Zur Zuständigkeit der Kartellgerichte

05. Januar 2011
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Eigener Leitsatz:

Kartellgerichte sind zuständig, wenn über kartellrechtliche Sachverhalte zu entscheiden ist. Beruft sich eine Partei auf die Zuständigkeit eines Kartellgerichts, so muss sie diese durch ausreichenden Tatsachenvortrag begründen. Die bloße Behauptung eines Kartellrechtsverstoßes genügt hierfür nicht.

Oberlandesgericht Frankfurt

Beschluss vom 16.12.2010

Az.: 11 AR 3/10

 

Leit- oder Orientierungssatz

    1. Bei Auseinandersetzungen über die Billigkeit von einseitigen Preiserhöhungen von Energieversorgern handelt es sich nicht um eine Streitigkeit gemäß § 102 EnWG.

    2. Die Zuständigkeit der Kartellgerichte ist nur gerechtfertigt, wenn ein kartellrechtlich relevanter Sachverhalt von einer Partei durch konkreten Tatsachenvortrag dargelegt wird.

    3. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt wegen Verletzung rechtlichen Gehörs, wenn das Gericht auf den die Zuständigkeit betreffenden Kern des Vortrags einer Partei in keiner Weise eingeht.

Tenor

    Das Amtsgericht Gießen wird gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als das zuständige Gericht bestimmt.

Gründe

    I.

    Die Klägerin begehrt mit der beim Amtsgericht Gießen eingereichten Klage restliches Entgelt für Energielieferungen.

    Sie belieferte den Beklagten für mehrere Jahre mit Erdgas. Von den mit den Jahresabrechnungen 2005-2008 geltend gemachten Forderungen der Klägerin, die unter Berücksichtigung von verschiedenen seit dem Jahre 2005 seitens der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen errechnet wurden, hat der Beklagte insgesamt 2.026,02 Euro nicht bezahlt.

    Der Beklagte hat die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gerügt. Er ist der Auffassung, vorliegend sei nach § 102 EnWG das Landgericht – Kammer für Handelssachen – zuständig, weil bei der Entscheidung darüber, ob die Klägerin zu den einseitigen Preiserhöhungen gem. § 315 Abs. 1 BGB berechtigt gewesen sei, Vorfragen nach dem Energiewirtschaftsgesetz geklärt werden müssten. Es seien außerdem kartellrechtliche Fragen zu entscheiden, weil die Klägerin durch die einseitige Erhöhung ihrer Bezugspreise ihre Monopolstellung missbraucht habe.

    Die Klägerin ist der Auffassung, es handele sich nicht um eine energierechtliche Streitigkeit im Sinne des EnWG, sondern es seien allein vertragsrechtliche Fragen zu entscheiden, so dass § 102 EnWG nicht einschlägig sei. Sie legt dem Amtsgericht ihre Ansicht unter Angabe mehrerer einschlägiger obergerichtlicher Entscheidungen ausführlich dar.

    Auf den hilfsweise gestellten Verweisungsantrag der Klägerin hin hat sich das Amtgericht Gießen nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 19.8.2010 für sachlich unzuständig erklärt und die Sache an das Landgericht Gießen – Kammer für Handelssachen – verwiesen. In dem Beschluss heißt es einleitend, die ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen ergebe sich auch nach Kenntnisnahme der von der Klägerin vorgebrachten Argumente und der von ihr angegebenen Entscheidungen aus § 102 EnWG. Zur Begründung führt das Amtsgericht sodann aus, die Klägerin sei nach § 1 EnWG zu einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen Versorgung der Allgemeinheit verpflichtet. Für die Frage, ob die Festsetzung des Gaspreises durch die Klägerin der Billigkeit entspreche, sei die Frage der korrekten Preisgestaltung somit nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu beantworten. Die vom EnWG vorgegebenen Wertmaßstäbe hätten bei der Frage der Billigkeit der Preiserhöhungen eine leitende Bedeutung. Auch sei die Prüfung der Billigkeit des Tarifs eine in ihrer Bedeutung über das einzelne Vertragsverhältnis hinausgehende grundsätzliche Frage, weshalb die Konzentration auf einen örtlichen Spruchkörper interessengerecht sei. Die von der Klägerin angeführten Gegenargumente finden in dem Verweisungsbeschluss keine Erwähnung.

