Kunstfreiheit wird nicht durch wirklichen Lebenssachverhalt begrenzt

13. Juni 2007
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
3346 mal gelesen
0 Shares

Amtlicher Leitsatz:

1. Bei dem gerichtlichen Verbot eines Romans als besonders starkem Eingriff in die Kunstfreiheit prüft das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts.

2. Die Kunstfreiheit verlangt für ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, eine kunstspezifische Betrachtung. Daraus folgt insbesondere eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes.

3. Die Kunstfreiheit schließt das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit ein.

4. Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung besonders geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.

Bundesverfassungsgericht

Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni 2007

Az.: 1 BvR 1783/05

  

 Im Namen des Volkes

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde
 

der V … GmbH,
vertreten durch die Geschäftsführer …,
 
– Bevollmächtigter:

gegen

a)  das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04 -,
b)  das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 6. April 2004 – 18 U 4890/03 -,
c)  das Endurteil des Landgerichts München I vom 15. Oktober 2003 – 9 O 11360/03 –
 

hat das Bundesverfassungsgericht – Erster Senat – unter Mitwirkung

des Präsidenten Papier,
des Richters Steiner,
der Richterin Hohmann-Dennhardt
und der Richter Hoffmann-Riem,
Bryde,
Gaier,
Eichberger,
Schluckebier
 

am 13. Juni 2007 beschlossen:
 

1. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04 -, das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 6. April 2004 – 18 U 4890/03 – sowie das Endurteil des Landgerichts München I vom 15. Oktober 2003 – 9 O 11360/03 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit die Urteile der Klägerin zu 2) das Recht zugesprochen haben, der Beschwerdeführerin unter Androhung eines Ordnungsgeldes zu verbieten, das Buch „Esra“ in der Fassung laut Verpflichtungserklärung vom 18. August 2003 zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen, auszuliefern oder ausliefern zu lassen, zu vertreiben oder vertreiben zu lassen und hierfür zu werben oder werben zu lassen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

2. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04 – wird im Umfang der unter Ziffer 1) festgestellten Grundrechtsverletzung aufgehoben. Die Sache wird insoweit an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

3. Der Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland haben der Beschwerdeführerin jeweils ein Viertel der ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

A.

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Urteile des Landgerichts München I, des Oberlandesgerichts München und des Bundesgerichtshofs, durch die die Veröffentlichung, Auslieferung und Verbreitung des von der Beschwerdeführerin verlegten Romans „Esra“ des Autors B. untersagt wurden, weil dieser das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens verletze.

1. Der Roman „Esra“ erschien im Frühjahr 2003 im Verlag der Beschwerdeführerin. Erzählt wird darin die Liebesgeschichte von Adam und Esra, einem Schriftsteller und einer Schauspielerin. Die Liebesbeziehung zwischen den beiden Hauptfiguren spielt in München-Schwabing und wird über einen Zeitraum von etwa vier Jahren von Adam als Ich-Erzähler geschildert. Der Liebesbeziehung stellen sich Umstände aller Art in den Weg: Esras Familie, insbesondere ihre herrschsüchtige Mutter, Esras Tochter aus der ersten, gescheiterten Ehe, der Vater ihrer Tochter, und vor allem Esras passiver schicksalsergebener Charakter.

Obwohl nach Ansicht des Autors und der Beschwerdeführerin die Figuren des Romans fiktiv sind, räumten beide im Ausgangsverfahren ein, dass der Autor von seiner Liebesbeziehung zur Klägerin zu 1) inspiriert worden war. In einer Widmung in dem der Klägerin zu 1) übermittelten Exemplar des Buchs schreibt der Autor:

Liebe A…, dieses Buch ist für Dich. Ich habe es nur für Dich geschrieben, aber ich verstehe, dass Du Angst hast, es zu lesen. Vielleicht liest Du es, wenn wir alt sind – und siehst dann noch einmal, wie sehr ich Dich geliebt habe. Maxim. Berlin, den 22.2.03.

In einem gedruckten Nachwort heißt es im Buch:

Sämtliche Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Die Klägerin zu 1) ist Trägerin des Bundesfilmpreises 1989. Mit 17 Jahren heiratete sie. Aus der Ehe stammt eine Tochter. Nach dem Scheitern dieser Ehe hatte die Klägerin zu 1) über eineinhalb Jahre ein intimes Verhältnis mit dem Autor. Während dieser Beziehung ist ihre Tochter schwer erkrankt. Nach der Trennung vom Autor hatte die Klägerin zu 1) über kurze Zeit eine weitere Beziehung mit einem ehemaligen Schulfreund. Aus dieser Beziehung, die zwischenzeitlich ebenfalls gescheitert ist, stammt ein Kind. Die Klägerin zu 2) ist die Mutter der Klägerin zu 1). Sie ist Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2000 und Besitzerin eines Hotels in der Türkei.

2. Die Romanfigur der Esra wird als eine von dem Willen ihrer Mutter abhängige, unselbständige Frau geschildert, die in der zuletzt angegriffenen Version des Romans den „Fritz-Lang-Preis“ für eine Filmrolle gewonnen hat. Die Beziehung zu dem Ich-Erzähler ist durch einen fortdauernden Wechsel von Zuneigung und Ablehnung und die enttäuschte Liebe des Ich-Erzählers gekennzeichnet. Sie ist deshalb zum Scheitern verurteilt, weil sich Esra nicht aus der Umklammerung durch ihre Mutter, ihre schwerkranke Tochter Ayla und den Vater ihrer Tochter lösen kann. Die Beziehung des Ich-Erzählers zur Romanfigur Esra wird auf verschiedenen Ebenen unter Brechung der Chronologie durch mehrfache Rückblenden und in zahlreichen Details geschildert. Davon umfasst sind auch Überlegungen Esras darüber, ihr zweites Kind abtreiben zu lassen, wozu es schließlich nicht kommt, weil sie – so legen es Überlegungen des Ich-Erzählers nahe – dieses Kind anstelle ihrer todkranken Tochter haben möchte. Der Roman enthält an mehreren Stellen die Schilderung sexueller Handlungen zwischen Esra und dem Ich-Erzähler.

Esras Mutter, die Romanfigur Lale, besitzt ein Hotel an der Ägäischen Küste in der Türkei und hat in der ursprünglichen Romanfassung für ihre Umweltaktivitäten den Alternativen Nobelpreis, in der zuletzt angegriffenen, nach Vergleichsbemühungen zwischen den Parteien überarbeiteten Fassung den „Karl-Gustav-Preis“ erhalten. Zwischen ihrem Lebenslauf und dem der Klägerin zu 2) gibt es deutliche und markante Übereinstimmungen (Zahl der Ehen und Kinder, Wohn- und Handlungsorte). Der Figur der Lale wird im Roman wesentliche Verantwortung für das Scheitern der Beziehung zwischen Adam und Esra zugeschrieben. Sie ist deutlich negativ gezeichnet. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs wird sie als eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin dargestellt, die ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiert.

II.

