Ohne „konkreten Anlass“ keine Berichterstattung

14. Januar 2010
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Eigener Leitsatz:

Ohne konkreten und gegenwärtigen Anlass ist die Berichterstattung über den Gesundheitszustand eines Prominenten unzulässig, da diese den Kernbereich der Privatsphäre betrifft. Eine bekannte Entertainerin und Comedy-Darstellerin war schwer erkrankt, was im Zusammenhang mit einer ebenfalls erkrankten Moderatorin veröffentlicht wurde. Doch die Erkankung einer beliebigen Dritten Person, die in keiner Beziehung zur erstgenannten Person steht, stellt keinen "aktuellen Anlass" dar, sodass die Berichterstattung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt.

Landgericht Berlin

Urteil vom 29.09.2009

Az.: 27 O 736/09

 

In dem Rechtsstreit (…)

hat die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin in Berlin-Charlottenburg, Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 29.09.2009 durch die Richer am Landgericht …

für  R e c h t  erkannt:

1. Die einstweilige Verfügung vom 21. Juli 2009 wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen am Komplementär, untersagt wird, im Rahmen einer Berichterstattung über eine aktuelle Erkrankung einer dritten Person zu veröffentlichen und / oder zu verbreiten und / oder veröffentlichen und / oder verbreiten zu lassen

“Doch die Fernsehlieblinge umgibt tiefes Schweigen! (…) und x (46). Offizielle Informationen gibt es kaum. (…) [Spekulationen über ihren Gesundheitszustand [x] versuchen ihre Anwälte und ihr Lebenspartner R H zu untersagen.] ‘Ähnlich liegt die Sache bei x (…).
Zum letzten Mal sah man sie am 23. Oktober 2007 beim Deutschen Comedypreis.’ Anfang Januar 2008 erfuhr die Öffentlichkeit dann von ihrem Schicksalsschlag. Seither blocken die Anwälte alles ab.”

wie in der “x” Nr. 28 vom 1. Juli 2009 geschehen.

2. Die weitergehende einstweilige Verfügung wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Tatbestand:

Die Antragstellerin macht einen äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch im einstweiligen Rechtsschutz geltend.

Sie ist eine bekannte Entertainerin und Comedy-Darstellerin und ist oder war schwer erkrankt. Die Antragsgegnerin ist Verlegerin der Zeitschrift “x”, in deren Ausgabe vom 18. Febr. 2009 ein Artikel erschien, der sich im Zusammenhang mit der Erkrankung der Moderatorin x auch mit dem Gesundheitszustand der Antragstellerin befasste. Hinsichtlich des Inhalts des Artikels wird auf die Anlage ASt 1 verwiesen.

Auf die Abmahnung der Antragstellerin gab die Antragsgegnerin mit Anwaltsschreiben vom 26. Febr. 2008 bezüglich der aus dem ersten Teil des Beschlusstenors ersichtlichen Äußerung eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung ab.

Die Antragstellerin, die in der Veröffentlichung vom 1. Juli 2009, die die im zweiten Teil des Beschlusstenors aufgeführten Äußerungen enthält, einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtungserklärung sieht, hat am 21. Juli 2009 eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel untersagt worden ist, im Rahmen einer Berichterstattung über eine aktuelle Erkrankung einer dritten Person zu veröffentlichen und / oder zu verbreiten und / oder veröffentlichen und / oder verbreiten zu lassen

“Anders bei der schwer erkrankten Komikerin x (47): Über ihren Gesundheitszustand herrscht seit ihrer schweren Erkrankung Anfang Januar 2008 immer noch tiefes schweigen!”

und / oder

“Doch die Fernsehlieblinge umgibt tiefes Schweigen! (…) und x (46). Offizielle Informationen gibt es kaum. (…) [Spekulationen über ihren Gesundheitszustand [x] versuchen ihre Anwälte und ihr Lebenspartner R. H. zu untersagen.] ‘Ähnlich liegt die Sache bei x (…).

Zum letzten Mal sah man sie am 23. Oktober 2007 beim Deutschen Comedypreis.’ Anfang Januar 2008 erfuhr die Öffentlichkeit dann von ihrem Schicksalsschlag. Seither blocken die Anwälte alles ab.”
wie in der “x” Nr. 9 vom 18. Februar 2009 bzw. der Ausgabe “x” Nr. 28 vom 1. Juli 2009 geschehen.

Gegen die ihr zwecks Vollziehung zugestellte einstweilige Verfügung richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin.

Ihres Erachtens fehlt es hinsichtlich der ersten Äußerung angesichts der abgegebenen Unterlassungserklärung an der Wiederholungsgefahr. Diese sei durch den Artikel vom 1. Juli 2009 nicht wieder aufgelebt.

