Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung führt zu Schadensersatzpflicht

02. November 2009
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Eigener Leitsatz:

Wird ein Gewerbetreibender mit unberechtigten Unterlassungsansprüchen konfrontiert, so liegt darin ein Einriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Die wirtschaftliche Tätigkeit wird dabei ohne Grund gestört. Dies begründet einen Schadensersatzanspruch des Gewerbetreibenden von dem auch jene Kosten erfasst sind, die dem Gewerbetreibenden durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Überprüfung der gegen ihn gerichteten Ansprüche entstanden sind.

Amtsgericht Waldshut-Tiengen
Urteil vom 30.10.2009
Az.: 3 C 270/09

T e n o r:

In dem Rechtsstreit

…  
Klägerin

    Prozessbevollmächtigte:
    RA. Hild & Kollegen, Konrad-Adenauer-Allee 55, 86150 Augsburg

gegen

1. …
 Beklagte
2. …  
Beklagter

wegen Forderung

hat das Amtsgericht Waldshut-Tiengen auf die mündliche Verhandlung vom 27.10.2009 durch Richter am Amtsgericht Zachariae

für Recht erkannt:

1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 489,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin ¼ und die Beklagten als Gesamt-schuldner ¾.
3. das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d

Die Beklagten sind in dem Buch …, das von der Klägerin, einer Internetbuchhändlerin, zeitweise als lieferbar gelistet wurde, unter dem Kapitel „Familienzusammenführung sozialistisch“ (dort S. 165-211) mit ihrem vollständigen Namen und ihrer Wohnanschrift genannt, ohne dass sie dies genehmigt hatten; wegen der weiteren Einzelheiten des – in seiner Natur indes bestrittener maßen – inkriminierenden Textes wird auf die Anlage B1, AS 79, Bezug genommen. Wegen dieser Nennung forderten die Beklagten zunächst den Verlag… mit Schreiben vom 30.12.2008 auf, die Veröffentlichung ihrer persönlichen Daten zu stoppen, sämtliche bislang nicht verkaufte Werke zurückzurufen und den weiteren Verkauf der Exemplare zu verhindern sowie eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage B 2, AS 81ff., Bezug genommen. Mit Schreiben vom 03.01.2009 (B 3, AS 87) teilte die Herausgeberin des Buches …, den Beklagten mit, dass kein Exemplar des Buches in den freien Verkauf gelangt sei, und sicherte zu, dass das Buch in den Datenbanken der Internetanbieter als „vergriffen“ ausgewiesen werde. Diese Zusicherung wiederholte Herr …, der Geschäftsführer des Verlages …, mit Schreiben vom 13.01.2009 (B 4, AS 89ff.). Nach Kenntnis des Schreibens des Verlags bestellten die Beklagten über ihren Sohn ein Exemplar des Buches beim Internetanbieter Amazon, das am 22.01.2009 geliefert wurde. Nach einem weiteren Anschreiben des Verlags wurde das Werk bei Amazon als nicht lieferbar gelistet. Die beklagten stellten Anfang März 2009 fest, dass das Werk bei mehreren Internetbuchhandlungen, u.a. auf der Internet-homepage …, welche von der Klägerin betrieben wird, als „lieferbar“ gelistet war. Zu diesem Zeitpunkt war den Beklagten (noch) nicht bekannt, dass das Buch tatsächlich wegen eines Sperrvermerks im Handel nicht erhältlich war, dass im Handel befindliche Exemplare zurückgerufen worden waren und dass die Remission bereit umgesetzt worden war. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin (B 5, AS 93ff.) haftete sie gegenüber dem Käufer nicht für die Lieferbarkeit von Büchern. Mit Schreiben vom 04.03.2009 forderten die beklagten die Klägerin zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, mit dem Inhalt, das Werk nicht weiterzugeben oder zu verkaufen. Für den Fall der Zuwiderhandlung sollte eine Vertragsstrafe von 5.000 € gezahlt werden. Wegen des weiteren Inhalts wird auf das Schreiben vom 04.03.2009 Bezug genommen (K 1, AS 33ff.). Die Klägerin unterzeichnete die Erklärung nicht. Im Streit stehen die außergerichtlichen Kosten, die der Klägerin durch die Abwehr des behaupteten Unterlassungsanspruchs entstanden sind und zu deren Zahlung sie die Beklagten mit Schreiben vom 18.03.2009 (K 2, AS 41ff.) bis zum 27.03.2009 aufgefordert hat. Am 27.03.2009 teilten die Beklagten der Klägerin mit, dass die Sache von ihrer Seiten nicht weiter betrieben würde.
Die Klägerin behauptet, sie habe als Buchhändlerin keinen Einfluss auf den Inhalt eines Buches, was die Beklagten auch hätten erkennen können,  gehabt. Den Beklagten haben gewusst, dass das Fordern einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nicht erforderlich gewesen sei. Die gerügten Passagen des Buches ließen nicht erkennen, ob es sich hierbei um einen Bericht oder um bloße Fiktion handele. Die Einschaltung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sie zur Abwehr erforderlich gewesen. Die bloße Mitteilung der Klägerin an die Beklagten, dass das Buch wegen Maßnahmen des Verlags nicht verkauft werden könne, sei kein adäquater Ersatz gewesen, weil die Klägerin insoweit nicht über einen Informationsvorsprung gegenüber den Beklagten verfügt habe.
