Keine auf § 9 GlüStV gestützte Untersagung privater Sportwettenvermittlung

28. März 2011
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Eigener Leitsatz:

Eine Verfügung, die eine Untersagung der Vermittlung von Sportwetten aus Deutschland in einen anderen EU-Staat durch Private beinhaltet, kann aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht auf § 9 GlüStV gestützt werden. Denn die dort getroffene Regelung verstößt gegen Art. 49 bzw. 56 AEUV. Weiterhin ist eine Untersagung allein gegenüber Drittstaatenangehörigen deshalb ermessensfehlerhaft, weil sie zur Bekämpfung der Spielsucht ungeeignet ist.

Verwaltungsgericht Stuttgart

Urteil vom 14.02.2011

Az.: 4 K 4482/10

 

Leitsätze:

1. Eine Verfügung, mit der die Vermittlung von Sportwetten aus Deutschland durch Private in einen anderen Staat der EU untersagt wird, kann nicht auf § 9 GlüStV gestützt werden, weil diese Vorschrift als Begleitregelung des deutschen Glücksspielmonopols mit Art. 49 (Niederlassungsfreiheit) bzw. Art. 56 (Dienstleistungsfreiheit) AEUV unvereinbar ist und damit gegen den Vorrang des Unionsrechts verstößt. Die Verfügung kann unter diesen Umständen auch weder auf eine formelle Illegalität noch auf eine andere Ermächtigungsgrundlage gestützt werden (im Einzelnen wie VG Stuttgart, Urt. v. 16.12.2010 – 4 K 3645/10 -, juris).

2. Der Schutzumfang der Dienstleistungsfreiheit erstreckt sich bei einer an dem unionsrechtlichen Anwendungsvorrang und dem effet utile orientierten Auslegung auch auf Untersagungsverfügungen gegenüber Vermittlern aus Drittstaaten, obwohl diese vom persönlichen Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit nicht erfasst werden. Diese Auslegung ist erforderlich, um andernfalls drohende Beeinträchtigungen der (aktiven bzw. passiven) Dienstleistungsfreiheit im Rahmen der ihr unmittelbar unterfallenden Vertragsbeziehungen zwischen dem innerhalb der Union konzessionierten Sportwettenanbieter und seinem – durch die Vermittlung typischerweise zu gewinnenden – Vertragspartner aus der Union wirksam zu unterbinden (a. A. im Ergebnis BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 – 8 C 13.09 -, juris).

3. Die Untersagung grenzüberschreitender Sportwettenvermittlung in das EU-Ausland ausschließlich gegenüber Drittstaatsangehörigen leidet darüber hinaus an Ermessensfehlern. Sie ist angesichts der Vielzahl der Sportwettenvermittlungen durch EU-Angehörige, die nicht untersagt werden können, zur Bekämpfung der Spielsucht ungeeignet und daher unverhältnismäßig (wie VG Freiburg, Urt. v. 09.07.2008 – 1 K 547/07 -, juris; OVG Saarland, Beschl. v. 25.04.2007 – 3 W 24/06 -, juris; VG Berlin, Beschl. v. 04.12.2008 – 35 A 16.07 -, juris).

Tenor:

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.07.2009 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:
    
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer vom Beklagten gegenüber dem Kläger erlassenen Untersagungsverfügung hinsichtlich des Vermittelns von Sportwetten im Land Baden-Württemberg.
   
Der Kläger vermittelt Sportwetten an eine Firma nach Malta, die dort eine staatliche Konzession für diese Tätigkeit besitzt.
   
Mit Bescheid vom 24.07.2009 untersagte das Regierungspräsidium Karlsruhe dem Kläger für den Bereich des Landes Baden-Württemberg die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten sowie die Werbung hierfür und die Unterstützung solcher Tätigkeiten. Die zur Veranstaltung oder Vermittlung solcher Glücksspiele vorgehaltenen Geräte seien zu entfernen (Nr. 1). Die untersagten Tätigkeiten seien unverzüglich einzustellen und die Einstellung dem Regierungspräsidium Karlsruhe schriftlich mitzuteilen (Nr. 2). Zudem wurde die Festsetzung eines Zwangsgelds von 10.000,- EUR angedroht, falls die Verpflichtung, die untersagten Tätigkeiten unverzüglich einzustellen, nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung befolgt werde (Nr. 3). Schließlich wurde der Kläger verpflichtet, dem Beklagten den Mietvertrag über die Räumlichkeiten vorzulegen; für den Fall der Nichterfüllung dieser Verpflichtung binnen zwei Wochen wurde ein Zwangsgeld von 1.000,- EUR angedroht (Nr. 4).
   
Als Ermächtigungsgrundlage wurde § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Glückspielstaatsvertrags – GlüStV – angeführt. Zur weiteren Begründung wurde ausgeführt, dass es sich bei der Vermittlung von Sportwetten um die öffentliche Veranstaltung von Glücksspielen handle, was nach § 284 Abs. 1 StGB ohne behördliche Erlaubnis verboten sei. Eine solche Erlaubnis sei dem Kläger nicht erteilt worden und könne auch nach der landesrechtlichen Gesetzeslage nicht erteilt werden. Das staatliche Glücksspielmonopol diene der Abwehr von erheblichen Gefahren für die Bevölkerung und für das Vermögen des einzelnen Spielers sowie der Bekämpfung der Spielsucht. An eine im EU-Ausland erteilte Lizenz eines Veranstalters von Sportwetten sei ein Mitgliedsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland, der andere Schutzregelungen erlassen habe, nicht gebunden.
   
