„Heute ohne 19% Mehrwertsteuer“ ist wettbewerbsgemäß

15. September 2010
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Leitsatz des BGH:
Eine Werbung mit der Angabe "Nur heute Haushaltsgroßgeräte ohne 19% Mehrwertsteuer" beeinflusst Verbraucher auch dann nicht in unangemessener und unsachlicher Weise i.S. von §§ 3, 4 Nr. 1 UWG bei ihrer Kaufentscheidung, wenn die Werbung erst am Tag des in Aussicht gestellten Rabattes erscheint.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 31.03.2010

Az.: I ZR 75/08

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 31. März 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr. Koch für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. April 2008 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 33. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 28. September 2007 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien sind Wettbewerber unter anderem auf dem Gebiet des Handels mit Haushaltsgeräten. Die Beklagten gehören zur Media-Markt-Gruppe. Sie warben am 4. Januar 2007 unmittelbar nach Heraufsetzung der Mehrwertsteuer von 16% auf 19% im Internet mit einer Anzeige, die wie folgt gestaltet war:

Nur heute 4. Januar
Haushaltsgroßgeräte
ohne 19% Mehrwertsteuer

Eine entsprechende Werbung für CDs, DVDs und Software-Titel veröffentlichten die Beklagten am 5. Januar 2007 in der Stuttgarter Zeitung. In einem mit Sternchen gekennzeichneten Zusatz fand sich zudem noch folgender Hinweis: "Sparen Sie volle 19% vom Verkauf".

Die Klägerin hat die Werbung nach § 4 Nr. 1 UWG als wettbewerbswidrig beanstandet. Sie hat vorgebracht, das Angebot habe nur für eine unangemessen kurze Zeit bestanden mit der Folge, dass zumindest den berufstätigen Verbrauchern ein Preisvergleich aufgrund des dadurch erzeugten Zeitdrucks nicht mehr möglich gewesen sei.
Die Beklagten haben demgegenüber insbesondere geltend gemacht, durch die beanstandete Werbung werde kein unangemessener Druck auf die Kaufentscheidung der Verbraucher ausgeübt. Ebenso wenig könne von einem unlauteren übertriebenen Anlocken die Rede sein.

Das Landgericht hat den Beklagten entsprechend dem zuletzt gestellten Antrag der Klägerin verboten, mit der Angabe "Ohne 19% Mehrwertsteuer" zu werben, sofern in der Ankündigung für einen einzigen Verkaufstag, der mit dem Veröffentlichungsdatum identisch ist, geworben wird.
Darüber hinaus hat es der Klägerin Abmahnkosten in Höhe von 810,10 € nebst Zinsen zuerkannt.

Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben (OLG Stuttgart OLG-Rep 2008, 643).

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht angenommen, dass die streitgegenständliche Werbung der Beklagten gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG verstößt. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die angegriffene Werbung sei unlauter, weil sie die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher unangemessen unsachlich beeinflusse. Zwar sei die Gewährung von Rabatten nach Abschaffung des Rabattgesetzes zulässig. Eine sehr kurze zeitliche Befristung einer Rabattaktion könne aber unlauter sein, wenn der Verbraucher vor der Nachfrageentscheidung keine ausreichende Möglichkeit eines Preisvergleichs habe. Ob der zur Verfügung stehende Zeitraum angemessen sei, bestimmten die Umstände des Einzelfalls. Dabei kämen der Art der beworbenen Ware sowie dem Kaufpreis eine gewichtige Rolle zu.
Unter den Umständen des Streitfalls habe dem Verbraucher nicht ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, um die Vor- und Nachteile einer Kaufentscheidung abzuwägen. Die beanstandete Werbung habe auch Elektrogroßware umfasst, deren Kaufpreis sich im drei- und vierstelligen Bereich bewege. Der Verbraucher habe ein Interesse daran, den Preis und die Technik der beworbenen Ware mit anderen Produkten zu vergleichen. Ein Zeitraum von wenigen Abendstunden, wie er Berufstätigen nur zur Verfügung gestanden habe, reiche für einen Preisvergleich bei Elektrogroßgeräten regelmäßig nicht aus. Es könne nicht angenommen werden, dass der Verbraucher den Markt jener Produkte kenne.

