Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch „Google Street View“

07. Juli 2011
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Eigener Leitsatz:

Werden im Rahmen des geodatengeschützten Internetangebots "Google Street View" von der Fahrbahn einer Straße aus Aufnahmen von Wohnhäusern angefertigt, bei denen durch die Aufnahmetechnik keine weitergehenden Einblicke möglich sind, als sie sich Fußgängern auf dem Bürgersteig darbieten, so lässt sich aus solchen Aufnahmen für sich genommen noch keine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des Rechts am eigenen Bild ableiten. Eine Verletzung von Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Bei Aufnahmen von sich auf öffentlichen Straßen aufhaltenden Personen sind jedoch entsprechende Rechtsverletzungen und Datenschutzverstöße denkbar.
 
So ist allein auf Grund der Tatsache, dass solche Aufnahmen von der Fahrbahn aus gefertigt werden, noch nicht davon auszugehen, dass dadurch Aufnahmen möglich oder sogar wahrscheinlich sind, die den Vorgarten oder Räumlichkeiten eines Hauses detailliert wiedergeben oder Personen identifizierbar darstellen. Ferner sollen ohnehin im Rahmen des Internetangebots „Street-View“ Gesichter vor der Veröffentlichung der Aufnahmen unkenntlich gemacht werden und auch selbst hinsichtlich Gebäuden besteht die Möglichkeit, diese unkenntlich zu machen, sodass keine Identifikation abgebildeter Personen oder Gebäude möglich ist.

Landgericht Berlin

Urteil vom 13.09.2010

Az.: 37 O 363/10

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen. 

Der Verfahrenswert wird auf 5.001,– € festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Einfamilienhauses in einer ruhigen und durch Einfamilienhäuser geprägten näheren Umgebung in Berlin. Die Antragsgegnerin ist ein in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässigen Unternehmens, das verschiedene Angebote einschließlich einer sog. Suchmaschine im Internet bereithält. Sie bzw. ein deutsches mit ihr verbundenes Unternehmen beabsichtigen noch im Jahre 2010 ein geodatengestütztes Angebot im Internet namens "Street View’" zu starten. Hierbei handelt es sich um eine 360-Grad-Panorama-Straßenansicht. Dadurch sollen Straßenzüge zumindest aller deutschen Großstädte einzusehen sein. Dazu werden seit dem Jahr 2008 durch mit Kameras ausgerüsteten Fahrzeuge Fotos bzw. Bildsequenzen von Straßen aufgenommen. Die Kameras sind auf einer Lafette befestigt. Berlin soll zu diesen Städten gehören. 

Die Antragstellerin begehrt die Unterlassung der Aufnahme ihres Hauses, da sie befürchtet, dass der Privatbereich des Vorgartens und der Wohnräume und Aufnahmen von ihr bzw. ihrer Familie auf den zur Veröffentlichung bestimmten Lichtbildern zu sehen sein werden. Dies sei außerordentlich wahrscheinlich, weil die Aufnahmen aus einer Höhe von etwa 3 m getätigt würden, so dass ein Einblick in ihren Vorgarten oder die Wohnräume jedenfalls des Untergeschosses möglich sei, in denen sie sich besonders häufig aufhalte. Auch die Hausnummer sei aufgrund ihrer Größe spätestens aufgrund der Zoomfunktion zu erkennen, so dass auch eine Individualisierung möglich sei. Die Antragsgegnerin bzw. deren deutsche Tochtergesellschaft haben auf Aufforderungsschreiben der Antragstellerin nicht reagiert. Soweit auch die deutsche Tochter ursprünglich mit auf Unterlassung vor dem Landgericht Hamburg in Anspruch genommen worden ist, hat dieses das Verfahren gegen die hiesige Antragsgegnerin abgetrennt und an das LG Berlin verwiesen. 

II. Bei dieser Sachlage war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. Der Antrag ist zwar zulässig vor dem Landgericht Berlin erhoben. Der Antragstellerin steht jedoch kein durch einstweilige Verfügung zu sichernder Anspruch auf Unterlassung der ggf. noch anstehenden Aufnahmen ihres Hauses gemäß §§ 823, 1004 BGB (analog) iVm Art 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder aus sonstigen rechtlichen Gründen (KUG und BDSG) zu. 

