Meinungsäußerung eines Publizisten über Person

22. Oktober 2008
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eigener Leitsatz:

Die Äußerung eines Publizisten über eine andere, in den Medien präsente, Person als antisemitisch, stellt im vorliegenden Rahmen einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art.2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, dar, und ist nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt.

LG Köln

Urteil vom 03.09.2008

Az.: 28 O 366/08

Tenor:  

Auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten vom 24.07.2008 wird die einstweilige Verfügung der Kammer vom 27.06.2008 (Az. 28 O 366/08) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Dem Verfügungsbeklagten wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, der Ordnungshaft oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwider-handlung

v e r b o t e n,

zu äußern:

F gebe antisemitische Statements ab,

wenn dies wie aus Anlage ASt 2 ersichtlich geschieht.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin nimmt den Verfügungsbeklagten auf Unterlassung einer Äußerung in Anspruch.

Der Verfügungsbeklagte ist Publizist. Er ist bei dem Wochenmagazin „Der Spiegel“ sowie bei der Tageszeitung „Tagesspiegel“ als Journalist und Autor tätig. Auf seiner eigenen Internetseite unter der URL www.(…) sowie im Rahmen weiterer Internetprojekte, wie z.B. dem publizistischen Netzwerk „Die Achse des Guten“ unter der URL www.(…) veröffentlicht der Kläger Texte in Form von wöchentlichen Kolumnen und Glossen.

Die Verfügungsklägerin äußerte sich in der Vergangenheit mehrfach kritisch im Rahmen von Leserbriefen und Interviews über die Politik Israels. So erklärte die Verfügungsklägerin beispielsweise in einem Interview im Deutschlandfunk am 09.03.2007 zu den Äußerungen der Bischöfe I und N, die im Rahmen einer Israelreise die Situation in Ramallah mit derjenigen im Warschauer Ghetto verglichen haben, dass sie es sehr bedauere, dass die Bischöfe bzw. Kardinal M diese „sehr moderaten“ Äußerungen zum Teil zurückgenommen haben.

Zudem bestehen zwischen den Parteien seit geraumer Zeit Auseinandersetzungen, in denen die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten u.a. als „bekennenden Islamophoben“, „Pornoverfasser“ und „Großinquisitor“ bezeichnet. Der Verfügungsbeklagte bezeichnete die Verfügungsklägerin in der Vergangenheit als „Desperate Housewife“, „verzweifelte Hausfrau“ und äußert sich dahingehend, dass sich die Verfügungsklägerin durch „wirre Leserbriefe“ und „hysterische Auftritte“ hervortue.

Am 03.05.2008 nahm die Verfügungsklägerin an der WDR 5-Sendung „Hallo Ü-Wagen“ zum Thema „Reden über Israel“ teil. Daraufhin äußerte sich der Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 05.05.2008 gegenüber der Intendantin des WDR, Frau Q, kritisch über die Einladung der Verfügungsklägerin in die Sendung „Hallo Ü-Wagen“. In dem Brief beschwert er sich u.a. darüber, dass die Verfügungsklägerin in der Sendung als „Publizistin“ angekündigt wurde. Außerdem heißt es in dem Brief:

„Jeder Kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, das Frau F eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemand spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind antisemitisch-antizionistische Statements, die zur Zeit mal wieder eine kurze Konjunktur haben.“

Auf dieses Schreiben antwortete Frau Q vom WDR sodann.

Diese Korrespondenz stellte der Verfügungsbeklagte auf der Internetseite www.(…) online.

Wegen dieser Veröffentlichung mahnte die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 11.06.2008 ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Mit Schreiben vom 17.06.2008 wies der Verfügungsbeklagte den geltend gemachten Unterlassungsanspruch zurück.

Auf den Antrag der Verfügungsklägerin vom 26.06.2008 hat die Kammer am 27.06.2008 eine einstweilige Verfügung erlassen. Mit dieser wurde dem Verfügungsbeklagten bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten, zu äußern,

F gebe antisemitische Statements ab.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Verfügungsbeklagten.

Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass der Verfügungsbeklagte keine tragfähigen Anknüpfungstatsachen zu benennen vermöge, die seinen Antisemitismusvorwurf, mit dem eine außergewöhnlich intensive stigmatisierende Wirkung verbunden sei, rechtfertigen würde. Die von der Verfügungsklägerin in der Vergangenheit getätigten Äußerungen seien nicht als antisemitisch zu bezeichnen.

Die Verfügungsklägerin beantragt nunmehr,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 27.06.2008, Az. 28 O 366/08, zu bestätigen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 27.06.2008, Az. 28 O 366/08, aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass die vom ihm getätigte Äußerung nicht kerngleich mit der verbotenen Äußerung sei. Ferner werfe der Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin keine „antisemitische Geisteshaltung“ vor, da er lediglich mitgeteilt habe, die Verfügungsklägerin gebe „antisemitisch-antizionistische Statements“ ab. Vorliegend handele es sich außerdem auch um keine Schmähkritik. Der Sachbezug der Äußerung ergebe sich aus der dauerhaft zwischen den Parteien des Rechtsstreits geführten Debatte hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit Kritik am Staat Israel durch Juden selbst antisemitische bzw. antizionistische Züge trage. Die Verfügungsklägerin müsse sich den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen. Sie verbinde ihre Kritik am Staat Israel regelmäßig mit den Taten des Nazi-Regimes und verwende zudem den Sprachgebrauch des Nazi-Regimes. Deutlich werde der antisemitische Aspekt soweit die Verfügungsklägerin nicht davor zurückschrecke, u.a. im Rahmen des Interviews beim Deutschlandfunk am 09.03.2007 den Vergleich zum Warschauer Ghetto als „moderate Äußerung“ zu bezeichnen. Die Verfügungsklägerin sei infolge des gewählten offenen Meinungskampfes als weniger schützenswert anzusehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Urkunden Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung sind Schriftsätze beider Parteien eingegangen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet. Im übrigen war die einstweilige Verfügung vom 27.06.2008 aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückzuweisen.

Der Verfügungsklägerin steht ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) zu. Die Behauptung, die Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab, stellt im Rahmen des in Anlage Ast 2 dargelegten, konkreten Äußerungszusammenhangs eine nicht mehr durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckte Meinungsäußerung dar. Die Abwägung der Persönlichkeitsrechtsinteressen der Verfügungsklägerin mit der zugunsten des Verfügungsbeklagten streitenden Meinungsfreiheit ergibt unter Berücksichtigung der im Eilverfahren zulässigen Glaubhaftmachungsmittel und der prozessualen Besonderheiten, dass den Interessen der Verfügungsklägerin der Vorrang einzuräumen ist. Durch diese Äußerung greift der Verfügungsbeklagte rechtswidrig in das durch § 823 Abs. 1 BGB geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Im Einzelnen gilt folgendes:

Grundsätzlich unterfällt die streitgegenständliche Äußerung dem Schutzbereich des Art. 5 I GG, da es sich um eine Meinungsäußerung handelt. Eine Meinungsäußerung liegt vor, wenn die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist (std. Rspr. BVerfG NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; BGH NJW 2002, 1192; Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 48 m.w.N.). Von einer Meinungsäußerung ist auszugehen, wenn Beurteilungen, Wertungen, Einschätzungen erfolgen oder wenn Auffassungen, Ansichten, Anschauungen geäußert werden. Nach diesen Kriterien handelt es sich bei der Äußerung des Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin gebe antisemitische-antizionistische Statements ab, um eine Meinungsäußerung. Sie ist insbesondere durch Elemente des Dafürhaltens und Meines geprägt.

Das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit wird jedoch nicht unbegrenzt gewährleistet. Nach den vom BVerfG und BGH in zahlreichen Entscheidungen für die Beurteilung einer Konfrontation von allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Meinungsäußerungsfreiheit entwickelten Grundsätzen gilt folgendes: Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für „falsch“ oder für „ungerecht“ halten. Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern dient sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung; eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik überhöhte Anforderungen stellt, ist mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar (BVerfGE 42, 163 (170) = NJW 1976, 1680; BVerfGE 66, 116 (139) = NJW 1984, 1741; BVerfGE 68, 226 (232) = NJW 1985, 787).

