Veröffentlichung eines Facebook-Profilbilds zur öffentlichen Anprangerung durch mediale Berichterstattung unzulässig

02. Oktober 2018
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Social Media Profil auf das mit Finger gezeigt wird Urteil des OLG München vom 01.03.2018, Az.: 29 U 1156/17

Die Veröffentlichung des Fotos einer Person im Rahmen von medialer Berichterstattung ist unzulässig, wenn sich die Berichterstattung auf die öffentliche Anprangerung von einzelnen Personen richtet. Die Bild-Zeitung hatte den Beitrag einer Facebook-Nutzerin mit negativen Äußerungen über Flüchtlinge in ihrer Online-Ausgabe unter der Überschrift „Hass auf Flüchtlinge - BILD stellt die Hetzer an den Pranger“ veröffentlicht. Eine solche Veröffentlichung ist rechtswidrig, da das Persönlichkeitsrecht der Facebook-Nutzerin gegenüber der Pressefreiheit der Zeitung überwiegt. Zwar sei es Aufgabe der Medien, die in Politik und Gesellschaft geführte Flüchtlingsdebatte in ihrer Berichterstattung aufzugreifen; dafür sei es aber nicht erforderlich, die Hetzer personalisiert mit Foto und unter Namensnennung öffentlich an den Pranger zu stellen.

Oberlandesgericht München

Urteil vom 01.03.2018

Az.: 29 U 1156/17

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 9. März 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer 1. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klägerin macht Unterlassungs- und Folgeansprüche wegen der Veröffentlichung ihres Facebook-Profilbildes durch die Beklagte auf www.bild.de geltend.

Die Klägerin ist Nutzerin des sozialen Netzwerks Facebook und veröffentlichte dort am 16. Oktober 2015 im Rahmen der Diskussion über den Flüchtlingszustrom folgenden Eintrag:

[Abbildung]

Das Profilbild zeigt ein Foto der Klägerin. Das Facebook-Profil mit ihrem Foto war im Oktober 2015 im Internet bei gezielter Eingabe des Namens der Klägerin für jedermann ohne Einschränkung aufruf- und einsehbar und nicht durch Zugriffssperren geschützt.

Die Beklagte bietet unter www.bild.de die Online-Ausgabe der Bild-Zeitung an und veröffentlichte dort am 20. Oktober 2015 unter der Überschrift Hass auf Flüchtlinge – BILD stellt die Hetzer an den Pranger folgenden Artikel, der neben weiteren rund 40 Facebook-Einträgen anderer Nutzer auch den Facebook-Eintrag der Klägerin vom 16. Oktober 2015 mit ihrem Profilbild wiedergibt (Anlage K 2):

[Abbildung]

Die in dem Artikel eingeblendeten Facebook-Einträge hatte die Beklagte von der FacebookSeite kopiert und als Screenshots mit den jeweiligen Namen und Profilbildern der Verfasser der Kommentare auf www.bild.de in den redaktionellen Teil des Artikels eingearbeitet.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 26. Oktober 2015 forderte die Klägerin die Beklagte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf und verlangte Schadensersatz sowie Schmerzensgeld (Anlage K 3). Mit Schreiben vom 4. November 2015 antwortete die Beklagte, die Klägerin möge ihre Forderungen gerichtlich geltend machen (Anlage K 4).

Die Klägerin sieht sich durch die Veröffentlichung ihres Bildes auf www.bild.de in ihrem Urheber-, Kunsturheber- und Persönlichkeitsrecht verletzt. Insbesondere habe sie nicht in die Veröffentlichung ihres Bildes eingewilligt; die Verbreitung des Bildnisses sei auch nicht ausnahmsweise nach § 23 KUG zulässig.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, der Beklagten zu verbieten, ihr Foto auf der Website www.bild.de wie geschehen am 20. Oktober 2015 zu veröffentlichen, festzustellen, dass die Beklagte zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet ist, und die Beklagte zur Auskunftserteilung sowie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 3.000,- € und vorgerichtlicher Abmahnkosten in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen hieraus seit 8. November 2015 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, dass weder ein Verstoß gegen das UrhG noch gegen §§ 22, 23 KUG vorliege. Die Klägerin habe durch die Verwendung ihres Fotos als Profilbild auf Facebook konkludent in die Verbreitung im gesamten Internet und somit auch auf www.bild.de eingewilligt. Jedenfalls stelle das Foto ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte i. S. d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG dar, dessen Veröffentlichung keine berechtigten Interessen der Klägerin verletze.