Die Klägerin ist der Ansicht, ein Unterlassungsanspruch habe ihr gegenüber nicht bestanden. Die Aufforderung, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, stelle eine ungerechtfertigte Schutzrechtsverwarnung dar. Diese wiederum greife in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Die Beklagten seien daher zum Ersatz des hieraus folgenden Betriebsausfalls verpflichtet. Diese Ersatzpflicht umfasse die Kosten, die ihr durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts entstanden sind.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 651,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2009 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen Klageabweisung.
Sie behaupten, dass ihnen wegen Widersprüchlicher Angaben des Verlages nicht klar und für die nicht überprüfbar gewesen sie, dass das Buch tatsächlich nicht in den Verkauf gelangen werde. Die Einschaltung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei zur Abwehr nicht erforderlich gewesen, weil die Beklagten mit Schreiben vom 27.03.2009 – was unstreitig ist – mitgeteilt haben, dass die Sache nicht weiterverfolgt werde; zudem hätte die bloße Mitteilung der Klägerin an die Beklagten, dass das Buch durch Maßnahmen des Verlags nicht verkauft werden könne, ausgereicht.
Die Beklagten sind der Ansicht, ein Unterlassungsanspruch ihrerseits habe bestanden, weil die Klägerin –so behaupten die Beklagten- Kenntnis von dem Inhalt der vertriebenen Werke hatte. Es liege kein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin vor. Die Klägerin habe weder einen Gewinnausfall erlitten noch müsse sie wegen der mangelnden Lieferbarkeit Schadensersatzansprüche Dritter fürchten. Mangels eines Eingriffs bestehe keine Schadensersatzpflicht. Die Höhe des geforderten Schadensersatzbeitrages sei jedenfalls nicht berechtigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 27.1.02009 Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.
1. Die Klägerin kann von den Beklagten Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. den Grundsätzen über den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verlangen, da die Aufforderung der Beklagten vom 04.03.2009 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung eine Verletzungshandlung ist, die in das Recht der Klägerin an einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingreift.
a) Die Beklagten hatten gegenüber der Klägerin schon im Ansatz keinen Anspruch auf Unterlassung des Verkaufs des streitgegenständlichen Buches … weil ein Buchhändler auf die Inhalte der von ihm vertriebenen Bücher keinen Einfluss hat. Auch in der vergleichbaren Konstellation, dass ein Pressegroßhändler eine Zeitschrift mit persönlichkeitsverletzendem Inhalt vertreibt, wird eine Haftung desselben abgelehnt (OLG Frankfurt am Main, ZUM – RD 2008, 128). Zudem haben die Beklagten keinen Beweis zur Behauptung angetreten, die Klägerin habe Kenntnis vom Inhalt des Buches gehabt. Die Frage, ob die inkriminierten Passagen des o.g. Buches auf die dortigen S. 165-211 in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beklagten in unzulässiger weise eingegriffen haben, können dahin stehen.
b) Die Einwendung, es liege mangel eines Gewinnausfalles und wegen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin mangels potentieller Schadensersatzanspruche von Käufern bei Nichtlieferbarkeit des Buches kein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vor, geht fehl. Geschützt ist der Gewerbebetrieb nämlich in seiner Substanz und „in seinem Bestand und in seinen Ausstrahlungen, soweit es sich um gerade dem Gewerbebetrieb in seiner wirtschaftlichen und wirtschaftenden Tätigkeit wesensgemäße und eigentümliche Erscheinungsformen und Beziehungen handelt“ (BGHZ 29, 65, 70). Ein Eingriff in diesem Sinne liegt vor, wenn der Gewerbetreibende mit unberechtigten Unterlassungsansprüchen konfrontiert wird und dadurch die Berechtigung dieser Ansprüche prüfen und ggf. abwehren muss. Denn damit werden die wirtschaftlichen Tätigkeiten beeinträchtigt, indem die Arbeitskraft des Gewerbetreibenden beansprucht und der Arbeitsablauf des Betriebes ohne rechtlichen Grund gestört wird.
c) Der vorliegende Eingriff ist auch betriebsbezogen, da er sich gegen die betriebliche Organisation und die unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Klägerin als Buchhändlerin richtet.
