Weinkaraffe

07. September 2012
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Eigener Leitsatz:

Der BGH bestätigte in der Revision ein Urteil des OLG Frankfurt am Main, wonach die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung nicht einzelne Bestandteile eines eingetragenen Geschmacksmusters schützt. Vorliegend ist die Klägerin Inhaberin eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters, das eine Weinkaraffe mit Sockel zeigt. Die Beklagte vertreibt eine sehr ähnliche Weinkaraffe, wodurch sich die Klägerin in ihrem Klagemuster verletzt sieht. Das OLG habe jedoch zu Recht angenommen, dass nur die Karaffe und der Sockel in Kombination, nicht jedoch die Karaffe für sich allein geschützt ist.

 

Bundesgerichtshof

Urteil vom 08.03.2012

Az.: I ZR 124/10

 

a) Schutzgegenstand des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon. Unterschiedliche Darstellungen eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters in der Anmeldung bilden nicht mehrere Schutzgegenstände. Führen unterschiedliche Darstellungen eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters in der Anmeldung zu Unklarheiten über den Schutzgegenstand, ist der Schutzgegenstand durch Auslegung zu ermitteln.

b) Teile oder Elemente eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters sind nach der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung nicht eigenständig geschützt.

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. März 2012

für R e c h t erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. Juni 2010 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, wegen der behaupteten Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters an der Gestaltung einer Weinkaraffe in Anspruch.

Die Klägerin ist Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. 000383757-0001 (im Weiteren: Klagemuster), das am 8. August 2005 angemeldet und am 20. September 2005 bekanntgemacht worden ist. Die Wiedergabe des Klagemusters zeigt eine Karaffe in sieben Ansichten. Auf vier Ansichten ist die Karaffe zusammen mit einem Sockel zu sehen, auf drei Ansichten ist die Karaffe allein wiedergegeben. Nachfolgend ist eine der vier Ansichten der Karaffe mit Sockel und eine der drei Ansichten der Karaffe ohne Sockel abgebildet:

Ansicht der Karaffe mit Sockel Ansicht der Karaffe ohne Sockel

Die Beklagte vertreibt die nachstehend abgebildete Weinkaraffe:

Nach Ansicht der Klägerin verletzt die Beklagte mit dem Vertrieb dieser Weinkaraffe das Klagemuster. Sie nimmt die Beklagte deshalb auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung von Rechtsanwalts- und Patentanwaltskosten für das Abschlussschreiben im vorausgegangenen Verfahren der einstweiligen Verfügung in Anspruch.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat widerklagend beantragt, das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin für nichtig zu erklären.

Das Landgericht hat die Klage und die Widerklage abgewiesen. Die Berufung der Parteien ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche für begründet erachtet, weil die Beklagte mit dem Vertrieb ihrer Weinkaraffe das Klagemuster verletze. Dazu hat es unter Bezugnahme auf die Entscheidung eines anderen Senats des Berufungsgerichts im vorausgegangenen Verfahren der einstweiligen Verfügung (OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2008, 333 f. unter 1 a) ausgeführt:

Der Schutz des Klagemusters beziehe sich auf die in vier Einzeldarstellungen wiedergegebene Kombination von Karaffe und Sockel. Die drei Einzeldarstellungen, auf denen die Karaffe allein abgebildet sei, verdeutlichten die Gestaltung der Karaffe, ohne einen eigenständigen Schutz für die Karaffe allein zu begründen. Die von der Beklagten vertriebene Karaffe erwecke beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck als das Klagemuster.

Denn der Gesamteindruck des Kombinationsmusters der Klägerin werde maßgeblich auch von dem Sockel mitbestimmt, auf den die Beklagte bei ihrem Modell verzichte. Die Klägerin könne keinen Schutz allein für die Karaffe in Anspruch nehmen. Die Geschmacksmusterverordnung gewähre keinen Schutz für Teile oder Elemente eines eingetragenen Musters.

II. Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung (Art. 89 Abs. 1 Buchst. a GGV), Auskunftserteilung (Art. 89 Abs. 1 Buchst. d GGV, § 46 Abs. 1 und 3 GeschmMG), Feststellung der Schadensersatzpflicht (Art. 89 Abs. 1 Buchst. d GGV, § 42 Abs. 2 GeschmMG) und Erstattung von Rechtsanwalts- und Patentanwaltskosten für das Abschlussschreiben im vorausgegangenen Verfahren der einstweiligen Verfügung (Art. 88 Abs. 2 und 3 GGV, §§ 677, 683, 670 BGB, § 52 Abs. 4 GeschmMG) unbegründet sind, weil die Beklagte mit dem Vertrieb der Weinkaraffe das Geschmacksmuster der Klägerin nicht verletzt.

1. Nach Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GGV ist im vorliegenden Verletzungsverfahren von der Rechtsgültigkeit des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters und damit vom Vorliegen der Schutzvoraussetzungen (Art. 4 Abs. 1 GGV) der Neuheit (Art. 5 GGV) und der Eigenart (Art. 6 GGV) sowie vom Fehlen von Schutzausschließungsgründen (Art. 8, 9 GGV) auszugehen. Die von der Beklagten gemäß Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GGV erhobene Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit des Klagemusters ist – nachdem die Beklagte das Berufungsurteil insoweit nicht angegriffen hat – rechtskräftig abgewiesen.

2. Das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gewährt seinem Inhaber nach Art. 19 Abs. 1 GGV unter anderem das ausschließliche Recht, Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen und insbesondere
anzubieten und in Verkehr zu bringen. Der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstreckt sich gemäß Art. 10 Abs. 1 GGV auf jedes Muster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt.

3. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass Gegenstand des Klagemusters die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines aus einer Karaffe und einem Sockel bestehenden Kombinationserzeugnisses ist (dazu a) und dass die von der Beklagten vertriebene Weinkaraffe beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck als das Klagemuster erweckt (dazu b). Es ist auch mit Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Schutz allein für die Karaffe als Teil oder Element des Klagemusters beanspruchen kann (dazu c).

a) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, Gegenstand des Klagemusters sei die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines aus einer Karaffe und einem Sockel bestehenden Kombinationserzeugnisses. Die Revision macht ohne Erfolg geltend, auch die Einzeldarstellungen dieser Karaffe seien Schutzgegenstand des Klagemusters.

aa) Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes ist beim eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster – wie auch beim deutschen Geschmacksmuster – die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon.

(1) Im Sinne des deutschen Geschmacksmustergesetzes ist ein Muster nach § 1 Nr. 1 GeschmMG die zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt,
Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GeschmMG muss die Anmeldung zur Eintragung eines Geschmacksmusters in das Register eine zur Bekanntmachung geeignete Wiedergabe des Musters enthalten. Nach § 37 Abs. 1 GeschmMG wird der Schutz für diejenigen Merkmale der Erscheinungsform eines Geschmacksmusters begründet, die in der Anmeldung sichtbar wiedergegeben sind. Der Schutzgegenstand des Geschmacksmusters wird danach durch diejenigen Merkmale der Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon begründet, die in der Anmeldung sichtbar wiedergegeben sind.

(2) Auch die Geschmacksmusterverordnung bezeichnet in Art. 3 Buchst. a GGV die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon als „Geschmacksmuster“, „die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt“. Gemäß Art. 36 Abs. 1 Buchst. c Satz 1 GGV muss die Anmeldung des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gleichfalls eine zur Reproduktion geeignete Wiedergabe des Geschmacksmusters enthalten. Die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung enthält zwar keine § 37 Abs. 1 GeschmMG entsprechende Bestimmung. Dass der Schutz für diejenigen Merkmale der Erscheinungsform eines Geschmacksmusters begründet wird, die in der Anmeldung sichtbar wiedergegeben sind, ist jedoch ein allgemein anerkannter Grundsatz des Geschmacksmusterrechts (vgl. etwa Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen), der auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung und auch im Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht gilt (vgl. Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein, GeschmMG, 4. Aufl., § 37 Rn. 2). Der Schutzgegenstand des Gemeinschaftsgeschmacksmusters wird danach gleichfalls durch diejenigen Merkmale der Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon begründet, die in der Anmeldung sichtbar wiedergegeben sind.

bb) Die Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters begründet – wie auch die Anmeldung eines deutschen Geschmacksmusters – selbst dann Schutz nur für ein einziges Muster, wenn sie unterschiedliche Darstellungen der Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon enthält.