Gegen diese Verfügung hat der Kläger am 29.07.2009 Klage erhoben.
   
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Verfügung verstoße gegen den Anwendungsvorrang des Europarechts. Die ausländische Konzession habe auch für Baden-Württemberg bindende Wirkung. Die Europarechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols führe dazu, dass dem Kläger auch nicht das Fehlen einer Erlaubnis – die gar nicht erlangt werden könne – entgegengehalten werden könne.

Mit Beschluss vom 02.09.2009 hat das Gericht dieses Verfahren im Hinblick darauf ausgesetzt, dass es dem Gericht der Europäischen Gemeinschaft in Parallelverfahren folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte:
   
„a) Sind die Art. 43 und 49 EG dahingehend auszulegen, dass sie einem innerstaatlichen Monopol auf bestimmte Glücksspiele, wie z. B. Sportwetten und Lotterien, entgegenstehen, wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat insgesamt an einer kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung des Glücksspiels fehlt, weil die innerstaatlich konzessionierten Veranstalter zur Teilnahme an anderen Glücksspielen – wie staatlichen Sportwetten und Lotterien – ermuntern und hierfür werben, und ferner andere Spiele mit gleichem oder sogar höherem Suchtgefährdungspotential – wie Wetten auf bestimmte Sportereignisse (Pferderennen), Automatenspiele und in Spielbanken – von privaten Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen?

b) Sind die Artikel 43 und 49 EG dahingehend auszulegen, dass durch dafür zuständige staatliche Stellen der Mitgliedstaaten ausgestellte Genehmigungen der Veranstaltung von Sportwetten, die nicht auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt sind, den Inhaber der Genehmigung wie auch von ihm beauftragte Dritte berechtigen, auch im Bereich der anderen Mitgliedstaaten ohne weitere zusätzliche nationale Genehmigungen die jeweiligen Angebote zum Abschluss von Verträgen anzubieten und durchzuführen?“

Der Europäische Gerichtshof hat daraufhin mit Urteil vom 08.09.2010 eine Vorabentscheidung getroffen (C-358/07 bis C-360/07, soweit die Vorlagen des Verwaltungsgerichts Stuttgart betroffen sind). Er hat dabei einmal eine Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Konzessionen in diesem Bereich verneint (Rn. 116). Er hat weiter im Grundsatz ein Sportwettenmonopol für gemeinschaftsrechtlich zulässig erachtet, allerdings die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Monopols durch Kohärenzanforderungen präzisiert. Zu den im vorliegenden Fall entscheidungsrelevanten Teilen hat er insbesondere ausgeführt (Rn. 107 iv):

„Stellt ein nationales Gericht sowohl fest,
   
– dass die Werbemaßnahmen des Inhabers eines solchen Monopols für andere, ebenfalls von ihm angebotene Arten von Glückspielen nicht auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zum Angebot des Monopolinhabers hinzulenken und sie damit von anderen, nicht genehmigten Zugangskanälen zu Spielen wegzuführen, sondern darauf abzielen, den Spieltrieb der Verbraucher zu fördern und sie zwecks Maximierung der aus den entsprechenden Tätigkeiten erwarteten Einnahmen zu aktiver Teilnahme am Spiel zu stimulieren, als auch,

– dass andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen, als auch,
   
– dass in Bezug auf andere Arten von Glücksspielen, die nicht unter das Monopol fallen und zudem ein höheres Suchtpotenzial als die dem Monopol unterliegenden Spiele aufweisen, die zuständigen Behörden eine zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeiten geeignete Politik der Angebotserweiterung betreiben oder dulden, um insbesondere die aus diesen Tätigkeiten fließenden Einnahmen zu maximieren,
   
so kann es berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben, dass ein solches Monopol nicht geeignet ist, die Erreichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, dadurch zu gewährleisten, dass es dazu beiträgt, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und Tätigkeiten in diesen Bereichen kohärenter und systematischer Weise zu bekämpfen.“
   
Der Kläger sieht sich durch dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs in seiner Rechtsposition bestätigt und beantragt,
   
den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.07.2009 aufzuheben.
   
Der Beklagte beantragt,
   
die Klage abzuweisen.
   
Er hält die Untersagungsverfügung auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs weiterhin für rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt sei § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV. Die Untersagungsverfügung könne darauf gestützt werden, dass es sich um unerlaubtes Glücksspiel handle, weil eine formelle Genehmigung zu keiner Zeit erteilt worden sei. Der Glücksspielstaatsvertrag und seine Anwendung seien im Übrigen auch verfassungs- und europarechtskonform. Der Beklagte verweist hierzu auf umfangreiche rechtliche und tatsächliche Verbesserungen gegenüber der Situation zur früher durch den Lotteriestaatsvertrag getroffenen Regelung.