Die Antragstellerin müsse es als eine der erfolgreichsten und beliebtesten deutschen Comedians bzw. als eine der bekanntesten Personen der deutschen Unterhaltungsbranche hinnehmen, dass pauschal und völlig allgemein gehalten über “äußerliche Eckdaten” ihres gesundheitlichen Zustand berichtet werde. Hieran bestehe ein überragendes öffentliches Informationsinteresse, weshalb die Güterabwägung zu ihren Gunsten ausfalle. Dabei falle ins Gewicht, dass die Antragstellerin in Interviews stets ihr Privatleben thematisiert, insbesondere über Krankheiten Auskunft gegeben habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die mit der Widerspruchsbegründung eingereichten Presseartikel verwiesen. Die zurückhaltende Berichterstattung, die keine näheren Details zu ihrem Gesundheitszustand enthalte, verletzte die Antragstellerin daher nicht in ihrem
Persönlichkeitsrecht.

Die Antragsgegnerin beantragt, die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt, die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Sie verteidigt den geltend gemachten Unterlassungsanspruch und vertieft ihr bisheriges Vorbringen.

Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die einstweilige Verfügung vom 21. Juli 2009 war im erkannten Umfang zu bestätigen, weil sie insoweit zu Recht ergangen ist (§§ 935, 936 ZPO); im Übrigen war sie, weil zu Unrecht ergangen, aufzuheben und der Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Bezüglich der angegriffenen Berichterstattung vom 18. Febr. 2009 fehlt es am Verfügungsgrund.

Bei Antragstellung lagen die insoweit beanstandeten Äußerungen mehr als fünf Monate zurück. Dass die konkreten Äußerungen zwischenzeitlich wiederholt worden wären oder eine erneute Veröffentlichung jener Textpassagen unmittelbar bevorstände, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Ein etwaiger Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtungserklärung bzw. ein etwaiges Wiederaufleben der Wiederholungsgefahr führt nicht dazu, dass auch die für den Verfügungsgrund erforderliche Dringlichkeit wiederauflebt. Es bleibt der Antragstellerin insoweit unbenommen, Unterlassungsansprüche bezüglich Monate zurückliegender Äußerungen im Hauptsacheverfahren durchzusetzen.
Dagegen steht der Antragstellerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch hinsichtlich des angegriffenen Beitrags in “x” vom 1. Juli 2009 aus §§ 823 Abs. 1 und 2 i. V. m. 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, weil damit rechtswidrig die Privatsphäre der Antragstellerin und damit ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt wurde.

Der Schutz der Privatsphäre, der ebenso wie das Recht am eigenen Bild im allgemeinen Persönlichkeitsrecht wurzelt, umfasst zum einen Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als “privat“ eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als peinlich empfunden wird oder als unschicklich gilt oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es etwa bei Auseinandersetzungen mit sich selbst, bei vertraulicher Kommunikation unter Eheleuten, im Bereich der Sexualität, bei sozial abweichendem Verhalten oder bei Krankheiten der Fall ist. Zum anderen erstreckt sich der Schutz auf einen räumlichen Bereich, in dem der Einzelne zu sich kommen, sich entspannen oder auch gehen lassen kann. Ein Schutzbedürfnis besteht dabei auch bei Personen, die aufgrund ihres Rangs oder Ansehens, ihres Amtes oder Einflusses, ihrer Fähigkeiten oder Taten besondere öffentliche Beachtung finden. Wer, ob gewollt oder ungewollt, zur Person des öffentlichen Lebens geworden ist, verliert damit nicht sein Anrecht auf eine Privatsphäre, die den Blicken der Öffentlichkeit entzogen bleibt (vgl. BVerfG NJW 2000, 1021, 1022).

Allerdings ist die Privatsphäre anders als die Intimsphäre nicht absolut geschützt. Vielmehr ist zu beachten, dass bei einer Presseveröffentlichung das Persönlichkeitsrecht zu der mit gleichem Rang gewährleisteten Äußerungs- und Pressefreiheit in ein Spannungsverhältnis tritt, weswegen auch eine ungenehmigte Veröffentlichung zulässig sein kann, wenn eine alle Umstände des konkreten Einzelfalls berücksichtigende Interessenabwägung ergibt, dass das Informationsinteresse die persönlichen Belange des Betroffenen überwiegt (vgl. BVerfGE 35, 202, 221; Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kapitel 5 Rdz. 60).

Hiervon kann vorliegend auch dann nicht ausgegangen werden, wenn man berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes nicht nur “wertvolle“ Informationen der Presse unter die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fallen, sondern dass diese Freiheit grundsätzlich auch zugunsten der Unterhaltungs- und Sensationspresse und damit auch für Mitteilungen besteht, die in erster Linie das Bedürfnis einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigen (vgl. BGH NJW 1999, 2893, 2894; BVerfGE 35, 202, 222 f.). Entscheidend ist letztlich, ob ein solches Unterhaltungsbedürfnis als gegenüber den Interessen des Betroffenen überwiegend anzuerkennen ist.
Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme entfällt, wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden, etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt. Der verfassungsrechtliche Privatsphärenschutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet.