Für die Beurteilung der Reichweite des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 Abs. 1 GG kommt es ferner maßgeblich darauf an, ob und in welchem Ausmaß der von den Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen und sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begeben hat. Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, hat die Äußerung – auch wenn sie eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage betrifft – als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten (vgl. BGH NJW 2000, 3421, 3422 – Babycaust m.w.N.). Demnach ist eine Äußerung unter dem Gesichtspunkt der Schmähkritik nur dann unzulässig, wenn hinreichend Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass es dem Kritiker statt um die Sache um vorsätzliche Kränkung des Betroffenen geht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf abzustellen, ob die streitige Äußerung zu einer zugrundeliegenden Auseinandersetzung Sachnähe hat (OLG Köln AfP 1983, 472; Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 5 Rn. 101 m.w.N.). Nach diesen Beurteilungsgrundsätzen muss die Verfügungsklägerin die Äußerung des Verfügungsbeklagten, sie gebe antisemitische Statements ab, in der konkreten Fassung des streitgegenständlichen Briefs des Verfügungsbeklagten an die Intendantin des WDR vom 05.05.2008 (Anlage ASt 2) nicht hinnehmen, weil sie nach Auffassung der Kammer über das noch hinnehmbare Maß einer zulässigen Kritik hinaus geht. In diesem konkreten Kontext ist für den unbefangenen Durchschnittsleser eine sachliche Grundlage der Äußerung nicht ersichtlich.

Der Verfügungsbeklagte hat der Verfügungsklägerin vorgeworfen, ihre „Spezialität“ seien „antisemitische-antizionistische Statements“. Maßgebend für Inhalt und Bedeutung dieser Aussage ist der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (BVerfG NJW 2006, 207, 208 – „IM-Sekretär“ Stolpe). Dabei ist unter dem Durchschnittsempfänger grundsätzlich derjenige zu verstehen, der mit der Materie nicht (speziell) vertraut ist (vgl. Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 4 m.w.N.). Nur soweit sich eine Aussage an einen speziellen Kreis, wie z.B. ein Fachpublikum, wendet, kommt es auf das Verständnis dieses eingeschränkten Kreises an (vgl. Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 6). Ferner sind Anlass und Kontext der Äußerung (ihre „Einbettung“; BVerfG NJW 2005, 3274, 3275) zu berücksichtigen, soweit sie für den Empfänger (Leser, Hörer, Zuschauer, Betrachter) erkennbar sind.

Nach diesem Beurteilungsmaßstab ist dem Verfügungsbeklagten der Vorwurf, die Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab, wie er in dem konkreten Kontext geäußert wurde, zu untersagen. Die beiden Elemente des Vorwurfs, die Verfügungsklägerin gebe antisemitisch-antizionistische Statements ab, werden vom Rezipienten inhaltlich nicht gleich verstanden. Antisemitismus ist aus seiner Sicht wesentlich mehr als eine kritische Einstellung gegenüber israelischer Politik und dem Staat Israel, denn mit diesem Begriff wird nicht die Einstellung gegenüber einem Staat, sondern die Feindschaft gegenüber einem ganzen Volk bzw. den Juden allgemein gekennzeichnet. Aus Sicht des Durchschnittslesers ist daher die Verwendung des Begriffs „antisemitisch“ besonders schwerwiegend und wie kaum ein anderer Vorwurf geeignet, den mit dieser Geisteshaltung in Verbindung gebrachten in den Augen der Öffentlichkeit herabzusetzen. Dies beruht auf den grauenhaften Folgen, die der Antisemitismus gerade in Deutschland herbeigeführt hat. Er war „weltanschauliche Grundlage“ für den von Deutschen begangenen Völkermord an Juden. Diese Dimension ist es, die es in besonderem Maße ehrenrührig erscheinen lässt, einer Geisteshaltung beschuldigt zu werden, die solches ermöglicht hat. Vor diesem Hintergrund ist aufgrund des Begriffsverständnisses des Durchschnittslesers die Unterlassungsverfügung auf den Vorwurf, die Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab, zu beschränken.

