Unzulässige Arzneimittelwerbung
Eigener Leitsatz:
Ein Arzneimittel darf nicht mit einer durch Studien belegten positiven Wirkung beworben werden, wenn nur die Stoffgruppe, der das Medikament zugehört durch die Studien mit positiven Resultaten belegt wird.
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg
Urteil vom 18.04.013
Az.: 3 U 142/11
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 7 für Handelssachen, vom 29.3.2011, Geschäfts-Nr. 407 HKO 7/11, abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlungfestzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000; Ordnungshaft höchstens insgesamt zwei Jahre), wobei die Ordnungshaft an einem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist,
zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel C. wie folgt zu werben und/oder werben zu lassen:
mit der Angabe Hämodynamisch instabile Patienten mit septischem Schock bzw. Patienten mit einer schweren Sepsis sollten aufgrund der breiten Wirksamkeit und der minimalen Toxizität mit C. oder einem anderen Echinocandin behandelt werden.1
unter Berufung auf Lichtenstern C et al. Update: invasive Pilzinfektion. Diagnose und Therapie in der operativen Intensivmedizin. Der Anästhesist 2010 59 30-52
wie geschehen in der diesem Urteil in Kopie als Anlage A beigefügten Werbeunterlage;
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere € 1.227,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.12.2010 zu zahlen.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt: Von den Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen. Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Unterlassungsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von € 50.000 abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen dürfen die Parteien die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des nach diesem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, sofern nicht die jeweils andere Partei Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klägerin, die das Antimykotikum M. (Wirkstoff: Micafungin; Fachinformation Anlage K 1) vertreibt, greift werbliche Angaben der Beklagten für ihr Antimykotikum C. (Wirkstoff: Caspofungin; Fachinformation Anlage K 2) an.
Beide Präparate sind – mit jeweils unterschiedlichen Modifikationen – zugelassen für die Behandlung von invasiver Candidiasis (Anlagen K 1 und 2, jeweils Ziff. 4.1). Candidiasis ist die Infektion durch den Pilz Candida, die vor allem bei schwer erkrankten Patienten vorkommt (HIV-Infektion, bei Immunsuppression im Rahmen von Transplantationen, Antibiotika- oder Chemotherapie); es handelt sich um eine schwere Erkrankung mit hoher Mortalitätsrate.
Die Beklagte hat für ihr Präparat u.a. mit der als Anlage A vorliegenden Werbeunterlage geworben. Die Klägerin hat die Beklagte unter dem 20.8.2010 abmahnen lassen (Anlage K 7), woraufhin die Beklagte sich teilweise strafbewehrt unterwarf, im Übrigen jedoch die Abmahnung zurückwies (Anlage K 8).
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Werbung der Beklagten verstoße gegen §§ 3, 4 Nr. 11, 5 UWG in Verbindung mit §§ 3, 6 HWG. Die angegriffene Angabe sei irreführend, denn sie enthalte eine angeblich ausdrückliche Behandlungsempfehlung des zitierten Wissenschaftlers. Eine solche lasse sich der in der Fußnote angegebenen Publikation jedoch nicht entnehmen. Vielmehr heiße es – dies ist unstreitig – dort (Anlage K 4, S. 46. linke Spalte):
Hämodynamisch instabile Patienten mit septischem Schock bzw. Patienten mit einer schweren Sepsis (andere Organdysfunktionen) sollen aufgrund der breiten Wirksamkeit und der minimalen Toxizität mit einem Echinocandin behandelt werden.
Ob der Einsatz von C. durch die Erwähnung von Echinocandinen mitumfasst sei, könne dahinstehen. Denn der Leser nehme irrtümlich an, Lichtenstern et al. hätten eine explizite Behandlungsempfehlung für C. ausgesprochen, was nicht der Fall sei. Jedenfalls habe die Beklagte das Zitat nicht wortgetreu übernommen. Weder seien in der Studie Wirkstoffnamen noch Markennamen genannt. Es gehe zudem noch nicht einmal um denselben Wirkstoff, sondern nur um dieselbe Wirkstoffgruppe. Die Beklagte schulde Ersatz der Abmahnkosten, weil die erfolgte Abmahnung berechtigt gewesen sei. Die in der Klageerwiderung der Beklagten hinsichtlich des mit dem Antrag zu 1.c) angegriffenen Verhaltens abgegebene Unterwerfungserklärung stelle kein sofortiges Anerkenntnis dar. Zwar habe sich die vorgerichtliche Abmahnung auf dieses Verhalten nicht bezogen. Jedoch habe die Klägerin damit rechnen dürfen, dass die Beklagte sich auch hinsichtlich des weiteren Angriffs nicht unterwerfen werde, weil die Beklagte der vorgerichtlichen Abmahnung in Bezug auf den Antrag zu 1.b) umfassend entgegengetreten sei.