Zwar ist niemand an einer solchen Öffnung privater Bereiche gehindert. Er kann sich dann aber nicht gleichzeitig auf den öffentlichkeitsabgewandten Privatsphärenschutz berufen. Die Erwartung, dass die Umwelt die Angelegenheiten oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt, muss daher situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden. Dies gilt auch für den Fall, dass der Entschluss, die Berichterstattung über bestimmte Vorgänge der eigenen Privatsphäre zu gestatten oder hinzunehmen, rückgängig gemacht wird (BVerfG a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die angegriffene Berichterstattung rechtswidrig. Die Ausgangsmitteilung im Beitrag vom 1. Juli 2009 betrifft entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin den Kernbereich der Privatsphäre (vgl. hierzu Prinz/Peters, Medienrecht, 1999, S. 79; Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 5 Rz. 48, 57 m. w. N.), ist es den meisten Menschen doch gerade bei Krankheiten besonders unangenehm, wenn andere von ihrem Leiden erfahren und darüber spekulieren. Zwar hat sich die Antragsgegnerin hier darauf konzentriert, ihren Lesern den zurückliegenden Schicksalsschlag der Antragstellerin und das tiefe Schweigen um den Gesundheitszustand des Fernsehlieblings in Erinnerung zu rufen. Sie lässt die Leserschaft jedoch weiter wissen, dass “die Sache ähnlich liegt” wie bei x. Die Berichterstattung über die Erkrankung der Antragstellerin anlässlich der aktuellen Erkrankung einer dritten Person, der Moderatorin x, betrifft selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs keinen Vorgang von allgemeinem Interesse (EGMR NJW 2004, 2647, 2649 f. Rn. 60 ff.) und kein zeitgeschichtliches Ereignis, da Erkrankungen grundsätzlich auch bei "Prominenten" zum regelmäßig geschützten Kernbereich der Privatsphäre gehören (vgl. BGH GRUR 2009, 86). Dies hat das Kammergericht für die Erkrankung der Antragstellerin auch ausdrücklich klargestellt (Kammergericht, Beschluss vom 12.01.2009 – 10 U 133/08 und Beschluss vom 18.06.2009 – 10 U 13/09). Dass sich die Fans für den aktuellen Gesundheitszustand der Antragstellerin interessieren, ist nicht zu bezweifeln. Der Umstand, dass eine in der Medienöffentlichkeit stehende, nicht gänzlich unbekannte Person erkrankt ist sowie Fragen nach ihrer Rückkehr in die Medien, werden dem interessierten Publikum zwar noch mitgeteilt werden dürfen. Ein legitimes In teresse daran, den Gesundheitszustand der Antragstellerin anlässlich der aktuellen Erkrankung von Frau x ohne konkreten Berichterstattungsanlass bezüglich der  Antragstellerin erneut zu thematisieren, ist dagegen nicht erkennbar. Erst recht rechtfertigen die von der Antragsgegnerin in Bezug auf die Erkrankung der Frau x einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemachten Details keine Spekulationen über eine vermeintliche “Parallele” zur Erkrankung der Antragstellerin. Auch die Antragsgegnerin beruft sich insofern lediglich auf die Bekanntheit der Antragstellerin und die Neugier ihrer Fans. Irgendein darüber hinaus gehendes gesellschaftliches Bedürfnis oder Interesse der Öffentlichkeit, Spekulationen über vermeintliche Parallelen der Erkrankung und Genesung der Antragstellerin und Frau x zu erfahren, ist nicht erkennbar.

Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin durch die Medien selbst einen Teil ihrer gesundheitsbezogenen Privatsphäre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und damit das Interesse an diesem Teil ihres Privatlebens geschürt hätte. Abgesehen davon, dass die Berichterstattung zum Teil schon längere Zeit zurückliegt, betrafen ihre Äußerungen keine lebensbedrohenden akuten Erkrankungen und gaben lediglich Auskunft darüber, worauf ihr augenscheinlicher Gewichtsverlust zurückzuführen war und welche Probleme mit der Stoffwechselstörung einhergingen bzw. weshalb sie Dreharbeiten unterbrechen musste. Daraus lässt sich aber keine Einwilligung der Antragstellerin ableiten, viele Monate nach einer schweren Erkrankung und dem auch im Beitrag thematisierten vollständigen Rückzug aus der Öffentlichkeit über ihre Erkrankung zu berichten.

Die Wiederholungsgefahr ist aufgrund der bereits erfolgten Rechtsverletzung zu vermuten und hätte nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden können (BGH NJW 1994, 1281), an der es fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

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