II. Die dagegen gerichtete Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage.

1. Auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch sind die Bestimmungen des am 30. Dezember 2008 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2949) anzuwenden, mit dem die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken umgesetzt worden ist. Der im Streitfall auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch besteht allerdings nur, wenn die beanstandete Verhaltensweise auch schon zum Zeitpunkt ihrer Begehung wettbewerbswidrig war. Das beanstandete Verhalten war zum fraglichen Zeitpunkt im Januar 2007 nicht unlauter i.S. von §§ 3, 4 Nr. 1 UWG 2004. Hieran hat sich auch durch die für den Streitfall maßgeblichen Vorschriften der Richtlinie 2005/29/EG (Art. 8 und 9) nichts geändert (vgl. Köhler, GRUR 2008, 841, 842 f.). Es ist deshalb nicht erforderlich, zwischen der vor und nach dem 30. Dezember 2008 geltenden Rechtslage zu unterscheiden. Für den Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ist ohnehin die Rechtslage zum Zeitpunkt der Abmahnung maßgeblich (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 11.3.2009 – I ZR 194/06, GRUR 2009, 1064 Tz. 13 = WRP 2009, 1229 – Geld-zurück-Garantie II; Urt. v. 18.6.2009 – I ZR 224/06, GRUR 2010, 247 Tz. 9 = WRP 2010, 237 – Solange der Vorrat reicht).
2. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer unangemessenen unsachlichen Beeinflussung der Verbraucher zusteht (§ 4 Nr. 1 UWG).

