Kein fliegender Gerichtsstand bei Filesharing

02. April 2012
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Eigener Leitsatz:

Das Institut des "fliegenden Gerichtsstands" gilt in Fällen von Urheberrechtsverletzungen durch sogenanntes Filesharing nicht. Die technischen Besonderheiten rechtfertigen es nicht, die beklagte Partei den Nachteilen einer unbeschränkten Gerichtswahl auszusetzen.

Amtsgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 13.02.2012

Az.: 31 C 2528/11 (17)

In dem Rechtsstreit

gegen

hat das Amtsgericht Frankfurt am Main durch Richter am Amtsgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2012

für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
 
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an dem Album „One More Love" des Künstlers David Guetta. Das Album wurde am 26.11.2010 veröffentlicht. Auf ihm befindet sich der Titel „Who’s That Chick". Die Klägerin beauftragte die Verstigo Internet Services GmbH aus Wettenberg mit der Beobachtung der Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Dateien in Internet-Tauschbörsen. Die Verstigo Internet Services GmbH stellte fest, dass am 16.01,2011 um 13:10:17 Uhr über die IP-Adresse XXX eine Datei mit einer Tonaufnahme von „Who’s That Chick" in einer Peer-to-Peer-Tauschbörse bereitgehalten wurde. Die IP-Adresse war dem Beklagten zugeordnet.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mahnten den Beklagten mit Schreiben vom 09.03.2011 ab und forderten ihn auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Zugleich wurde ihm eine vergleichsweise Beilegung der Angelegenheit gegen Zahlung von 450 € angeboten. Der Beklagte gab unter dem 18.03.2011 die Unterlassungserklärung ab. Eine Zahlung von 450 € wurde abgelehnt. Mit der Klage verfolgt die Klägerin die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 651,80 € und begehrt Schadensersatz für die unberechtigte Werknutzung in Höhe von 150 €.

Die Klägerin ist der Auffassung, das Amtsgericht Frankfurt am Main sei örtlich zuständig.

Die Klägerin hat im Termin vom 23.01.2012 den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt mit dem Sachantrag.

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 801,80 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.12.2011 zu zahlen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist unzulässig.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist örtlich unzuständig.

Der Beklagte hat seinen allgemeinen Gerichtsstand nach § 12 ff. ZPO nicht im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt am Main.

Einzig in Betracht kommende Norm, die eine Zuständigkeit begründen könnte, ist § 32 ZPO. Dessen Voraussetzungen sind aber entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erfüllt, Richtig ist zwar, dass das unberechtigte Anbieten von urheberrechtlich geschützten Werken eine deliktisch Handlung darstellt und daher die Anwendung von § 32 ZPO grundsätzliche mögliche ist. Die hier gegenständliche Handlung wurde allerdings im Sinne der Vorschrift nicht im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt am Main begangen.

1. § 32 ZPO eröffnet einen besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung dort, wo die Handlung begangen ist. Es kommt mithin nicht darauf an, wo der Schaden eingetreten ist. Zwar ist eine Tat nicht nur dort begangen, wo der Täter gehandelt hat, sondern auch dort, wo der Erfolg seiner Handlung eingetreten ist. Das gilt aber nur insoweit, als ohne den Erfolg die Handlung nicht vollendet wäre. Danach ist die unerlaubte Handlung auch noch dort begangen, wo der Verletzungserfolg eingetreten ist (BGH NJW 1977, 1590).

Die streitgegenständliche Musikdatei wurde von dem Beklagten nicht in Frankfurt am Main in das Netzwerk gestellt, so dass allenfalls an den Verletzungserfolg zu denken ist. Bei urheberrechtlichen Verletzungshandlungen kann der Erfolg aber an sehr vielen Orten eintreten. § 32 ZPO führt daher zu einer Zuständigkeit aller Gerichte, in deren Bezirke der Verletzungserfolg eintritt (sog. „fliegender Gerichtsstand"; Keiferpütz, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 105 UrhG Rn. 16). Diese zunächst für die althergebrachten Medien entwickelte Rechtsprechung (vgl. etwa BGH GRUR 1988, 785 für wettbewerbsrechtliche Pressefragen) ist grundsätzlich auch auf das Internet zu übertragen.
 
2. Das Institut des fliegenden Gerichtsstandes bedarf allerdings einer einschränkenden Auslegung, wenn dessen konsequente Anwendung dazu führe, dass die örtliche Zuständigkeit jeden ordentlichen Gerichts der Bundesrepublik Deutschland gegeben wäre, obwohl ein örtlicher Bezug zu dem angerufenen Gericht sich nicht feststellen ließe.