Da Bedenken gegen die nationale Ausgestaltung vom Europäischen Gerichtshof nur unter kumulativen Voraussetzungen geltend gemacht worden seien, seien bereits durch die jedenfalls durch den Glücksspielstaatsvertrag und seine Anwendung erreichte sachgerechte Ausgestaltung eines Sportwettenmonopols gemeinschaftsrechtliche Bedenken ausgeräumt. Im Übrigen werde dem Kohärenzgebot auch dadurch Rechnung getragen, dass die Änderungen der Spielverordnung im Jahr 2006 nicht nur Erleichterungen, sondern u. a. durch das Verbot von Fun-Games auch Erschwerungen für die dortigen Spiele mit sich gebracht hätten, so dass auch in diesem Zusammenhang dem Spieltrieb entgegengewirkt werde. Schließlich könne sich der Kläger auch nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, denn er sei kein Unionsbürger.
   
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:
        
Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die angefochtene Untersagungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
   
Für die Begründetheit der Klage ist auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, wie sie sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung darstellt; das folgt aus dem Rechtscharakter der Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.2009 – 6 S 110/09 -, ZfWG 2010, 24 m. w. N.).
   
1. Die Untersagungsverfügung kann jedoch nicht auf den vom Beklagten herangezogenen § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV gestützt werden. Die dort getroffene und auf dem Glücksspielmonopol (§ 10 Abs. 2 und 5 GlüStV) basierende Regelung ist wegen Verstoßes gegen Art. 49 bzw. 56 AEUV (die Art. 43 bzw. 49 EG entsprechen) unanwendbar. Das folgt aus dem Vorrang des Unionsrechts. Aus der von der Kammer eingeholten Vorabentscheidung des EuGH vom 08.09.2010 (C-358/07-360/07, GewArch 2010, 444 = ZfWG 2010, 332) ergibt sich, dass zwar grundsätzlich Monopole im Bereich der Sportwetten zulässig sein können, dies aber nur bei hinreichend kohärenter Ausgestaltung möglich ist. Fehlt es hieran, so sind sowohl die inhaltlichen Regelungen des Glückspielstaatsvertrags, soweit sie Monopolisierungen betreffen bzw. voraussetzen (insbesondere § 4 GlüStV), als auch die begleitenden im Vertrag enthaltenen behördlichen Handlungsermächtigungen (wie § 9 GlüStV) mit Unionsrecht unvereinbar. An einer solchen kohärenten Ausgestaltung fehlt es auch zum heutigen Zeitpunkt.
   
Das folgt schon daraus, dass bei den aufgrund der Vorabentscheidung mit in den Blick zu nehmenden Automatenspielen – diese wurden vom Beklagten und auch im Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 10.12.2009 (a.a.O.) bisher für unerheblich gehalten, da allein auf den Sektor der Sportwetten abzustellen sei – die rechtliche Situation gegenüber dem Vorlagebeschluss von 2007 unverändert geblieben ist.
   
Im Vorlagebeschluss hatte die Kammer dazu ausgeführt: „Es ist jedoch für die Kammer nicht ersichtlich, dass die maßgeblichen gesetzgeberischen Körperschaften der Bundesrepublik Deutschland namentlich gegen die vielfältigen Automatenspiele vorgehen bzw. vorzugehen beabsichtigen. Denn die im Kontext des Abschlusses eines neuen Lotteriestaatsvertrags und infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.März 2006 in Angriff genommenen Maßnahmen beziehen die dargestellten privaten Unternehmen offenstehenden Glücksspielsektoren in keiner Weise mit ein…. Hinzu kommt ein Weiteres: Mit Wirkung vom 01.01.2006 erfolgte eine Änderung der SpielV (vgl. u. a. §§ 3 und 13 SpielV, BGBl. I 2006, 280) in einer Weise, dass verschiedene suchtrelevante Begrenzungen sogar gelockert wurden. So wurde die Zahl der in einer Gaststätte zugelassenen Geld- und Warenspielgeräte von zwei auf drei erhöht, die in Spielhallen zulässige Zahl von 10 auf 12 Geräte; zudem wurde hierbei noch die Mindestquadratmeterzahl von 15 auf 12 qm reduziert. Weiter erfolgte eine Reduzierung der Mindestspieldauer von 12 auf 5 Sekunden bei gleichzeitiger Erhöhung der Verlustgrenze von 60 auf 80 EUR…… Gerade dieses lediglich sektorale und im Übrigen höchst widersprüchliche Vorgehen, ohne dass dem eine konzeptionelle Gesamtschau zugrunde läge, stellt hiernach keine geeignete und angemessene und daher kohärente Begrenzungsmaßnahme dar.“

In tatsächlicher Hinsicht hat sich die Problematik der Automatenspiele gegenüber dem Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses sogar noch verschärft. Dieser Sektor hat sich nämlich erheblich vergrößert (siehe hierzu auch VG Hamburg, Urteil vom 02.11.2010 – 4 K 1495/07 -, Rn. 86, – juris). So verzeichnete das gewerbliche Automatenspiel deutliche Steigerungsraten. Verglichen mit dem Jahr vor der Novellierung der Spielverordnung ergaben sich Umsatzzuwächse von 38,3% (im Jahr 2005 5,88 Mrd. Euro, im Jahr 2008 8,13 Mrd. Euro). Parallel dazu stieg die Zahl der Geldspielautomaten in den gastronomischen Betrieben und rund 12.300 Spielhallen von 200.000 auf 225.000 an. Damit positionierte sich das Marktsegment des gewerblichen Automatenspiels 2008 erstmals an der Spitze aller legalen Umsatzträger (Hayer, Sucht Aktuell 2010, 47). Damit einhergehend stieg der Anteil der jungen Männer, die an den – besonders suchtgefährdenden (siehe dazu sogleich) -Spielautomaten ihr Glück versuchen, von 6% im Jahr 2007 auf 15% im Jahr 2009 (Welt-Online v. 04.02.2010).
   