    Mit Beschluss vom 1.9.2010 hat sich das Landgericht Gießen – Kammer für Handelssachen – ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat vorgelegt. Seine Zuständigkeit folge nicht aus § 102 EnWG, weil das Gesetz nur das „Ob“ des Abschlusses eines Versorgungsvertrages, nicht aber die dem Vertragsverhältnis zugrunde liegenden Einzelheiten, einschließlich der Preisbestimmung, regele. Nicht ausreichend sei irgendeine Berührung mit dem Energiewirtschaftsgesetz; die zu treffende Entscheidung müsse vielmehr von einer Vorfrage abhängig sein, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu beurteilen sei. Dies sei bei der Frage, ob einseitig vorgenommene Preiserhöhungen der Billigkeit entsprächen, nicht der Fall. Ob eine Kartellsache vorliege, könne offen bleiben, da für solche Klagen das Landgericht Frankfurt am Main ausschließlich zuständig sei. Dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Gießen komme auch keine Bindungswirkung zu, weil sich das Amtsgericht nicht mit der von Klägerseite zitierten gegenteiligen Rechtsansicht, einschließlich der Rechtsprechung des gemeinsamen Obergerichts, auseinandergesetzt habe.

    II.

    Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Landgericht als auch das Amtsgericht Gießen haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für sachlich unzuständig erklärt. Der Senat ist nach § 36 Abs. 1 ZPO als gemeinsames zunächst höheres Gericht zur Entscheidung berufen.

    Das Amtsgericht Gießen ist nach § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig, weil es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, deren Gegenstandswert 5.000 Euro nicht übersteigt.

    Eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts nach § 102 EnWG ist vorliegend nicht begründet. Nach dieser Vorschrift sind die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Gegenstandswert zuständig „für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz [= dem Energiewirtschaftsgesetz] ergeben“ (§ 102 Abs. 1 Satz 1), oder wenn die Entscheidung „von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist“ (§ 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG). Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.

    § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG ist schon deshalb nicht einschlägig, weil die Klägerin ihre Forderung nicht auf eine Vorschrift des EnWG stützt. Streitgegenständlich ist nicht, ob die Klägerin nach § 36 EnWG zur Gasversorgung des Beklagten verpflichtet ist, sondern Anspruchsgrundlage ist allein der zwischen den Parteien unstreitig bestehende Gaslieferungsvertrag (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 27.5.2010, 13 AR 1/10; OLG München, Beschluss vom 15.5.2009, AR (K) 7/09; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 16.7.2010, 14 UH 12/10, ZNER 2010, 406).

    Es kommt vorliegend auch nicht auf eine sich aus dem EnWG ergebende Vorfrage an (§ 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG). Maßgeblich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist, ob die von der Klägerin nach § 4 Abs. 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV vorgenommene Erhöhung des Gaspreises für den Beklagten verbindlich ist. Dies ist allein nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen, etwa danach, ob der Klägerin – im Falle eines Sonderkundenvertrages – überhaupt ein Preisanpassungsrecht zusteht, oder ob die Preiserhöhung nach § 315 BGB der Billigkeit entspricht (vgl. BGH NJW 2007, 2540; NJW 2008, 502, 504). Im Energiewirtschaftsgesetz geregelte Vorfragen stellen sich dabei nicht. Soweit es für die Entscheidung darauf ankommt, ob der Beklagte Tarifkunde i.S.d. § 36 EnWG oder Sonderkunde i.S.d. § 41 EnWG ist, so ist auch dies durch Auslegung der zugrundeliegenden Verträge zu ermitteln (vgl. BGH NJW 2009, 2662, 2664). Eine inhaltliche Prüfung von vorgreiflichen Normen des EnWG findet hierbei nicht statt (vgl. LG Hagen, Urteil vom 25.3.2009, 7 S 84/08).

    Auch die Notwendigkeit, die Billigkeit einer Preiserhöhung im Lichte der in § 1 EnWG niedergelegten Ziele des EnWG zu überprüfen, führt nicht dazu, dass eine vorgreifliche Entscheidung nach dem EnWG zu treffen wäre. Denn hierbei handelt es sich lediglich um allgemeine Grundsätze, die keiner konkreten Subsumtion zugänglich sind.

    Im Hinblick darauf, dass Bestehen und Umfang eines Preisanpassungsrecht der Klägerin für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung der individuellen vertraglichen Grundlagen zu prüfen ist (vgl. etwa Urteil des Senats vom 9.11.2010, 11 U 4/10), erscheint es entgegen der Auffassung des Amtsgericht auch nicht aus rechtspolitischen Gründen geboten, derartige Streitigkeiten selbst bei geringen Streitwerten bei einem Landgericht zu konzentrieren. Im Übrigen wäre es Sache des Gesetzgebers, insoweit eine eindeutige Verfahrensregelung zu treffen.

    Das Amtsgericht Gießen ist auch nicht wegen § 87 GWB unzuständig. § 87 S. 1 GWB begründet – in ähnlicher Weise wie § 102 EnWG -.eine ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die die Anwendung des GWB betreffen. Gleiches gilt gemäß § 87 S. 2 GWB, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach den genannten Vorschriften zu treffen ist.

    Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Zuständigkeit der Kartellgerichte für einen Rechtsstreit ist nach dem Zweck des Gesetzes nur gerechtfertigt, wenn tatsächlich über einen kartellrechtlich relevanten Sachverhalt zu entscheiden ist. Dieser Sachverhalt muss deshalb von einer Partei durch ausreichenden Tatsachenvortrag dargelegt werden. Bloße Rechtsausführungen über die angebliche Einschlägigkeit von GWB Normen genügen nicht (OLG Frankfurt, 14.ZS, Beschluss vom 16.7.2010, 14 UH 12/10, ZNER 2010, 406; OLG Celle; Beschluss vom 1.10.2010, 13 AR 5/10).

    Hier hat der Beklagte einen angeblichen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch die Klägerin i.S.v. § 19 Abs. 4 GWB lediglich lapidar behauptet. Es werden keinerlei konkrete Angaben zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 19 Abs. 4 GWB gemacht. Diese sind vom Anspruchssteller aber im Einzelnen vorzutragen. Erschöpfen sich die Angaben, wie hier die des Beklagten, letztlich in der Wiedergabe des Gesetzestexts, ist der Vortrag nicht geeignet, die Zuständigkeit der Kartellgerichte zu begründen (K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, 4. Aufl., § 87 GWB, Rn. 24).

    Das Landgericht Gießen ist auch nicht durch den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Gießen vom 19.8.2010 zuständig geworden. Zwar sind Verweisungsbeschlüsse für das aufnehmende Gericht gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO grundsätzlich bindend, wobei die Bindungswirkung eines (ersten) Verweisungsbeschlusses im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO fortwirkt (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 36 Rn. 28 m.w.N.). Dabei kommt Verweisungsbeschlüssen Bindungswirkung auch dann zu, wenn sie möglicherweise fehlerhaft sind, denn durch die Vorschrift des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO will das Gesetz erreichen, dass eine Unsicherheit über die Zuständigkeit rasch und endgültig beseitigt wird und Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den Gerichten vermieden werden. Sie entfällt jedoch dann, wenn die Verweisung auf der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs der Parteien beruht oder jeder Grundlage entbehrt und sich daher als willkürlich erweist (BGH NJW 2006,847; NJW 1993, 1273).

    Dies ist hier der Fall. Zwar hat das Amtsgericht beiden Parteien vor seiner Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und den Verweisungsbeschluss auch begründet. Es hat mit seiner Entscheidung aber gleichwohl den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.

    Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (BVerfG NJW 2009, 1584). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Vorbringen einer Partei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Allerdings ist das Gericht nicht verpflichtet, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Erst wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrages schließen (BVerfG NJW 2009, 1584; OLG Celle, Beschluss vom 1.10.2010, 13 AR 5/19 und vom 27.5.2010, 13 AR 1/10; OLG München, Beschluss vom 15.5.2009, AR (K) 7/09).

    Nach diesen Maßstäben ist hier eine Gehörsverletzung gegeben. Die Klägerin hat sich mit dem Hinweis des Gerichts bzgl. der Zuständigkeitsbedenken eingehend auseinandergesetzt. Sie hat dem Gericht auf mehreren Seiten unter Angabe der einschlägigen obergerichtlichen Entscheidungen u.a. des dem Amtsgericht übergeordneten OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 15.4.2008, 21 AR 15/08) aufgezeigt, dass und warum die herrschende Meinung die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte in diesem Fall ablehnt. Auf die damit von der Klägerin vorgetragenen, für die Zuständigkeitsbestimmung entscheidenden Argumente gegen die von ihm vertretene Auffassung ist das Amtsgericht ausweislich der Begründung seines Verweisungsbeschlusses nicht eingegangen. Es ist auch keine Auseinandersetzung mit der zitierten Rechtsprechung erfolgt.

    Damit ist das Amtsgericht in keiner Weise dem umfassenden Vorbringen der Klägerin gerecht geworden.

    Insbesondere hat es sich nicht damit auseinandergesetzt, wieso das EnWG hier für die Billigkeitskontrolle der Preiserhöhungen heranzuziehen sein sollte, obwohl dieses dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung gibt und damit nur das „Ob" des Abschlusses eines Versorgungsvertrages, nicht aber die Einzelheiten von dessen Ausgestaltung regelt. Der Umstand, dass das Amtsgericht auf den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin im Grunde gar nicht eingegangen ist, offenbart, dass es sich mit ihm auch nicht im gebotenen Umfang auseinandergesetzt und ihn im Rahmen seiner Verweisungsentscheidung letztlich nicht erwogen hat.

    Damit hat es den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt (OLG Celle, Beschluss vom 1.10.2010, 13 AR 5/19 und vom 27.5.2010, 13 AR 1/10; OLG München, Beschluss vom 15.5.2009, AR (K) 7/09).

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