Ferner kann der Einwand des Verfügungsbeklagten, er habe der Verfügungsklägerin keine antisemitische Geisteshaltung vorgeworfen, sondern lediglich behauptet, sie gebe antisemitische Statements ab, nicht überzeugen. Zwar enthält die streitgegenständliche Äußerung auch den Tatsachenkern, die Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab, allerdings überwiegt der Wertungscharakter der Äußerung, wonach der Verfügungsklägerin eine antisemitische Gesinnung vorgeworfen wird, so dass letztlich von einer Meinungsäußerung auszugehen ist.

Tatsachen und Werturteile können miteinander verbunden sein bzw. ineinander übergehen (vgl. Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 50 m.w.N.). Vom Überwiegen des Wertungscharakters wird ausgegangen, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm ist, dass er gegenüber dem Wertungscharakter in den Hintergrund tritt. Von einer Meinungsäußerung wird dann ausgegangen, wenn sie in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist. Dies wird in der Regel bei Urteilen und pauschalen Behauptungen angenommen (vgl. Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 50, 53 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser Abgrenzungskriterien handelt es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um ein Werturteil. Der Verfügungsbeklagte bewertet letztlich Äußerungen der Verfügungsklägerin und stuft sie als antisemitisch ein. Der unbefangene Durchschnittsleser nimmt an, dass jemand, der – wie vom Verfügungsbeklagten vorgeworfen – auf antisemitische Statements spezialisiert ist, auch eine antisemitische Gesinnung vertritt. Üblicherweise geben nur solche Personen antisemitische Statements ab, die auch einer antisemitischen Geisteshaltung anhängen.

Selbst wenn die Äußerung in dem vom Beklagten behaupteten Sinne verstanden wird, läge immer noch eine mehrdeutige Äußerung vor. Diese wäre an den Maßstäben zu messen, die das Bundesverfassungsgericht in der „Babycaust-Entscheidung“ (BVerfG NJW 2006, 3769, 3773 – Babycaust) aufgestellt hat. Danach ist bei mehrdeutigen Äußerungen zu berücksichtigen, dass bei der Unterlassung künftiger Äußerungen nicht in demselben Maße ein Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung des sich Äußernden besteht wie bei der Sanktionierung vergangener Äußerungen. Denn der sich Äußernde hat die Möglichkeit, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist. Ist der Äußernde nicht bereit, der Aussage einen eindeutigen Inhalt zu geben, besteht kein Grund, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulässt. Der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht sind vielmehr alle nicht entfernt liegenden Deutungsvarianten zugrunde zu legen, die dieses Recht beeinträchtigen (vgl. BVerfG NJW 2006, 3769, 3773 – Babycaust; BVerfG NJW 2006, 207 – „IM-Sekretär“ Stolpe). Zu messen ist die presserechtliche Zulässigkeit dann an der Deutungsvariante, die den Betroffenen am stärksten belastet. Auch wenn man von einer Mehrdeutigkeit der Äußerung ausgehen wollte, wäre die presserechtliche Zulässigkeit – und nur über diese hat die Kammer vorliegend zu befinden – daher auch insoweit an dem Verständnis, das der Durchschnittsempfänger der streitgegenständlichen Äußerung beimisst, zu messen, da dieses die Verfügungsklägerin in einem stärkeren Maße belastet als die vom Verfügungsbeklagten zugrunde gelegte Deutungsmöglichkeit.

Die Unzulässigkeit der – wie soeben dargestellt – ehrverletzenden Äußerung des Verfügungsbeklagten ergibt sich nach Auffassung der Kammer daraus, dass sie unter Berücksichtigung des konkreten Äußerungszusammenhangs eines ausreichenden sachlichen Bezugpunkts entbehrt. Der auf der Internetseite www.###### veröffentlichte Brief des Verfügungsbeklagten vom 05.05.2008 enthält keine sachlichen Anknüpfungstatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Verfügungsbeklagte auf eine Auseinandersetzung in der Sache abzielt. Da der Brief eine Reaktion auf das Interview der Verfügungsklägerin vom 03.05.2008 in der Sendung „Hallo Ü-Wagen“ bei WDR 5 darstellt und das Schreiben keine anderen tatsächlichen bzw. sachlichen Grundlagen enthält, könnte sich für einen unbefangenen Leser der Internetseite, auf der der Brief veröffentlicht wurde, der erforderliche Sachbezug für die streitgegenständliche Äußerung nach Ansicht der Kammer alleine aus dem Inhalt des Interviews vom 03.05.2008 mit der Verfügungsklägerin ergeben. Der Verfügungsbeklagte hat jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Ende der mündlichen Verhandlung, nicht vorgetragen, dass die Verfügungsklägerin in dem betreffenden Interview am 03.05.2008 antisemitische Äußerungen abgegeben habe. Daher stellt das Interview keinen ausreichenden Bezugspunkt für den Antisemitismusvorwurf dar. Im übrigen enthält der Brief des Verfügungsbeklagten keine sachlichen Anhaltspunkte, die Rückschlüsse auf den streitgegenständlichen Vorwurf, die Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab, zulassen. Der Brief setzt sich ersichtlich nicht konkret mit den Äußerungen der Verfügungsklägerin in der Sendung „Hallo Ü-Wagen“ oder sonst in der Vergangenheit auseinander.