Mit Urteil vom 9. März 2017, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage hinsichtlich der Folgeansprüche überwiegend abgewiesen und wie folgt erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes (im Einzelfall bis zu € 250.000,00) und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, insgesamt bis zu zwei Jahren) zu unterlassen,

die nachfolgende Fotografie

[Abbildung]

auf der Website www.bild.de zu veröffentlichen, geschehen wie folgt unter der URL http://www.bild.de/news/inland/social-media/der-pranger-derschande-43073084.bild.html

[Abbildung]

im Rahmen des nachstehenden Artikels der Beklagten auf www.bild.de mit der Überschrift „Hass auf Flüchtlinge – BILD stellt die Hetzer an den Pranger“

[Abbildung]

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 937,37 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2015 zu bezahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Gegen die teilweise Verurteilung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und beantragt,

das Urteil des Landgerichts München I vom 9. März 2017 – Az. 7 O 8254/16 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. März 2018 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 823 Abs. 1, § 1004 BGB, § 22 KUG, Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG wegen der Verwendung ihres Bildes zu. Die streitgegenständliche Bildveröffentlichung ist nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG unzulässig. Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB.

1. Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (vgl. BGH GRUR 2017, 302 Tz. 5 m. w. N.), das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfGE 120, 180, 210) als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht (vgl. EGMR NJW 2004, 2647 Tz. 57 ff.; NJW 2012, 1053 Tz. 95 ff.). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BVerfG NJW 2011, 740 Tz. 52 m. w. N.). Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (vgl. BGH GRUR 2017, 302 Tz. 5 m. w. N.).

2. Die Klägerin ist auf dem von der Beklagten wiedergegebenen Foto erkennbar.

Der in §§ 22, 23 KUG verwendete Begriff des Bildnisses setzt nach gefestigter Rechtsprechung die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus. Ein Bildnis in diesem Sinne ist die Darstellung einer Person, die deren äußere Erscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt (vgl. BGH NJW 2000, 2201, 2202 – Der blaue Engel). Hierzu genügt es, wenn der Abgebildete, mag auch sein Gesicht kaum oder gar nicht erkennbar sein, durch Merkmale, die sich aus dem Bild selbst ergeben und die gerade ihm eigen sind, erkennbar ist, oder wenn seine Person durch den beigegebenen Text erkannt werden kann (vgl. BGH NJW 1965, 2148, 2149 – Spielgefährtin I).

Unstreitig handelt es sich bei der streitgegenständlichen Abbildung um ein Bild der Klägerin. Diese Abbildung ist, auch wenn sie von der Beklagten nur im Kleinformat wiedergegeben worden ist, schon für sich genommen so deutlich, dass die Klägerin begründeten Anlass hat, anzunehmen, sie könne erkannt werden. Hinzu kommt, dass mit der Abbildung auch der Name der Klägerin mitgeteilt wird. Angesichts der Verbindung von Bild und Namensangabe steht die Identifizierbarkeit der Klägerin auf der Abbildung außer Zweifel.

3. Die Klägerin hat weder ausdrücklich noch konkludent in die Veröffentlichung ihres Bildnisses auf www.bild.de eingewilligt. Bildnisse einer Person dürfen nach § 22 Satz 1 KUG grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden. Sie kann ausdrücklich oder stillschweigend erteilt werden (vgl. BGH GRUR 2005, 74, 75 – Charlotte Casiraghi II).

a) Eine ausdrückliche Einwilligung der Klägerin zur Veröffentlichung ihres Bildnisses auf www.bild.de liegt nicht vor.

b) Eine stillschweigende Einwilligung kann nur angenommen werden, wenn der Betroffene ein Verhalten an den Tag legt, das für den objektiven Erklärungsempfänger als Einwilligung verstanden werden kann. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer stillschweigenden Einwilligung ist in der Regel, dass dem Betroffenen Zweck, Art und Umfang der Veröffentlichung bekannt sind (OLG Hamburg AfP 2012, 166; OLG München ZUM 2009, 429; OLG Karlsruhe ZUM 2006, 568; Fricke in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Auflage 2014, § 22 KUG Rn. 15).