1. Die Klägerinnen beantragten kurz nach Erscheinen des Romans, von dem bis dahin rund 4.000 Exemplare verkauft worden waren, beim Landgericht den Erlass einer auf ein Verbot der Verbreitung des Romans gerichteten einstweiligen Verfügung. Im Verlauf des Verfahrens gab die Beschwerdeführerin mehrere Unterlassungsverpflichtungserklärungen ab, mit denen sie anbot, es bei Vermeidung einer Vertragsstrafe zu unterlassen, den Roman ohne bestimmte Streichungen beziehungsweise Änderungen zu veröffentlichen. Das Verfahren endete mit einer Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Hinblick auf die zwischenzeitlich abgegebenen Unterlassungsverpflichtungserklärungen. Nach Beendigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens veröffentlichte die Beschwerdeführerin eine „geweißte“ Fassung des Romans, die bestimmte Auslassungen aufwies.

2. a) Im Hauptsacheverfahren, in dem die Beschwerdeführerin am 18. August 2003 eine letzte – noch über die „geweißte“ Fassung hinausgehende – Unterlassungsverpflichtungserklärung abgab, mit der sie insbesondere anbot, die Bezeichnung der an die Romanfiguren Esra und Lale verliehenen Preise und den jeweiligen Grund hierfür zu ändern, trugen die Klägerinnen im Wesentlichen vor, das Buch stelle eine Biographie ohne wesentliche Abweichung von der Wirklichkeit dar. Eine Identifizierung ihrer Personen sei auch in der veränderten Fassung des Romans ohne weiteres möglich. Durch die Darstellung würden sie diffamiert und in herabwürdigender Weise geschildert. Durch ausführliche und zum Teil ehrverletzende und beleidigende Schilderungen aus dem Sexualleben der Klägerin zu 1), der familiären Beziehungen und Streitigkeiten der Klägerinnen untereinander, den Auseinandersetzungen mit dem Ehemann der Klägerin zu 1) sowie die Schilderung der Krankheit der Tochter der Klägerin zu 1) sei in den absolut geschützten Bereich ihres Intimlebens eingegriffen worden.

b) Die Beschwerdeführerin trug im Wesentlichen vor, es handele sich bei dem Buch nicht um einen Schlüsselroman. Ein Großteil dessen, was in dem Roman passiere, habe sich in der Realität so nicht ereignet. Es sei nicht richtig, dass Handlungen und Personen größtenteils den Biographien der Klägerinnen entnommen seien.

3. Das Landgericht verurteilte die Beschwerdeführerin unter Androhung eines Ordnungsgeldes, es zu unterlassen, das Buch „Esra“ zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen, auszuliefern oder ausliefern zu lassen, zu vertreiben oder vertreiben zu lassen und hierfür zu werben oder werben zu lassen.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei gemäß §§ 1004, 823 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG begründet. Die Klägerinnen seien durch das angegriffene Buch in ihrem Persönlichkeitsrecht in einer Art verletzt, dass demgegenüber die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zurücktrete.

Die Klägerinnen seien in den Romanfiguren erkennbar. Ausschlaggebend hierfür sei die Darstellung der Figur Esra als Trägerin des Bundesfilmpreises 1989, den die 17-Jährige für die Rolle einer jungen Türkin, die sich in einen Deutschen verliebe, erhalten habe, und der Mutter der Esra als Trägerin des Alternativen Nobelpreises des Jahres 2000 wegen ihres Einsatzes gegen den Goldabbau in der Türkei. Die Kammer gehe davon aus, dass gerade der großen türkischen Gemeinde in Deutschland, der die beiden Klägerinnen auch angehörten, die Tatsache der Verleihung von zwei nicht unbedeutenden Preisen an zwei ihrer Mitglieder auch nach vierzehn beziehungsweise drei Jahren noch bekannt sei, und dass der Bezug zu den Klägerinnen hergestellt werde.

Die Beschwerdeführerin könne sich nicht darauf berufen, dass sie in der nunmehr streitgegenständlichen Fassung des Buchs den Alternativen Nobelpreis in „Karl-Gustav-Preis“ und den Bundesfilmpreis in den „Fritz-Lang-Preis“ abgeändert habe, die beide nicht existierten. Die zunächst erschienene Fassung des Buchs müsse bei der Beurteilung der Frage, ob die beiden Klägerinnen in der nunmehr streitgegenständlichen Fassung im Hinblick auf die vorbezeichneten Abänderungen noch erkennbar seien, mitberücksichtigt werden. Gerade die den Tatsachen entsprechende Schilderung der beiden Klägerinnen als Preisträgerinnen des Bundesfilmpreises beziehungsweise des Alternativen Nobelpreises in der zunächst erschienenen Fassung führe zu einer Erkennbarkeit und damit individuellen Betroffenheit der Klägerinnen. Würde man hinsichtlich der Erkennbarkeit der Klägerinnen ausschließlich auf die nunmehr streitgegenständliche Fassung abstellen, hätte dies zur Folge, dass gerade deshalb, weil die Klägerinnen sich gegen eine Fassung des Buchs zur Wehr gesetzt hätten, in der sie unschwer zu erkennen gewesen seien, ihnen dies nunmehr zum Nachteil gereichen würde.

Nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls sei von einem so schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen auszugehen, dass die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Kunstfreiheit demgegenüber zurücktreten müsse.

Eine Verselbständigung des Abbilds vom Urbild sei vorliegend nicht zu erkennen. Bis auf die Namen habe der Autor in dem Buch die familiären Beziehungen „1:1“ der Wirklichkeit entnommen. Die Schilderung stelle eine Verletzung der Intimsphäre der Klägerin zu 1) dar. Sie habe mit dem Autor ein intimes Verhältnis gehabt. Wenn dann der Ich-Erzähler des Romans mit der Hauptfigur Esra, die als die Klägerin zu 1) zu identifizieren sei, ebenfalls ein sexuelles Verhältnis habe, sei die Intimsphäre der Klägerin zu 1) betroffen. Auf die Frage, ob die beschriebenen sexuellen Praktiken der Realität entsprächen oder pure Fiktion seien, komme es insoweit nicht an.

Darüber hinaus liege eine ganz erhebliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte in der Schilderung der Krankheit der Tochter der Klägerin zu 1). Unter anderem würden damit die Probleme begründet, die in der Beziehung zwischen der Mutter des erkrankten Kindes und dem Ich-Erzähler entstünden. Die Erörterung der Erkrankung des Kindes habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen.

4. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts zurück. Die Klägerinnen seien durch die Veröffentlichung des Romans in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Sie seien in den Romanfiguren Esra und Lale und in dem Handlungs- und Beziehungsgeflecht des Buchs erkennbar. Durch die Veröffentlichung des Buchs seien sie unmittelbar und individuell betroffen. Für einen nicht unbedeutenden Leserkreis würden erkennbar die Klägerinnen dargestellt. Eine genügende Verfremdung des Abbilds vom Urbild fehle. Es seien so markante Übereinstimmungen in dem Erscheinungsbild und dem Lebens- und Berufsweg von Esra und Lale einerseits und den Klägerinnen andererseits festzustellen, dass der Leser nicht zwischen Wahrheit und Erdichtetem unterscheiden könne.

Es lägen schwere Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre der Klägerin zu 1) vor. Zudem sei ihr Recht am eigenen Lebensbild verletzt worden. Diese Eingriffe müsse sie nicht hinnehmen.