Soweit der Verfügungsbeklagte den Sachbezug seiner Äußerung auf Leserbriefe und Stellungnahmen der Verfügungsklägerin aus den Jahren 2006 und 2007 und in diesem Zusammenhang insbesondere auf ein Interview der Verfügungsklägerin vom 09.03.2007 stützt, ist dieser Sachbezug für den Durchschnittsleser jedenfalls im Hinblick auf die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Äußerungen nicht ersichtlich.

Die streitgegenständliche Äußerung des Verfügungsbeklagten ist nach Auffassung der Kammer auch nicht nach der von der Rechtsprechung entwickelten sog. Gegenschlagthese zulässig (vgl. BVerfG NJW 1961, 819; BVerfG NJW 1969, 227; BGH GRUR 1971, 529; BGB NJW 1971, 1655 – Sabotage; BGH NJW 1974, 1762, 1763 – Deutschlandstiftung). Nach ständiger Rechtsprechung sind nach dem sog. Recht auf Gegenschlag Äußerungen grundsätzlich zulässig, wenn es sich um eine adäquate Reaktion auf einen anderen Vorgang handelt. In einem schwebenden Meinungskampf ist die Verknüpfung von Anlass und Reaktion nicht auf gegenseitige Beleidigungen beschränkt. Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind anlässlich der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen (vgl. Übersicht zur Rechtsprechung Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 6 Rn. 21 ff.). Allerdings stellt das Recht zum Gegenschlag keinen Freibrief für polemische Ausfälle dar, die jedes Maß vermissen lassen (BGH NJW 1974, 1762, 1763 – Deutschlandstiftung). Bestimmte Grenzen sind auch unter den Voraussetzungen eines Gegenschlages zu wahren, insbesondere die Grenzen der Schmähkritik. Die Kammer hat berücksichtigt, dass zwischen den Parteien eine auch in der Öffentlichkeit ausgetragene Meinungsauseinandersetzung geführt wird, in welcher beide Parteien zum Teil auch ehrverletzende Formulierungen verwenden. Ein sachlicher Anlass, auf die politische Grundhaltung der Verfügungsklägerin einzugehen und sie wertend zu kritisieren, ist zwar grundsätzlich aus den eigenen Stellungnahmen der Verfügungsklägerin, z.B. zu der Rücknahme der Erklärung der Bischöfe I und N gegeben, so dass diese sich auch in erheblichem Maße Kritik wegen derartiger öffentlicher Äußerungen gefallen lassen muss. Jedoch ist auch die Schwere des streitgegenständlichen Vorwurfs zu berücksichtigen. Je schwerer der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen wiegt, umso höhere Anforderungen sind an die Angemessenheit einer solchen Kritik zu stellen (vgl. BGH NJW 1974, 1762). Die streitgegenständliche Äußerung überschreitet im Rahmen einer Gesamtabwägung die Grenze einer zulässigen Kritik, da sie aufgrund der Schwere des Vorwurfs nach dem maßgeblichen Vortrag der Parteien keine solchen Bezugspunkte enthält, die eine derart schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung noch als angemessen erscheinen lässt. Vielmehr steht, wie sich auch aus dem Kontext der streitgegenständlichen Äußerung ergibt, im konkreten Äußerungszusammenhang die Diffamierung der Verfügungsklägerin und nicht die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund.