Mit ihrer am 1.12.2010 zugestellten Klage hat die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. es bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel C. wie folgt zu werben und/oder werben zu lassen:
a) mit der Angabe
Hämodynamisch instabile Patienten mit septischem Schock bzw. Patienten mit einer schweren Sepsis sollten aufgrund der breiten Wirksamkeit und der minimalen Toxizität mit C. oder einem anderen Echinocandin behandelt werden.1
unter Berufung auf Lichtenstern C et al. Update: invasive Pilzinfektion. Diagnose und Therapie in der operativen Intensivmedizin. Der Anästhesist 2010 59 30-52
wie geschehen in der anliegend in Kopie als Anlage A beigefügten Werbeunterlage;
b) unter zusätzlicher Nennung der Pflichtangaben mit der als Anlage B beigefügten Werbeunterlage, nämlich dem „Interview mit Prof. Dr. med. Thomas Lehrnbecher in Frankfurt;
c) mit der als Anlage C beigefügten Werbeunterlage, nämlich dem „Interview mit Dr. med. Werner J Heinz in Würzburg;
2. an die Klägerin € 3.914,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Weil die Beklagte in der Klageerwiderung eine Unterwerfungserklärung abgegeben hat, haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Anträge 1.b) und c) sodann übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen: Die angegriffene Angabe sei objektiv richtig, denn C. sei ein Echinocandin. Es sei unzutreffend, dass der normal informierte und durchschnittlich verständige Referenzarzt der Angabe entnehme, Lichtenstern et al. hätten explizit die Anwendung von C. empfohlen. Es sei in der Arzneimittelwerbung üblich, dass zunächst der Handelsname bzw. Wirkstoff des werbenden Unternehmens genannt werde, wenn in einer Publikation eine Gruppe von Arzneimitteln empfohlen und dies in der Werbung wiedergegeben werde. Nur für ein wörtliches Zitat könne anderes gelten, ein solches liege hier aber nicht vor. Zudem müsse gem. § 6 Nr. 2 HWG eine Trennung zwischen dem eigenen Arzneimittel und den übrigen von der Publikation betroffenen Präparaten vorgenommen werden, denn es müsse klargestellt werden, ob die Veröffentlichung das beworbene Arzneimittel selbst betreffe. Im Kontext der angegriffenen Werbeunterlage ergebe sich durch die unmittelbar über der angegriffenen Angabe abgedruckte Grafik, dass nicht C. vorrangig vor anderen Echinocandinen empfohlen werde. In der Publikation von Lichtenstern et al. werde ferner Bezug genommen auf Therapieleitlinien einer europäischen Expertengruppe, die durchaus eine explizite Behandlungsempfehlung für Caspofungin, den Wirkstoff von C., enthalte. Hinsichtlich des ehemaligen Antrags zu 1.c) sei die Klägerin nach dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO kostenpflichtig, denn sie habe das mit diesem Antrag beanstandete Verhalten nicht vorgerichtlich abgemahnt.
