Wunder gibt es immer wieder

02. Juni 2009
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Eigener Leitsatz:
Wunder versprechende Werbeanzeigen, insbesondere für Schlankheitsmittel, können grob irreführend sein. Entscheidend ist hier die Ausgestaltung, da kein Ansatz von Nachprüfbarkeit erkennbar, die Echtheit der Vorher-Nachher-Bilder anzuzweifeln und die Anzeige vollständig anonym gehalten ist. In dieser Form handelt es sich um einen offenkundigen und nicht zu relativierenden Betrugsversuch.

Landgericht Köln

Urteil vom 31.10.2008

Az.: 81 O 150/08

Tenor:  
Die einstweilige Verfügung vom 26.Mai 2008 wird bestätigt mit der Maßgabe, dass lediglich Ordnungsgeld angedroht wird.
Die Antragsgegnerin trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:
Der Antragsteller ist als branchenübergreifend und überregional tätiger Verband anerkannt, der die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs überwacht.
Die Antragsgegnerin verlegt die Zeitschriftenbeilage F, in deren Ausgabe Nr.1186 auf Seite 15 eine ganzseitige Anzeige mit der Überschrift „Weg mit dem Speck! 5 kg weg in der 1.Woche“ erschienen ist; die Anzeige ist in ihrer Gestaltung und mit ihrem Inhalt unten wiedergegeben.
Der Antragsteller hält die Anzeige in einem so groben Maße für täuschend, dass die Antragsgegnerin auch unter Berücksichtigung ihrer auf besonders auffallend unwahre Werbung beschränkte Prüfungspflichten gehalten gewesen ist, den Abdruck dieser Anzeige zu verweigern. Sie leitet die Auffälligkeit der betrügerischen Werbung u.a. her aus
    * Erfolgsgarantien
    * Vorher-Nachher – Abbildungen
    * Geld-zurück-Garantien bei Postfachadressen /der Verwendung von 0180 – Telefonnummern

Auf die Entscheidung des BGH „Schlankkapseln“ könne sich die Antragsgegnerin schon deswegen nicht berufen, weil es sich dort um einen Kleinstverlag gehandelt habe, während die Antragsgegnerin eines der größten deutschen Unternehmen sei; auch der Redakteur einer eher kleinen Zeitung wisse, dass – gäbe es tatsächlich ein Wundermittel wie hier beschrieben – hierüber groß berichtet würde und sich zudem der Hersteller/Vertreiber nicht anonym verstecken sondern sich und seinen Namen groß herausstellen würde.
Mit dieser Begründung hat der Antragsteller die folgende einstweilige Verfügung im Beschlusswege erwirkt:

31 O 302/08
BESCHLUSS
(einstweilige Verfügung)
 
In Sachen
 
hat der Antragsteller die Voraussetzungen für die nachstehende einstweilige Verfügung glaubhaft gemacht durch Vorlage einer Werbeanzeige sowie weiterer Unterlagen. Die vorgerichtliche Korrespondenz hat vorgelegen.
Auf Antrag des Antragstellers wird gemäß §§ 2, 3 UKlaG; 11, 12 LFGB; 3, 4 Nr. 11, 5, 8, 12, 14 UWG, 91, 890, 936 ff. ZPO im Wege der einstweiligen Verfügung, und zwar wegen der Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung, folgendes angeordnet:
1. Die Antragsgegnerin hat es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft jeweils zu vollziehen am gesetzlichen Vertreter, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Anzeigen zu veröffentlichen, in denen das Mittel „B“ mit dem Hinweis auf dessen schlankmachende bzw. gewichtsreduzierende Wirkung angepriesen wird, wenn dies geschieht wie durch das Inserat:
„Weg mit dem Speck!
5 kg weg in der 1. Woche…“,

gemäß Zeitschriftenbeilage „F“, Ausgabe Nr. 1186, Seit 15 (mit dem Fernsehprogramm vom 3. Mai – 9. Mai 2008) und wie nachstehend wiedergegeben:
(Es folgt eine Darstellung)

2. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
Streitwert: 30.000,00 Euro.