Die Privatsphäre werde durch die Schilderung der schweren Krankheit der Tochter der Romanfigur Esra verletzt. Dem Leser dränge sich aufgrund der Darstellung im Buch der Eindruck auf, die Tochter der Klägerin zu 1), die tatsächlich schwer erkrankt sei, hiervon nach dem Vortrag der Klägerin zu 1) jedoch nichts wisse, habe eine tödliche Krankheit, die auf mangelnder Fürsorge der Klägerin zu 1) beruhe. Des Weiteren werde der Eindruck vermittelt, die Klägerin zu 1) sei nur deshalb erneut schwanger geworden, weil sie sich vor dem Verlust ihrer Tochter gefürchtet habe.

Die Intimsphäre der Klägerin zu 1) werde durch die Schilderung von Einzelheiten des Sexuallebens von Esra einschließlich eines Abtreibungsversuchs verletzt. Da der Leser nicht zwischen Wahrheit und Erdichtetem unterscheiden könne, setze er dies mit realen Einzelheiten des Sexuallebens der Klägerin zu 1) gleich. Leser, die die Klägerin zu 1) identifiziert hätten, würden zudem die innersten Empfindungen und Gedankengänge von Esra mit denen der Klägerin zu 1) gleichsetzen. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht wiege so schwer, dass er nicht durch das Recht auf Kunstfreiheit gerechtfertigt sei.

Auch die Klägerin zu 2) sei durch die Veröffentlichung des Buchs unmittelbar betroffen und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Das Buch greife schwer in die Privatsphäre der Klägerin zu 2) und ihr Recht am eigenen Lebensbild ein. Wie bei der Klägerin zu 1) sei auch hinsichtlich der Klägerin zu 2) nicht erkennbar, was wahr und was erdichtet sei. Leser, die die Klägerin zu 2) identifiziert hätten, würden die Charakterzüge von Lale mit denen der Klägerin zu 2) gleichsetzen. Dadurch sei die Klägerin zu 2) zugleich in ihrem Recht am eigenen Lebensbild verletzt.

Das Verbot des Buchs sei nicht unverhältnismäßig. Die Anordnung einzelner Schwärzungen scheide schon deswegen aus, weil in die gesamte Struktur und Darstellung des Buchs eingegriffen werden müsste. Aufgabe des Gerichts sei zwar festzustellen, ob die Veröffentlichung eines Buchs in einer bestimmten Fassung zu unterlassen sei. Es dürfe jedoch nicht gleichsam wie ein Schriftsteller dem Buch eine andere Fassung geben und sich künstlerisch betätigen.

5. Der Bundesgerichtshof wies die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts zurück.

Der Unterlassungsanspruch sei begründet. Die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG grundrechtlich garantierte Kunstfreiheit habe unter den Umständen des Streitfalls hinter dem gemäß Art. 2 Abs. 1 GG ebenfalls grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen zurückzutreten. Die Klägerinnen würden durch den Roman auch unter Berücksichtigung der in den Unterlassungsverpflichtungserklärungen vorgenommenen Textänderungen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Eine Erkennbarkeit der Klägerinnen setze nicht voraus, dass diese „von einem nicht unbedeutenden Leserkreis unschwer“ in den Romanfiguren wiedererkannt würden. Bei dieser Formulierung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 (vgl.BVerfGE 30, 173 <198> ) handele es sich um den von den Zivilgerichten seinerzeit zugrundegelegten Maßstab. Dieser sei indes zu eng, weil grundsätzlich die Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis beziehungsweise in der näheren persönlichen Umgebung genüge. Die Erkennbarkeit sei bereits dann gegeben, wenn die Person ohne namentliche Nennung zumindest für einen Teil des Leser- oder Adressatenkreises aufgrund der mitgeteilten Umstände hinreichend zu erkennen sei. Bei Anlegung dieses Maßstabs sei die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Klägerinnen seien in den Romanfiguren Esra und Lale zu erkennen, nicht zu beanstanden. Dies gelte insbesondere aufgrund der wesentlichen Übereinstimmungen zwischen dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebens- und Berufsweg der Klägerinnen und denen der Romanfiguren Esra und Lale sowie der Verleihung des Bundesfilmpreises an die Klägerin zu 1) und des Alternativen Nobelpreises an die Klägerin zu 2), die sich im Roman erkennbar widerspiegelten.

Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen sei rechtswidrig. Ob eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliege, sei aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung anhand des zu beurteilenden Einzelfalls festzustellen. Die Erkennbarkeit der Klägerinnen reiche allein für die Begründung eines Unterlassungsanspruchs nicht aus. Hinzukommen müsse vielmehr eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung, die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht mehr gerechtfertigt sei. Die Freiheit der Kunst sei nicht schrankenlos gewährt. Das Grundrecht der Kunstfreiheit stehe zwar nicht unter einem Gesetzesvorbehalt. Jedoch dürfe sich auch der Künstler, wenn er sich in seiner Arbeit mit Personen seiner Umwelt auseinandersetze, nicht über deren verfassungsrechtlich ebenfalls geschütztes Persönlichkeitsrecht hinwegsetzen. Beide Interessenbereiche seien gegeneinander abzuwägen, wobei insbesondere auch zu beachten sei, dass Charakter und Stellenwert des beanstandeten Textes als Aussage der Kunst das Verständnis von ihm im sozialen Wirkungsbereich zu beeinflussen vermöchten. Keinem der Rechtsgüter komme von vornherein Vorrang gegenüber dem anderen zu. Zwar könnten zweifelsfrei feststellbare schwerwiegende Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts durch die Kunstfreiheit nicht gerechtfertigt werden. Das bedeute jedoch nicht, dass die Prüfung, ob eine solch schwerwiegende Beeinträchtigung festzustellen sei, isoliert, das heißt ohne Berücksichtigung des Charakters des Werks, vorgenommen werden dürfe.

Der Autor habe mit den Figuren Esra und Lale keine gegenüber dem Urbild der Klägerinnen verselbständigten Kunstfiguren geschaffen. Auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um einen Roman handele, ergebe sich kein anderes Textverständnis. Das Kunstwerk wirke nicht nur als ästhetische Realität, sondern habe daneben ein Dasein in den Realien, die zwar in der Darstellung künstlerisch überhöht würden, damit aber ihre sozialbezogenen Wirkungen nicht verlören. Diese Wirkungen auf der sozialen Ebene entfalteten sich „neben“ dem eigenständigen Bereich der Kunst; gleichwohl müssten sie auch im Blick auf den Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewürdigt werden, da die „reale“ und die „ästhetische“ Welt im Kunstwerk eine Einheit bildeten. Lehne sich eine Romanfigur an eine reale Person an, werde diese daher nicht bereits aufgrund der Einbettung in die Erzählung zum verselbständigten Abbild.

