen bei Pflanzen wüssten, bedeute der eindeutige Herkunftshinweis durch Angabe nur eines Landes, dass das Produkt ausschließlich dort entstanden sei. Dagegen sei der Anteil der Verbraucher, die als Spezialisten über die hier betroffene Produktionsweise informiert seien und die rechtlichen Vorgaben kennten, sehr klein und lauterkeitsrechtlich unerheblich. Diese Irreführung sei auch marktrelevant, weil der Verkehr beim Kauf von Lebensmitteln auf deren Herkunft in besonderem Maße achte.Ihr komme jedoch aus normativen Gründen keine lauterkeitsrechtliche Bedeutung zu. Die Beklagte sei zu der beanstandeten Ursprungsangabenach dem Unionsrecht verpflichtet, weil danach als Ursprungsland pflanzlicher Erzeugnisse das Ernteland anzugeben sei. Besondere Kennzeichnungspflichten bei grenzüberschreitender Produktion sehe das Unionsrecht allein für Fleisch vor, nicht dagegenfür die hier betroffenen Lebensmittel. Da die Irreführung unionsrechtlich angeordnet sei, könne sie der Beklagten lauterkeitsrechtlich nicht zur Last gelegt werden.

II. Die hiergegen gerichtete Revision derKlägerin hat keinenErfolg.

1. Da die Klägerin den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr stützt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG), ist die Klage nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme im Jahr 2013 rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz rechtswidrig ist. Für den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG) kommt es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Abmahnung im Dezember 2013 an (st. Rspr.; vgl. nur BGH, GRUR 2018, 104 Rn. 10 – Kulturchampignons I, mwN).

2. Die angegriffene Kennzeichnung verstößt jedoch weder gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr.1 LFGB aF noch gegen § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV), so dass die Beklagte keine nach § 3 in Verbindung mit § 4 Nr. 11 UWG aF und § 3a UWG unlautere geschäftliche Handlung vorgenommen hat(dazu II 2 a bis c). Auch die Annahme einer Irreführung nach § 5 Abs. 1 UWG scheidet damit aus (dazu II2d).

a) Im Jahr 2013 war nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB aF das Inverkehrbringen von Lebensmitteln und die Werbung hierfür unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung verboten, insbesondere die Verwendung zur Täuschung geeigneter Aussagen über Ursprung oder Herkunft. Unionsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift war Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13/EG (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2014 – I ZR 45/13, GRUR 2014, 588 Rn. 12 = WRP 2014, 694 – Himbeer-Vanille-Abenteuer I; Urteil vom 2. Dezember 2015 – I ZR 45/13, GRUR 2016, 738 Rn. 19 = WRP 2016, 838 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II).

In der seit dem 13. Dezember 2014 geltenden Fassung verbietet § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB dem nach Art. 8 Abs. 1 LMIV verantwortlichen Lebensmittelunternehmer oder Importeur, Lebensmittel mit Informationen über Lebensmittel in Verkehr zu bringen oder zu bewerben, die den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1, auch in Verbindung mit Abs. 4, LMIV nicht entsprechen. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels wie Ursprungsland oder Herkunftsort nicht irreführend sein.

b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Revision als ihr günstig hinnimmt, ruft die von der Beklagten beim Inverkehrbringen der Champignons verwendete Angabe „Ursprung: Deutschland“ eine Irreführung hervor, weil der angesprochene Verkehr ihr entnimmt, nicht nur die Ernte, sondern der gesamte Produktionsprozess habe in Deutschland stattgefunden.

c) Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB aF oder gegen § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV liegt allerdings nicht vor, weil es sich bei der beanstandeten Ursprungsangabe um eine Art. 113a Abs. 1 der Verordnung 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 entsprechende Pflichtangabe handelt (dazu II 2 c aa) und das kennzeichnungsrechtliche Irreführungsverbot auf eine solche Pflichtangabe keine Anwendung findet (dazu II 2 c bb).

aa) Bei der beanstandeten Ursprungsangabe handelt es sich um eine Art. 113a Abs. 1 der Verordnung 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 entsprechende Pflichtangabe.

(1) Die Verordnung (EU) Nr.1308/2013 ist nach ihrem Artikel 232 Absatz 1 am 27. Dezember 2013 in Kraft getreten und gilt – soweit im Streitfall relevant – ab dem 1.Januar 2014. Sie hat nach ihrem Artikel 230 Absatz 1 die Verordnung (EG) Nr.1234/2007 – mit Ausnahme im Streitfall nicht relevanter Teile – aufgehoben, die nach ihrem Artikel 204 Absatz 1 ab dem 1. Januar 2008 gegolten hat.

(2) Nach Art. 113 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr.1234/2007 und Art. 75 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr.1308/2013 kann die Kommission Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse vorsehen. Nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr.1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr.1308/2013 dürfen die Erzeugnisse des Sektors Obst und Gemüse, die frisch an den Verbraucher verkauft werden sollen, nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie in einwandfreiem Zustand, unverfälscht und von vermarktbarer Qualität sind und das Ursprungsland angegeben ist.

Nach Art. 3 Abs. 1 der seit dem 22. Juni 2011 geltenden Durchführungs-verordnung (EU) Nr. 543/2011 der Kommission vom 7. Juni 2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 gelten die Anforderungen von Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr.1234/2007 als allgemeine Vermarktungsnorm, deren Einzelheiten im Anhang I Teil A der Durchführungsverordnung aufgeführt sind. Dort ist ausgeführt:

4. Kennzeichnung (…)

B. Ursprung

Vollständiger Name des Ursprungslandes. Bei Erzeugnissen mit Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat muss diese Angabe in der Sprache des Ursprungslandes oder einer anderen, den Verbrauchern im Bestimmungsland verständlichen Sprache erfolgen. Bei anderen Erzeugnissen muss diese Angabe in einer den Verbrauchern im Bestimmungsland verständlichen Sprache erfolgen.

