Biopatentrichtlinie: neurale Vorläuferzellen, menschliche Embryonen und Patente

05. März 2010
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Amtlicher Leitsatz:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Rechtsfragen vorgelegt:

1. Was ist unter dem Begriff "menschliche Embryonen" in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44/EG zu verstehen?
a) Sind alle Entwicklungsstadien menschlichen Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst oder müssen zusätzliche Voraussetzungen wie zum Beispiel das Erreichen eines bestimmten Entwicklungsstadiums erfüllt sein?
b) Sind auch folgende Organismen umfasst:
(1) unbefruchtete menschliche Eizellen, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist;
(2) unbefruchtete menschliche Eizellen, die im Wege der Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden sind?
c) Sind auch Stammzellen umfasst, die aus menschlichen Embryonen im Blastozystenstadium gewonnen worden sind?

2. Was ist unter dem Begriff "Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken" zu verstehen? Fällt hierunter jede gewerbliche Verwertung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, insbesondere auch eine Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung?

3. Ist eine technische Lehre auch dann gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie von der Patentierung ausgeschlossen, wenn die Verwendung menschlicher Embryonen nicht zu der mit dem Patent beanspruchten technischen Lehre gehört, aber notwendige Voraussetzung für die Anwendung dieser Lehre ist,
a) weil das Patent ein Erzeugnis betrifft, dessen Herstellung die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen erfordert,
b) oder weil das Patent ein Verfahren betrifft, für das als Ausgangsmaterial ein solches Erzeugnis benötigt wird?

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 17.12.2009

Az.: Xa ZR 58/07

 

Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 2009 durch die Richter […] beschlossen:

II. Das Verfahren wird ausgesetzt.

III. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Rechtsfragen vorgelegt:

1. Was ist unter dem Begriff "menschliche Embryonen" in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44/EG zu verstehen?
a) Sind alle Entwicklungsstadien menschlichen Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst oder müssen zusätzliche Voraussetzungen wie zum Beispiel das Erreichen eines bestimmten Entwicklungsstadiums erfüllt sein?
b) Sind auch folgende Organismen umfasst:
(1) unbefruchtete menschliche Eizellen, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist;
(2) unbefruchtete menschliche Eizellen, die im Wege der Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden sind?
c) Sind auch Stammzellen umfasst, die aus menschlichen Embryonen im Blastozystenstadium gewonnen worden sind?

2. Was ist unter dem Begriff "Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken" zu verstehen? Fällt hierunter jede gewerbliche Verwertung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, insbesondere auch eine Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung?

3. Ist eine technische Lehre auch dann gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie von der Patentierung ausgeschlossen, wenn die Verwendung menschlicher Embryonen nicht zu der mit dem Patent beanspruchten technischen Lehre gehört, aber notwendige Voraussetzung für die Anwendung dieser Lehre ist,
a) weil das Patent ein Erzeugnis betrifft, dessen Herstellung die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen erfordert,
b) oder weil das Patent ein Verfahren betrifft, für das als Ausgangsmaterial ein solches Erzeugnis benötigt wird?

Entscheidungsgründe:

I.

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 19. Dezember 1997 angemeldeten deutschen Patents 197 56 864 (Streitpatents), das isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen, Verfahren zu ihrer Herstellung aus embryonalen Stammzellen und die Verwendung der neuralen Vorläuferzellen zur Therapie von neuralen Defekten betrifft. Patentanspruch 1 lautet:

"Isolierte, gereinigte Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften aus embryonalen Stammzellen, enthaltend höchstens etwa 15% primitive embryonale und nicht-neutrale [gemeint ist: nicht-neurale] Zellen, erhältlich durch folgende Schritte:
a) Kultivieren von ES-Zellen zu Embryoid Bodies,
b) Kultivieren der Embryoid Bodies zu neuralen Vorläuferzellen,
c) Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen in einem Wachstumsfaktorhaltigen serumfreien Medium,
d) Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen aus Schritt c in einem weiteren Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium und Isolieren der gereinigten Vorläuferzellen und
e) Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen aus Schritt d in einem weiteren Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium und Isolieren der gereinigten Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften,
oder
a’) Kultivieren von ES-Zellen zu Embryoid Bodies,
b’) Kultivieren der Embryoid Bodies zu neuralen Vorläuferzellen,
c’) Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen in einem Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium,
d’) Proliferieren der neuralen Vorläuferzellen aus Schritt c‘ in einem weiteren Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium zu Sphäroiden mit neuronalem und glialem Differenzierungspotential und Isolieren der neuralen Sphäroide und
e’) Proliferieren der neuralen Sphäre aus Schritt d‘ in einem Wachstumsfaktor-haltigen serumfreien Medium bis zur Ausbildung eines aus glialen Vorläuferzellen bestehenden Zellrasens und Isolieren der gereinigten Vorläuferzellen mit glialen Eigenschaften."

Patentanspruch 8 betrifft Zellen der genannten Art, die aus Maus, Ratte, Hamster, Schwein, Rind, Primaten oder Mensch isoliert worden sind. Die Patentansprüche 12 und 16 betreffen Verfahren zur Herstellung gereinigter Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften, wobei Patentanspruch 12 die aus Patentanspruch 1 ersichtlichen Schritte a bis e und Patentanspruch 16 die aus Patentanspruch 1 ersichtlichen Schritte a’ bis e’ umfasst.

Der Kläger hat beantragt, das Streitpatent gemäß § 22 des Patentgesetzes (PatG) für nichtig zu erklären, soweit die Patentansprüche 1, 12 und 16 Vorläuferzellen umfassen, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden. Ferner hat er die Nichtigerklärung des mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentanspruchs 8 beantragt, soweit dieser menschliche Zellen einschließt. Zur Begründung hat der Kläger geltend gemacht, die technische Lehre des Streitpatents sei insoweit gemäß § 2 PatG von der Patentierung ausgeschlossen.

Das Bundespatentgericht (im Folgenden: Patentgericht) hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit Patentanspruch 1 Vorläuferzellen und die Patent-ansprüche 12 und 16 die Herstellung von Vorläuferzellen umfassen, die aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen werden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Gegen das erstinstanzliche Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er beantragt weiterhin, die Nichtigkeitsklage insgesamt abzuweisen. Hilfsweise verteidigt er das Streitpatent in eingeschränkter Fassung. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat Professor Dr. U. B. , Universität R. , als gerichtlicher Sachverständiger ein Gutachten erstattet.