Zudem ist die Wiederholungsgefahr als materielle Anspruchsvoraussetzung des Unterlassungsanspruchs gegeben. Diese wurde bereits durch die Erstbegehung indiziert (Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 12 Rn. 17 m.w.N.). Mangels Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung des Verfügungsbeklagten bestand sie daher weiterhin.

Der Ausspruch im Urteil war allerdings auf die konkrete Verletzungsform zu beschränken, da die streitgegenständliche Äußerung aus ihrem Kontext gelöst zu einem anderen, weil weiteren, Verständnis des Verbots führen würde (vgl. Wenzel, 5. Auflage, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 12, Rn. 149).

Auch ein Verfügungsgrund lag vor. Dies ergibt sich insbesondere aus der fortdauernden Veröffentlichung der streitgegenständlichen Äußerung im Internet. Der Dringlichkeit steht auch nicht entgegen, dass der Verfügungsbeklagte den streitgegenständlichen Brief bereits Anfang Mai an die Intendantin des WDR geschickt hat. Die Veröffentlichung des Briefes im Internet auf der Webseite www.(…) erfolgte erst am 30.05.2008. Zuvor hatte die Verfügungsklägerin von der Äußerung des Verfügungsbeklagten keine Kenntnis. Sodann trat sie durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 11.06.2008 an den Verfügungsbeklagten mit dem Unterlassungsbegehren heran. Nachdem das Antwortschreiben des Verfügungsbeklagten am 17.06.2008 bei den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin einging, haben diese mit Schreiben vom 26.06.2008, bei Gericht eingegangen am 27.06.2008, also etwa 1 ½ Wochen später, den Antrag eingereicht. Demnach liegt kein die Eilbedürftigkeit ausschließendes Zuwarten seitens der Verfügungsklägerin vor. Soweit der Verfügungsbeklagte vorträgt, die streitgegenständliche Äußerung könne keine Auswirkungen mehr auf die Teilnahme der Verfügungsklägerin an der WDR 5-Sendung „Hallo Ü-Wagen“ haben, kann dies nicht überzeugen. Vorliegend geht es nicht um die Teilnahme der Verfügungsklägerin an dieser Sendung, sondern um den Schutz vor einer Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die sich aus der Veröffentlichung der Äußerung im Internet auf der Seite www.(…) ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Einschränkung der Unterlassungsverfügung auf die konkrete Äußerung, wie sie in der Fassung des Briefs vom 05.05.2008 erfolgt ist, stellt ein Minus zu der ursprünglich in der einstweiligen Verfügung vom 27.06.2008 verbotenen Äußerung dar. Dem Verfügungsbeklagten wird im Gegensatz zur Tenorierung der einstweiligen Verfügung vom 27.06.2008 nicht mehr ganz allgemein die streitgegenständliche Äußerung verboten, sondern eingeschränkt auf den konkreten Äußerungszusammenhang, wie aus Anlage ASt 2 ersichtlich, da in diesem Zusammenhang der erforderliche Sachbezug, wie oben ausgeführt, für einen objektiven Dritten nicht zu erkennen ist.

Das die einstweilige Verfügung bestätigende Urteil ist nach der Natur des einstweiligen Rechtsschutzes auch wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 925 Rn. 2). Es wirkt wie die ursprüngliche einstweilige Verfügung und ist daher ohne besonderen Ausspruch mit der Verkündung vorläufig vollstreckbar (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 925 Rn. 9). Soweit die einstweilige Verfügung aufgehoben wurde, ergibt sich die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Soweit die Parteien nach der mündlichen Verhandlung zur Sache weiter schriftsätzlich vorgetragen haben, ist dieser Vortrag als verspätet gemäß § 296 a ZPO zurückzuweisen. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO scheidet vorliegend aus, da dies zu einer Verzögerung des einstweiligen Verfügungsverfahrens führen würde. Dies würde dem Charakter des einstweiligen Verfügungsverfahrens als Eilverfahren widersprechen (vgl. OLG München NJW-RR 1994, 556).

Streitwert: 20.000,00 €

„Es folgt eine Fotokopie der im Tenor genannten Anlage ASt 2“.

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