Zu den mit dem Automatenspiel verbundenen Suchtgefahren hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.03.2006 (- 1 BvR 1054/01 -, NJW 2006, 1261) ausgeführt, dass bei weitem die meisten Spieler mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten nach derzeitigem Erkenntnisstand an Automaten spielten, die nach der Gewerbeordnung betrieben werden dürfen. An zweiter Stelle in der Statistik folgten Casino-Spiele. Alle anderen Glücksspielformen trügen gegenwärtig deutlich weniger zu problematischem und pathologischem Spielverhalten bei (vgl. Hayer/Meyer, Die Prävention problematischen Spielverhaltens, J Public Health 2004, S. 293, 296). An diesen Befunden hat sich für die aktuelle Situation nichts geändert (Hayer, Sucht Aktuell, 2010, 47, 50 f.).

Ohne Erfolg versucht der Beklagte dieser Würdigung des Automatenspiels entgegenzuhalten, dass die – im Vorlagebeschluss berücksichtigte – Novelle der Spielverordnung auch erschwerende Elemente wie z. B. das Verbot der Fun-Games beinhaltet habe und dass der Normgeber das Ziel der Suchtprävention auch in diesem Sektor im Auge habe. Zwar verlangt die Ermächtigungsgrundlage für die Spielverordnung in § 33 f Abs. 1 GewO, dass die Vorschriften über Aufstellung und Zulassung von Spielgeräten in der Spielverordnung u. a. der Eindämmung der Betätigung des Spieltriebs dienen, und verfolgt der Verordnungsgeber nach seiner Vorstellung ein Gesamtkonzept, das sowohl dem Interesse des Automatenherstellers und -aufstellers Rechnung tragen soll, dem Kunden neue Spielvariationen anzubieten, als auch dem öffentlichen Interesse an einer langfristig effektiven Kontrolle dieses Bereichs (vgl. BR-Drs. 665/05, dazu auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.2009, a.a.O.). Diese Elemente genügen angesichts der konkret durch die Spielverordnung getroffenen Regelungen und ihrer tatsächlichen Auswirkungen für die erforderliche Kohärenz aber nicht (so auch VG Halle, Urteil vom 11.11.2010 – 3 A 158/09 -, Rn. 162-164, – juris). Vielmehr hat sich mit Blick auf die Suchtprävention bei bilanzierender Betrachtung insgesamt eine Verschlechterung gegenüber dem Zeitraum vor der Novellierung der Spielverordnung ergeben (Hayer, Sucht Aktuell, 2010, 47, 48). Soweit der Beklagte dieser Würdigung unter Berufung auf den Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.11.2010 (- 4 B 733/10 -) entgegenzutreten versucht mit dem Argument, die Zahl der Spielautomaten habe sich letztlich sogar verringert, weil ursprünglich 80.000 Fun-Game-Automaten existiert hätten, die in den Anfangsbestand nicht eingerechnet worden seien, durch die Neuregelung aber weggefallen seien, überzeugt das nicht. Dabei kann offen bleiben, ob die genannte Zahl eine hinreichende empirische Basis besitzt – das OVG Nordrhein-Westfalen (a.a.O., Rn. 115 f.) spricht in seinem Beschluss, der im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen ist und daher auf nur summarischer Prüfung der Sachlage beruht, von entsprechenden Schätzungen und verweist hierfür auf die BR-Drs. 660/05 -; ebenso kann offen bleiben, ob eine Addition dieser Zahl zum Anfangsbestand aus methodischen Gründen zulässig wäre. Denn ungeachtet der Zahl der Spielautomaten bleibt es jedenfalls bei den festgestellten ganz erheblichen Umsatzsteigerungen dieser Branche.

Das Gericht weist zusammenfassend darauf hin, dass schon im Hinblick auf die normative Ermöglichung einer Angebotsexpansion in einem Bereich des Glücksspiels, der – trotz anerkannt hohen Suchtpotentials – nicht dem Monopol unterliegt, sondern liberalisiert ist, die zuständigen Behörden eine zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeiten geeignete Politik der Angebotserweiterung betreiben oder zumindest dulden, um insbesondere die aus diesen Tätigkeiten fließenden Einnahmen zu maximieren. Umso mehr gilt das, wenn entsprechende Angebotserweiterungen tatsächlich realisiert werden; dass der Normgeber diese faktischen Entwicklungen beobachtet und mittelfristig Untersuchungen oder ein Eingreifen erwägt, genügt unter diesen Umständen nicht, um die Schlussfolgerung in Frage zu stellen, dass das Sportwettenmonopol wegen Inkohärenz im Verhältnis zum Automatenspiel mit Unionsrecht derzeit unvereinbar ist (so auch Urteil der Kammer vom 16.12.2010 – 4 K 3645/10 -, juris).