Ob dies der Fall sei, müsse in jedem Einzelfall geprüft werden. Im Streitfall sei dies zu verneinen. Die tatsächlich nachprüfbaren Merkmale der Romanfiguren Esra und Lale, die sich mit Merkmalen der Klägerinnen deckten, seien zahlreich und so charakteristisch, dass daneben die vorhandenen Unterschiede zurückträten. Mittel künstlerischer Verfremdung fehlten. Für den Leser, der die dargestellte Person erkannt habe, würden mit den beiden Romanfiguren keine Typen, sondern die Klägerinnen in ihrem realen Bezug dargestellt. Diese Wirkung werde noch dadurch verstärkt, dass Daten auf dem Klappentext zur Person des Autors mit Daten des Ich-Erzählers übereinstimmten. Wer als Schriftsteller Personen in einer Weise erkennbar mache, dass sich Romanfiguren einer real existierenden Person eindeutig zuordnen ließen, kündige die Übereinstimmung zwischen Autor und Leser auf, dass es sich beim literarischen Werk um Fiktion handele. Die Klägerinnen müssten ein solches „Porträt“ in Buchform nicht dulden. Ihre Beeinträchtigung wiege so schwer, dass dem Schutz ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Vorrang vor der zugunsten der Beschwerdeführerin streitenden Kunstfreiheit einzuräumen sei.

Das Buch greife unabhängig davon, ob die vom Autor geschilderten zahlreichen Einzelheiten des Sexuallebens und des Abtreibungsversuchs der Romanfigur Esra eine Entsprechung im Leben der Klägerin zu 1) hätten, in unzulässiger Weise in deren Intim- und Privatsphäre ein.

Auch gegenüber der Klägerin zu 2) überschreite der Roman den durch die Kunstfreiheit eröffneten Spielraum. Werde das Lebensbild einer bestimmten Person, die wie im Streitfall deutlich erkennbar als reale Person und nicht als Typus dargestellt werde, durch frei erfundene Zutaten grundlegend und in schwerwiegender Weise negativ entstellt, sei die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gesetzte Grenze überschritten. Die Klägerin zu 2) werde in der Figur der Lale als eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin geschildert, als eine Frau, die ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiere, herrisch und streitsüchtig sei, ihre Kinder vernachlässigt habe, das Preisgeld in ihr bankrottes Hotel gesteckt habe, ihren Eltern Land gestohlen und die Mafia auf sie gehetzt habe, gegen den Goldabbau nur gekämpft habe, weil auf ihrem eigenen ergaunerten Grundstück kein Gold zu finden gewesen sei, eine hohe Brandschutzversicherung abgeschlossen habe, bevor ihr Hotel in Flammen aufgegangen sei, ihre Tochter zur Abtreibung gedrängt habe, von ihrem ersten Mann betrogen und von ihrem ebenfalls alkoholsüchtigen zweiten Mann geschlagen worden sei. Derart schwerwiegende Entstellungen seien durch die Kunstfreiheit nicht gedeckt.

Die Untersagung der Verbreitung des gesamten Romans sei entgegen der Auffassung der Revision nicht unverhältnismäßig. Sie sei begründet, weil die beanstandeten Textteile für die Gesamtkonzeption des Werks und für das Verständnis des mit ihm verfolgten Anliegens von Bedeutung seien. Da das gesamte Buch von zahlreichen Anspielungen und Beschreibungen, die auf die Klägerinnen hindeuteten, durchzogen sei, müsse bei Vorgabe einzelner Änderungen, die von der Beschwerdeführerin als milderes Mittel angesehen werde, in die gesamte Struktur und Darstellung des Werks eingegriffen werden. Es sei indessen nicht Aufgabe des Gerichts, bestimmte Streichungen vorzunehmen, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung auf das gerade noch zulässige Maß zu reduzieren, da es eine Vielzahl möglicher Varianten gebe, wie diese Änderungen vorgenommen werden könnten, und der Charakter des Romans durch solche Eingriffe eine erhebliche Änderung erfahren würde.

B.

I.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin unter anderem die Verletzung ihres Rechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.

1. Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs beruhe auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Kunstfreiheit. Insbesondere sei bei der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Abwägung der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der beiden Klägerinnen überdehnt und dadurch der Schutzbereich der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin unzulässig eingeengt worden. Das Urteil kranke daran, dass der Beurteilung der – zur individuellen Betroffenheit führenden – Erkennbarkeit der Klägerinnen ein unrichtiger, nicht werkgerechter Maßstab zugrundegelegt worden sei.

Der Bundesgerichtshof gehe zu Unrecht davon aus, dass für die individuelle Betroffenheit der Klägerinnen bereits deren Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis genüge. Damit knüpfe der Bundesgerichtshof an die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Erkennbarkeit von Personen an, die Gegenstand von Presseberichterstattung seien. Dieser Maßstab werde dem Charakter des verbotenen Romans als Belletristik nicht gerecht. Wenngleich nicht außer Acht gelassen werden könne, dass ein Kunstwerk nicht nur als ästhetische Realität wirke, sondern daneben ein Dasein in den Realien habe, dürfe bei der Lösung der Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit nicht allein auf die Wirkungen des Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abgehoben werden; vielmehr müsse den kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden. Deshalb sei schon für die Frage, ob die Klägerinnen in den Figuren Esra und Lale erkennbar seien, relevant, dass der verbotene Roman ein Roman sei.

Daraus folge zweierlei. Zum einen erkenne der Leser, dass es sich bei dem Buch um Fiktion handele, mithin einen Wahrheitsanspruch nicht erhebe, so dass die Romanfiguren gerade nicht Porträts realer Urbilder seien. Zum anderen folge aus dem Gewicht und der Bedeutung der Kunstfreiheit, dass an die Erkennbarkeit von Personen, die sich in Romanfiguren porträtiert wähnten, ein strengerer Maßstab anzulegen sei als an die solcher Personen, die Gegenstand einer ausschließlich in den Realien wirkenden Presseberichterstattung seien, die stets Anspruch auf Wahrheitstreue erhebe. Indem der Bundesgerichtshof für die individuelle Betroffenheit der Klägerinnen die Erkennbarkeit in deren Bekanntenkreis ausreichen lasse, weiche er von der Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 30, 173 <198>) ab, in der darauf abgestellt worden sei, dass ein nicht unbedeutender Leserkreis unschwer in der dortigen Romanfigur Hendrik Höfgen den Schauspieler Gustav Gründgens wiedererkenne. Das Bundesverfassungsgericht habe darüber hinaus ebenso wie der Bundesgerichtshof in seinem Mephisto-Urteil (BGHZ 50, 133 <141>) darauf abgestellt, dass es sich bei Gründgens um eine Person der Zeitgeschichte gehandelt habe.