Danach durfte der streitgegenständliche Eintrag der Klägerin auf Facebook von der Beklagten schon deshalb nicht als Einwilligung zur Veröffentlichung auf www.bild.de verstanden werden, weil der Klägerin Zweck, Art und Umfang der Veröffentlichung nicht bekannt gewesen sind. Die Beklagte konnte insbesondere nicht davon ausgehen, die Klägerin sei damit einverstanden, dass sie sowohl auf www.bild.de als auch in der Print-Ausgabe von BILD, der auflagenstärksten Zeitung Deutschlands, identifizierbar mit Foto und unter Namensnennung öffentlichkeitswirksam an den Pranger gestellt wird.

Auch aus dem Umstand, dass die Klägerin das streitgegenständliche Bildnis auf Facebook eingestellt hat, ohne ihr Facebook-Profil durch Sicherheitseinstellungen gegen den allgemeinen Zugriff zu schützen, so dass es bei gezielter Eingabe des Namens der Klägerin für jedermann aufruf- und einsehbar gewesen ist, kann nicht auf eine wirksame Einwilligung in eine Wiedergabe dieser Fotografie auf www.bild.de geschlossen werden. Wer ein Foto auf seinen Account bei einem sozialen Netzwerk einstellt, ohne von möglichen Zugriffssperren Gebrauch zu machen, willigt zwar konkludent in die Verbreitung des Fotos durch Suchmaschinen ein (vgl. BGH GRUR 2010, 628 Tz. 36 – Vorschaubilder I; OLG Köln, MMR 2011, 323). Durch das Einstellen eines ihn selbst zeigenden Bildnisses in ein soziales Netzwerk willigt der Nutzer jedoch nicht zugleich in die Verwendung dieser Bildnisse durch Medien ein. Die Veröffentlichung im Rahmen einer medialen Berichterstattung ist daher ohne Einwilligung unzulässig, soweit nicht § 23 KUG eingreift, wobei allerdings das visuelle Selbstdarstellungsrecht durch die Online-Veröffentlichung erheblich an Gewicht verloren hat (vgl. Engels in: BeckOK Urheberrecht, Ahlberg/Götting, 19. Edition, Stand: 1. März 2018, § 22 KUG Rn. 38). Im Streitfall liegt daher keine stillschweigende Einwilligung der Klägerin vor.

4. Die Zulässigkeit der Bildnisveröffentlichung ergibt sich auch nicht aus § 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 KUG. Danach dürfen Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung verbreitet und zur Schau gestellt werden, sofern berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden.

a) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser Begriff darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist, wobei sogar unterhaltende Beiträge davon nicht ausgenommen sind. Ein Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (vgl. BGH GRUR 2017, 302 Tz. 7 m. w. N.).

Die Anerkennung der Bedeutung der Presseberichterstattung für die öffentliche und individuelle Meinungsbildung bewirkt daher nicht automatisch, dass der besondere persönlichkeitsrechtliche Bildnisschutz des Abgebildeten stets zurückzutreten hat, also jedwede Bebilderung von Medienerzeugnissen verfassungsrechtlich gewährleistet ist (vgl. BVerfG GRUR 2008, 539 Tz. 66 – Caroline von Hannover). Die Abwägung hat aber das vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfasste Recht der Presse zu berücksichtigen, nach ihren publizistischen Kriterien zu entscheiden, was öffentliches Interesse beansprucht (vgl. BVerfG GRUR 2000, 446 – Caroline von Monaco; BVerfG a.a.O., Tz. 67 – Caroline von Hannover). Soweit das Bild nicht schon als solches eine für die öffentliche Meinungsbildung bedeutsame Aussage enthält, ist sein Informationswert im Kontext der dazu gehörenden Wortberichterstattung zu ermitteln (vgl. BVerfG a.a.O., Tz. 68 – Caroline von Hannover m. w. N.). So können Bilder einen Wortbericht ergänzen und dabei der Erweiterung seines Aussagegehalts dienen, etwa der Unterstreichung der Authentizität des Geschilderten. Auch kann ein von Art. 5 Abs. 1 GG geschütztes Informationsanliegen darin liegen, durch Beigabe von Bildnissen der an dem berichteten Geschehen beteiligten Personen die Aufmerksamkeit des Lesers für den Wortbericht zu wecken (vgl. BVerfG GRUR 2017, 842 Tz. 16 – „Gehweg“-Foto).