Ob die im Vorlagebeschluss zusätzlich geäußerte gemeinschaftsrechtliche Kritik an der rechtlichen Struktur und faktischen Ausgestaltung des Sportwettenmonopols unter der Geltung des Lotteriestaatsvertrags auch heute noch – mit Blick auf umfangreiche Änderungen durch den Glücksspielstaatsvertrag – in vollem Umfang berechtigt ist, bedarf keiner Entscheidung, weil es – wie ausgeführt – an einer kohärenten Begrenzung und damit einer Erforderlichkeit des Monopols schon im Hinblick auf den Umgang mit dem Automatenspiel fehlt.
   
Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verstoß gegen Unionsrecht nur dann anzunehmen ist, wenn die im Urteil des Europäischen Gerichtshofs genannten drei, sprachlich mit „sowohl – als auch“ verbundenen Elemente kumulativ erfüllt sind. Vielmehr rekurriert die Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof auf die Vorlagefragen der nationalen Gerichte und nimmt dazu deren Ausführungen in Bezug. Hieraus ist daher für die Auslegung eines Vorabentscheidungsurteils nicht abzuleiten, dass ausschließlich dann, wenn alle dort in Referierung des Vortrags aus dem Vorlagebeschluss genannten Elemente gegeben sind, berechtigter Anlass zur Schlussfolgerung fehlender Kohärenz und Systematik bestehen kann. Zu Recht weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof mit der Kombination von Elementen nur hinreichende Bedingungen für den Schluss auf eine Inkohärenz formuliert hat, nicht aber, welche Voraussetzungen mindestens erfüllt sein müssen (BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 – 8 C 14.09 – Rn. 90; – 8 C 15.09 Rn. 89). Dieses Verständnis folgt im Übrigen auch daraus, dass in der Entscheidung des EuGH vom 08.09.2010 zur Rechtssache C-46/08 (Carmen Media, GewArch 2010, 448 = ZfWG 2010, 344) insoweit zwei Feststellungen benannt sind (dort Rn. 71), in der Vorabentscheidung zum vorliegenden Fall drei (vgl. zutreffend VG Berlin, Beschluss vom 06.10.2010 – 35 L 354.10). Neben diesem systematischen Argument sprechen gegen ein Erfordernis kumulativer Erfüllung aber vor allem Sinn und Zweck der vom Europäischen Gerichtshof dargelegten Kohärenzanforderungen, die unterlaufen würden, wollte man die Inkohärenz im Verhältnis zum Automatenspielbereich (vgl. dazu auch Krause, GewArch 2010, 428, 430; Ennuschat, GewArch 2010, 425, 427) durch – unterstellte – rechtliche und/oder tatsächliche Verbesserungen im Bereich des Sportwettenmonopols für kompensierbar halten. In diesem Sinn sind auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen, wonach sich unmittelbar aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ergebe, dass eine Inkohärenz im unionsrechtlichen Sinne keine unzulässige Werbung im Monopolbereich voraussetze, sondern auch bei – sonstiger – Expansionspolitik etwa in konzessionierten Bereichen vorliegen könne (Urteile vom 24.11.2010 – 8 C 14.09 – a.a.O.; – 8 C 15.09 – a.a.O).

Die gegenteilige, eng auf den Wortlaut der Vorabentscheidung gestützte Auffassung greift dagegen zu kurz. Der Vergleich mehrerer Sprachfassungen mit dem Ergebnis, dass die deutsche Formulierung „sowohl – als auch“ in Übereinstimmung mit diesen anderen Sprachfassungen steht (so Urteilsanmerkung Stein, ZfWG 2010, 353, 354 hinsichtlich der englischen und französischen Fassung), bringt keinen eigenständigen Erkenntnisgewinn, sondern bestätigt nur die – in aller Regel zu erwartende – Richtigkeit von amtlichen Übersetzungen. Hieraus lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ableiten, beim Vorliegen nur eines oder nur zweier Elemente seien die nationalen Regelungen unionsrechtskonform. Im Hinblick auf die entscheidende Frage nach der Kohärenz bestehen für das Gericht vielmehr keine Zweifel daran, dass eine Vorlagefrage, die „nur“ auf mangelnde Kohärenz der zu Sportwetten getroffenen Regelung im Verhältnis zur Regelung der Automatenspiele gestützt worden wäre, aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs keine andere Antwort zur Folge gehabt hätte als die konkret gegebene; einer neuerlichen Vorlage unter diesem Aspekt bedarf es aus Sicht der Kammer daher nicht.

Die Tatsache, dass der Kläger des vorliegenden Verfahrens kein EU-Angehöriger ist, veranlasst entgegen der Auffassung des Beklagten – jedenfalls im Ergebnis – keine andere Entscheidung.

Zwar kann der Kläger als Drittstaatsangehöriger sich jedenfalls nicht direkt auf die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV berufen, weil er nicht von dessen persönlichem Anwendungsbereich erfasst wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2010 – 8 C 13.09 – Rn. 84; VG Berlin, Urteil vom 04.12.2008 – 35 A 16.07 -, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 25.04.2007 – 3 W 24/06 -, juris).