Der Bundesgerichtshof gehe außerdem zu Unrecht von einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung aus. Insbesondere nehme er unzutreffend an, es würden mit den beiden Romanfiguren keine Typen, sondern die Klägerinnen in ihrem sozialen Bezug dargestellt. Nur aufgrund dieses Textverständnisses komme der Bundesgerichtshof zur Annahme von zweifelsfrei feststellbaren schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts. Der Roman beanspruche hingegen für jeden Leser erkennbar keine Wirklichkeitstreue und werde deshalb vom Leser nicht als Darstellung tatsächlicher Erlebnisse realer Personen missverstanden. Soweit der Bundesgerichtshof davon ausgehe, der Autor habe mit den Figuren Esra und Lale keine gegenüber dem Urbild verselbständigten Kunstfiguren geschaffen, weil es eine Vielzahl im Roman geschilderter Umstände gebe, die eine ausgeprägte Übereinstimmung des Lebens- und Berufswegs der Klägerinnen mit denen der Romanfiguren aufwiesen, sei dies unzutreffend. Die Romanhandlung sei ganz überwiegend der Phantasie des Autors entsprungen. Keineswegs sei die Handlung oder der äußere Rahmen des Romans den Biographien der Klägerinnen entnommen. Es bestünden auf künstlerischen Verfremdungen beruhende erhebliche Unterschiede zwischen den Romanfiguren und -handlungen einerseits und der Realität andererseits, die gerade von den Lesern aus dem Bekanntenkreis der Klägerinnen erkannt würden. Aus alledem ergebe sich, dass die Romanfiguren durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs so verselbständigt erschienen, dass das Individuelle, das Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figuren objektiviert sei, und der Autor daher – anders als es das Bundesverfassungsgericht Klaus Manns Mephisto-Roman attestiert habe – kein Porträt der Klägerinnen als Urbilder gezeichnet habe. Darüber hinaus sei es nicht Sache staatlicher Gerichte, Qualitätsmaßstäbe zur Bestimmung hinreichender Verfremdung und damit des künstlerischen Schaffensprozesses zu definieren. Der weite Beurteilungsspielraum, den die Gerichte sich in diesem Punkt einräumten, gefährde die Kunstfreiheit erheblich.

Selbst wenn man dem Roman Wahrheitsanspruch erhebende Aussagen über die Klägerinnen entnehmen könnte, könne darauf ein Verbot nicht gestützt werden. Soweit das Oberlandesgericht als letzte Tatsacheninstanz gemeint habe, der Leser könne tatsächlich nicht erkennen, welche Teile des Romans Fiktion und welche Passagen Wahrheitsanspruch erhebende Mitteilungen über die Klägerinnen enthielten, handele es sich nur um die Möglichkeit einer schwerwiegenden Rechtsverletzung, auf die ein Verbot des Romans nicht gestützt werden könne, da diese im Interesse der Kunstfreiheit zweifelsfrei feststehen müsse. Da die Möglichkeit nicht auszuschließen sei, dass der Leser einzelne Umstände in den Bereich der Fiktion einordne, seien die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 67, 213 <228>) aufgestellten Verbotsvoraussetzungen nicht erfüllt.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs offenbare eine grundsätzlich unrichtige Anschauung vom Umfang des Schutzbereichs der gegen die Kunstfreiheit abzuwägenden Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen. Soweit es eine Verletzung der Intimsphäre der Klägerin zu 1) feststelle, sei dies unrichtig, da diese durch fiktive Schilderungen von Verhalten, das es in der Realität nicht gegeben habe, nicht verletzt werden könne. Der vom Bundesgerichtshof eigentlich gemeinte Eindruck des Lesers, die Einzelheiten des Sexuallebens der Romanfigur Esra hätten sich auch im Leben der Klägerin zu 1) abgespielt, sei nicht zwingend. Betroffen sei nicht die einer Güterabwägung unzugängliche Intimsphäre, sondern die persönlichkeitsrechtliche Fallgruppe der Verzerrung des Lebensbilds der Betroffenen.

Hinsichtlich der Klägerin zu 2) nehme der Bundesgerichtshof eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch negative Entstellung des Lebensbilds an, begründe jedoch nicht, durch welche unwahren Tatsachenbehauptungen deren allgemeines Persönlichkeitsrecht in rechtswidriger Weise verletzt sei. Auf eine im Einzelnen nachvollziehbare Darlegung, durch welche Romanpassage welcher unwahre Eindruck erweckt worden sei, habe jedoch nicht verzichtet werden dürfen, weil wegen des mit dem Verbot verbundenen besonders schweren Eingriffs in die Kunstfreiheit besonders strenge Anforderungen an die Begründung des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht und an die Begründung der Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs zu stellen seien. Dies gelte umso mehr, als der Bundesgerichtshof es selbst für möglich gehalten habe, durch Änderungen des Romans Rechtsverletzungen zukünftig zu vermeiden, und die Beschwerdeführerin im Laufe des Rechtsstreits zahlreiche Vorschläge für Streichungen und Änderungen gemacht habe. Vor diesem Hintergrund verletze auch das Unterlassen des Bundesgerichtshofs, eine Trennlinie zwischen erlaubten und rechtsverletzenden Romanpassagen nachvollziehbar darzustellen, das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Kunstfreiheit.

Selbst wenn die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die Kunstfreiheit zum Schutze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerinnen einzuschränken, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte, so verstoße doch die Untersagung der Verbreitung des gesamten Romans gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch der Bundesgerichtshof stelle nicht in Frage, dass einzelne Streichungen anstatt des Gesamtverbots geeignet wären, die Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf das gerade noch zulässige Maß zu reduzieren. Das Gesamtverbot sei mithin nicht erforderlich.

2. Auch das Urteil des Oberlandesgerichts verletze die Beschwerdeführerin in ihrer Kunstfreiheit. Das Oberlandesgericht berücksichtige zu Unrecht, dass durch das Verfahren über die einstweilige Verfügung und den anschließenden Prozess die öffentliche Diskussion entfacht und durch die Presseberichterstattung über das Verfahren die Klägerinnen erkennbar machende Umstände an die Öffentlichkeit gelangt seien. Das widerspreche dem von der Kunstfreiheit aufgestellten Gebot der werkgerechten Beurteilung des Romans, das die Berücksichtigung von Umständen verbiete, die außerhalb des Romans lägen.

Der vom Oberlandesgericht angenommene rechtswidrige Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin zu 1) wegen der Darstellung der Krankheit der Romanfigur Ayla resultiere aus einer zu weitgehenden Definition der Grenzen der Privatsphäre und damit des Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 1). Das Oberlandesgericht lasse eine nur mittelbare Betroffenheit ausreichen, die die Kunstfreiheit im konkreten Fall überwöge.

3. Auch das Landgericht komme in seinem Urteil aufgrund von verfassungswidrigen Erwägungen zur Annahme der Erkennbarkeit der Klägerinnen, nehme aufgrund grundsätzlich unrichtiger Auffassungen von der Bedeutung der widerstreitenden Grundrechte schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen der Klägerinnen an und spreche ein unverhältnismäßiges Gesamtverbot aus.

II.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben unter anderem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Verband deutscher Schriftsteller in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, das P.E.N.-Zentrum Deutschland und die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.

1. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist der Ansicht, dass in den angegriffenen Entscheidungen der Eigenschaft des Romans als Kunstwerk nicht genügend Rechnung getragen werde. Dies werde besonders deutlich bei der Prüfung der Erkennbarkeit sowie der Verletzung der Persönlichkeitsrechte im Rahmen der Grundrechtsabwägung. Indem der Bundesgerichtshof die Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis genügen lasse, weiche er von dem Maßstab des Bundesverfassungsgerichts in der Mephisto-Entscheidung ab. Diese niedrigeren Anforderungen seien dem Presserecht entlehnt, in dem jedoch nicht die Kunstfreiheit zur Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht eines Dritten stehe, sondern die Meinungs- und Pressefreiheit. Bei der Prüfung der Verletzung von Persönlichkeitsrechten hätten die Gerichte eine nicht-kunstspezifische Haltung eingenommen und Erscheinen und Verhalten der Romanfiguren Esra und Lale mit dem Persönlichkeitsbild der beiden Klägerinnen so verglichen, als gehörten Esra und Lale der Wirklichkeit an. Das Grundrecht der Kunstfreiheit verliere dadurch seine gegenüber den anderen kommunikationsbezogenen Grundrechten herausgehobene Stellung.