Die Presse kann demnach grundsätzlich selbst nach publizistischen Kriterien entscheiden, was sie für berichtenswert hält und ob bzw. wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Die Presse- und Informationsfreiheit ist jedoch mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht desjenigen abzuwägen, in dessen Privatsphäre die Presse unter namentlicher Nennung und Abbildung eingreift. Durch Abwägung der betroffenen Rechtsgüter ist zu ermitteln, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit den Eingriff in die Privatsphäre nach Art und Reichweite gestattet und ob dieser in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung der Berichterstattung steht. Das Selbstbestimmungsrecht der Presse umfasst nicht auch die Entscheidung, wie das Informationsinteresse zu gewichten ist; diese Gewichtung zum Zweck der Abwägung mit gegenläufigen Interessen der Betroffenen obliegt im Fall eines Rechtsstreits vielmehr den Gerichten (vgl. BGH GRUR 2009, 150 Tz. 17 m. w. N.).

Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich zum Persönlichkeitsschutz des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen, insbesondere zum Schutz des Kernbereichs der Privatsphäre. Bei der Gewichtung des Informationsinteresses im Verhältnis zu dem kollidierenden Persönlichkeitsschutz kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu. Entscheidend ist insbesondere, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie – ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis – lediglich die Neugier der Leser oder Zuschauer befriedigen. Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist (vgl. BGH GRUR 2017, 302 Tz. 8 m. w. N.).

b) Nach diesen Grundsätzen stellt sich die streitgegenständliche Verbreitung des Bildnisses der Klägerin im Internetpranger der Beklagten nicht als zulässig i. S. d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG dar.

aa) Gegenstand der Berichterstattung der Beklagten ist die Flüchtlingskrise und damit ein Vorgang von historisch-politischer Bedeutung gewesen. Die Beklagte hat insoweit im Rahmen ihrer Informations- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG gehandelt. Es steht außer Frage, dass es Aufgabe der Beklagten ist, die in Politik und Gesellschaft geführte Flüchtlingsdebatte in ihrer Berichterstattung aufzugreifen, abzubilden und zu bewerten. Dazu zählt auch die kritische Würdigung der Haltung bestimmter Bevölkerungskreise, die dem Zuzug von Flüchtlingen ablehnend gegenüberstehen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Beklagte im Rahmen ihrer Berichterstattung zur Darstellung der Stimmungslage in der Bevölkerung Äußerungen wiedergibt, mit denen sich einzelne Personen in der Flüchtlingsdebatte außerhalb ihres privaten Umfeldes zu Wort gemeldet haben.

bb) Die Klägerin hat sich mit ihrer Äußerung Wie die Tiere und noch schlimmer, alles rennt zum gutgefüllten Futternapf, mal sehen wo sie hin rennen, wenn unser Napf leer gefressen ist ???? auf Facebook bewusst in die Öffentlichkeit gewagt und dazu Veranlassung gegeben, dass die Beklagte diese Äußerung in ihrer Berichterstattung aufgreift, um den Informationsanspruch des Publikums zu erfüllen und damit auch einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten. Durch ihren Eintrag auf Facebook und die öffentliche Kundgabe ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Flüchtlingen hat die Klägerin den Bereich der Privatsphäre verlassen. Ihre Äußerung betrifft daher den Bereich der Sozialsphäre, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht.

cc) Da die Presse selbst nach publizistischen Kriterien entscheiden kann, was sie für berichtenswert hält und ob bzw. wie ein Presseerzeugnis bebildert wird, war es der Beklagten grundsätzlich auch nicht verwehrt, das von der Klägerin als Facebook-Profilbild eingestellte Foto, unter dem diese den streitgegenständlichen Eintrag auf Facebook veröffentlicht hat, in die Berichterstattung mit aufzunehmen. Insoweit handelt es sich nicht nur um ein kontextneutrales Portraitfoto der Klägerin. Vielmehr hat sie ihrem Beitrag zur Flüchtlingskrise auf Facebook durch die Wiedergabe ihres Profilbildes ein Gesicht gegeben und einen visuellen Bezug hergestellt.

dd) Im Streitfall ist der Eingriff in die Sozialsphäre der Klägerin jedoch aufgrund der von der Beklagten ausdrücklich bezweckten Prangerwirkung rechtswidrig; das Schutzinteresse der Klägerin überwiegt die schutzwürdigen Belange der Beklagten.