II.

Die Entscheidung über die Berufung hängt von den aus dem Tenor ersichtlichen Fragen zur Auslegung von Art. 6 der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. EG L 213/13; im Folgenden: Richtlinie) ab.

1.

Das Streitpatent betrifft isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen, Verfahren zu ihrer Herstellung aus embryonalen Stammzellen und die Verwendung der neuralen Vorläuferzellen zur Therapie von neuralen Defekten.

In der Streitpatentschrift wird ausgeführt, eine Erfolg versprechende Me-thode zur Behandlung zahlreicher neurologischer Erkrankungen liege in der Transplantation von Hirnzellen in das Nervensystem. Erste klinische Anwendungen, beispielsweise bei an Parkinson erkrankten Patienten, hätten bereits stattgefunden. Um neurale Defekte beheben zu können, sei die Transplantation von unreifen, noch entwicklungsfähigen Vorläuferzellen notwendig, die jedoch von wenigen Ausnahmen abgesehen nur während der Entwicklung des Gehirns vorhanden seien. Auf das Gehirngewebe menschlicher Embryonen zurückzugreifen, sei mit erheblichen ethischen Problemen verbunden und könne voraussichtlich nicht den Bedarf an Vorläuferzellen decken, der für die Ermöglichung einer allgemein zugänglichen zelltherapeutischen Behandlung erforderlich sei. Zwar seien Versuche unternommen worden, entsprechende Vorläuferzellen in vitro zu vermehren. Die mit Hilfe von Onkogenen durchgeführte Zellvermehrung berge aber erhebliche Anwendungsrisiken. Bei der mit Wachstumsfaktoren betriebenen Zellvermehrung sei sowohl der mögliche Vermehrungsumfang als auch die therapeutische Wirksamkeit des gewonnenen Zellmaterials unklar.

In der Streitpatentschrift wird die Einschätzung geäußert, embryonale Stammzellen (ES-Zellen) böten eine neue Perspektive für die Herstellung von Donorzellen für Transplantationszwecke. Diese Zellen seien totipotent und könnten in alle Zell- und Gewebetypen ausdifferenzieren. In Anwesenheit von leukemia inhibitory factor (LIF) ließen sie sich über viele Passagen in ihrem totipotenten Zustand halten und vermehren. In der Vergangenheit sei es mehreren Forschergruppen gelungen, embryonale Stammzellen in vitro in Zellen des Nervensystems auszudifferenzieren, wobei dies in der überwiegenden Zahl der Fälle durch Zugabe von Retinsäure zu aggregierten embryonalen Stammzellen erreicht worden sei. Der Einsatz von Retinsäure weise jedoch Nachteile auf. Der Anreicherung von Vorläuferzellen auf diesem Weg seien Grenzen gesetzt. Eine alternative Methode zur Gewinnung von neuralen Vorläuferzellen, bei der zu sogenannten Embryoid Bodies aggregierte embryonale Stammzellen in serumfreiem Medium ausplattiert und über mehrere Tage kultiviert würden, sei ebenfalls unzureichend.

Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund das technische Problem zugrunde, aus embryonalen Stammzellen gewonnene isolierte und gereinigte Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften sowie Verfahren zu ihrer Herstellung in praktisch unbegrenzter Menge bereitzustellen. Zur Lösung dieses Problems werden die in Patentanspruch 1 beanspruchten Vorläuferzellen vorgeschlagen, die mit einem der in den Patentansprüchen 12 und 16 beanspruchten Verfahren erhältlich sind.

2.

Die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage hängt von der Frage ab, ob die Lehre des Streitpatents, soweit sie Vorläuferzellen betrifft, die aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen worden sind, gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG von der Patentierung ausgeschlossen ist. Ob dies der Fall ist, hängt wiederum davon ab, wie Art. 6 und insbesondere Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie auszulegen ist, der durch § 2 PatG und insbesondere § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG in das nationale deutsche Recht umgesetzt worden ist.

a)

Nach § 2 Nr. 1 PatG in der bis zum 27. Februar 2005 geltenden Fassung waren Erfindungen, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, von der Patentierung ausgeschlossen. Ein solcher Verstoß konnte nicht allein aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die Verwertung durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift verboten ist. Mit Wirkung vom 28. Februar 2005 ist § 2 PatG an die Richtlinie angepasst worden. Die Vorschrift lautet nunmehr wie folgt:

"(1) Für Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, werden keine Patente erteilt; ein solcher Verstoß kann nicht allein aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die Verwertung durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift verboten ist.

(2) Insbesondere werden Patente nicht erteilt für
1. Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen;
2. Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens;
3. die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken;
4. Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere.

Bei der Anwendung der Nummern 1 bis 3 sind die entsprechenden Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes maßgeblich."
Die Richtlinie, die am 30. Juli 1998 in Kraft getreten ist und von den Mitgliedstaaten bis zum 30. Juli 2000 umzusetzen war, regelt den Schutz von biotechnologischen Erfindungen durch das nationale Patentrecht. § 2 Abs. 1 PatG in der derzeit geltenden Fassung entspricht inhaltlich Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, § 2 Abs. 2 Satz 1 PatG entspricht Art. 6 Abs. 2.

Das in § 2 Abs. 2 Satz 2 PatG erwähnte Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz, ESchG) vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2746) enthält strafrechtliche Vorschriften, in denen unter anderem mit Strafe bedroht wird,

– wer es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Ei-zelle stammt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG);
– wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet (§ 2 Abs. 1 ESchG);
– wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, dass sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt (§ 2 Abs. 2 ESchG).

Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt gemäß § 8 Abs. 1 ESchG bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Zellen mit dieser Eigenschaft werden im Gesetz als totipotent bezeichnet. Hiervon zu unterscheiden sind Stammzellen, die sich zwar zu jedem beliebigen Zelltyp weiterentwickeln können, nicht aber zu einem vollständigen Individuum. Solche Zellen werden als pluripotent bezeichnet.