(3) Die im Streitfall in Verkehr gebrachten Kulturchampignons unterfallen der Kategorie „Gemüse“ im Sinne von Art. 113 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007, Art. 75 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013.

Die Bestimmungen der Art. 1 Abs. 2 Buchst. i der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 1 Abs. 2 Buchst. i der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 beziehen in die gemeinsame Marktorganisation den jeweils in Anhang I Teil IX dieser Verordnungen genauer definierten Sektor Obst und Gemüse ein. Nach Art. 129 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 finden auf die Einreihung der Erzeugnisse, die unter die Verordnung fallen, die allgemeinen Regeln zur Auslegung der Kombinierten Nomenklatur gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (Kombinierte Nomenklatur) Anwendung. Für die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 besagt deren Erwägungsgrund 8, dass sich diese Verordnung auf die Warenbezeichnungen, Positionen und Unterpositionen der Kombinierten Nomenklatur bezieht.

In Anhang I Teil IX der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 ist jeweils für den Sektor Obst und Gemüse unter dem KN-Code ex 0709 als Warenbezeichnung „Anderes Gemüse, frisch oder gekühlt“ aufgeführt. In Anhang I Kapitel 7 der Kombinierten Nomenklatur sind unter dem KN Code 0709 „Anderes Gemüse, frisch oder gekühlt“ mit dem KN-Code 0709 51 „Pilze“ genannt.

(4) Das Ursprungsland der von der Beklagten angebotenen Kulturchampignons ist das Ernteland Deutschland.

Wie der Gerichtshof der Europäischen Union auf die Vorlage des Senats entschieden hat (EuGH, GRUR 2019,1067 Rn. 51 – Wettbewerbszentrale/Prime Champ), richtet sich das Verständnis des Begriffs „Ursprungsland“ gemäß Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, die insoweit keine eigene Definition aufweisen, nach Art. 23 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex) und nach Art. 60 der seit dem 1. Mai 2016 an die Stelle des Zollkodex getretenen Verordnung (EU) Nr. 952/2013 (Unionszollkodex). Nach Art. 23 Abs. 1 Zollkodex sind Ursprungswaren eines Landes Waren, die vollständig in diesem Land gewonnen oder hergestellt worden sind.

Nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. b Zollkodex sind vollständig in einem Land gewonnene oder hergestellte Waren pflanzliche Erzeugnisse, die in diesem Land geerntet worden sind. Nach Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex gelten Waren, die in einem einzigen Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind, als Ursprungswaren dieses Landes oder Gebiets. Nach Art. 31 Buchst. b der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 gelten im Sinne des Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex als Waren, die in einem einzigen Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind, dort geerntete pflanzliche Erzeugnisse.

Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b Zollkodex sowie Art. 60 Unionszollkodex in Verbindung mit Art. 31 Buchst. b der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 sind dahin auszulegen, dass das Ursprungsland von Kulturchampignons ihr Ernteland im Sinne dieser Vorschriften ist, und zwar unabhängig davon, ob wesentliche Produktionsschritte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgt sind und ob die Kulturchampignons erst drei oder weniger Tage vor der ersten Ernte ins Erntegebiet verbracht worden sind (EuGH, GRUR 2019, 1067 Rn. 58 -Wettbewerbszentrale/Prime Champ).

bb) Entspricht die Angabe des Ursprungslands den unionsrechtlichen Kennzeichnungsvorschriften, scheidet die Annahme eines Verstoßes gegen das Irreführungsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr.1 LFGB aF sowie nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV aus.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und Art. 7 Abs.1 Buchst. a LMIV vorgesehene Irreführungsverbot bei frischem Obst und Gemüse nicht auf die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung 1234/2007 und Art.76 Abs.1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebene Ursprungsangabe anzuwenden (EuGH, GRUR 2019, 1067 Rn. 73 – Wettbewerbszentrale/Prime Champ). Im Falle einer den zollrechtlichen Vorschriften entsprechenden Angabe dürfen keine aufklärenden Zusätze verlangt werden, um einer etwaigen Irreführungdes Verbrauchers entgegenzuwirken (EuGH, GRUR 2019, 1067 Rn.78 -Wettbewerbszentrale/Prime Champ).

d)Auch die Annahme eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 UWG scheidet aus, wenn gesetzliche Kennzeichnungsvorschriften eine bestimmte Bezeichnung vorschreiben und das so gekennzeichnete Produkt den gesetzlichen Kriterien entspricht. In einem solchen Fall genießt das Kennzeichnungsrecht Normvorrang und ist eine unlautere Irreführung auch dann nicht anzunehmen, wenn relevante Teile des Verkehrs die verwendete Bezeichnung falsch verstehen (vgl. OLG Hamburg, WRP 1990, 530 und GRUR-RR 2004, 36, 37; Born-kamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., § 5 Rn. 1.204; Großkomm.UWG/Lindacher, 2. Aufl., Vor §§ 5, 5a Rn. 177; Peifer/Obergfell in Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl., § 5 Rn. 241; Sosnitza in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 5 Rn. 198).

III. Danach ist die Revision zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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