(1) Die Anmeldung eines Geschmacksmusters muss grundsätzlich nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 GeschmMG eine zur Bekanntmachung geeignete Wiedergabe des Musters enthalten. Die Wiedergabe besteht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 GeschmMV aus bis zu zehn fotografischen oder sonstigen grafischen Darstellungen des Musters. Dabei darf eine einzelne Darstellung nach § 6 Abs. 3 Satz 3 GeschmMV nur eine Ansicht – also einen bestimmen Aspekt des Musters (v. Falckenstein in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 11 Rn. 25) – zeigen.

Enthält die Anmeldung eines Geschmacksmusters eine Wiedergabe mit mehreren Darstellungen des Musters, bilden diese Darstellungen auch dann nur einen einzigen Schutzgegenstand, wenn sie verschiedene Ausführungsformen des Musters zeigen. Mit der Einzelanmeldung eines Geschmacksmusters wird Schutz nur für ein einheitliches Muster beansprucht. Abweichungen der Darstellungen führen daher nicht zu einer Vermehrung der Schutzgegenstände (vgl. zu § 7 Abs. 3 Nr. 2 GeschmMG in der bis zum 31. Mai 2004 geltenden Fassung [GeschmMG aF] BGH, Urteil vom 15. Februar 2001 – I ZR 333/98, GRUR 2001, 503, 505 = WRP 2001, 946 – Sitz-Liegemöbel).

(2) Auch die Anmeldung des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters muss grundsätzlich nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. c Satz 1 GGV eine zur Reproduktion geeignete Wiedergabe des Geschmacksmusters enthalten. Die
Wiedergabe des Geschmacksmusters besteht gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) 2245/2002 zur Durchführung der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGDV) aus einer fotografischen oder sonstigen grafischen Darstellung des Geschmacksmusters in schwarz-weiß oder in Farbe. Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 GGDV können nicht mehr als sieben verschiedene Ansichten des Musters wiedergegeben werden. Eine einzelne fotografische oder sonstige grafische Darstellung darf nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 GGDV nur eine Ansicht zeigen.

Da mit der Einzelanmeldung eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters Schutz nur für ein einheitliches Geschmacksmuster beansprucht wird, bilden mehrere in der Anmeldung eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters enthaltene Darstellungen des Geschmacksmusters selbst dann nur einen einzigen Schutzgegenstand und nicht etwa mehrere Schutzgegenstände, wenn sie verschiedene Ausführungsformen des Geschmacksmusters zeigen.

cc) Enthält die Einzelanmeldung eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters – oder eines deutschen Geschmacksmusters – Darstellungen verschiedener Ausführungsformen des Geschmacksmusters und entstehen dadurch Unklarheiten über den Schutzgegenstand, ist der Schutzgegenstand durch Auslegung zu ermitteln.

Die Anmeldung eines Geschmacksmusters ist nicht nur eine Verfahrenshandlung, sondern auch eine Willenserklärung. Der Anmelder bringt damit sein Begehren zum Ausdruck, für die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon Geschmacksmusterschutz zu erlangen. Bei Unklarheiten der Anmeldung ist daher der Wille des Anmelders durch Auslegung zu ermitteln. Dabei muss auf den Empfängerhorizont der Fachkreise des betreffenden Sektors abgestellt werden. Denn bei der Auslegung muss das Interesse des Verkehrs berücksichtigt werden, klar erkennen zu können, wofür der Anmelder Schutz beansprucht. Im Wege der Auslegung können auf diese Weise auch Unklarheiten beseitigt werden, die durch unterschiedliche Darstellungen verschiedener Ausführungsformen des Geschmacksmusters in der Anmeldung entstehen (v. Falckenstein in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 11 Rn. 28; Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 37 Rn. 1 und 7; Ruhl, GGV, 2. Aufl., Art. 3 Rn. 143 und Art. 36 Rn. 75).