Zur Erkennbarkeit müsse eine hiervon unabhängig festgestellte Persönlichkeitsrechtsverletzung hinzukommen. Dafür reiche die Feststellung einer mangelnden Verfremdung nicht aus, denn die Fragen der Erkennbarkeit und Verfremdung seien eng miteinander verwoben. Bei der Feststellung der Persönlichkeitsrechtsverletzung müsse der ästhetischen Wirkungsebene ausreichend Rechnung getragen werden. Da Konflikte mit dem Persönlichkeitsrecht sich nur auf der sozialbezogenen Ebene ergäben, nicht aber auf der ästhetischen, müsse es eine Rolle spielen, welche der Wirkungsebenen dem Werk seine Prägung gebe, ob es also in seiner Gesamtheit als fiktive Beschreibung wahrgenommen werde oder aber als Tatsachenbericht. Bei Zweifeln sei der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit der Vorrang einzuräumen.

Es sei Kennzeichen jeder Literatur, dass sie sich an Vorbilder anlehne. Wenn dies in Zukunft nur mit existenzbedrohenden finanziellen Risiken möglich sei, könnte dies prohibitiv wirken. Die Romane mancher Literaturströmungen würden möglicherweise nur noch zurückhaltend oder gar nicht mehr verlegt. Besonders treffen könne dies Werke der „Postmoderne“ beziehungsweise des „Subjektiven Realismus“, zu denen auch „Esra“ zähle. Kennzeichen dieser Literaturströmung sei die Verklammerung von autobiographischen und fiktionalen Elementen, die die zeitgenössische Literatur maßgeblich präge. Eine Bestätigung der angegriffenen Entscheidungen würde alle Verlage betreffen, deren Programmschwerpunkt im Bereich der zeitgenössischen Literatur liege.

2. Der Verband deutscher Schriftsteller teilt die Einschätzung des die Beschwerde führenden Verlags. Es sei nicht auszuschließen, dass angesichts der angegriffenen Entscheidungen Restriktionen für literarisches Schaffen entwickelt würden, die mit der künstlerischen Freiheit von Autoren nicht kompatibel seien. Dass die Gerichte es haben ausreichen lassen, dass die Klägerinnen in ihrem engeren Bekanntenkreis identifizierbar seien, setze die Schwelle für ein Veröffentlichungsverbot viel zu niedrig an. Es gebe kaum ein fiktionales Werk, in dem sich nicht irgendeine Person als geschildert angesprochen fühle. Der Freiraum der Kunst würde beschnitten, wenn mit einer Romanfigur, in der sich jemand wiederzuerkennen glaube, umgegangen werden müsste wie mit einem Bericht.

3. Das P.E.N.-Zentrum Deutschland ist der Ansicht, dass der Roman keine Objektivität beanspruche. Erst der Prozess um „Esra“ habe die wahren Namen der ins erzählerische Spiel gebrachten Personen offenbart, so dass heute kaum jemand die realistischen Erzählfiguren von den realen Figuren zu unterscheiden glaube. Der Autor aber habe diese Unterscheidungsschwäche nicht zu verantworten. Der Roman sei – anders als „Mephisto“ von Klaus Mann – kein „Schlüsselroman“, bei dem der Autor wolle, dass eine bestimmte Person erkannt werde. Indem der Erzähler selbst das Tabu des privaten Schreibverbots thematisiere, das er auf Seiten Esras als eine engstirnige, unangenehm kleinbürgerliche Angst vor der Literatur charakterisiere, reklamiere der Autor die Freiheit der Kunst für sich.

Das Grundrecht des Persönlichkeitsschutzes sei gegenüber der Kunstfreiheit etwas anderes als im journalistischen Zusammenhang. Der Persönlichkeitsschutz lasse sich nur in Ermittlung der Gesetzlichkeit und der ästhetischen Konditionen des Werks bestimmen. In die angefochtenen Urteile sei dieses heuristische Bemühen um das fragliche Werk nur ungenügend eingegangen. Das werde bereits an der Wahl des „Bekanntenkreises“ oder der „näheren Umgebung“ als Maßstab für die Erkennbarkeit durch den Bundesgerichtshof anstelle des „verständlichen Durchschnittslesers“ deutlich. Soweit das Oberlandesgericht behaupte, der Leser könne nicht unterscheiden, was Fiktion und was wahr sei, zeige dies einen logischen Kurzschluss, wonach eine weitgehende Identität der Romanfiguren mit wirklichen Personen unterstellt werde, um dann die fiktionale Abweichung als unzulässige Verzeichnung des Persönlichkeitsbildes zu insinuieren.

4. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind der Auffassung, dass die Beschwerdeführerin durch die angegriffenen Entscheidungen nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt wird. Die Argumentation der Verfassungsbeschwerde basiere auf den zwei nicht zutreffenden Prämissen, dass die Romanfiguren entgegen den Feststellungen der Fachgerichte fiktiv seien und dass entgegen der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in Romanform mangels Wahrheitsanspruch per se ausscheiden müsse. Damit verkenne die Verfassungsbeschwerde, dass eine Abwägung und Beurteilung des Einzelfalls dann entbehrlich wäre und der Kunstfreiheit in verfassungsrechtlicher Hinsicht gegenüber dem Persönlichkeitsschutz absoluter Vorrang zukäme. Es könnte dann jeder Künstler bloß durch den Hinweis auf die Kunstfreiheit diese dazu missbrauchen, andere zu degradieren und gegen ihren Willen in die Öffentlichkeit zu zerren.

Den angegriffenen Entscheidungen liege weder eine unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit noch eine Überdehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde. Die Fachgerichte hätten eine nachvollziehbare Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung kunstspezifischer Maßstäbe vorgenommen und erkannt, dass der Autor lediglich Porträts der Klägerinnen gezeichnet und sie durch Eingriffe in die Privatsphäre, bei der Klägerin zu 1) sogar in die Intimsphäre, und in ihr Recht am eigenen Lebensbild schwer in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt habe.

C.

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise begründet. Die angegriffenen Urteile verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, soweit sie der Klägerin zu 2) einen Unterlassungsanspruch zusprechen.

I.

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen greifen in das Grundrecht der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein.

1. Unabhängig von der vom Bundesverfassungsgericht wiederholt hervorgehobenen Schwierigkeit, den Begriff der Kunst abschließend zu definieren (vgl.BVerfGE 30, 173 <188 f.>; 67, 213 <224 ff.> ), stellt der Roman „Esra“ nach der zutreffenden Auffassung der angegriffenen Entscheidungen ein Kunstwerk dar, nämlich eine freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache, hier des Romans, zur Anschauung gebracht werden (vgl.BVerfGE 30, 173 <188 f.>; 67, 213 <226>; 75, 369 <377> ). Auch wenn wesentlicher Gegenstand des Rechtsstreits, der zu der vorliegenden Verfassungsbeschwerde geführt hat, das Ausmaß ist, in dem der Autor in seinem Werk existierende Personen schildert, ist jedenfalls der Anspruch des Autors deutlich, diese Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten.