Die öffentliche Zugänglichmachung eines Werkes nach § 19a UrhG im Wege eines Downloadangebots im Peer-to-Peer-Netzwerk begründet eine Zugänglichkeit des Werkes an jedem Ort der Welt, wo ein Zugriff auf das Netzwerk besteht. Für Peer-to-Peer-Netzwerke, die auf Internet-Netzwerkprotokollen wie TCP/IP aufbauen und damit Internet-Zugriff erfordern, kann dies in der Bundesrepublik Deutschland praktisch flächendeckend angenommen werden. Die sich daraus ergebende örtliche Zuständigkeit  jedes ordentlichen Gerichts führt zu einer freien Auswahl des Gerichts durch die klagende Partei, was faktisch zu einem Wahlgerichtsstand am Sitz oder Wohnort der Klägerseite führt (OLG Bremen BeckRS 2000, 31163001). Das Ist sachlich nicht zu rechtfertigen.

a) Zunächst ist zu sehen, dass § 32 ZPO auf dem Gedanken der Sachnähe beruht, der eine leichtere Aufklärung verspricht (OLG München NJW-RR 1993, 701 (703)). Eine die Beweiserhebung fördernde Ortsnähe ist aber aus der bloßen allgemeinen technischen Verfügbarkeit nicht gegeben, solange kein sonstiger Bezug zum Ort besteht, wie z.B. der Sitz des Schädigers oder der Standort von ihm unterhaltener technischer Anlagen. Die weltweite Abrufbereit eines Internet-/Peer-to-Peer-Angebots ist nicht notwendigerweise vom Anbietenden bezweckt, sondern eine zwangsläufige, technisch bedingte Gegebenheit des hierfür verwendeten Mediums (OLG Bremen a.a.O.).

Insofern spielt es keine Rolle, dass die Klägerin ihre Feststellungen in Wettenberg getroffen hat, welches als Teil des Landgerichtsbezirks Gießen gemäß § 105 UrhG i.V.. § 7 Ziff. 1 der Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten im Bereich des Ministeriums der Justiz (Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz) vom 16.09.2008 (HessGVBI. 12008, S. 822) der Zuständigkeit des erkennenden Gerichts unterfiele. Wo die Klägerin ihre Beweismittel unterhält, ist zufällig. Die leichtere Aufklärung durch Ortsnähe, die sich der Gesetzgeber verspricht, wäre etwa am Ort der Bereithaltung des Downloadangebots gegeben, aber nicht dort, wo die Klägerin ihre Ermittlungen aufgrund der eigenen Organisation betreibt bzw. betreiben lässt.

Demgegenüber steht die Grundregel der ZPO, dass die Klage dort zu erheben ist, wo die beklagte Partei ansässig ist. Es ist Ausprägung des Gerechtigkeitsgedanken, den Vorteil der Klägerseite, die nicht nur das Ob, sondern auch den Zeitpunkt und die Art des Klageangriffs bestimmt, dadurch auszugleichen, dass die beklagte Partei den ihr ohne und meist gegen ihren Willen aufgezwungenen Rechtsstreit nicht auch noch unter zusätzlichen Erschwerungen an einem auswärtigen Gericht zu führen hat (Voll-kommer, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 12 Rn. 2).

Den zuständigkeitsrechtlichen Leitprinzipien der Vermeidung beziehungsarmer Gerichtsstände der Reduzierung konkurrierender Zuständigkeiten und der Vorhersehbarkeit und präventiven Steuerbarkeit der potenziellen Gerichtspflichtigkeit liefe es eklatante zuwider, eine uferlose Ausweitung der Gerichtspflichtigkeit der Beklagtenseite anzunehmen (BGH NJW 2010, 1752).

Es bestünde die Gefahr, dass die in Anspruch Genommenen wegen des geringen Streitwerts und/oder ihrer Unerfahrenheit mit gerichtlichen Auseinandersetzungen verleitet sein könnten, den Kopf in den Sand zu stecken, also ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen lassen, oder die klagende Partei weitestgehend zu befriedigen, anstatt sich dieser an dem möglicherweise weit entfernten Gerichtsstand zu stellen oder dafür einen auswärtigen Rechtsanwalt zu beauftragen (Danckwerts,  GRUR 2007, 104 (106)).