a) Der Beispielstatbestand des § 4 Nr. 1 UWG erfasst im Bereich der Verbraucherwerbung nur Wettbewerbshandlungen, durch die ein unangemessener unsachlicher Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher ausgeübt wird. Eine Werbeaussage ist nicht schon dann unlauter, wenn das Kaufinteresse lediglich durch einen Rabatt in Höhe von 19% vom Kaufpreis geweckt wird. Die damit verbundene Anlockwirkung ist nicht wettbewerbswidrig, sondern liegt als gewollte Folge in der Natur des Leistungswettbewerbs (vgl. BGH, Urt. v. 7.6.2001 – I ZR 157/98, GRUR 2002, 287, 288 = WRP 2002, 94 – Widerruf der Erledigungserklärung; Urt. v. 22.5.2003 – I ZR 8/01, GRUR 2003, 1057 = WRP 2003, 1428 – Einkaufsgutschein, jeweils zu § 1 UWG a.F.).
b) Die Schwelle zur wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeit ist nur überschritten, wenn die geschäftliche Handlung geeignet ist, in der Weise unangemessenen unsachlichen Einfluss auszuüben, dass die freie Entscheidung der Verbraucher beeinträchtigt zu werden droht (vgl. BGHZ 164, 153, 157 – Artenschutz; BGH, Urt. v. 13.11.2003 – I ZR 40/01, GRUR 2004, 249, 250 – Umgekehrte Versteigerung im Internet; Urt. v. 13.3.2003 – I ZR 212/00, GRUR 2003, 626, 627 = WRP 2003; 742 – Umgekehrte Versteigerung II; Urt. v. 22.1.2009 – I ZR 31/06, GRUR 2009, 875 Tz. 12 = WRP 2009, 950 – Jeder 100. Einkauf gratis). Diese Voraussetzung ist in der Regel erfüllt, wenn ein Fall einer aggressiven Geschäftspraktik i.S. der Art. 8 und Art. 9 der Richtlinie 2005/29/EG gegeben ist (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 4 Rdn. 1.2a; ders., GRUR 2008, 841, 842 f.). Die Vorschrift des Art. 8 der Richtlinie 2005/29/EG verlangt für die Annahme einer aggressiven Geschäftspraktik, dass der Verbraucher durch die unzulässige Beeinflussung tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt wird und dadurch tatsächlich oder voraussichtlich dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine unzulässige Beeinflussung erfordert nach Art. 2 lit. j der genannten Richtlinie die Ausnutzung einer Machtposition gegenüber dem Verbraucher zur Ausübung von Druck, auch ohne die Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise, die die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informationsgeleiteten Entscheidung wesentlich einschränkt. Bei der Feststellung, ob im Rahmen einer Geschäftspraktik das Mittel einer unzulässigen Beeinflussung eingesetzt wird, sind die in Art. 9 der Richtlinie 2005/29/EG beschriebenen Umstände heranzuziehen.
Für die Annahme einer unangemessenen unsachlichen Beeinflussung i.S. des § 4 Nr. 1 UWG durch Werbung mit einem Preisrabatt müssen zu dem in Aussicht gestellten Nachlass daher besondere Unlauterkeitsumstände hinzutreten, die die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informationsgeleiteten Entscheidung wesentlich zu beeinträchtigen drohen. Diese können bei einer zeitlichen Begrenzung der Werbeaktion darin liegen, dass dem Verbraucher nur eine unangemessen kurze Überlegungszeit zusteht (vgl. BGH GRUR 2004, 249, 251 – Umgekehrte Versteigerung im Internet). Unzulässig können daher übersteigert zeitgebundene Angebote sein, die den potentiellen Kunden unter starken Zeitdruck setzen, um ihn zu einem schnellen und unüberlegten Kaufentschluss zu bewegen (Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 4 Rdn. 1.95).
c) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht zu Unrecht einen Verstoß der Beklagten gegen § 4 Nr. 1 UWG angenommen. Seine Beurteilung ist mit der Lebenserfahrung nicht zu vereinbaren.
Die Annahme des Berufungsgerichts, eine rationale Kaufentscheidung setze einen vollständigen Preisvergleich voraus, ist erfahrungswidrig. Der mündige Verbraucher ist durchaus in der Lage, mit einem Kaufanreiz – wie dem im Streitfall – in rationaler Weise umzugehen. Zwar wurde die Werbung erst an dem Tag veröffentlicht, an dem auch der Rabatt gewährt wurde. Dieser Rabatt betrug auch mit 19% nahezu ein Fünftel des (Brutto-)Kaufpreises, den der Verbraucher der Werbung selbst allerdings nicht entnehmen konnte. Der Preisnachlass wurde aber immerhin während der gesamten Öffnungszeit an einem Wochentag in Aussicht gestellt. Die beworbenen Artikel – Haushaltsgroßgeräte, CDs, DVDs und Software – sind im Allgemeinen in ausreichendem Maß auf dem Markt erhältlich und unschwer zugänglich. Einen Preisüberblick können sich die Verbraucher beispielsweise auch im Internet verschaffen. Selbst wenn sie dennoch keine Gelegenheit zu einem ausführlichen Preisvergleich haben sollten, werden sie allein aufgrund der Werbung keine unüberlegten Kaufentschlüsse treffen. Das schließt zwar die Möglichkeit ein, dass sich einzelne Verbraucher auch ohne (vollständigen) Preisvergleich zu einem Kauf entschließen und dadurch riskieren, dass ihnen ein noch günstigeres Angebot eines Mitbewerbers der Beklagten entgeht. Diese Situation ist jedoch nicht ungewöhnlich. Vielmehr kommt es im Handel häufig vor, dass sich Verbraucher kurzfristig zu einem Kauf entschließen, ohne einen umfassenden Preisvergleich vorzunehmen. Sofern sich der Verbraucher ohne einen solchen Vergleich zum Kauf entschließt, handelt er bewusst und geht freiwillig das genannte Risiko ein. Bei teuren Artikeln, bei denen die Anschaffungskosten unter Umständen eine beträchtliche Investition darstellen, wird der Verbraucher ohnehin von dem Angebot erfahrungsgemäß nur nach reiflicher Überlegung Gebrauch machen. Bei günstigen Angeboten wird der Durchschnittsverbraucher gerade nicht derart übertrieben angelockt, dass er unüberlegte Entscheidungen trifft.
3. Die Klage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer gezielten Behinderung von Mitbewerbern (§ 4 Nr. 10 UWG) begründet. Einem Unternehmen steht es grundsätzlich frei, seine Preise in eigener Verantwortung zu gestalten und die Preise der Konkurrenten insbesondere auch beim Verkauf identischer Waren zu unterbieten (BGH, Urt. v. 30.3.2006 – I ZR 144/03, GRUR 2006, 596 Tz. 13 = WRP 2006, 888 – 10% billiger; Urt. v. 2.10.2008 – I ZR 48/06, GRUR 2009, 416 Tz. 13 = WRP 2009, 432 – Küchentiefstpreis-Garantie). Einen Verkauf unter Einstandspreis hat die Klägerin nicht dargetan.
4. Da der Klägerin kein Unterlassungsanspruch zusteht, hat sie auch keinen Anspruch auf Zahlung von Abmahnkosten.

III. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufzuheben. Die Klage ist unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 28.09.2007 – 33 O 68/07 KfH –
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 17.04.2008 – 2 U 82/07 –

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