Gemäß § 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz, StZG) vom 28. Mai 2002 (BGBl. I S. 2277) sind Einfuhr und Verwendung pluripotenter embryonaler Stammzellen verboten. Ausnahmen sind nur unter engen Voraussetzungen zugelassen, die in § 4 Abs. 2, § 5 und § 6 StZG im Einzelnen aufgezählt sind. Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ist danach unter anderem,

– dass die embryonalen Stammzellen vor einem bestimmten Stichtag in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland gewonnen wurden (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 StZG);
– dass die Embryonen, aus denen sie gewonnen wurden, im Wege der medizinisch unterstützten extrakorporalen Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind, sie endgültig nicht mehr für diesen Zweck verwendet wurden und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies aus Gründen erfolgte, die an den Embryonen selbst liegen (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 StZG);
– dass für die Überlassung der Embryonen zur Stammzellgewinnung kein Entgelt oder sonstiger geldwerter Vorteil gewährt oder versprochen wurde (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 StZG) und
– dass die Stammzellen für Forschungsarbeiten verwendet werden, die hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung oder für die Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen dienen (§ 5 Nr. 1 StZG).

b)

§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG ist nach Auffassung des Senats für die Entscheidung über die Berufung maßgeblich.

aa)

Der Anwendung von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG steht nicht entgegen, dass die Vorschrift und die ihr zu Grunde liegende Richtlinie erst nach Anmeldung und Erteilung des Streitpatents in Kraft getreten sind.

Nach den einschlägigen Grundsätzen des deutschen Patentrechts ist für die Beurteilung der Frage, ob ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten vorliegt, nicht auf den Anmelde- oder Prioritätstag, sondern auf den für die Entscheidungsfindung maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen (vgl. Benkard/Melullis, PatG, 10. Aufl., § 2 Rdn. 3c; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 2 Rdn. 21; Schulte/Moufang, PatG, 8. Aufl., § 2 Rdn. 17; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., § 15 III c 1; anders für Art. 53 Buchst. a EPÜ: EPA, Entsch. v. 6.7.2004 – T 315/03, ABl. EPA 2006, 15 – Genetisch manipulierte Tiere/Harvard; für die mit § 2 Abs. 2 Nr. 3 PatG übereinstimmende Regelung in Regel 28 Buchst. c EPÜAO im Ergebnis wie hier: EPA, Entsch. v. 25.11.2008 – G 2/06, ABl. EPA 2009, 306 Tz. 12-14 – Verwendung von Embryonen/WARF). Dies ist im Patentnichtigkeitsverfahren der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung.

bb)

Die Klage kann nicht schon deshalb abgewiesen werden, weil die Lehre der Patentansprüche 1, 12 und 16 auch mit Zellen von anderen Lebewesen oder mit menschlichen Zellen, die nicht aus Embryonen gewonnen worden sind, verwirklicht werden kann.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs greift der Patentierungsausschluss gemäß § 2 PatG allerdings nicht, wenn die geschützte Lehre sowohl in einer gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßenden Weise als auch in einer Weise verwertbar ist, die mit der Rechtsordnung in Einklang steht und als förderungswürdig anzusehen ist (BGH, Beschl. v. 28.11.1972, GRUR 1973, 585, 586 – IUP; Urt. v. 19.10.1971 – X ZR 34/68, GRUR 1972, 704, 707 – Wasseraufbereitung). Diese Grundsätze sind auch für die in § 2 Abs. 2 Satz 1 PatG aufgeführten Fallgruppen heranzuziehen. § 2 Abs. 2 PatG enthält zwar anders als die Generalklausel in § 2 Abs. 1 PatG klar umrissene Tatbestände, bei deren Verwirklichung die Patentierung ausgeschlossen ist. Dennoch stellt die Vorschrift lediglich eine gesetzliche Konkretisierung des allgemeinen Patentierungsverbots des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten dar (BT-Drucks. 15/1709, S. 11). Die allgemeinen Voraussetzungen für einen Patentierungsausschluss nach § 2 Abs. 1 PatG gelten deshalb auch für diese Konstellation.
Kommen sowohl zulässige als auch unzulässige Verwertungsmöglichkeiten in Betracht, ist es grundsätzlich nicht erforderlich, in die Patentschrift einen Hinweis aufzunehmen, dass das Schutzrecht nicht als Grundlage für unerlaubte Verwertungshandlungen dienen soll. Eine ausdrückliche Beschränkung des Gegenstandes ist nach dem Zweck des § 2 PatG jedoch geboten, wenn eine bestimmte Ausführungsform, deren Verwertung stets einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten darstellen würde, in der Patentschrift ausdrücklich hervorgehoben wird (vgl. dazu Rogge GRUR 1998, 303, 306 f.). Dies gilt nicht nur dann, wenn eine solche Verwertungsform Gegenstand eines gesonderten Unteranspruchs ist, sondern auch dann, wenn diese Verwertungsform in der Beschreibung nicht nur beiläufig benannt, sondern als bevorzugte Ausführungsform herausgestellt wird.

In der Beschreibung des Streitpatents wird die Anwendung der Lehre auf menschliche embryonale Stammzellen nicht nur beiläufig erwähnt, sondern als besonders bevorzugt hervorgehoben. Schon bei der Beschreibung des zu Grunde liegenden technischen Problems steht die Heilung menschlicher Krankheiten im Mittelpunkt. Bei der Beschreibung der beanspruchten Lösung wird mehrfach hervorgehoben, dass die beanspruchte Lehre auch mit menschlichen Zellen durchgeführt werden kann und dass als Ausgangsmaterial insbesondere Stammzellen aus menschlichem Embryonalgewebe in Betracht kommen. Damit wird der Eindruck erweckt, durch die Erteilung des Streitpatents würden auch diese Verwertungsarten seitens der mit der Erteilung befassten Stellen gebilligt. Dies widerspricht dem Zweck des § 2 PatG, sofern diese Verwertungsarten nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG von der Patentierung ausgeschlossen sind. Der Gegenstand des Streitpatents ist deshalb gegebenenfalls so zu beschränken, dass dieser Eindruck ausgeräumt wird.

cc)

Der Gegenstand des Streitpatents ist nicht gemäß § 2 Abs. 1 PatG von der Patentierung ausgeschlossen.

(1) Die Verwertung einer Erfindung im Sinne des § 2 Abs. 1 PatG besteht darin, dass eine der Handlungen vorgenommen wird, die durch § 9 PatG als Benutzung der Erfindung definiert werden. Die letztgenannte Vorschrift, die inhaltlich Art. 28 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15. April 1994 entspricht, lautet:

"Das Patent hat die Wirkung, dass allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen. Jedem Dritten ist es verboten, ohne seine Zustimmung

1.

ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;

2.

ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden oder, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, daß die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten;

3.

das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen."

Die Verwertung einer Erfindung besteht daher insbesondere darin, dass ein erfindungsgemäßes Erzeugnis hergestellt, in den Verkehr gebracht oder gebraucht oder ein erfindungsgemäßes Verfahren angewendet wird. Als gewerbliche Verwertung ist dabei grundsätzlich jede Verwertung anzusehen, die nicht in einer im privaten Bereich zu nichtgewerblichen Zwecken vorgenommenen Handlung besteht (§ 11 Nr. 1 PatG).

(2) Gemäß § 2 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG, der mit Art. 6 Abs. 1 Halbsatz 2 der Richtlinie übereinstimmt, ist nicht jeder mit der Verwertung einer Erfindung einhergehende Gesetzesverstoß zugleich ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Voraussetzung ist vielmehr ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Rechtsordnung (vgl. BT-Drucks. 15/1709, S. 11; BT-Drucks. 7/3712, S. 27; Straus, GRUR 1992, 252, 259; Rogge, GRUR 1998, 303, 304; Busche, Mitt. 2001, 4, 7; Kraßer, Patentrecht, § 15 III a aa; Benkard/Melullis aaO § 2 Rdn. 5b; Busse/Keukenschrijver aaO § 2 Rdn. 13; ebenso zum Geschmacksmusterrecht: BGH, u.a. Beschlüsse v. 20.3.2003 – I ZB 29/01, GRUR 2003, 705 f. – Euro-Billy, I ZB 27/01, GRUR 2003, 707 – DM-Tassen, und I ZB 1/02, GRUR 2003, 708 – Schlüsselanhänger). Hierzu gehören die Grundlagen des staatlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland und die wesentlichen Verfassungsgrundsätze, die eine unverrückbare Grundlage des staatlichen oder sozialen Lebens bilden (vgl. auch BGHZ 42, 7, 13; BGHZ 94, 248, 249). Insbesondere kommen Rechtssätze in Betracht, die überragend wichtige Rechtsgüter schützen, etwa die Unantastbarkeit der Menschenwürde oder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, wie sie im Grundgesetz, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, auf die die Richtlinie in Erwägungsgrund 43 ausdrücklich Bezug nimmt, zum Ausdruck kommen (vgl. Benkard/Melullis aaO § 2 Rdn. 5c; Busse/Keukenschrijver aaO § 2 Rdn. 13; Schulte/Moufang aaO § 2 Rdn. 21 f.; Wolters, Die Patentierung des Menschen, 2006, S. 146).

(3) Die Verwertung der Erfindung nach dem Streitpatent stellt auch dann nicht zwingend einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung in diesem Sinne oder gegen die guten Sitten dar, wenn die zur Herstellung der patentgemäßen Vorläuferzellen eingesetzten Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen worden sind. Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen sind zwar in Deutschland gemäß § 4 Abs. 1 StZG grundsätzlich verboten. Dieses Verbot gilt aber nicht ausnahmslos. Nach § 4 Abs. 2 StZG sind die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken unter bestimmten, wenn auch engen Voraussetzungen zulässig. Innerhalb dieses Bereichs kann auch eine Verwertung einer einschlägigen Erfindung nicht als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten angesehen werden, denn die Verwertung der Erfindung besteht in diesem Fall darin, dass bei der nach dem Stammzellgesetz zugelassenen Forschung von der technischen Lehre der Erfindung, die im Patentanspruch beschrieben ist, Gebrauch gemacht wird, im Streitfall, indem Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften hergestellt oder gebraucht werden. Nach der Systematik des § 2 Abs. 1 PatG, der Erfindungen nicht einmal dann ohne weiteres von der Patentierung ausschließt, wenn die Ausführung der geschützten Lehre gegen das Gesetz verstößt, kommt ein Patentierungsverbot grundsätzlich jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn und soweit das betreffende Verhalten durch Gesetz erlaubt ist. Dies ist hinsichtlich der Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen innerhalb des durch § 4 Abs. 2 StZG eröffneten Rahmens der Fall. Besondere Gründe, die eine Verwertung der Erfindung in diesem Bereich dennoch als sittenwidrig erscheinen ließen, ergeben sich weder aus dem Stammzellgesetz noch aus sonstigen Umständen.

c)

Für die Auslegung von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG ist die inhaltsgleiche Bestimmung in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie heranzuziehen.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (seit 1. Dezember 2009: Gerichtshof der Europäischen Union) hat bereits entschieden, dass Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Spielraum lässt, was die Nichtpatentierbarkeit der Verfahren und Verwendungen anbelangt, die dort aufgeführt sind (EuGH, Urt. v. 9.10.2001 – C-377/98, Slg. 2001, I-7079 = GRUR Int. 2001, 1043 Tz. 39 – Niederlande/Parlament und Rat). Die Bestimmung zielt darauf ab, die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen einzugrenzen. Daraus folgt, dass Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie, indem er ausdrücklich die Patentierbarkeit der dort genannten Verfahren und Verwendungen ausschließt, genau bestimmte Rechte in dieser Hinsicht verleihen soll (EuGH, Urt. v. 16.6.2005 – C-456/03, Slg. 2005, I-5335 Tz. 78 f. – Kommission/Italien).

Angesichts der engen Vorgaben in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie ist es ausgeschlossen, die inhaltsgleichen Bestimmungen in § 2 Abs. 2 Satz 1 PatG in abweichendem Sinne auszulegen. Die in § 2 Abs. 2 Satz 2 PatG enthaltene Bezugnahme auf das Embryonenschutzgesetz hat nur insoweit Bedeutung, als Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielraum lässt. Hinsichtlich des Tatbestandes "Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken" besteht nach Auffassung des Senats ein solcher Gestaltungsspielraum nicht.