Das Landgericht Hamburg, Kammer 7 für Handelssachen, hat mit Urteil vom 29.3.2011 dem Klageantrag zu 2. in Höhe von € 2.687,60 nebst Zinsen stattgegeben und die Klage im Übrigen, soweit nicht übereinstimmend für erledigt erklärt, abgewiesen. Die mit dem Antrag zu 1.a) angegriffene Werbeaussage sei nicht irreführend. Hinsichtlich des für erledigt erklärten Antrags zu 1.c) habe hingegen die Klägerin die Kosten zu tragen, denn sie habe die mit diesem Antrag angegriffene Angabe zuvor nicht abgemahnt. Auf das Urteil des Landgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung; die Beklagte hat form- und fristgerecht Anschlussberufung eingelegt.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ergänzend macht sie geltend: Die angegriffene Angabe verstoße gegen das Erfordernis der wortgetreuen Übernahme wörtlicher Zitate gem. § 6 Nr. 3 HWG. Zwar sei es grundsätzlich zulässig, eine Studie nicht zu zitieren, sondern lediglich als Datenquelle zu benutzen, die ihrerseits aufbereitet dargestellte werde. Dann handele es sich nicht um eine wortgetreue Verwendung, die nur zulässig sei, wenn herausgestellt werde, dass es sich nicht um eine originalgetreue Verwendung, sondern eine Bearbeitung handele. Auf Modifikationen müsse deutlich hingewiesen werden. Vorliegend ordne der angesprochene Verkehr die herausgestellte Angabe selbstverständlich den genannten Autoren Lichtenstern et al. zu. Die Angabe sei auch irreführend, weil unter die Empfehlung von Lichtenstern et al. verschieden Wirkstoffe und verschiedene auf dem Markt erhältliche Präparate mit unterschiedlichen Wirk- und Nebenwirkungsspektren fielen. Abmahnkosten seien wie beantragt zuzusprechen.
Die Klägerin beantragt wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen sowie – im Wege der Anschlussberufung – unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage in Höhe weiterer € 730,20 nebst Zinsen abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und macht ergänzend geltend: Es handele sich bei der angegriffenen Angabe nicht um ein Zitat im Sinne des § 6 Nr. 3 HWG. Vorliegend habe die Beklagte nicht zitiert, sondern eine Werbeaussage getätigt, für deren Berechtigung sie die Veröffentlichung von Lichtenstern et al. in Bezug nehme. Die angesprochenen Ärzte erwarteten nicht, die Autoren hätten sich exakt mit diesem Wortlaut geäußert. Ärzte wüssten, dass in Studien Arzneimittel nicht mit ihrem Markennamen, sondern mit der Wirkstoffbezeichnung benannt würden. Auch deshalb erwarteten sie nicht, der exakte Wortlaut der Angabe finde sich in der Studie. Die Werbung sei aus den bereits erstinstanzlich ausgeführten Gründen auch nicht irreführend. Die Entscheidung des Landgerichts hinsichtlich der Abmahnkosten sei zutreffend, soweit Abmahnkostenersatz hinsichtlich des mit dem Antrag zu 1.a) angegriffenen Verhaltens abgewiesen worden sei. In Höhe von € 1.957,40 nehme die Beklagte die Verurteilung hin. Unzutreffend sei jedoch die Berechnung der zugesprochenen Abmahnkosten nach einem Streitwert von € 250.000; anwendbar seien hier die in der Entscheidung Sondernewsletter“ des BGH (GRUR 2010, 744) ausgeführten Regeln. Danach sei die Verurteilung in Höhe von € 730,20 zu Unrecht erfolgt sei; dies werde im Wege der Anschlussberufung beanstandet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet (nachfolgend I.). Die Anschlussberufung der Beklagten ist ebenfalls zulässig, aber nicht begründet (nachfolgend II.).
I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist hinsichtlich des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs (nachfolgend 1.) und der weiter geltend gemachten Abmahnkostenzahlung begründet (nachfolgend 2.).
1. Die Klägerin hat Anspruch auf Unterlassung der mit dem Antrag zu 1.a) beanstandeten Angabe. Dieser Anspruch folgt zwar nicht aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG i.V.m. § 6 Nr. 3 HWG (nachfolgend a]), es handelt sich jedoch um irreführende Werbung im Sinne der § 5 UWG bzw. § 4 Nr. 11 UWG, § 3 HWG (nachfolgend b]).
a) Die Klägerin rügt ohne Erfolg, dass die angegriffene Angabe gegen § 6 Nr. 3 HWG verstoße, weil es sich um ein nicht wortgetreues Zitat handele.
Nach § 6 Nr. 3 UWG ist eine Werbung unzulässig, wenn aus der Fachliteratur entnommene Zitate, Tabellen oder sonstige Darstellungen nicht wortgetreu übernommen werden. Ein Zitat im Sinne dieser Vorschrift ist die unveränderte Übernahme fremden Geistesgutes unter Bezugnahme auf eine konkrete Belegstelle bzw. auch die veränderte Übernahme, bei der dem Adressaten der Eindruck einer unveränderten Übernahme vermittelt wird (Doepner, HWG, 2. Aufl. 2000, § 6 Rn. 40). Entscheidend für den Charakter des Zitats“ ist aber immer, dass die Angabe auch „als Zitat, also als Übernahme kenntlich gemacht wird (Senat, GRUR-RR 2001, 115, juris-Rn. 16: „Darstellung als Zitat; Riegger, Heilmittelwerberecht, 6. Kap. Rn. 28). Es soll der (abstrakten) Gefahr vorgebeugt werden, dass die wissenschaftliche Autorität einer Fachpublikation durch verfälschende Scheinzitate“ zu Unrecht – also irreführend – in Anspruch genommen wird (vgl. Bülow/Ring, HWG, 4. Aufl. 2012, § 6 Rn. 21).
Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um ein (Schein-)Zitat im vorgenannten Sinne. Denn das angesprochene Fachpublikum versteht die angegriffene Angabe nach dem werblichen Kontext nicht als Zitat in Sinne der wörtlichen Übernahme aus der in der Fußnote angeführten Studie. Schon formal fehlt es an Anzeichen einer wörtlichen Übernahme wie z.B. Anführungszeichen. Auch nach der grafischen Gestaltung handelt es sich nicht um ein Zitat, sondern eine eigene Werbebehauptung der Beklagten, die in der orange unterlegten Fußzeile der Broschürenseite die Aussage der auf dem Hauptteil der Seite dargestellten Grafik zuspitzt und auf die Vorzüge des beworbenen Produkts C. und der weiteren Echinocandine fokussiert. Der Fußnotenhinweis fungiert als Nachweis eines wissenschaftlichen Belegs dieser Aussage, nicht als Hinweis auf die wörtliche Übernahme. Insgesamt handelt es sich um den typischen Fall einer dem Betrachter als eigene Werbeaussage des werbenden Unternehmens entgegentretenden Angabe, für die mittels einer Fußnote ein wissenschaftlicher Beleg herangezogen wird.
b) Es besteht ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 8, 3, 4 Nr. 11, 5 UWG i.V.m. § 3 HWG. Die Klägerin rügt zutreffend, die angegriffene Angabe vermittle in irreführender Weise das Verkehrsverständnis, die als Beleg genannte Studie beinhalte eine ausdrückliche Behandlungsempfehlung für das beworbene Produkt der Beklagten.
aa) Das von der Klägerin vorgetragene Verkehrsverständnis trifft zu.
Das Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen Verbrauchers ebenso wie das eines Arztes vermögen die Mitglieder des Senats, die sich hierbei auf ihre eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen können, selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (Senat, Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204).
Die vorliegend angegriffene Formulierung, die C. an erster Stelle und mit Produktnamen nennt, wohingegen die weiteren Echinocandine nur an zweiter Stelle und nur als Stoffgruppe bezeichnet werden, wird in der Tat so verstanden, als sei in dem herangezogenen wissenschaftlichen Beleg eine Heraushebung des Produkts der Beklagten im Sinne einer Behandlungsempfehlung erfolgt. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich auch im Kontext der angegriffenen Werbeunterlage, nämlich der oberhalb der Angabe abgedruckten Grafik, keine Korrektur der Aussage, dass C. vorrangig vor anderen Echinocandinen empfohlen worden sei. Denn es handelt sich bei der angegriffenen Angabe nach der grafisch-inhaltlichen Gesamtgestaltung um eine werbliche Zuspitzung der Aussage der vorangegangenen Grafik, die den „Algorithmus zur Therapie von invasiven Candida-Infektionen“ darstellt. Die Grafik spricht stets zunächst von der Stoffgruppe und nennt dann beispielhaft den Wirkstoff der Beklagten („Echinocandin, z.B. Caspofungin).
bb) Versteht man die angegriffene Angabe im vorstehenden Sinne, so ist sie auch irreführend.
Die Werbung für Arzneimittel unterliegt den strengen Voraussetzungen der gesundheitsbezogenen Werbung, wonach wegen des hohen Schutzgutes der Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen besonders strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH GRUR 1980, 797 – Topfit Boonekamp; Senat, Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204). Daher sind werbende Anpreisungen auf diesem Gebiet nur zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen (BGH GRUR 1971, 153 – Tampax).