d) Es kommt nicht darauf an, dass die Beklagten sich in Bezug auf den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht auf ein gewerbliches Schutzrecht, sondern auf ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen. Nicht nur die unberechtigte Verwarnung aus einem gewerblichen Recht, sondern auch jede sonstige unberechtigte Schutzrechtsverwarnung kann einen Schadensersatzanspruch auslösen (BGHZ 164, 1 – Leitsatz). Im gewerblichen Bereich schafft diese Ersatzpflicht einen Ausgleich zwischen dem durch Art. 14 GG geschützten Interesse des Schutzrechtsinhabers, sein Recht geltend machen zu können, und dem geschützten Interesse des Wettbewerbs, sich frei entfalten zu können, soweit Rechte Dritter nicht verletzt werden. Eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung, die sich auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stützt, darf nicht anders behandelt werden, weil die Schutzbedürftigkeit des Gewerbetreibenden auch in diesem Fall in gleicher Intensität gegeben ist. Wer aus einem Schutzrecht Schutz in einem Umfang beansprucht, der ihm nicht gebührt, hat für den hierdurch verursachten Schaden einzustehen.
e) Der Eingriff in das Recht der Klägerin war auch rechtwidrig. Die Abwägung der Rechte der Beklagten und der Rechte der Klägerin ergibt folgendes: Die Beklagten haben zwar ein Integritätsinteresse. Das Recht der Klägerin an einem ungestörten Betriebsablauf überwiegt jedoch, da die Beklagten die Klägerin zu Unrecht und ohne sorgfältige Prüfung in Anspruch nahmen. Selbst wenn zugunsten der Beklagten deren nicht unter Beweis gestellte Behauptung, dass der Verlag sie im Unklaren über die tatsächliche Nichtlieferbarkeit des Buches gelassen habe, unterstellt würde, hätte eine nochmalige Nachfrage beim Verlag ihnen sofort Gewissheit verschafft. Weiter wäre es den Beklagten ohne weiteres zumutbar gewesen, die Klägerin zunächst in einem einfachen Schreiben auf die Problematik hinzuweisen.
f) Die Beklagten haben auch schuldhaft gehandelt, da sie zumindest fahrlässig verkannt haben, dass ein Buchhändler für die Inhalte der von ihm angebotenen Bücher nicht haftbar gemacht werden kann. Da die Beklagten zur Durchsetzung ihres Rechts zudem nicht den Weg eines gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahrens gegangen sind, sondern eine außergerichtliche Verwarnung ausgesprochen haben, können sie sich auch nicht auf ihre subjektive Redlichkeit berufen. Diese Privilegierung mit der Folge, dass ein rechtswidriger Eingriff in ein Rechtsgut des Verfahrensgegners verneint wird, auch wenn das Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist, gilt nur bei der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes (BGHZ 164, 1, 8).
g) Die Kosten, welche der Klägerin durch die Beauftragung ihrer jetzigen Prozessbevollmächtig-ten entstanden sind, stellen einen nach § 249 Abs. 2 BGB ersatzfähigen Schaden dar, der durch die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung kausal verursacht wurde. Denn die Klägerin hat sich zu dieser Maßnahme herausgefordert fühlen dürfen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Verwarnung kein einfaches Abmahnschreiben der Beklagten vorausgegangen war, sondern sogleich die Forderung auf Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Die bloße Mitteilung der Klägerin, das Buch nicht zu verkaufen, wäre angesichts des Inhalts des Forderungsschreibens des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 04.03.2009 und dem dortigen Begehren auf Unterlassungserklärung zur Abwehr nicht ausreichend gewesen. Ob die Klägerin über einen Informationsvorsprung gegenüber den Beklagten verfügte, haben die Beklagten nicht nachgewiesen. Auch das Schreiben der Beklagten vom 27.03.2009, die Sache nicht weiter zu verfolgen, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn diese konnte erst nach dem Einschalten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugehen und erfolgte insoweit zu spät.
h) Der Höhe nach ist die Schadensersatzforderung jedoch nur teilweise begründet, weil der Berechnung der Rechtsanwaltskosten auf Klägerseite ein zu hoher Gegenstandswert zugrunde gelegt wurde. Bezugspunkt für die Berechnung ist nämlich nicht der Wert der Abwehr der – behaupteten- Persönlichkeitsrechtsverletzung der Beklagten, der mit 10.000 € beziffert wurde, sondern vielmehr der Wert der Abwehr der hierauf gestützten Unterlassungsaufforderung. Dieser ist nach der Höhe der Vertragsstrafe zu bemessen, die in der Unterlassungserklärung genannt wird, mithin 5.000 €. Somit ergibt sich ein Schaden lediglich in Höhe von 1,3 Geschäftsgebühren aus einem Streitwert von 5.000 € zuzüglich 20,00 € Auslagenpauschale und 19% Umsatzsteuer, mithin 489,45 €.

2. Der Zinsanspruch folgt gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 S. 2 BGB aus Verzug.

II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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