Zwar enthält die Richtlinie keine ausdrückliche Definition dieser Begriffe. Als Grund dafür wird genannt, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten den Embryonenbegriff unterschiedlich definieren (Flammer, Biotechnologische Erfindungen im Patentrecht, Wien 1999, S. 150 f.; vgl. auch Meiser, Biopatentierung und Menschenwürde, 2002, S. 197) und die Verwendung befruchteter Eizellen und embryonaler Stammzellen in unterschiedlichem Ausmaß zulassen (dazu: Krauß/Engelhard, GRUR 2003, 985, 988; Hartmann, GRUR Int. 2006, 195, 201 ff.). Hieraus kann nach Auffassung des Senats aber nicht abgeleitet werden, dass die Ausfüllung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie insoweit den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen werden soll. Dies stünde in Widerspruch zu der bereits zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Nichtpatentierbarkeit der in Art. 6 Abs. 2 aufgeführten Verfahren und Verwendungen kein Spielraum verbleiben soll. Auch in der Literatur wird eine einheitliche Auslegung des Begriffs befürwortet (Benkard/Melullis, aaO, § 2 Rdn. 14; Schulte/Moufang, aaO, § 2 Rdn. 42 f.; Koenig/Müller, EuZW 1999, 681, 682). In gleichem Sinne hat die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hinsichtlich der Auslegung der mit Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie inhaltsgleichen Regel 28 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (EPÜAO) entschieden (EPA, Entsch. v. 25.11.2008 – G 2/06, ABl. EPA 2009, 306 Tz. 20 – Verwendung von Embryonen/WARF).

III.

Im Einzelnen stellen sich im vorliegenden Rechtsstreit folgende Fragen zur Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie:

1.

Eine Erfindung ist nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie nur dann von der Patentierung ausgeschlossen, wenn sie menschliche Embryonen betrifft.

a)

Beim Streitpatent wäre diese Voraussetzung jedenfalls dann erfüllt, wenn die zur Herstellung der patentgemäßen Vorläuferzellen eingesetzten menschlichen embryonalen Stammzellen als Embryonen im Sinne der Richtlinie anzusehen wären.

Die Patentansprüche 12 und 16 betreffen Verfahren, bei denen menschliche embryonale Stammzellen als Ausgangsmaterial verwendet werden. Diese Stammzellen werden in der Streitpatentschrift als "totipotent" bezeichnet. Dies entspricht nicht dem Begriff der Totipotenz, wie er dem Embryonenschutzgesetz und dem Stammzellgesetz zu Grunde liegt. In der Beschreibung der Streitpatentschrift, die gemäß § 14 Satz 2 PatG zur Auslegung heranzuziehen ist, wird Totipotenz als die Fähigkeit bezeichnet, über viele Passagen in einem undifferenzierten Zustand gehalten werden zu können und in alle Gewebe und Zelltypen auszudifferenzieren (S. 4 Z. 34-36). Dies entspricht dem Begriff der Pluripotenz im Sinne des Stammzellgesetzes. In der Beschreibung wird ferner ausgeführt, totipotente embryonale Stammzellen im Sinne des Streitpatents könnten aus Embryonen im Blastozystenstadium gewonnen werden (S. 4 Z. 33-34). Als Blastozyste wird das embryonale Entwicklungsstadium bezeichnet, das aus etwa 100 bis 200 Zellen besteht, die in eine aus äußeren Zellen aufgebaute Hohlkugel (Trophoblast) und eine innere Zellmasse (Embryoblast) aufgeteilt sind. Stammzellen, die aus Blastozysten gewonnen worden sind, haben, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, nicht mehr die Fähigkeit, sich zu einem vollständigen Individuum zu entwickeln. Auch dies bestätigt, dass das Streitpatent den Begriff der Totipotenz nicht im gleichen Sinne verwendet wie das Embryonenschutzgesetz. Das Streitpatent umfasst vielmehr auch die Verwendung von Stammzellen, die pluripotent im Sinne des Stammzellgesetzes sind.

Der Wortlaut der Richtlinie enthält keine Differenzierung zwischen Totipotenz und Pluripotenz im Sinne des deutschen Rechts. Theoretisch erscheint es deshalb möglich, auch Stammzellen, die sich nicht zu einem vollständigen Individuum weiterentwickeln können, als Embryonen im Sinne der Richtlinie anzusehen. Dagegen könnte jedoch sprechen, dass in den Erwägungsgründen 16 und 17 zwischen dem menschlichen Körper in allen Stufen seiner Entwicklung einerseits und isolierten Bestandteilen des menschlichen Körpers andererseits unterschieden wird. Entsprechend dieser Unterscheidung liegt es nahe, als Embryo nur solche Organismen anzusehen, die sich zu einem vollständigen menschlichen Individuum weiterentwickeln können, und Stammzellen, die nicht über diese Fähigkeit verfügen, lediglich als isolierten Bestandteil des menschlichen Körpers anzusehen.

In diesem Zusammenhang ist es nach Auffassung des Senats unerheblich, ob im weiteren Verlauf der wissenschaftlichen Forschung die Möglichkeit geschaffen werden kann, menschliche Zellen, die sich nicht mehr zu einem vollständigen Individuum entwickeln können, durch Reprogrammierung wieder in diesen Zustand zurückzuversetzen. Selbst wenn dies gelänge, stellte es für die rechtliche Beurteilung weiterhin einen wesentlichen Unterschied dar, ob eine Zelle bereits totipotent im Sinne des Embryonenschutzgesetzes ist oder ob sie nur durch besondere Behandlung in diesen Zustand versetzt werden kann.

b)

Wenn embryonale Stammzellen nicht selbst als Embryonen anzusehen sind, stellt sich die Frage, ob Blastozysten, aus denen solche Stammzellen gewonnen werden und die bei der Entnahme in der Praxis zerstört werden, menschliche Embryonen im Sinne der Richtlinie sind.