Als Auslegungshilfe kann insbesondere die (fakultative) Beschreibung (§ 11 Abs. 4 Nr. 1 GeschmMG; Art. 36 Buchst. a GGV) herangezogen werden, die bestimmungsgemäß der Erläuterung der Wiedergabe dient (v. Falckenstein in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 11 Rn. 66; Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 37 Rn. 10). Aber auch die (obligatorische) Angabe der Erzeugnisse, in die das Geschmacksmuster aufgenommen oder bei denen es verwendet werden soll (§ 11 Abs. 2 Nr. 4 GeschmMG; Art. 36 Abs. 2 GGV), und das (fakultative) Verzeichnis mit der Warenklasse oder den Warenklassen, in die das Geschmacksmuster einzuordnen ist (§ 11 Abs. 4 Nr. 3 GeschmMG), oder die (fakultative) Klassifikation der Erzeugnisse, in die das Geschmacksmuster aufgenommen oder bei denen es verwendet werden soll (Art. 36 Abs. 3 Buchst. d GGV), kommen als Auslegungsmittel in Betracht (vgl. Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 37 Rn. 1 und 11).

Die Angaben nach § 11 Abs. 2 Nr. 4 GeschmMG oder Art. 36 Abs. 2 GGV (Erzeugnis) und § 11 Abs. 4 Nr. 3 GeschmMG oder Art. 36 Abs. 3 Buchst. d GGV (Erzeugnisklasse) haben zwar gemäß § 11 Abs. 5 GeschmMG keinen Einfluss auf den Schutzumfang des Geschmacksmusters und beeinträchtigen gemäß Art. 36 Abs. 6 GGV nicht den Schutzumfang des Geschmacksmusters als solchen. Das gilt nach Art. 36 Abs. 6 GGV – anders als nach § 11 Abs. 5 GeschmMG (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. März 2011 – I ZR 211/08, GRUR 2011, 1112 Rn. 55 = WRP 2011, 1621 – Schreibgeräte) – auch für die Angaben gemäß Art. 36 Abs. 2 GGV (Beschreibung). Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, diese Angaben zur Bestimmung des Schutzgegenstandes des Geschmacksmusters heranzuziehen (vgl. v. Falckenstein in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 11 Rn. 63 und 87).

dd) Das Berufungsgericht hat nach diesen Grundsätzen ohne Rechtsfehler angenommen, dass Gegenstand des Klagemusters die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines aus einer Karaffe und einem Sockel bestehenden Kombinationserzeugnisses ist.

(1) Die Auslegung der Anmeldung eines Geschmacksmusters obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter. In der Revisionsinstanz ist nur zu prüfen, ob der Tatrichter einen zutreffenden Rechtsbegriff zugrunde gelegt, nicht gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen und wesentliche Umstände nicht unberücksichtigt gelassen hat. Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist danach rechtlich nicht zu beanstanden.

(2) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes durch die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon begründet wird (vgl. oben Rn. 14 ff.) und die Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters selbst dann Schutz nur für ein einziges Muster begründet, wenn sie unterschiedliche Darstellungen der Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon enthält (vgl. oben Rn. 17 ff.). Es ist danach – anders als die Revision meint – ausgeschlossen, dass sowohl die Erscheinungsform eines aus einer Karaffe und einem Sockel bestehenden Kombinationserzeugnisses als auch die Erscheinungsform allein einer Karaffe Schutzgegenstand des Klagemusters sind.

(3) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, der Schutz des Geschmacksmusters der Klägerin beziehe sich auf die in vier Einzeldarstellungen wiedergegebene Kombination von Karaffe und Sockel; die drei Einzeldarstellungen, auf denen die Karaffe allein abgebildet sei, verdeutlichten lediglich die Gestaltung der Karaffe.

Weichen verschiedene Darstellungen eines Geschmacksmusters – wie im Streitfall – voneinander ab und entstehen dadurch Unklarheiten über den Schutzgegenstand, ist der Schutzgegenstand des Geschmacksmusters durch Auslegung zu bestimmen (vgl. oben Rn. 22 ff.).