Wegen der gerade für die Kunstform des Romans, aber auch die künstlerisch gestaltete Autobiographie, die Reportage und andere Ausdrucksformen (Satire, Doku-Drama, Faction) häufig unauflösbaren Verbindung von Anknüpfungen an die Wirklichkeit mit deren künstlerischer Gestaltung ist es nicht möglich, mit Hilfe einer festen Grenzlinie Kunst und Nichtkunst nach dem Maß zu unterscheiden, in dem die künstlerische Verfremdung gelungen ist.

2. Wie alle Freiheitsrechte richtet sich die Kunstfreiheit in erster Linie gegen den Staat. Schon die ausdrückliche Aufnahme der Freiheit der Kunst in die Weimarer Verfassung (Art. 142 Satz 1: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.“) war eine Reaktion auf obrigkeitsstaatliche Bekämpfung neuer künstlerischer Entwicklungen (vgl. Kitzinger, in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, 1929, Art. 142 Satz 1 WRV, S. 455 ff.). Nach der massiven Verfolgung von Künstlern im Nationalsozialismus war die Übernahme der Kunstfreiheit als selbständiges Grundrecht in das Grundgesetz völlig unstreitig (vgl. Matz, in: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F., Band 1 <1951>, S. 89 ff.).

Das Grundrecht ist aber zugleich eine objektive Entscheidung für die Freiheit der Kunst, die auch im Verhältnis von Privaten zueinander zu berücksichtigen ist, insbesondere wenn unter Berufung auf private Rechte künstlerische Werke durch staatliche Gerichte verboten werden sollen (vgl.BVerfGE 30, 173 <187 ff.>; 36, 321 <331>).

3. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den „Werkbereich“ und den „Wirkbereich“ künstlerischen Schaffens. Nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als eines ebenfalls kunstspezifischen Vorgangs. Dieser „Wirkbereich“ ist der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bisher vor allem Wirkung entfaltet hat (vgl.BVerfGE 30, 173 <189>; 36, 321 <331>; 67, 213 <224>; 81, 278 <292>).

4. Auf dieses Grundrecht kann sich auch die Beschwerdeführerin als Verlegerin berufen.

Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben (vgl.BVerfGE 30, 173 <191>; 36, 321 <331>; 77, 240 <251, 254>; 81, 278 <292>; 82, 1 <6>).

5. Auch wenn die Parteien in einem Zivilrechtsstreit, in dem es um den Konflikt von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht geht, um grundrechtlich geschützte Positionen streiten, handelt es sich um einen Rechtsstreit zwischen privaten Parteien, zu dessen Entscheidung in erster Linie die Zivilgerichte berufen sind. Das gilt insbesondere für die tatsächlichen Feststellungen, die für die Annahme einer Persönlichkeitsrechtsverletzung von Bedeutung sind. Das Verbot eines Romans stellt allerdings einen besonders starken Eingriff in die Kunstfreiheit dar. Das Bundesverfassungsgericht kann seine Überprüfung daher nicht auf die Frage beschränken, ob die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das Bundesverfassungsgericht muss vielmehr die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts überprüfen (vgl. Sondervotum Stein,BVerfGE 30, 173 <201 f.>).

II.

Der durch das Romanverbot bewirkte Eingriff in das Grundrecht der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin ist nur teilweise gerechtfertigt.

1. Die Kunstfreiheit ist nicht mit einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt versehen. Sie ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (vgl.BVerfGE 30, 173 <193>; 67, 213 <228>).

Gerade wenn man den Begriff der Kunst im Interesse des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung weit fasst und nicht versucht, mit Hilfe eines engen Kunstbegriffs künstlerische Ausdrucksformen, die in Konflikt mit den Rechten anderer kommen, von vornherein vom Grundrechtsschutz der Kunstfreiheit auszuschließen (so in der Tendenz BVerfG, Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 19. März 1984 – 2 BvR 1/84 -, NJW 1984, S. 1293 <1294> – „Sprayer von Zürich“), und wenn man nicht nur den Werkbereich, sondern auch den Wirkbereich in den Schutz einbezieht, dann muss sichergestellt sein, dass Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, ihre Rechte auch verteidigen können und in diesen Rechten auch unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit einen wirksamen Schutz erfahren. In dieser Situation sind die staatlichen Gerichte den Grundrechten beider Seiten gleichermaßen verpflichtet. Auf private Klagen hin erfolgende Eingriffe in die Kunstfreiheit stellen sich nicht als staatliche „Kunstzensur“ dar, sondern sind darauf zu überprüfen, ob sie den Grundrechten von Künstlern und der durch das Kunstwerk Betroffenen gleichermaßen gerecht werden.

Dies gilt namentlich für das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 67, 213 <228>). Diesem ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonders hoher Rang beigemessen worden. Das gilt insbesondere für seinen Menschenwürdekern (vgl.BVerfGE 75, 369 <380>; 80, 367 <373 f.> ). Das Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl.BVerfGE 54, 148 <153>; 114, 339 <346>). Damit kommt es auch als Schranke für künstlerische Darstellungen in Betracht.

Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend umschrieben. Zu den anerkannten Inhalten gehören das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre (vgl.BVerfGE 54, 148 <153 f.>; 99, 185 <193>; 114, 339 <346> ). Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Person insbesondere vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl.BVerfGE 97, 125 <148 f.>; 99, 185 <193 f.>; 114, 339 <346>).

Der Schutz des Persönlichkeitsrechts erstreckt sich auch auf die Beziehungen von Eltern zu ihren Kindern. Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen (vgl.BVerfGE 24, 119 <144>; 57, 361 <382 f.> ). Der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, muss deswegen umfassender geschützt sein als derjenige erwachsener Personen. Für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung sind in erster Linie die Eltern verantwortlich. Soweit die Erziehung von ungestörten Beziehungen zu den Kindern abhängt, wirkt sich der besondere Grundrechtsschutz der Kinder nicht lediglich reflexartig zugunsten des Vaters und der Mutter aus (vgl. auchBVerfGE 76, 1 <44 f.>; 80, 81 <91 f.> ). Vielmehr fällt auch die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern grundsätzlich in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfährt dann eine Verstärkung durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG (vgl.BVerfGE 101, 361 <385 f.>).

2. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind in ihrem Persönlichkeitsrecht betroffen.

a) Voraussetzung dafür ist, dass sie als Vorbilder der Romanfiguren erkennbar sind, ohne dass diese Erkennbarkeit allein bereits eine Persönlichkeitsrechtsverletzung bedeutet.

Die angegriffenen Entscheidungen sind davon ausgegangen, dass die Klägerinnen als Vorbilder der Romanfiguren Esra und Lale erkennbar sind. Diese Würdigung und die zugrundeliegenden Feststellungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der vom Bundesgerichtshof angelegte Maßstab einer Erkennbarkeit durch einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis auch aus der Sicht des Verfassungsrechts zutreffend. Wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Mephisto-Entscheidung den seinerzeit von den Zivilgerichten zugrundegelegten Maßstab verfassungsrechtlich gebilligt hat, wonach ein nicht unbedeutender Leserkreis unschwer in der Romanfigur des Hendrik Höfgen den verstorbenen Schauspieler Gustav Gründgens wiedererkenne, da es sich bei Gründgens um eine Person der Zeitgeschichte handele und die Erinnerung des Publikums an ihn noch recht lebendig sei (vgl.BVerfGE 30, 173 <196> ), dann war dies in der damaligen Fallgestaltung begründet und definierte nicht eine notwendige Bedingung für die verfassungsrechtlich erhebliche Erkennbarkeit von Romanfiguren. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts gegenüber künstlerischen Werken würde sonst auf Prominente beschränkt, obwohl gerade die Erkennbarkeit einer Person durch deren näheren Bekanntenkreis für diese besonders nachteilig sein kann (zu einem presserechtlichen Fall vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2004 – 1 BvR 263/03 -, NJW 2004, S. 3619 <3620>).