Hierfür ist entscheidend, ob dieser Begriff alle Entwicklungsstadien menschlichen Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst, wie dies das Patentgericht in der angefochtenen Entscheidung und die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (Entsch. v. 25.11.2008 – G 2/06, ABl. 2009, 306 Tz. 20 – Verwendung von Embryonen/WARF) angenommen haben, oder ob eine befruchtete Eizelle erst von einem späteren Entwicklungsstadium an als Embryo im Sinne der Richtlinie anzusehen ist. Für die zuletzt genannte Auffassung könnte sprechen, dass Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie vier Beispiele von Verfahren und Verwendungen anführt, die nicht patentierbar sein sollen, weil die gewerbliche Verwertung der betreffenden Erfindungen gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde (EuGH, Urt. v. 9.10.2001 – C-377/98, Slg. 2001, I-7079 = GRUR Int. 2001, 1043 Tz. 39 – Niederlande/Parlament und Rat). Der gesetzliche Schutz des Embryos setzt indessen nach Kenntnis des Senats in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein, so dass es an einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung fehlen könnte, dass bereits die befruchtete Eizelle als menschlicher Embryo geschützt werden muss. Gegen diese Auffassung könnte sprechen, dass die Richtlinie keine Anhaltspunkte für die Festlegung eines späteren Zeitpunkts für den Beginn des Embryonenschutzes bietet, vielmehr in Erwägungsgrund 16, wenn auch in anderem Zusammenhang, die Gewährleistung der Würde und Unversehrtheit des Menschen betont und es deshalb für wichtig erachtet, den Grundsatz zu bekräftigen, wonach der menschliche Körper in allen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung von der Patentierung ausgenommen ist.

c)

In der Streitpatentschrift werden alternative Methoden zur Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen aufgezeigt, bei denen nicht auf Blastozysten zurückgegriffen werden muss. Gemäß dem oben erwähnten Grundsatz, dass eine Erfindung dem Patentschutz zugänglich ist, wenn es zumindest einen zulässigen Weg zu ihrer Ausführung gibt, ist die Nichtigkeitsklage nur dann begründet, wenn bei jeder dieser Methoden Embryonen im Sinne der Richtlinie als Ausgangsmaterial benötigt werden. Deshalb ist auch für diese Methoden zu klären, ob die Organismen, aus denen die Stammzellen gewonnen werden, menschliche Embryonen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie sind.

aa)

Als alternativer Weg zur Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen wird in der Streitpatentschrift die Transplantation des Zellkerns in eine unbefruchtete Eizelle angegeben. Auch eine solche Eizelle hat grundsätzlich das Potential, sich zu einem vollständigen Individuum zu entwickeln. Dies könnte dafür sprechen, sie als Embryo im Sinne der Richtlinie anzusehen.

bb)

Der Beklagte hat als weiteren Weg zur Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen die sogenannte Parthenogenese, d.h. die Teilung und Weiterentwicklung einer unbefruchteten Eizelle ohne Befruchtung und ohne Transplantation eines fremden Zellkerns, angegeben. Ob dieser Weg tatsächlich gangbar ist, und ob sich eine solche Zelle zu einem vollständigen Individuum entwickeln könnte, ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Für eine Qualifikation als Embryo im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie könnte unabhängig davon sprechen, dass solche Zellen jedenfalls in den ersten Teilungsstadien dieselbe Entwicklung durchlaufen wie eine befruchtete Eizelle und deshalb in gleicher Weise schutzwürdig erscheinen.

2.

Die Klage wäre unabhängig von der Beantwortung der übrigen Fragen abzuweisen, wenn eine Verwendung von Embryonen oder Stammzellen zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung nicht als Verwendung zu industriellen oder kommerziellen Zwecken im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie anzusehen wäre.

Anders als bei den drei übrigen Anwendungsbeispielen des Art. 6 Abs. 2 sind in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie nur Handlungen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken von der Patentierung ausgenommen. Sinn und Tragweite dieser Einschränkung sind nicht ohne weiteres ersichtlich.

Schon der Wortlaut lässt nicht eindeutig erkennen, ob damit nur der in Erwägungsgrund 14 der Richtlinie erwähnte und auch in Art. 6 Abs. 1 zum Ausdruck kommende Grundsatz wiederholt werden soll, dass ein Patent nur Rechte in Bezug auf industrielle und gewerbliche Handlungen verleiht, oder ob der Kreis der Handlungen, der nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c von der Patentierung ausgenommen ist, zusätzlich eingeschränkt werden soll. Zwar werden in einzelnen Sprachfassungen der Richtlinie an allen genannten Stellen dieselben Begriffe verwendet (englisch: "industrial and commercial purposes"; französisch: "des fins industrielles ou commerciales"; italienisch: "fini industriali o commerciali"; niederländisch: "industriële of commerciële doeleinden"). Zumindest in der deutschen Fassung weicht der Wortlaut der einzelnen Bestimmungen jedoch voneinander ab (Erwägungsgrund 14: "Verwertung zu industriellen und gewerblichen Zwecken"; Art. 6 Abs. 1: "gewerbliche Verwertung", Art. 6 Abs. 2 Buchst. c: "Verwendung … zu industriellen oder kommerziellen Zwecken").
Unabhängig vom Wortlaut gibt auch die Entstehungsgeschichte (vgl. dazu auch EPA, G 2/06, ABl. EPA 2009, 306 Tz. 17) Hinweise darauf, dass sich das Patentierungsverbot in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c nicht auf jegliche Verwendung von menschlichen Embryonen erstrecken soll, die nach allgemeinen Regeln dem Patentschutz zugänglich wäre. Während ein früherer Entwurf einen Patentierungsausschluss vorsah für "Methoden, bei denen menschliche Embryonen verwendet werden" (Vorschlag v. 29.8.1997, KOM/97/0446 endg., ABl. 1997 C 311/12), wurde dies in späteren Entwürfen abgeändert zu einem Ausschluss für die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen und kommerziellen Zwecken (Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 19/98 v. 26.2.1998, ABl. C 110/17). Der gleichzeitig eingefügte Erwägungsgrund 42 der Richtlinie bringt zum Ausdruck, dass der Patentierungsausschluss "auf keinen Fall" für Erfindungen gelten soll, die therapeutische oder diagnostische Zwecke verfolgen und auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen angewandt werden (vgl. dazu Zintler, Die Biopatentrichtlinie, 2002, S. 155 f.; Flammer, Biotechnologische Erfindungen im Patentrecht, 1999, S. 151, auch zum Verhältnis zu Art. 53 Buchst. c EPÜ). Auch hieraus lässt sich jedoch keine klare Antwort auf die Frage ableiten, ob die Verwendung menschlicher Embryonen nur für therapeutische und diagnostische Anwendungen dem Patentschutz zugänglich ist – was im Hinblick auf das sowohl für deutsche als auch für europäische Patente geltende Verbot der Patentierung von Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers und von Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden (§ 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG, Art. 53 Buchst. c EPÜ), ohnehin nur geringe Tragweite hätte – oder ob darüber hinaus auch Patentschutz für die Anwendung der Erfindung für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung möglich ist. Auch insoweit könnte von Bedeutung sein, dass nach Kenntnis des Senats die mit der Vernichtung "überzähliger", d.h. im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 StZG im Wege der extrakorporalen Befruchtung erzeugter, jedoch nicht mehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft benötigter Embryonen einhergehende Gewinnung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken nicht in allen Mitgliedstaaten untersagt ist und als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung angesehen wird. Die Worte "zu industriellen oder kommerziellen Zwecken" könnten daher auch dazu bestimmt sein, diesen unterschiedlichen ethischen Bewertungen Rechnung zu tragen und das Verbot in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie in einem engeren Sinne auf Erfindungen zu beschränken, mit deren Benutzung ein Handeltreiben mit menschlichen Embryonen oder deren industrielle Verwertung einherginge, die nach allgemeiner europäischer Rechtsüberzeugung moralisch verwerfliche Handlungen darstellen.