Allerdings ist zu bedenken, dass die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der vom Kläger betriebenen Vermittlung gegenüber derjenigen der von ihm vermittelten Vertragsbeziehungen zurücktritt, die zwischen seinem Vertragspartner, einem der EU angehörigen Wettbürobetreiber und damit einem Träger der aktiven Dienstleistungsfreiheit, und dem – durch das Angebot des Klägers typischerweise zu gewinnenden – deutschen oder anderen EU-Bürger als Träger der passiven Dienstleistungsfreiheit entstehen. Der Vermittler hat lediglich die Rolle eines „Marktzugangsagenten“. Im Hinblick darauf, dass eine gegen den Kläger gerichtete Untersagungsverfügung die über seine Vermittlung am Abschluss von Sportwetten Interessierten aber daran hindern könnte, von ihrer jeweiligen (aktiven bzw. passiven) Dienstleistungsfreiheit Gebrauch zu machen, erscheint es in einem solchen Kontext geboten, den Schutzumfang der Dienstleistungsfreiheit bei einer an dem unionsrechtlichen Anwendungsvorrang einerseits und dem effet utile andererseits orientierten Auslegung auch auf den Kläger zu erstrecken, um so die Möglichkeit zu schaffen, Beeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheit zwischen den Vertragspartnern eines Sportwettenvertrags wirksam zu unterbinden (vgl. zu einer strukturell ähnlichen Problematik Vorlagebeschluss des VGH Baden-Württemberg vom 20.01.2011 – 11 S 1069/10 -, dort mit Hinweis auf EuGH, Urteil vom 07.07.1992, Rs. C-370/90, Rn. 19 f. – Singh – sowie vom 23.09.2003 , Rs. C-109/01 – Akrich -). Der Kläger kann damit sowohl über die – unionsrechtlich vermittelte – Dienstleistungsfreiheit als auch über Art. 2 Abs. 1 GG als Adressat der Untersagungsverfügung verlangen, von unionsrechtswidrigen Maßnahmen verschont zu werden (zu letzterem Ansatz vgl. auch Beschluss der Kammer vom 24.09.2009 – 4 K 958/09 -).

Da die vom Beklagten für die als Ermessensentscheidung ausgestaltete Untersagungsverfügung herangezogene Rechtsgrundlage somit bereits aus unionsrechtlichen Gründen unanwendbar ist, kann die zwischen den Beteiligten und auch in der Rechtsprechung kontrovers diskutierte Frage offen bleiben, ob diese Rechtsgrundlage mit verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist.
   
2. Die Untersagungsverfügung kann auch nicht – wie der Beklagte offenbar meint – mit der Argumentation aufrechterhalten werden, dass es an einer nach dem deutschen Recht erforderlichen Genehmigung fehle (formelle Illegalität). Denn wie bereits ausgeführt wurde, ist § 9 GlüStV wegen Unionsrechtswidrigkeit unanwendbar. Eine geltungserhaltende Reduktion ihres Inhalts dergestalt, dass die Vorschrift – solange eine Genehmigung nicht vorliege – trotz Unionsrechtswidrigkeit der konkreten Regelungen zum Sportwettenmonopol (und damit von § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV) eine Untersagungsverfügung rechtfertige, ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht möglich (so i. Erg. auch VG Halle, Urteil vom 11.11.2010, a.a.O., Rn. 190; VG Hamburg, Urteil vom 02.11.2010, a.a.O., Rn. 55 ff.). Diese Auffassung entspricht auch in vollem Umfang den Grundsätzen des Urteils des EuGH in seinem Urteil vom 06.03.2007 (C-338/04, Placanica, Rn. 67), in dem insoweit ausgeführt ist: „Das Fehlen einer polizeilichen Genehmigung kann daher Personen (…), die sich derartige Genehmigungen nicht hätten beschaffen können, weil deren Erteilung den Besitz einer Konzession voraussetzt, von deren Erhalt sie unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen worden waren, auf jeden Fall nicht zum Vorwurf gemacht werden.“ Dass diese Ausführungen im Kontext mit einem strafrechtlichen Verfahren standen, relativiert sie nicht; vielmehr müssen sie sinngemäß auch für die Frage einer Berechtigung zu Ordnungsverfügungen gelten, da diese oft nicht weniger einschneidende Maßnahmen als das Strafrecht beinhalten.

