Akteneinsicht in Filesharingfällen

22. Oktober 2008
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Eigener Leitsatz:

Bei den IP-Adressen handelt es sich zwar um Verkehrsdaten, die dem Fernmeldegeheimnis grundsätzlich unterliegen, jedoch werden diese innerhalb von Internettauschbörsen vom Verwender freiwillig preisgegeben.Der dazugehörige Anschlussinhaber fällt in die Gruppe der Bestandsdaten, die dem Fernmeldegeheimnis generell nicht unterfallen. Die Gewährung der Akteneinsicht für den Verletzten ist somit bei Filesharingfällen grundsätzlich möglich, da innerhalb dieser ein Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis nicht mehr möglich ist. Das berechtigte Interesse ergibt sich aus der Durchsetztung zivilrechtlicher Ansprüche.

Landgericht Stralsund

Beschluss vom 11.07.2008

Az.: 26 Qs 177/08

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren gegen … wegen Verstoßes gegen das Urheberrecht hat die 26. Kammer (Strafbeschwerdekammer) des Landgerichts Stralsund durch … am 11.07.2008 beschlossen:

Den Anzeigeerstattern ist über deren Rechtsanwälte …, Akteneinsicht nach § 406e StPO zu gewähren.

Die Kosten, die durch diese Entscheidung entstanden sind, hat der Beschuldigte zu tragen.

Gründe

Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen besteht der Verdacht, dass von dem dem Beschuldigten zuzuordnenden Computer im Rahmen einer Internet-Tauschbörse das Herunterladen von Musikdateien angeboten worden ist, deren Verwertung urheberrechtlich zu Gunsten der Anzeigeerstatterinnen … geschützt ist. Die Anzeigeerstatterinnen haben einen Anspruch auf Akteneinsicht gem. § 406 e StPO. Zu den dagegen erhobenen Einwendungen des Beschuldigten hat die Staatsanwaltschaft u.a. ausgeführt:

„Sofern der Verteidiger mit Schriftsatz vom 18.06.2008 (Bl. 87 d.A.) dem Akteneinsichtsgesuch unter Hinweis auf die Entscheidung des LG Frankenthal vom 21.05.2008 widerspricht, ist Folgendes auszuführen. Die Entscheidung basiert auf einer unzutreffenden Einteilung von Verkehrs- und Bestandsdaten. Zutreffend ist insoweit, dass es sich bei der IP-Adresse um Verkehrsdaten handelt, die grundsätzlich dem Fernmeldege heimnis unterfallen. Diese werden von der Ermittlungsbehörden jedoch nicht ermittelt. Die IP-Adressen werden von den Betroffenen bei der Nutzung der Tauschbörse freiwillig preisgegeben und können von jedermann eingesehen werden. Dabei gibt der Betroffene sein geschütztes Rechtsgut freiwillig auf. Anders könnte eine Tauschbörse auch nicht funktionieren. Von den Ermittlungsbehörden wird die vom Anzeigenerstatter mitgeteilte IP-Adresse lediglich mit dem dazugehörigen Anschlussinhaber versehen. Bei diesen Daten handelt es sich jedoch nach ganz überwiegender Meinung – wie sie auch in die Entscheidung des LG Frankenthal zitiert, aber unzutreffend ausgewertet wird – um Bestandsdaten, die nicht dem Fernmeldegeheimnis unterfallen. Für die Erlangung dieser Daten beim Provider sind daher auch keine richterlichen Beschlüsse
nach § 100 g StPO erforderlich. Die Daten werden bisher auch nicht auf der Grundlage der Datenvorratsspeicherung nach § 113 a TKG ermittelt, die im übrigen von den Providern noch nicht umgesetzt ist. Die Daten werden nach wie vor aus den zu Abrechnungszwecken gespeicherten Datensätzen erhoben. Die Notwendigkeit der Auskunftsersuchen ergibt sich zudem allein aus dem technischen Umstand der für private Anschlüsse zur Optimierung der Serverauslastung verwendeten dynamischen IP-Adressen. Für statische IP-Adressen lässt sich der Anschlussinhaber problemlos ohne Einschaltung der Ermittlungshehörden von jedermann über Internetdienste wie z.B. ripe herausfinden. Dass die Nutzung einer dynamischen IPAdresse dem Fernmeldegeheimnis unterfallen soll und die Nutzung einer statischen IP-Adresse nicht, ist nicht nachvollziehbar. Für die Frage des Fernmeldegeheimnisses kommt es daher allein darauf an, ob sich der Nutzer freiwillig der von ihm genutzten IP entäußert, wie bei Filsharing-Netzwerken. In diesen Fällen ist ein Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis nicht mehr möglich. So wird die Sachlage auch in der Entscheidung des BVerfG vom 11.03.2008 – 1 BvR 256/08 – dargestellt. Bei der Abschätzung der Auswirkungen des
Beschlusses stellt das BVerfG ausdrücklich klar, dass die Ermittlung von Anschlussinhabern bei Filesharing-Netzwerken nicht unter die in dem Beschluss getroffenen Einschränkungen der Auskunftspflicht fallen, da es sich um Bestandsdaten handelt, die bereits von den Providern aus den zu Abrechnungszwecken gespeicherten Daten zu erheben sind. Das BVerfG führt unter Rz.173 der Entscheidung aus: „Dieses Risiko [der Vereitelung von Ermittlungsverfahren durch die einschränkende Auslegung des § 100g StPO durch den Beschluss, Anm. Verf.] ist dadurch gemildert, dass den Strafverfolgungsbehörden die ihnen schon bisher eröffneten Möglichkeiten des Zugriffs auf die vom Telekommunikations-Dienstanbieter im eigenen Interesse, etwa gem. § 97 i.V.m. 96 I TKG zur Entgeltabrechnung, gespeicherten Telekommunikationsdaten erhalten bleiben.“ Auf dieser Möglichkeit basieren die Ermittlungen auch in dem vorliegenden Verfahren.