3.

Die Klage wäre unabhängig von der Beantwortung der übrigen Fragen jedenfalls teilweise abzuweisen, wenn eine Verwendung menschlicher Embryonen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie nur dann vorliegt, wenn die Verwendung der Embryonen Teil der mit dem Patent beanspruchten technischen Lehre ist.

a)

Sofern bereits einzelne menschliche Stammzellen im Sinne von Frage 1 a als menschliche Embryonen anzusehen sind, ist die Verwendung solcher Embryonen Teil der Verfahren nach den Patentansprüchen 12 und 16.

Patentanspruch 1 betrifft demgegenüber nur Vorläuferzellen, die aus solchen Stammzellen erhältlich sind. Die Verwendung der Stammzellen zur Herstellung der beanspruchten Vorläuferzellen gehört nicht zu den Merkmalen dieses Patentanspruchs. Dennoch kann auch die Lehre von Patentanspruch 1 nur verwirklicht werden, wenn zuvor patentgemäße Vorläuferzellen hergestellt werden. Dies setzt nach der Lehre des Klagepatents die Verwendung von Stammzellen voraus. Zwar ist Patentanspruch 1 auch auf Vorläuferzellen gerichtet, die auf anderem Wege hergestellt worden sind. In der Patentschrift wird aber die Gewinnung aus Stammzellen als bevorzugter Herstellungsweg hervorgehoben.

Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat entschieden, dass die mit Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie inhaltsgleiche Regel 28 Buchst. c EPÜAO auch die Patentierung von Ansprüchen auf Erzeugnisse verbiete, die zum Anmeldezeitpunkt ausschließlich durch ein Verfahren hergestellt werden konnten, das zwangsläufig mit der Zerstörung der menschlichen Embryonen einhergeht, aus denen die Erzeugnisse gewonnen werden, selbst wenn dieses Verfahren nicht Teil der Ansprüche ist (EPA, Entsch. v. 25.11.2008 – G 2/06, ABl. EPA 2009, 306 Tz. 22-27 – Verwendung von Embryonen/WARF).

b)

Sofern nicht die Stammzellen selbst, sondern nur die Organismen, aus denen sie gewonnen werden, als menschliche Embryonen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie anzusehen sind, gehört die Verwendung menschlicher Embryonen nicht zu der in den Patentansprüchen 1, 12 und 16 beanspruchten Lehre. Die Verfahren nach den Patentansprüchen 12 und 16 und mit ihnen die Lehre von Patentanspruch 1 können aber auch in diesem Fall nur angewendet werden, wenn hierfür Stammzellen zur Verfügung stehen, die aus Embryonen gewonnen wurden.

In der Praxis hat die Gewinnung der Stammzellen die Vernichtung des als Ausgangsmaterial eingesetzten Organismus zur Folge. Dieser verliert seine zuvor gegebene Fähigkeit, sich zu einem vollständigen Individuum zu entwickeln. Dem steht nicht entgegen, dass nach der Beschreibung in der Streitpatentschrift die als Ausgangsmaterial benötigten embryonalen Stammzellen auch aus bereits als Zelllinien vorliegenden embryonalen Stammzellen abgeleitet werden können. Solche Zelllinien können ihrerseits nur aus menschlichen Embryonen gewonnen werden. Jeder Verwirklichung der patentgemäßen Lehre muss damit zwingend eine Verwendung von menschlichen Embryonen im eingangs genannten Sinne vorausgegangen sein.

Anders als in der vom Europäischen Patentamt entschiedenen Konstellation liegen hier zwischen der Zerstörung von Embryonen und der Anwendung der patentgemäßen Lehre noch weitere Verfahrensschritte, weil das Streitpatent keine embryonalen Stammzellen beansprucht, sondern daraus erhältliche Vorläuferzellen und zwei Verfahren zu deren Gewinnung. Dies wirft die Frage auf, ob auch ein solcher mittelbarer Zusammenhang ausreicht, um eine Verwendung von menschlichen Embryonen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie zu bejahen.

c)

Eine derart weite Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie erschiene nach Auffassung des Senats in beiden Konstellationen von vornherein ausgeschlossen, wenn sie dazu führte, dass die Ergebnisse von rechtmäßigen Forschungsarbeiten mit menschlichen embryonalen Stammzellen einer Patentierung generell entzogen würden. Dies ist jedoch – entgegen der Auffassung des Beklagten – nicht der Fall.

Eine technische Lehre ist auch bei Bejahung der Fragen 3 a oder 3 b nicht schon dann gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie von der Patentierung ausgeschlossen, wenn die Erkenntnisse, auf denen die Lehre beruht, durch Einsatz von Stammzellen gewonnen wurden und damit auf die Zerstörung von Embryonen zurückgehen. Die Verwendung von embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken ist nach Maßgabe der innerstaatlichen Regelungen verschiedener Mitgliedstaaten von der Rechtsordnung gebilligt und kann einen Patentierungsausschluss für Gegenstände, die auf daraus gewonnenen Erkenntnissen beruhen, nicht rechtfertigen. Ausgeschlossen von der Patentierung sind nach dem vom Patentgericht und vom Europäischen Patentamt befürworteten Ansatz nur Erfindungen, bei denen der Einsatz von aus menschlichen Embryonen gewonnenen Stammzellen stets von neuem erforderlich ist, um die erfindungsgemäße Lehre auszuführen oder um die Voraussetzungen für ihre Ausführung zu schaffen, so dass ein ständiger Anreiz dafür geschaffen werden könnte, Embryonen zu verwenden, um solche Zellen zu gewinnen. Diese Voraussetzung ist beim Streitpatent erfüllt.