Diese Auslegung kann zu dem Ergebnis führen, dass Abweichungen der Wiedergaben bei der Bestimmung des Schutzgegenstandes außer Betracht bleiben müssen (vgl. BGH, GRUR 2001, 503, 505 – Sitz-Liegemöbel) und der Schutzgegenstand gleichsam aus der Schnittmenge der allen Darstellungen gemeinsamen Merkmale besteht (v. Falckenstein in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 11 Rn. 29).

Die Auslegung kann aber auch ergeben, dass der Schutzgegenstand aus mehreren Gegenständen besteht, die nach der Verkehrsauffassung ein einheitliches Erzeugnis – ein sogenanntes Kombinationserzeugnis – bilden (Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 1 Rn. 29 und § 37 Rn. 7). Dies liegt, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, insbesondere dann nahe, wenn die abgebildeten Einzelgegenstände – wie im Streitfall – ästhetisch aufeinander abgestimmt sind und miteinander in einem funktionalen Zusammenhang stehen (vgl. v. Falckenstein in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 11 Rn. 41; Ruhl aaO Art. 3 Rn. 26 und 148).

Die Revision macht vergeblich geltend, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass Teile eines Erzeugnisses nach Art. 3 Buchst. a GGV bereits als solche Gegenstand eines eigenständigen Geschmacksmusters sein könnten. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin lediglich Geschmacksmusterschutz für den Teil eines Erzeugnisses beansprucht haben könnte. Insbesondere ist weder festgestellt noch vorgetragen, dass sie bei der Anmeldung – etwa durch entsprechende Angaben in der Beschreibung des Geschmacksmusters – für die Fachkreise des betreffenden Sektors erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, sie beanspruche Geschmacksmusterschutz allein für die Gestaltung der Karaffe.

b) Das Berufungsgericht hat weiter angenommen, die von der Beklagten vertriebene Weinkaraffe erwecke beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck als das Klagemuster, weil der Gesamteindruck des Kombinationsmusters der Klägerin maßgeblich auch von dem Sockel mitbestimmt werde, auf den die Beklagte bei dem angegriffenen Modell verzichte. Gegen diese Beurteilung hat die Revision keine Einwände erhoben. Sie lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. zur Bestimmung des Schutzumfangs nach Art. 10 GGV BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – I ZR 71/08, GRUR 2011, 142 Rn. 17 = WRP 2011, 100 – Untersetzer).

c) Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Schutz allein für die Karaffe als Teil oder Element des eingetragenen Geschmacksmusters beanspruchen kann, weil die Geschmacksmusterverordnung – wie auch die Geschmacksmusterrichtlinie und das darauf beruhende Geschmacksmustergesetz in der ab dem 1. Juni 2004 geltenden Fassung – keinen Schutz für Teile oder Elemente eines eingetragenen Musters kennt.

aa) Nach § 1 Abs. 1 GeschmMG aF stand dem Urheber eines gewerbliches Musters oder Modells ausschließlich das Recht zu, dasselbe ganz oder teilweise nachzubilden. Es war allgemein anerkannt, dass danach auch ein in sich geschlossener Teil eines hinterlegten Geschmacksmusters selbständig am Musterschutz teilnehmen konnte, sofern er für sich allein den Erfordernissen der Neuheit und Eigentümlichkeit genügte und eine gewisse Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form aufwies, die es überhaupt möglich machte, einen von der Gesamtform unabhängigen ästhetischen Gesamteindruck der Unterkombination festzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 1977 – I ZR 49/75, GRUR 1977, 602, 605 – Trockenrasierer, mwN; Urteil vom 21. Mai 1979 – I ZR 117/77, GRUR 1979, 705, 706 = WRP 1979, 646 – Notizklötze; Urteil vom 11. Dezember 1997 – I ZR 134/95, GRUR 1998, 379, 381 = WRP 1998, 406 – Lunette, mwN; Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 38 Rn. 28 mwN).

bb) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass diese Grundsätze nicht auf das Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht – und das deutsche Geschmacksmusterrecht neuer Fassung – übertragen werden können (Ruhl aaO Art. 10 Rn. 51-63; Auler in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl., Art. 11 GGV Rn. 6, § 37 GeschmMG Rn. 8 und § 38 GeschmMG Rn. 7 ff.; Jestaedt, GRUR 2008, 19, 22 f.; Ruhl, GRUR 2010, 289, 299 f.; aA Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 38 Rn. 27; Beyerlein in Günther/Beyerlein, GeschmMG, § 38 Rn. 40; Eichmann in Eichmann/Kur, Designrecht, § 2 Rn. 157 f.).