1. Der Antrag ist vor dem Landgericht Berlin und damit vor deutschen Gerichten zulässig erhoben. Die Zuständigkeit des Landgerichts Berlin ist schon aufgrund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Hamburg gegeben. Die von der Antragstellerin begehrte Unterlassung einer Pflichtverletzung dürfte auch am Ort der beanstandeten Maßnahme geltend gemacht werden können (§ 32 ZPO). Zudem könnte es zur Begründung der örtlichen und internationalen Zuständigkeit ausreichend sein, dass der BGH in Urheberrechtsfällen mit Bezug zum Internet die bestimmungsgemäße Abrufmöglichkeit im Inland ausreichen lässt (vgl. BGH, Urt. v. 29. April 2010, I ZR 69/08 = MMR 2010, 475), was auf das vorliegende Sachgeschehen zu übertragen sein könnte. 

2. Der Antrag ist aber im Ergebnis ohne Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die Antragsgegnerin tatsächlich passiv legitimiert ist, da derzeit nicht hinreichend klar ist, wer die Aufnahmen in welchem Namen anfertigt, wobei hier – jedenfalls was die etwaige Verletzung des BDSG betrifft – insoweit sogar mehr für die deutsche Tochter sprechen könnte, da die Daten hier erhoben, ggf. verarbeitet und von hier aus nach Amerika übermittelt werden sollen (Territorialprinzip). Offen bleiben kann deshalb auch, ob der Antrag deshalb unbegründet ist, weil die Aufnahmen längst gefertigt sind. Denn der Antragstellerin steht ein vorbeugender Rechtsschutz gegen die noch nicht angefertigten Lichtbilder nicht zu. Zwar erscheint es teilweise denkbar, dass ggf. Rechte der Antragstellerin betroffen oder gar verletzt werden. Einen Anspruch auf vorbeugenden Rechtsschutz – noch dazu im Wege der einstweiligen Verfügung – eröffnet aber die bloße Möglichkeit einer Rechtsverletzung nicht. 

a) Mögliche Rechtsverletzung 

aa) Teilweise fehlt es schon an einer möglichen Rechtsgutverletzung. Denn dass die Antragstellerin die Unterlassung der Aufnahmen verlangen könnte, weil ihr Wohnhaus überhaupt aufgenommen wird, kann nicht angenommen werden. Die Antragstellerin geht offensichtlich auch selbst davon aus, dass das bloße Aufnehmen von Häuserzeilen oder Straßenzügen rechtlich nicht relevant ist, ihr jedenfalls selbst kein eigener Anspruch zusteht (vgl. BGH, Urt. v. 19. März 1989, NJW 1989, 2251ff). Weder werden dadurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch das Recht am eigenen Bild oder das Bundesdatenschutzgesetz (§ 4 Abs. 1 BDSG) tangiert bzw. in relevanter Weise verletzt. 

bb) Jedenfalls was die Aufnahme der Privaträume und des Vorgartens anbelangt, käme zwar eine Rechtsverletzung (Allgemeines Persönlichkeitsrecht und auch das BDSG) in Betracht, weil durch die befürchteten Aufnahmen mehr als die Sozialsphäre betroffen wäre. Ob insoweit das Medienprivileg eingreift, auch wenn es verfassungskonform weit auszulegen ist, erscheint eher zweifelhaft. Dies kann aber letztlich offen bleiben, da nicht dargetan oder glaubhaft gemacht ist (§ 294 ZPO), dass diese Rechtsverletzung tatsächlich eintreten wird, was den vorbeugenden Rechtsschutz hindert und dem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegensteht. Die Kammer kann nicht mit hinreichender Sicherheit annehmen, dass die diesbezüglichen Annahmen oder Befürchtungen der Antragsstellerin zutreffend sind. Die Antragstellerin geht dabei davon aus, dass die Verletzung deshalb möglich und ein weiterer Einblick als durch einen Spaziergänger anzunehmen sei, weil die Kameras Aufnahmen aus einer Höhe von etwa 2,9 oder 3 m machen würden. Selbst wenn dies richtig oder gerichtsbekannt wäre und damit nicht glaubhaft gemacht werden müsste, folgt daraus nicht, dass durch die Aufnahmen die Einblicke ermöglicht werden, die die Antragstellerin verhindert wissen will. Sie übersieht dabei, dass die Fahrzeuge sich nicht auf dem Bürgersteig bewegen sondern die Aufnahmen von der Fahrbahn aus getätigt werden, so dass aufgrund der anderen Winkelverhältnisse nicht mit hinreichender Gewissheit anzunehmen ist, dass dadurch Aufnahmen möglich oder sogar wahrscheinlich sind, die den Vorgarten oder Räumlichkeiten detailliert wiedergeben. 