(1) Die Veröffentlichung wahrer Tatsachenbehauptungen im Rahmen der Sozialsphäre muss grundsätzlich hingenommen werden, auch wenn dies für den Betroffenen nachteilig ist. Denn im Bereich der Sozialsphäre ist dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Einzelnen von vornherein ein tendenziell größeres Gewicht beizumessen (vgl. BGH GRUR 2005, 612, 613). Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen daher nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind (vgl. BGH GRUR 2012, 425 Tz. 20; BVerfG NJW 2010, 1587 Tz. 25).

Eine Prangerwirkung liegt dann vor, wenn ein beanstandungswürdiges Verhalten aus der Sozi- alsphäre einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird und sich dies schwerwiegend auf Ansehen und Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen auswirkt, was insbesondere dort in Betracht kommt, wo eine Einzelperson aus der Vielzahl derjenigen, die das vom Äußernden kritisierte Verhalten gezeigt haben, ohne konkreten Anlass herausgehoben wird, um die Kritik des als negativ bewerteten Geschehens durch Personalisierung zu verdeutlichen. Dabei kann die Anprangerung dazu führen, dass die regelmäßig zulässige Äußerung einer wahren Tatsache aus dem Bereich der Sozialsphäre im Einzelfall mit Rücksicht auf die überwiegenden Persönlichkeitsbelange des Betroffenen zu untersagen ist (vgl. BVerfG NJW 2010, 1587 Tz. 25 m. w. N.).

(2) Eine solche Prangerwirkung liegt im Streitfall vor. In dem streitgegenständlichen Artikel der Beklagten mit der Überschrift Hass auf Flüchtlinge – BILD stellt die Hetzer an den Pranger heißt es unmittelbar vor den eingeblendeten Screenshots mit verschiedenen Äußerungen von rund 40 Facebook-Nutzern samt der dazugehörigen Profilbilder und Klarnamen: BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie! Damit hat die Beklagte nicht nur die zuständige Staatsanwaltschaft zur Prüfung des Anfangsverdachtes einer Straftat bzw. zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Volksverhetzung u. a. aufgefordert, sondern durch die zweimalige Nennung des Begriffs Pranger klargestellt, dass es ihr darum geht, einzelne Hetzer gegen Flüchtlinge öffentlich an den Pranger zu stellen. Ziel der Beklagten war nicht lediglich die Darstellung der Stimmungslage in der Bevölkerung zur Flüchtlingskrise und die Missbilligung des Verhaltens von Teilen der Bevölkerung, sondern jedenfalls auch die personalisierte Anprangerung einzelner Personen. Die Beklagte kann sich dabei nicht darauf berufen, dass sie zur Behebung von Missständen in der Gesellschaft im Einzelfall auch zu drastischen Mitteln greifen dürfe. Zwar ist am 1. Oktober 2017 als Reaktion auf die Flüchtlingsdebatte im Jahr 2015 und die dabei von Teilen der Bevölkerung geäußerten fremdenfeindlichen und rassistischen Hassbotschaften im Internet das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) in Kraft getreten, das sich gegen Hetze und gefälschte Meldungen (Fake News) in sozialen Netzwerken richtet. Das Ansinnen der Beklagten, im Rahmen ihrer Pressefreiheit auf Missstände hinzuweisen und dazu aufzufordern, Abhilfe zu schaffen, ist nicht zu beanstanden. Jedoch ist es zur Erreichung dieses Ziels gerade nicht erforderlich, die Hetzer personalisiert mit Foto und unter Namensnennung öffentlich an den Pranger zu stellen. Die von der Beklagten durch die zweimalige Nennung des Begriffs Pranger ausdrücklich bezweckte Prangerwirkung setzt gerade eine identifizierende Berichterstattung voraus. Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, habe sie die Profilbilder unter anderem deshalb veröffentlicht, um deutlich zu machen, dass sich unter den Hetzern auch ganz normale Menschen wie beispielsweise Hausfrauen befinden. Die Beklagte hat daher bewusst von einer Anonymisierung bzw. Teil-Verpixelung abgesehen und vielmehr die Profilbilder der Klägerin und anderer Facebook-Nutzer zur Personalisierung der Hetzer eingesetzt, um diese an den Pranger zu stellen. Verstärkt hat sie diese Prangerwirkung noch zusätzlich durch die Namensnennung.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Veröffentlichung der Profilbilder auch nicht erforderlich gewesen, um zu belegen, dass im Internet ganz offen gegen Flüchtlinge gehetzt wird. Denn auch insofern hat die Beklagte ihre Belange nicht in einen möglichst schonenden Ausgleich zum Persönlichkeitsschutz der von der Berichterstattung Betroffenen gebracht; ihr wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die Fotos teilweise zu verpixeln oder einen schwarzen Balken auf Höhe der Augen hinzuzufügen, ohne eine nennenswerte Einschränkung der von der Beklagten reklamierten Erkennbarkeit der sozialen Schicht hinnehmen zu müssen. Im Übrigen ist es zum Beleg der offenen Hetze in sozialen Netzwerken nicht erforderlich gewesen, die Facebook-Nutzer ausdrücklich an den Pranger zu stellen.