d)

Gegen die vom Patentgericht und von der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts befürwortete weite Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie könnte sprechen, dass damit im Ergebnis das Patentierungsverbot von der Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken auf die Verwendung von embryonalen Stammzellen erstreckt würde und hierdurch Erfindungen von der Patentierung ausgenommen würden, deren Verwertung nach dem Recht eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erlaubt ist und nicht gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstößt.

aa)

Auch wenn die Verwendung embryonaler Stammzellen die vorherige Verwendung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzelllinien voraussetzt, so können doch beide Handlungen rechtlich und ethisch unterschiedlich bewertet werden. Eine solche unterschiedliche Bewertung vollziehen auch das deutsche Embryonenschutzgesetz einerseits und das Stammzellgesetz andererseits: Obwohl § 2 Abs. 1 ESchG die Verwendung eines extrakorporal erzeugten menschlichen Embryos zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck und damit auch zum Zwecke der Stammzellgewinnung schlechthin verbietet und mit Strafe bedroht, gestattet es das Stammzellgesetz, wie ausgeführt, gleichwohl, unter bestimmten engen Voraussetzungen solchermaßen (außerhalb Deutschlands und vor dem gesetzlichen Stichtag) gewonnene Stammzelllinien zu zugelassenen Forschungszwecken zu verwenden. Ähnliche Differenzierungen nehmen nach Kenntnis des Senats auch die Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten vor. Ebenso hat die Kommission Forschungsprojekte, bei denen menschliche Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen zerstört werden, für nicht förderfähig erachtet, anschließende Forschungen, bei denen humane embryonale Stammzellen verwendet werden, jedoch als von einer Gemeinschaftsfinanzierung nicht ausgenommen angesehen. Ähnliche Differenzierungen nimmt die Rechtsordnung auch sonst verschiedentlich vor, wenn sie zwischen verbotenen Handlungen und der Verwendung der "Früchte des verbotenen Baums" unterscheidet.

Entgegen der Auffassung der Großen Beschwerdekammer, die gemeint hat, die Außerachtlassung von Schritten, die der Anwendung der erfindungsgemäßen technischen Lehre, vorausgehen, hätte die unerwünschte Folge, dass es lediglich einer klugen und geschickten Abfassung eines Patentanspruchs bedürfte, um das Patentierungsverbot zu umgehen (EPA, Entsch. v. 25.11.2008 – G 2/06, ABl. EPA 2009, 306 Tz. 22 – Verwendung von Embryonen/WARF), geht es somit nicht darum, ob das Patentierungsverbot durch eine bestimmte Formulierung des Patentanspruchs umgangen werden kann. Vielmehr stellt sich die Frage, ob das Patentierungsverbot, das aus dem ethischen Unwerturteil folgt, dem die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken unterliegt, auch auf Folgehandlungen erstreckt werden kann, die zwar eine solche Verwendung voraussetzen, aber weder in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie ausdrücklich genannt werden noch in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ebenso behandelt werden wie die Verwendung der Embryonen selbst.

bb)

Ein derart weit reichendes Patentierungsverbot könnte in Widerspruch zu Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie stehen. Art. 6 Abs. 2 soll nach Erwägungsgrund 38 allgemeine Leitlinien für die Auslegung der Bezugnahme auf die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten geben. Nach Erwägungsgrund 39 der Richtlinie entsprechen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten insbesondere den in den Mitgliedstaaten anerkannten ethischen oder moralischen Grundsätzen, deren Beachtung ganz besonders auf dem Gebiet der Biotechnologie wegen der potentiellen Tragweite der Erfindungen in diesem Bereich und deren inhärenter Beziehung zur lebenden Materie geboten ist. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 zielt nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs darauf ab, die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen einzugrenzen (EuGH, Urt. v. 16.6.2005 – C-456/03, Slg. 2005, I-5335 Tz. 78 f. – Kommission/Italien). Dies könnte dafür sprechen, die rechtliche und ethische Differenzierung zwischen der Verwendung von Embryonen einerseits und der Verwendung von embryonalen Stammzellen andererseits auch bei der Auslegung von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie nachzuvollziehen. Bei der hier in Rede stehenden Auslegung könnte Art. 6 Abs. 2 hingegen zumindest für einzelne Mitgliedstaaten dazu führen, dass die in Art. 6 Abs. 1 vorgesehenen Ausnahmen ausgeweitet werden.

cc)

Ein Patentierungsverbot, das auch Verwertungshandlungen erfasst, die nach dem Recht einzelner Mitgliedstaaten erlaubt sind, könnte zudem mit Art. 27 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS) unvereinbar sein. Nach dieser Regelung, die in Erwägungsgrund 36 der Richtlinie erwähnt wird und deren zweiter Absatz mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie übereinstimmt (vgl. auch Erwägungsgrund 37), können Erfindungen nur dann von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden, wenn die Verhinderung ihrer gewerblichen Verwertung zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten notwendig ist. Die hier in Rede stehende Auslegung könnte dazu führen, dass Mitgliedstaaten die Patentierung auch dann versagen müssen, wenn die Verwertung der Erfindung nach ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung nicht gegen die guten Sitten und die öffentliche Ordnung verstößt. Dies könnte in Widerspruch stehen zu Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie, wonach die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus dem TRIPS-Übereinkommen unberührt bleiben. Zwar ist es sowohl mit dem TRIPS-Übereinkommen als auch mit europäischem Recht vereinbar, wenn eine Entscheidungsbefugnis, die ein völkerrechtliches Abkommen den Vertragsparteien einräumt, von den Mitgliedstaaten gemeinsam ausgeübt wird (EuGH, Urt. v. 9.10.2001 – C-377/98, Slg. 2001, I-7079 = GRUR Int. 2001, 1043 Tz. 58 – Niederlande/Parlament und Rat). Art. 27 Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens räumt den Vertragsparteien jedoch nur insoweit eine Entscheidungsbefugnis ein, als dies zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten notwendig ist. Ob Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie den Mitgliedstaaten im Interesse einer einheitlichen Regelung des Binnenmarktes dennoch einen weitergehenden Patentierungsausschluss vorschreiben kann und soll, erscheint angesichts dessen nicht selbstverständlich.

Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 05.12.2006, Az.: 3 Ni 42/04

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