Nach Widerspruch beantragt er, wie erkannt.
 
Die Antragsgegnerin beantragt, die einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag abzulehnen.
Sie macht geltend, die verantwortliche Redakteurin habe soviel zu tun gehabt, dass sie nicht detailliert habe prüfen können, zumal eine Anzeige im Lichte des Art. 5 GG grundsätzlich zulässig sei. Derartige Anzeigen seien gang und gäbe – dies belegt sie mit Beispielen – und fielen deshalb nicht besonders auf. Ein grober und vor allem eindeutiger Verstoß sei schon deshalb nicht feststellbar gewesen, weil für den Anzeigenredakteur spezielle Kenntnisse des Heilmittelwerbegesetzes nicht vorausgesetzt werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:
Der Antrag ist begründet.
Die einstweilige Verfügung ist auch unter Berücksichtigung des Vortrages in der Widerspruchsbegründung aufrecht zu erhalten, denn die Anzeige enthält schon von ihrer Ausgestaltung her einen offenkundigen und in keiner Weise zu relativierenden Betrugsversuch, für dessen Feststellung es keinerlei juristischer und/oder medizinischer und/oder ernährungswissenschaftlicher Spezialkenntnisse bedarf; zumindest hat aller Anlass bestanden, die Anzeige Dritten zur genaueren Prüfung vorzulegen, wenn nicht schon die Anzeigenabteilung selbst den Abdruck verweigert hätte.
Im Ausgangspunkt sind beide Parteien zu Recht darüber einig, dass der Verleger eines Presseorgans nicht von vornherein zu einer detaillierten Prüfung jeder Anzeige verpflichtet ist; dies gilt umso mehr, je unauffälliger der Text von der Gestaltung und vom Inhalt her ist und je mehr Anzeigen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu bearbeiten sind.
Dies gilt aber in dem Maße weniger, je größer und auffälliger die Werbung sich darstellt, je reißerischer sie erscheint und je sensibler Menschen auf Versprechungen auf dem jeweils betroffenen Gebiet reagieren, denn in diesem Zusammenhang liegt es nahe, dass (z.B.) ein Betrugsversuch zu Lasten dieser Menschen unternommen wird. Es geht keineswegs um feinsinnige, juristische Haarspaltereien, über die zu entscheiden ist, sondern um ganz elementare Kriminalität, die darauf gerichtet ist, durch Täuschung an das Geld der Getäuschten zu gelangen, was auch umgangssprachlich als Betrug bezeichnet wird.
Vorliegend kann es als entscheidungsunerheblich offen bleiben wie zu entscheiden wäre, wenn sich die Anzeige darauf beschränkt hätte, die Wunder im Fließtext zu versprechen, wie dies in dem von der Antragsgegnerin herangezogenen Urteil „Schlankkapseln“ des BGH der Fall gewesen ist („Die … Kernaussage … lässt sich dem umfangreichen Anzeigentext bei einigermaßen sorgfältigen Durchlesen entnehmen.“). Hier nämlich hat sich der Anzeigengestalter nicht so vergleichsweise zurückhaltend ausgedrückt, sondern schon in der übergroßen Überschrift 5kg Speck-Abnahme in der 1.Woche garantiert und dann in der Zwischenüberschrift ein schlichtes Wunder festgestellt (“ … Formel vernichtet Körperfette und ersetzt sie durch gesunde Energie“). Dies ist für einen sorgfältigen Redakteur aller Anlass, sich näher mit dem Text zu befassen, weil zwar natürlich nie etwas von vornherein ausgeschlossen werden kann, es aber bei dieser Einleitung einer ganzen Reihe solider Anhaltspunkte bedarf, ein solches Wunderversprechen als nicht von vornherein abwegig erscheinen zu lassen. Mögen die