Auf der anderen Seite reicht die nur nach Hinzutreten weiterer Indizien nachweisbare Vorbildfunktion einer tatsächlichen Person für eine Romanfigur nicht, um ihre Erkennbarkeit im genannten Sinne zu begründen. Da Künstler ihre Inspiration häufig in der Wirklichkeit finden, wird ein sorgfältig recherchierender Kritiker oder Literaturwissenschaftler in vielen Fällen in der Lage sein, Vorbilder für Romanfiguren oder einem Roman zugrundeliegende tatsächliche Begebenheiten zu entschlüsseln. Die Freiheit der Kunst würde zu weit eingeschränkt, wenn eine derartige Entschlüsselungsmöglichkeit bereits zur Annahme einer Erkennbarkeit der als Vorbild dienenden Person führte. Die Identifizierung muss sich vielmehr jedenfalls für den mit den Umständen vertrauten Leser aufdrängen. Das setzt regelmäßig eine hohe Kumulation von Identifizierungsmerkmalen voraus.

Im vorliegenden Fall ist die Erkennbarkeit der Klägerinnen nach diesem Maßstab von den Gerichten zutreffend bejaht worden. Für die Urfassung des Romans ist das schon wegen der eindeutigen Identifizierung der Klägerinnen durch die ihnen verliehenen Preise (Verleihung des Bundesfilmpreises an eine 17-jährige Türkin, die ein türkisches Mädchen spielt, das sich in einen deutschen Jungen verliebt, sowie des Alternativen Nobelpreises an ihre Mutter wegen des Engagements gegen den Goldabbau mittels Zyanid in der Türkei) nicht zweifelhaft. Die Gerichte gehen aber vertretbar davon aus, dass auch die Umbenennung der Preise in der zuletzt dem Verfahren zugrundeliegenden Fassung des Romans wegen der nach wie vor bestehenden Nähe der Fakten (Verleihungsgrund, Anspielung auf den Nobelpreis), verbunden mit den zahlreichen weiteren Daten, die insbesondere das Urteil des Oberlandesgerichts aufführt, die Identifizierung nicht beseitigt, diese sich vielmehr in der Verbindung und Summierung zahlreicher Umstände förmlich aufdrängt. Die Feststellung der Tatsachen, aus denen die Erkennbarkeit betroffener Personen abgeleitet werden kann, ist dabei in erster Linie Sache der Fachgerichte.

b) Die Klägerinnen sind auch nicht so geringfügig betroffen, dass ihr Persönlichkeitsrecht von vornherein hinter der Kunstfreiheit zurücktreten müsste. Den Romanfiguren, als deren Vorbild sie erkennbar sind, werden Handlungen und Eigenschaften zugeschrieben, die, wenn der Leser sie auf die Klägerinnen beziehen kann, geeignet sind, ihr Persönlichkeitsrecht erheblich zu beeinträchtigen.

3. Allerdings zieht die Kunstfreiheit ihrerseits dem Persönlichkeitsrecht Grenzen. Das gilt im Verhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht auch deshalb, weil die Durchsetzung dieses Rechts gegenüber der Kunstfreiheit stärker als andere gegenüber einem Kunstwerk geltend gemachte private Rechte (vgl. zum Eigentum BVerfG, Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 19. März 1984 – 2 BvR 1/84 -, NJW 1984, S. 1293) geeignet ist, der künstlerischen Freiheit inhaltliche Grenzen zu setzen. Insbesondere besteht die Gefahr, dass unter Berufung auf das Persönlichkeitsrecht öffentliche Kritik und die Diskussion von für die Öffentlichkeit und Gesellschaft wichtigen Themen unterbunden werden (vgl. Sondervotum Stein,BVerfGE 30, 200 <206 f.>).

Um diese Grenzen im konkreten Fall zu bestimmen, genügt es daher im gerichtlichen Verfahren nicht, ohne Berücksichtigung der Kunstfreiheit eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts festzustellen. Steht im Streitfall fest, dass in Ausübung der Kunstfreiheit durch schriftstellerische Tätigkeit das Persönlichkeitsrecht Dritter beeinträchtigt wird, ist bei der Entscheidung über den auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gestützten zivilrechtlichen Abwehranspruch der Kunstfreiheit angemessen Rechnung zu tragen. Es bedarf daher der Klärung, ob diese Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat. Eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen hierzu angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus. Lässt sich freilich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann sie auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden (vgl.BVerfGE 67, 213 <228>).

Die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hängt dabei sowohl davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Leser nahelegt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, wie von der Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn der Leser diesen Bezug herstellt.

a) Zu den Spezifika erzählender Kunstformen wie dem Roman gehört, dass sie zwar häufig – wenn nicht regelmäßig – an die Realität anknüpfen, der Künstler dabei aber eine neue ästhetische Wirklichkeit schafft. Das erfordert eine kunstspezifische Betrachtung zur Bestimmung des durch den Roman im jeweiligen Handlungszusammenhang dem Leser nahegelegten Wirklichkeitsbezugs, um auf dieser Grundlage die Schwere der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bewerten zu können.

Ein Kunstwerk strebt eine gegenüber der „realen“ Wirklichkeit verselbständigte „wirklichere Wirklichkeit“ an, in der die reale Wirklichkeit auf der ästhetischen Ebene in einem neuen Verhältnis zum Individuum bewusster erfahren wird. Die künstlerische Darstellung kann deshalb nicht am Maßstab der Welt der Realität, sondern nur an einem kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab gemessen werden (vgl. Sondervotum Stein,BVerfGE 30, 200 <204> ). Das bedeutet, dass die Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abheben kann, sondern auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung tragen muss. Die Entscheidung darüber, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, kann daher nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das „Abbild“ gegenüber dem „Urbild“ durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der „Figur“ objektiviert ist (vgl.BVerfGE 30, 173 <195>).

Die Gewährleistung der Kunstfreiheit verlangt, den Leser eines literarischen Werks für mündig zu halten, dieses von einer Meinungsäußerung zu unterscheiden und zwischen der Schilderung tatsächlicher Gegebenheiten und einer fiktiven Erzählung zu differenzieren. Ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, ist daher zunächst einmal als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Ohne eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes würde man die Eigenarten eines Romans als Kunstwerk und damit die Anforderungen der Kunstfreiheit verkennen. Diese Vermutung gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar sind. Da die Kunstfreiheit eine derartige Verwendung von Vorbildern in der Lebenswirklichkeit einschließt, kann es auch kein parallel zum Recht am eigenen Bild verstandenes Recht am eigenen Lebensbild geben, wenn dies als Recht verstanden würde,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a