Soweit die Kammer sich die im Internet abrufbare Demonstrationsversion für G… Street View für die Stadt Paris stichprobenartig angesehen hat, erscheinen diese Befürchtungen der Antragstellerin gleichfalls eher unbegründet, da Aufnahmen mit Details von Wohnungen oder Vorgärten nicht zu finden waren und man nicht den Eindruck gewinnen konnte, dass durch die Aufnahmetechnik weitergehende Einblicke möglich waren als sie sich einem Fußgänger auf dem Bürgersteig darböten. 

cc) Bei Aufnahmen der Antragstellerin oder deren Familie auf der Straße, noch dazu in der geschilderten Umgebung von Einzelhausbebauung, einem geringen Verkehrsaufkommen und wenig Passantenverkehr wäre allerdings anzunehmen, dass dann das BDSG in relevanter Weise betroffen ist (vgl. dazu etwa Spiecker genannt Döhmann, CR 2010, 311, 312 ff; LG Köln, Urt. v. 13.01.2010, MMR 2010, 278  zu "Bilderbuch-Köln" mit zustimmender Anmerkung von Greve und Schärdel; wohl eher verneinend jedenfalls bei Gebäuden wohl N. Forgo, MMR 2010, 217 und Prof. Ernst in dem für die Antragsgegnerin erstellten Gutachten). Ob das Medienprivileg des § 41 BDSG für die Antragsgegnerin eingreift, ist insoweit nicht zweifelsfrei (verneinend Spiecker genannt Döhmann, CR 2010, 311, 312 ff; offen gelassen aber eher dafür LG Köln für das dortige Angebot, Urt. v. 13.01.2010, MMR 2010, 278, 279). Auch eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und von § 22 KUG dürfte dann grundsätzlich anzunehmen sein (vgl. dazu Ernst, CR 2010, 178 ff), wobei dann noch weitere Fragen der Abwägung der betroffenen Interessen und der Eingriffsintensität aufgewolfen würden. Diese können hier aber offen bleiben, da selbst bei einem Abwägungsergebnis zu Gunsten der Antragstellerin gleichwohl nur dann ein Anspruch auf vorbeugenden Rechtsschutz bestünde, noch dazu in Form einer einstweiligen Verfügung, wenn die auf Tatsachen gegründete objektiv ernstliche Besorgnis für eine zukünftige Rechtsverletzung droht (vgl. etwa Palandt-Bassenge, BGB, 69. Aufl., § 1004, Rn. 32; Palandt-Sprau, aaO, Einf v § 823, Rn. 20). Daran aber fehlt es vorliegend. 

Denn was die Abbildung der Antragstellerin und ihrer Familie auf der Straße betrifft – die im Garten und im Wohnhaus sind nach der hier vertretenen Auffassung schon aus technischen Gründen nicht glaubhaft gemacht – , ist es zwar theoretisch denkbar, dass sie sich während der Aufnahmen gerade auf der Straße aufhalten. Dies begründet aber nur eine bloße Möglichkeit, nicht aber die ernstliche Besorgnis, dass dies tatsächlich der Fall ist. Denn das Abfahren der Straße mit einem Fahrzeug dauert nur wenige Sekunden. Dass sich die Antragstellerin gerade in dieser Zeit auf der Straße aufhalten könnte, ist nicht sonderlich wahrscheinlich. 