Der Beklagte behauptet, aus dem Carmen Media-Urteil vom 08.09.2010 (a.a.O.) ergebe sich, dass der Europäische Gerichtshof auch für den Fall einer Unionsrechtswidrigkeit des Monopols von einem Erlaubnisvorbehalt ausgegangen sei. Diese Behauptung trifft indes nicht zu. Vielmehr hat der Europäische Gerichtshof im dortigen Urteil (a.a.O.) Ausführungen zur Erlaubnispflicht auf der Basis einer vom Ausgangsgericht hilfsweise für den Fall der Europarechtswidrigkeit des Monopols gestellten Vorlagefrage gemacht. In diesem Zusammenhang nahm die Vorfrage, weshalb diese – dort dritte – Frage überhaupt gestellt wurde, breiten Raum ein; der Europäische Gerichtshof war der Auffassung, dass trotz der vom Land Schleswig-Holstein geäußerten Zweifel an ihrer Zulässigkeit diese im Hinblick auf die insoweit gegebene Präponderanz des nationalen Vorlagegerichts zu bejahen sei, da nach nationalem Recht trotz Monopols die Möglichkeit einer Erlaubnis in diesem Bereich „zumindest theoretisch durch §§ 4 Abs. 1 und 2 GlüStV und § 5 Abs. 1 GlüStVAG vorbehalten worden zu sein scheint“ (a.a.O., Rn. 81). Damit setzen die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs auf einem – unterstellten – Sachverhalt auf, wonach – unabhängig vom Monopol – zumindest theoretisch ein Lizenzierungsmodell für Sportwetten mit konkreten Anforderungen bestehe. Inwieweit diese Annahme auf der Basis des in der Carmen Media-Entscheidung zugrundegelegten schleswig-holsteinischen Landesrechts zutraf, kann offen bleiben. In Baden-Württemberg lassen die Regelungen eine Lizenzierung für Private im Bereich der Sportwetten jedenfalls nicht zu (vgl. § 2 AGGlüStV). Für die Behauptung des Beklagten, dass bei einer hinsichtlich Sportwetten (ausgenommen Pferdewetten) ausschließlich vorgesehenen Monopolstruktur – bei deren Unionsrechtswidrigkeit – gleichwohl ein Erlaubnisvorbehalt zum Tragen kommen müsse, ist nichts ersichtlich. Im Gegenteil erschiene die Annahme, bei konkreter Unzulässigkeit eines vom Normgeber gewollten Monopols verenge sich der Handlungsrahmen des nationalen Rechts aus unionsrechtlichen Gründen auf ein Lizenzierungsmodell, nicht gerechtfertigt. Denn die grundsätzliche Billigung einer Monopolstruktur in diesem Bereich durch den Europäischen Gerichtshof impliziert notwendig auch die Möglichkeit zu deren kohärenter Nachbesserung mit der Folge, dass Lizenzierungen für Private auf Dauer ausgeschlossen blieben. Damit bedarf es auch keiner Überlegungen dazu, ob und ggf. inwieweit der Kläger – bei einer unterstellten Lizenzierungsmöglichkeit – materiellen Genehmigungsanforderungen genügen würde und wie diese ggf. zu bestimmen wären. Soweit der Beklagte davon ausgeht, solche materiellen Anforderungen ließen sich dem nur teilweise, nämlich um unionsrechtswidrige Teile „bereinigten“ Glücksspielstaatsvertrag entnehmen, ist das im Übrigen nicht richtig; vielmehr wäre hierfür eine (normative) Ergänzung des verbliebenen Regelungstorsos erforderlich, die aber im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung durch ein Gericht weder geleistet werden kann noch darf (vgl. so zutreffend VG Halle, a.a.O., Rn. 196-201). Mit Blick auf die aus unionsrechtlicher Sicht nicht mögliche Stützung der Untersagungsverfügung auf § 9 GlüStV kommt es daher hier auch nicht auf eine Auseinandersetzung mit § 284 StGB an (vgl. dazu sogleich 3.).
   
Soweit der Beklagte vorträgt, auch das Bundesverwaltungsgericht gehe unabhängig von der Frage einer Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols von einer weiteren Geltung des Erlaubnisvorbehalts in § 4 Abs. 1 GlüStV aus, ist das so nicht richtig. Vielmehr sieht das Bundesverwaltungsgericht die Frage des Erlaubnisvorbehalts in § 4 Abs. 1 GlüStV sowie den Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an private Wettanbieter insgesamt als rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Urteile v. 24.11.2010 – 8 C 14.09 -, Rn. 61; – 8 C 15.09 – Rn. 60) und hat folgerichtig die angegriffenen Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, die auf der Anwendung eines rechtsfehlerhaften Prüfungsmaßstabs beruhten, aufgehoben und die Sachen zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Hätte es dagegen ganz generell unabhängig von der Frage einer Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols § 4 Abs. 1 GlüStV als (weiter) wirksam angesehen, hätte es einer Zurückverweisung nicht bedurft, sondern es hätte zu Lasten der jeweiligen Kläger durchentschieden werden können. Ohne Erfolg bleibt schließlich der Hinweis des Beklagten auf ein weiteres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, in dem postuliert wird, der Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV sei unabhängig von verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Bedenken gegen das Sportwettenmonopol wirksam (Urteil vom 24.11.2010 – 8 C 13.09 -, Rn. 73, 77). Diese – einen Sonderfall fehlender räumlicher Trennung und eine nur spezifisch ortsbezogene Untersagungsverfügung betreffende – Aussage lässt sich nach Auffassung der Kammer nicht verallgemeinern; zudem wurde in demselben Urteil ebenfalls die Frage einer Vereinbarkeit (u. a.) des Erlaubnisvorbehalts mit Unionsrecht aufgeworfen, allerdings wegen fehlender Unionsbürgerschaft des dortigen Klägers für unerheblich und eine diesbezügliche Vorlage an den Europäischen Gerichtshof für entbehrlich erachtet (Urteil vom 24.11.2010 – 8 C 13.09 -, Rn. 84).
   