Überschriften noch als „werbliche Übertreibung“ und als „Blickfang“ durchgehen, ist der weitere Text auch für einen Laien als Märchen zu erkennen, weil an keiner Stelle – nicht einmal ein einziger Teil der „Welt-Presse“ wird zitiert – auch nur der Ansatz von Nachprüfbarkeit erkennbar ist. Anders als auch in der genannten BGH – Entscheidung wird hier gar nicht erst von einer Beschleunigung des Stoffwechsels gesprochen, sondern der „Bio-Schlankstoff begibt sich auf die Suche nach Fettmolekülen[, die – weil unterschiedlich geladen – die im Magen dann aufgefundenen Fettmoleküle dort ansaugen]“. Anders ausgedrückt haben sich die Anzeigentexter gar nicht erst die Mühe gemacht, populärwissenschaftlich bekannte Vorgänge in die Begründung einzubeziehen (was die Prüfung für den Anzeigenredakteur womöglich erschwert hätte), sondern haben das Wunder in die Aktivitäten des Bio-Schlankstoffes verlegt. Letzte Zweifel (für den Prüfenden) verschwinden, wenn er sich zum einen die Einleitung des Textes durchliest:
„Schokolade, Kuchen und Marzipan … 4 Scheiben Braten, Kartoffeln und leckere Soße. Nachmittags … 2 Stücke Kuchen! Abends gibt es einen großen Brot- und Wurstteller. Und vor dem Fernseher immer noch etwas zu knabbern. Und das … 30 Tage lang“,
sich dann die Vorher-Nachher – Bilder ansieht, die entweder von verschiedenen Personen gemacht oder am PC bearbeitet worden sind, und dann schließlich zur Kenntnis nimmt, dass die Anzeige vollständig anonym ist.
Die Antragsgegnerin hat zwar Recht, wenn sie darauf hinweist, dass der BGH in seiner Entscheidung auf die Größe des Verlages nicht abgestellt hat; gleichwohl aber kann es durchaus einen Unterschied in den Anforderungen an die vom Verlag anzuwendende Sorgfalt machen, dass die Antragsgegnerin ein Weltunternehmen ist und es vor diesem Hintergrund etwas merkwürdig berührt, wenn sie sich zur ihrer Entlastung auf die Überlastung der einen Anzeigenredakteurin beruft: der Antragsteller hat nicht die Angestellte in Anspruch genommen, sondern die Antragsgegnerin, deren Aufgabe es ist, ihre Abteilungen so einzurichten, dass diese ihren Aufgaben auch wirklich nachkommen können. Des Weiteren ist jedenfalls ein Verleger von der Größe der Antragsgegnerin gehalten, aus Urteilen wie dem des BGH in Sachen „Schlankkapseln“ nicht nur herauszulesen, dass die Verantwortlichkeit des Verlegers in dem damaligen Fall verneint worden ist und sich dann darauf zu berufen, sondern für die eigene tagtägliche Arbeit die Erkenntnis daraus zu ziehen, dass Wunder versprechende Anzeigen für Schlankheitsmittel grob irreführend sein können (und aller Wahrscheinlichkeit auch sein werden) und sie dann daraufhin zu überprüfen. Das nachvollziehbare Dilemma, in der ein solcher Verleger steckt, ist natürlich das, dass eine solche ganzseitige Anzeige teuer bezahlt wird und er riskiert, den Anzeigenkunden auch in der Zukunft zu verlieren, wenn und weil sich andere Verleger nicht so korrekt verhalten; die Häufigkeit (und die angebliche „Üblichkeit“) solcher Anzeigen rührt genau daher, darf aber nicht dazu führen, die Betrugsversuche auch weiterhin zu fördern.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO und diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung folgt aus dem Wesen der einstweiligen Verfügung.

Streitwert: € 30.000,-.

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