Die Beklagte hat die Klägerin, eine bislang in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Person, neben rund 40 weiteren Facebook-Nutzern aus einer Vielzahl von Gleichgesinnten herausgehoben und das Durchschnittspublikum zu einem sozialen Unwerturteil gegen die Klägerin aufgerufen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin keine Person des öffentlichen Interesses ist und einer Berichterstattung über gewöhnliche Bürger engere Grenzen als in Bezug auf den Kreis sonstiger Personen des öffentlichen Lebens gezogen sind (vgl. BVerfG a.a.O., Tz. 99 – Caroline von Hannover). Zwar hat die Klägerin auch schon vor dem streitgegenständlichen Facebook-Eintrag vom 16. Oktober 2015 mehrere flüchtlingsfeindliche Kommentare auf Facebook veröffentlicht (vgl. Anlage B 7). Die Beklagte hat diese weiteren Kommentare der Klägerin in ihrer Berichterstattung jedoch nicht aufgegriffen und die Anprangerung im streitgegenständlichen Artikel selbst gerade nicht damit begründet, dass sich die Klägerin mit zahlreichen hasserfüllten, verachtenden und gewaltverharmlosenden Kommentaren aus der Masse der Internethetzer besonders hervorgetan und insoweit für eine solche Herausstellung konkreten Anlass gegeben habe. Auch die weiteren nach dem 20. Oktober 2015 von der Klägerin auf Facebook veröffentlichten flüchtlingsfeindlichen Kommentare (vgl. Anlage B 7) können die Anprangerung der Klägerin nicht im Nachhinein rechtfertigen.

Das Verhalten der Klägerin kann auch nicht als freiwillige Mitveranlassung einer auf ihre Sozi- alsphäre bezogene Medienberichterstattung durch besonders exponiertes Verhalten eingestuft werden. Die mit ihrem Facebook-Eintrag erfolgte partielle Selbstöffnung der Klägerin ist nicht mit der von der Beklagten vorgenommenen und als Pranger bezeichneten Wiedergabe der mit Foto und Namen versehenen Äußerung in einem Massenmedium gleichzusetzen. Die Klägerin musste aufgrund ihres Facebook-Eintrages zwar damit rechnen, ihre Meinungsäußerung zur Flüchtlingsdebatte auch in einem Massenmedium, wie es die Beklagte bietet, kritisch bewertet zu finden. Auch hat ihr visuelles Selbstdarstellungsrecht durch die Online-Veröffentlichung auf Facebook erheblich an Gewicht verloren. Sie musste jedoch nicht damit rechnen, ausdrücklich an den Pranger gestellt zu werden.

Aufgrund der bezweckten Anprangerung, mit der die Leser die Klägerin mit einem sozialen Unwerturteil in Verbindung bringen sollen, ist zu besorgen, dass sich der Artikel der Beklagten mit dem Bildnis der Klägerin schwerwiegend auf das Ansehen und die Persönlichkeitsentfaltung der Klägerin auswirkt, so dass im Streitfall die Persönlichkeitsbelange der Klägerin überwiegen.

5. Der Klägerin steht gemäß § 823 Abs. 1 BGB auch ein Anspruch auf Erstattung von anteiligen Abmahnkosten in Höhe von 937,37 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2015 zu. Die Beklagte hat die anteiligen Abmahnkosten der Höhe nach nicht bestritten. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, § 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter II. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.

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