3. Die Untersagungsverfügung kann schließlich auch nicht wegen des vom Beklagten behaupteten Verstoßes gegen § 284 StGB aufrechterhalten werden. Weder eine Auslegung als polizeirechtliche Ordnungsverfügung (§§ 1, 3 PolG) noch eine Umdeutung (§ 47 LVwVfG) in eine solche ist möglich. Denn gegenwärtig könnte eine polizeirechtliche Ordnungsverfügung nicht erlassen werden. Dass hierbei erhebliche Probleme der sachlichen Zuständigkeit und des Nachschiebens bzw. des Austausches von Ermessenserwägungen aufträten, bedarf keiner Vertiefung, weil es jedenfalls schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten fehlt. Ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit mit Blick auf § 284 StGB liegt nämlich nicht vor. Zwar stellt diese Vorschrift das Veranstalten von öffentlichem Glücksspiel oder die Bereitstellung von Einrichtungen hierzu ohne behördliche Erlaubnis unter Strafe. Ein Strafrechtsverstoß kommt aber dennoch nicht in Betracht. Dabei kann offen bleiben, ob § 284 StGB derzeit überhaupt verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Denn auch wenn man dies annimmt, kann die Vorschrift nach Sinn und Zweck und bei unionsrechtskonformer Auslegung keine Grundlage für ein polizeirechtliches Einschreiten darstellen, wenn – wie hier (siehe die Ausführungen zu 1. und 2.) – staatliche Vorschriften eine rechtliche Möglichkeit zur Erteilung einer Genehmigung im Bereich der Sportwetten für Private nicht vorsehen und ein staatliches Monopol dort konkret jedenfalls derzeit nicht gerechtfertigt ist. Unter diesen Umständen fehlt es jedenfalls an einer Strafbarkeit (vgl. VG Hamburg, a.a.O., Rn. 135 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 16.08.2007 – 4 StR 62/07 – NJW 2007, 3078). Andernfalls würde über den Weg des Strafrechts ermöglicht, eine unionsrechtswidrig in Grundrechte (Art. 12 GG) und Grundfreiheiten (Art. 49 bzw. 56 AEUV) eingreifende Monopolstruktur vorläufig aufrechtzuerhalten; in seinem Urteil vom 08.09.2010 (Winner Wetten C-409/06, Rn. 62-69, GewArch 2010, 442 = NVwZ 2010, 1419) hat der Europäische Gerichtshof aber gerade ausgeschlossen, dass für eine Übergangszeit unionsrechtswidrige Zustände akzeptiert werden dürfen.

4. Darüber hinaus leidet die Untersagungsverfügung zu Lasten des Klägers an weiteren durchgreifenden Ermessensfehlern.

Insoweit ist daran zu erinnern, dass § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 GlüStV die Untersagung des unerlaubten Glücksspiels in das – pflichtgemäß auszuübende (§ 40 VwVfG, § 114 VwGO) –- Ermessen der Glücksspielaufsicht stellt. Der Glücksspielaufsicht ist es auf Grund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts in Folge der Unverhältnismäßigkeit der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit der Unionsbürger derzeit nicht möglich, rechtmäßige Untersagungsverfügungen gegen Unionsbürger zu erlassen, die Sportwetten an einen Vertragspartner vermitteln, der in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig eine ähnliche Dienstleistung erbringt (dazu ausführlich Urteil vom 16.12.2009, a.a.O.). Mit einem Einschreiten ausschließlich gegen Sportwettenvermittlungen durch im Bundesgebiet ansässige Drittstaatsangehörige lässt sich aber das mit den Untersagungsverfügungen verfolgte Ziel nicht erreichen, effektiv die Vermittlung von Sportwetten durch Private zu unterbinden, um auf diese Weise die Spielleidenschaft zu begrenzen und die Spielsucht zu bekämpfen. Die Unterbindung grenzüberschreitender Sportwettenvermittlungen in das EU-Ausland ausschließlich gegenüber Drittstaatsangehörigen ist daher nicht mit dem bei der Ermessensausübung zu wahrenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar (VG Freiburg, Urteil vom 9.07.2008 – 1 K 547.07 –, juris, – 1 K 2130/07 –; VG Karlsruhe, Urteil vom 15.09.2008 – 2 K 1637/08 –, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 25.04. 2007, a.a.O.). Die Maßnahme ist vielmehr angesichts der Vielzahl von Sportwettenvermittlungen, die nicht untersagt werden können, zur Bekämpfung der Spielsucht ungeeignet. Im Hinblick auf das Suchtpotential von Sportwetten ist es unerheblich, ob das Vermittlungs-Angebot von einem Unionsbürger oder von einem Drittstaatsangehörigen ausgeht (so auch VG Berlin, Urteil vom 04.12.2008, a.a.O.). Eine an die Staatsangehörigkeit des Vermittlers anknüpfende Untersagung dürfte daher auch mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sein.
   
Da der untersagende Teil der Verfügung und damit ihr Kern rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, ist die Verfügung des Beklagten auch im Übrigen aufzuheben.
   
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen Abweichung von dem Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 10.12.2009 (a.a.O.) und dem Urteil des BVerwG vom 24.11.2010 (- 8 C 13.09 – a.a.O.) zugelassen.

Beschluss vom 14.02.2011

Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs.1 GKG auf EUR 15.000,00 festgesetzt.

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