(1) Dem Wortlaut der Geschmacksmusterverordnung lässt sich – wie auch dem Wortlaut der Geschmacksmusterrichtlinie und des diese umsetzen-
den Geschmacksmustergesetzes – kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass für Teile oder Elemente eines eingetragenen Musters für sich genommen Schutz beansprucht werden kann. Es gibt im geltenden Geschmacksmusterrecht keine § 1 Abs. 1 GeschmMG aF entsprechende Bestimmung, die dem Inhaber eines eingetragenen Geschmacksmusters ein ausschließliches Recht an einem Teil eines eingetragenen Geschmacksmusters zuerkennt.

(2) Es besteht auch kein Bedürfnis für einen Schutz von Teilen oder Elementen eines Geschmacksmusters. Denn es ist möglich, auch für die Erscheinungsform von Teilen oder Elementen eines Erzeugnisses den Schutz als Geschmacksmuster zu erlangen. Das folgt unmittelbar daraus, dass ein (Geschmacks-)Muster nach den maßgeblichen Begriffsbestimmungen (Art. 3 Buchst. a GGV; Art. 1 Buchst. a RL 98/71/EG; § 1 Nr. 1 GeschmMG) nicht nur die Erscheinungsform eines (ganzen) Erzeugnisses, sondern auch die Erscheinungsform eines Teils davon ist. Mittelbar ergibt sich dies daraus, dass die Erscheinungsform des Bauelements eines komplexen Erzeugnisses (nur) unter bestimmten Voraussetzungen (Art. 4 Abs. 2 GGV; Art. 3 Abs. 3 RL 98/71/EG; § 4 GeschmMG) als Geschmacksmuster geschützt sein kann.

(3) Die Rechtssicherheit erfordert es, allein solche Erscheinungsformen von Teilen eines Erzeugnisses als eingetragene Geschmacksmuster zu schützen, die als Erscheinungsformen von Teilen eines Erzeugnisses angemeldet und eingetragen sind. Nur unter dieser Voraussetzung können die interessierten Verkehrskreise aufgrund einer Geschmacksmusterrecherche zuverlässig feststellen, was Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes ist. Könnten auch Teile eingetragener Muster als Geschmacksmuster geschützt sein, wäre dagegen oft unklar, ob und inwieweit Teile eines eingetragenen Musters einen solchen Schutz genießen. Zudem würde dies eine gezielte Recherche nach geschützten Geschmacksmustern erschweren. Dem Anmelder ist es dagegen
möglich und zumutbar klarzustellen, ob er Schutz für die Erscheinungsform eines (ganzen) Erzeugnisses oder des Teils eines Erzeugnisses begehrt. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, hatte es im Streitfall auch die Klägerin in der Hand, allein die Erscheinungsform der Karaffe als Geschmacksmuster anzumelden.

3. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten, da keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung bestehen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – C-283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 – Cilfit). Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Geschmacksmusterrechts, dass der Schutzgegenstand eines eingetragenen Geschmacksmusters durch die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon bestimmt wird und bei Unklarheiten durch Auslegung zu ermitteln ist. Es kann auch nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass unterschiedliche Darstellungen eines Geschmacksmusters in der Anmeldung nicht mehrere Schutzgegenstände bilden und dass die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung keinen Schutz für Teile oder Elemente eines eingetragenen Geschmacksmusters kennt.

III. Danach ist die Revision auf Kosten der Klägerin (§ 97 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen.

Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 14.07.2009 – 2-18 O 320/07 –
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 08.06.2010 – 11 U 52/09 –

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