Die vorliegend angegriffene Angabe ist irreführend, denn die in Bezug genommene Literaturstelle enthält eine Anwendungsempfehlung gerade für das Produkt der Beklagten nicht. Vielmehr enthält die Arbeit von Lichtenstern et al. an der hier relevanten Stelle eine auf die gesamte Stoffgruppe der Echinokandine bezogene Anwendungsempfehlung (Patienten […] sollen […] mit einem Echinocandin behandelt werden), die auf den allgemein, d.h. nicht produkt- oder wirkstoffbezogen beschriebenen Vorzügen dieser Stoffgruppe basiert (aufgrund der breiten Wirksamkeit und der minimalen Toxizität“), ohne dass die unterschiedlichen Indikations- und Nebenwirkungsspektren einzelner Wirkstoffe in den Blick genommen würden. Lichtenstern et al. heben also gerade nicht einen bestimmten Wirkstoff oder ein bestimmtes Produkt hervor. Die Beklagte hat zwar Recht mit dem Hinweis, dass das beworbene Produkt C. auch ein Echinocandin sei, das zu der Gruppe von Stoffen gehöre, die in der Arbeit von Lichtenstern et al. durch ausführliche Darstellung einer Therapieleitlinie positiv erwähnt würden. Für die werbliche Hervorhebung gerade des Produkts der Beklagten vor anderen Echinokandinen kann aber die Beklagte diese Literaturstelle nicht als wissenschaftlichen Beleg in Anspruch nehmen. Mit der Verteidigung, Lichtenstern et al. referierten an der in der Werbung angeführten Stelle die Therapieleitlinien von Guery et al. (Anlage B 1), welche jedenfalls die Werbung wissenschaftlich rechtfertigten, kann die Beklagte schon deshalb nicht gehört werden, weil das Strengeprinzip erfordert, dass der Arzt in der Lage sein muss, die durch die Studie angeblich wissenschaftlich belegte Aussage unmittelbar durch diese Studie zu überprüfen, ohne damit rechnen zu müssen, dass die als Beleg aufgeführte Studie nur teilweise, über „drei Ecken“ oder nur im Zusammenhang mit anderen, nicht genannten Studien möglicherweise die Werbebehauptung stützen kann (Senat, PharmR 2007, 204). Im Übrigen dürfte auch den Leitlinien von Guery et al. der werblich behauptete Anwendungsvorrang von C. gegenüber anderen Echinokandinen nicht zu entnehmen sein, weil die dortigen Ausführungen ebenfalls allgemein auf Echinokandine bezogen sind und der Wirkstoff der Beklagten gleichrangig mit einem weiteren Wirkstoff genannt wird (a.a.O. S. 221, rechte Spalte: „To achieve this aim, echinocandins are a prefered first choice [caspofungin or anidulafungin]).
2. Die Klägerin hat Anspruch auf Abmahnkostenersatz gem. § 12 Abs. 1 S. 2 UWG in geltend gemachter Höhe. Von der nach einem Streitwert von € 500.000 zu berechnenden 1,3-Gebühr nebst Auslagen und Umsatzsteuer in Höhe von € 3.914,80 hat das Landgericht bereits € 2.687,60 nebst Zinsen zugesprochen. Der Anspruch der Klägerin beläuft sich also auf weitere € 1.227,20 nebst Zinsen.
II. Die auf eine Korrektur des Abmahnkostenersatzes gerichtete Anschlussberufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Der Anspruch der Klägerin auf Abmahnkostenersatz beläuft sich auf die volle geltend gemachte Summe (s.o.).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 92, 91a, 97 S. 1 ZPO.