Ergänzend ist Folgendes auszuführen.Nach § 406 e StPO hat die Geschädigte einen Anspruch auf Akteneinsicht. Das berechtigte Interesse an der Akteneinsicht wird nach § 406 e Abs. 1 Satz 2 StPO in den Fällen vom Gesetz unterstellt, in denen eine Nebenklagebefugnis besteht. Die Geschädigte ist nach § 395 Abs. 2 Ziff. 2 zum Anschluss als Nebenklägerin befugt. Das Interesse der Geschädigten an der Akteneinsicht kann dabei auch in der Durchsetzung zivilrechtlicher
Ansprüche liegen (BVerfG, Beschl. v. 05.12.2006, Az. 2 BvR 2388/06; LG Stralsund, StraFO 06, 76). Die Vorschrift des § 406e StPO stellt ähnlich dem Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO eine Durchbrechung des Grundsatzes dar, dass das Strafverfahren nicht der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche dient. In § 406e StPO hat der Gesetzgeber geregelt, dass die im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse für den Geschädigten auch zur Verfolgung seiner zivilrechtlichen Ansprüche verfügbar gemacht werden sollen (BVerfG aaO.). [. ..] Soweit in der Literatur umstritten ist, ob sich das Auskunftsrecht der Geschädigten nur auf Beweise beziehen kann, die auch im Zivilverfahren rechtmäßig erlangt werden könnten und damit Akteneinsicht zur Kenntnisnahme von Beweisen, welche im Zivilverfahren insbesondere als Ausforschungsbeweise unzulässig wären, zu versagen ist (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. § 406e Rn.3), ist Folgendes anzumerken. Gegen eine entsprechende Einschränkung spricht eindeutig, dass der Gesetzgeber sie nicht vorgesehen, sondern ausdrücklich
ein umfassendes Akteneinsichtsrecht der Geschädigten normiert hat. Auch im Adhäsionsverfahren können alle im Strafverfahren erlangten Beweise für die zivilrechtliche Entscheidung verwendet werden. Nach § 406 e Abs. 2 StPO ist der Geschädigten die Akteneinsicht nur dann zu versagen, wenn die Beschuldigte gegen die Weitergabe ihrer Daten überwiegende schutzwürdige Interessen geltend machen könnte. Aufgrund des beschriebenen Zwecks der Norm kann das Interesse der Geschädigten, nicht mit zivilrechtlichen Haftungsfragen konfrontiert zu werden, jedenfalls nicht als überwiegend schutzwürdig anerkannt werden. Auch der Umstand, dass die Beschuldigte nach ihren Angaben bereits eine Unterlassungserklärung abgegeben hat, ist nicht ausreichend, da so wiederum die  Strafverfolgungsbehörden im Wege der Bescheidung von Akteneinsichtsgesuchen die zivilrechtlichen Fragenstellungen zum Umfang von Unterlassungserklärungen
und Schadensersatzpflichten vorab entscheiden würden. Weitere Gründe und Interessen, die in die Abwägung einzustellen wären, hat die Beschuldigte nicht vorgebracht.“

Dem tritt die Kammer bei.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 i.V.m. §§ 161 a Abs. 3 S. 3 und 406 e Abs. 4 S. 2 StPO.

Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (§ 161 a Abs. 3 S. 4 i.V.m. § 406 e Abs. 4 S. 2 StPO.

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