Zur Umsetzung der notwendigen Einschränkung der Zuständigkeit nach § 32 ZPO ist der Verletzungsort daher für unerlaubte Handlungen im Internet auf solche Gebiete zu beschränken, in denen sich die Verletzungshandlung bestimmungsgemäß auswir¬ken sollte (so OLG Bremen a.a.O. für das Wettbewerbsrecht; LG Krefeld MMR 2007, 798; Danckwerts, GRUR 2007, 104; ähnlich Vollkommer, a.a.O., § 32 Rn. 17; vgl. für das Persönlichkeitsrecht auch OLG Frankfurt am Main AfP 2011, 278; einschränkend jedenfalls hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit auch BGH NAW 2010, 1752).

b) Eine solche bestimmungsgemäße Auswirkung kann für den Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt am Main einschließlich seiner erweiterten Zuständigkeit nach Gerichtlicher-
Zuständigkeitsverordnung Justiz jedoch nicht festgestellt werden. Der Schädiger, der ein urheberrechtlich geschütztes Werk in einer Internet-Tauschbörse im Wege eines Peer-to-Peer-Netzwerkes verbreitet, kann die Verbreitung nicht bestimmen. Die technischen Gegebenheiten erzwingen, dass eine Datei im Peer-to-Peer-Netzwerk allen Interessenten zur Verfügung steht, die Zugriff auf das Netzwerk haben. Der Schädiger kann das Herunterladen der Datei nicht auf bestimmte Gebiete beschränken. Ihm stehen nur sehr begrenzt Möglichkeiten zur Gestaltung des Downloadangebots zu. Er kann den Namen der Datei bestimmen. Falls er ein Dateiarchiv erstellt, kann er neben dem urheberrechtlichen Werk Textdateien anfügen mit Inhaltsinformationen. Eine nähere Gestaltung des eigentlichen Angebots ist ihm aber verwehrt, anders als beispielsweise im Falle der Errichtung einer Internetseite im World Wide Web, wo der Anbieter Einfluss hat auf die Sprache des Angebots, auf den dargebotenen Inhalt und auf die technische Abrufbarkeit mit den verschiedenen Browserprogrammen.

Im Peer-to-Peer-Netzwerks ist der Adressatenkreis nicht einschränkbar. Eine   Datei steht allen Nutzern zur Verfügung oder keinen. Im Falle öffentlicher Peer-to-Peer-Netzwerke ist das eingestellte Werk nicht nur deutschlandweit, sondern weltweit ver¬fügbar. Schranken durch inhaltliche Gestaltung sind nicht möglich, da nur die Datei mit dem urheberrechtlich geschützten Werk das Downloadangebot darstellt ohne begleitenden Rahmen. Selbst falls der Anbieter auf ein Archiv zurückgreift, wird das Werk wie hier eine Musikaufnahme auch bei einschränkenden Begleitinformationen unmittelbar zur Verfügung gestellt, da in dem Archiv die Datei mit der Aufnahme als Audiodatei erkennbar und nutzbar bleibt und der Nutzer die Begleitinformationen schlichtweg ignorieren kann. Wenn dem Schädiger aber die Möglichkeit genommen ist, auf das Angebot beschränkend einzuwirken, überwiegen nach Dafürhalten des erkennenden Gerichts die allgemeinen zivilprozessualen Grundsätze zur örtlichen Zuständigkeit. Die technischen Besonderheiten rechtfertigen es nicht, die beklagte Partei den Nachteilen einer unbeschränkten Gerichtswahl auszusetzen.

Deshalb steht der hier vertretenen Auffassung auch nicht das Urteil des LG Frankfurt am Main vom 05.11.2009 (2/3 S 7/09; MMR 2010, 142) entgegen. Abgesehen davon, dass sich das LG nicht näher mit den überzeugenden Argumenten der Vorinstanz auseinandergesetzt hat, stellt das LG im Wesentlichen darauf ab, dass nach dem dort streitgegenständlichen lnternetangebot die Rechtsverletzung an jedem Ort Deutschlands drohte. Anders als hier war im dortigen Fall jedoch Streitgegenstand eine eBay-Verkaufsofferte, also ein Angebot im World Wide Web. Der Inhalt einer WWW-Seite ist im Gegensatz zum Peer-to-Peer-Netzwerk von dem Anbieter näher beeinflussbar. Die deutschlandweit bestehende örtliche Zugänglichkeit eines solchen Angebots lässt sich daher durch die inhaltliche Gestaltung näher begrenzen, beispielsweise indem, wie auch das LG ausführt, Versandbeschränkungen vorgenommen werden. Der dem Anbieter überlassenen konkreten Ausgestaltung eines lnternetangebots sind daher die technischen Zwänge einer Tauschbörse im Peer-to-Peer-Netzwerk nicht gleichzusetzen.

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