1. Hinsichtlich der Anträge zu 1.a) und 2. ist die Beklagte vollen Umfangs kostenpflichtig. Zwar hat die Klägerin den Antrag zu 1.a) nach eigenem Bekunden kumulativ sowohl auf die Vorschrift des § 6 Nr. 3 UWG als auch auf das Verbot irreführender Werbung (§ 5 UWG, § 3 HWG) gestützt und liegen – wie ausgeführt – die Voraussetzungen des § 6 Nr. 3 HWG nicht vor. Hieraus folgt aber kein Teilunterliegen der Klägerin, denn es handelt sich vorliegend um einen einheitlichen Streitgegenstand. Richtet sich das wettbewerbsrechtliche Unterlassungsbegehren – wie vorliegend – gegen eine konkrete Verletzungsform, so stellt diese den Lebenssachverhalt dar, durch den der Streitgegenstand bestimmt wird, weil sie bei natürlicher Betrachtungsweise den der Klage zugrundeliegenden Tatsachenkomplex umschreibt (BGH GRUR 2013, 401 Rn. 24 – Biomineralwasser). Beanstandet der Kläger in diesem Fall die Werbung unter mehreren Gesichtspunkten, so ist es bei Erfolg der Klage Sache des Gerichts zu bestimmen, auf welchen Aspekt das Unterlassungsgebot gestützt wird (BGH a.a.O.). Möchte hingegen der Kläger – wie ihm unbenommen ist – eine bestimmte Werbeanzeige unter verschiedenen Aspekten angreifen, so kann er diese verschiedenen Aspekte im Wege der kumulativen Klagehäufung zu jeweils getrennten, in eigenständigen Anträgen zum Ausdruck kommenden Klagezielen machen und hat im Falle des Verlusts anteilig die Kosten zu tragen (BGH GRUR 2013, 401 Rn. 25 – Biomineralwasser). Um eine solche im Antrag zum Ausdruck kommende kumulative Klagehäufung handelt es sich allerdings vorliegend nicht. Selbst wenn man – bei einheitlichem Antrag – die ausdrücklich kumulative Nennung mehrerer Begründungsaspekte nur in der Klagebegründung für die Annahme einer kumulativen Klagehäufung als ausreichend ansehen wollte, so käme man vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Denn mit beiden Begründungsaspekten – § 5 UWG bzw. § 3 HWG einerseits und § 6 Nr. 3 HWG andererseits – greift die Klägerin den irreführenden Charakter der Werbung an, der in einer mangelhaften wissenschaftlichen Absicherung bzw. dem irreführenden "Scheinzitat" besteht. Eine Aufspaltung dieses auf Irreführung unterschiedlicher Ausprägungen gestützten Angriffs in mehrere Streitgegenstände wäre nicht sachgerecht.
2. Hinsichtlich des erstinstanzlich übereinstimmend für erledigt erklärten Antrags zu 1.b) ist die Beklagte ebenfalls kostenpflichtig; über die seinerzeitige Begründetheit dieses Antrags streiten die Parteien zu Recht nicht. Den ehemaligen Antrag zu 1.c) hat die Beklagte hingegen im Sinne des § 93 ZPO sofort anerkannt, so dass im Rahmen der Entscheidung nach § 91a ZPO insoweit die Kosten der Klägerin aufzuerlegen sind. Die Beklagte hat den Antrag zu 1.c) sofort i.S.d. § 93 ZPO anerkannt, denn der zugrundeliegende Verstoß war nicht Gegenstand einer vorgerichtlichen Abmahnung. Die Klägerin durfte hinsichtlich des mit dem Antrag zu 1.c) angegriffenen Verhaltens nicht annehmen, die zuvor hinsichtlich des mit dem Antrag zu 1.b) weiterverfolgten Verhaltens erfolglose Abmahnung lege auch hier die Zwecklosigkeit der Abmahnung nahe. Zwar handelte es sich wiederum um die Werbung mit dem Interview eines Professors. Aus der Vornahme einer weiteren, der früheren lediglich ähnlichen Verletzungshandlung kann allerdings nicht ohne weiteres auf die Erfolglosigkeit einer erneuten Abmahnung geschlossen werden (Senat Magazindienst 2008, 63; AfP 2008, 510). Im vorliegenden Fall sind die mit den Anträgen zu 1.b) und 1.c) gerügten Verstöße inhaltlich von so unterschiedlicher Qualität, dass die Prognose, die Beklagte werde sich bei Vornahme einer weiteren Abmahnung keinesfalls unterwerfen, nicht gerechtfertigt war. Hinsichtlich der Werbung mit dem Interview des Prof. Lehrnbecher (Anlage K 5/Anlage B) rügte die Klägerin, dass irreführend suggeriert werde, C. könne ohne Bedenken und Vorsichtsmaßnahmen für pädiatrische Patienten aller Altersstufen verwendet werden, obwohl laut Fachinformation bei der Behandlung von Neugeborenen und Säuglingen Vorsicht geboten sei. Hinsichtlich der Werbung mit dem Interview des Prof. Heinz (Anlage K 9/Anlage C) rügt die Klägerin, dass ohne wissenschaftliche Grundlage behauptet werde, für Caspofungin lägen im Gegensatz zu anderen Echinocandinen wesentlich mehr Daten zur Behandlung der Aspergillose vor. Bei dieser Sachlage indiziert die Erfolglosigkeit der einen Abmahnung nicht die Entbehrlichkeit der anderen.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.