dd) Im Übrigen steht dem Erlass der einstweiligen Verfügung im vorbeugenden Rechtsschutz auch entgegen, dass die Antragsgegnerin die Gesichter von Personen unkenntlich machen lässt und hinsichtlich von Gebäudeaufnahmen die Möglichkeit einräumt, diese bereits vor ihrer Veröffentlichung unkenntlich zu machen. Damit kann der Betroffene, jedenfalls was die wesentlichen möglichen Verletzungshandlungen betrifft, seine Rechte auf andere Weise einfacher und schneller durchsetzen. Soweit dadurch hinsichtlich von Personenaufnahmen nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist, dass gleichwohl im Einzelfall eine Individualisierung möglich ist, würde dies jedenfalls nicht für eine ernstliche Besorgnis der Rechtsgutverletzung ausreichen. Im Übrigen würde durch die weitere Möglichkeit der Unkenntlichmachung des Gebäudes mit hoher Sicherheit auch die Aufnahme der Personen endgültig verschwinden. Damit wäre aber gerade der befürchtete erhebliche Eingriff tatsächlich nicht gegeben. 

Soweit die Antragstellerin dagegen vorbringt, dass es nicht richtig sein könne, dass sie einen Rechtsverstoß erst hinzunehmen habe, um dann nachträglich – noch dazu unter Angabe weiterer personenbezogenen Daten, auf die es der Antragsgegnerin gerade ankomme – deren Unkenntlichmachung zu beantragen, vermag dies ein anderes Ergebnis nicht zu begründen. Nach der hier vertretenen Auffassung fehlt es schon an der erforderlichen ernstlichen Besorgnis einer Rechtsgutverletzung. Eine unwahrscheinliche aber nur mögliche Rechtsgutverletzung hat die Antragstellerin aber nach der Rechtsordnung hinzunehmen. Sie muss dann nachträglich deren Beseitigung und Ausgleich verlangen. Im Übrigen ist es weder glaubhaft gemacht noch festzustellen, dass die Antragstellerin zur Unkenntlichmachung ihres Gebäudes eine Vielzahl von (weiteren) Daten angeben müsse. Die Antragstellerin. behauptet dies zwar und reicht dazu einen Ausdruck einer einen Widerspruch betreffenden Internetseite ein. Auf dieser ist aber am Ende auch die Möglichkeit vorgesehen, dass man nähere Angaben zum Haus, die nach Angaben der Antragsgegnerin im Internet der Erleichterung der Unkenntlichmachung dienen sollen, nicht machen muss. 

ee) Soweit ggf. ein Rohdatensatz erstellt und ggf. vorab nach Amerika übermittelt wird, kann hierauf der Erlass einer einstweiligen Verfügung gleichfalls nicht gestützt werden. Soweit darin Personen tatsächlich zu sehen wären, wäre zwar die Anwendung des BDSG wegen einer Datenerhebung und Übermittlung ernsthaft zu prüfen. Wenn zudem das Medienprivileg zu verneinen wäre (vgl. zum Internetportal "spickmich.de" BGH, Urt. v. 15.12.2009 – VI ZR 228/08), weil entweder insgesamt oder jedenfalls bei Personenaufnahmen und der beabsichtigten (bearbeitenden) Wiedergabe durch Street View keine meinungsbildende Wirkung für die Allgemeinheit prägender Bestandteil des Angebots ist (vgl. BGH, aaO), wäre ein vorbeugender Rechtsschutz gleichfalls nicht zu gewähren. Insoweit. ist zu berücksichtigen, dass ein tatsächlicher Verstoß gegen das BDSG fraglich ist, weil zu Gunsten der Antragsgegnerin die Vorschrift des § 29 BDSG  eingreifen könnte. Da zudem die Wahrscheinlichkeit von Personenfotos oder sonst unzulässigen Aufnahmen nach den vorstehenden Ausführungen gering ist, kommt auch insoweit vorbeugender Rechtsschutz nicht in Betracht, zumal insoweit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen wäre, dass die Eingriffsintensität geringer ist als bei einer tatsächlichen Veröffentlichung von unzulässigen Fotos. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. 

Die Wertfestsetzung beruht auf den Annahmen der Antragstellerin (§ 53 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO).

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