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Abgabe von Arzneimitteln zu Demonstrationszwecken zulässig

14. März 2022
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Apotheker hält ein Medikament vor einem Regal Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 10.02.2022, Az.: 6 U 161/15

Außendienstmitarbeiter einer Arzneimittelvertreiberin dürfen kostenlose Proben eines Arzneimittels an Apotheker abgeben. Ein Verstoß gegen das gemäß § 7 HWG bestehende Verbot von Werbeabgaben liege nicht vor, da es sich nur um Gegenstände von geringem Wert handele. Den Apothekern wurde nämlich jeweils nur ein einzelnes, überwiegend geöffnetes Exemplar überlassen, welches mit dem Aufdruck „Zu Demonstrationszwecken“ überschrieben war. Dadurch war der Wert der Gegenstände erheblich gemindert, weshalb die maßgebliche Ein-Euro-Grenze nicht überschritten wurde, so das Gericht.

Oberlandesgericht Frankfurt a. M.

Urteil vom 10.02.2022

Az.: 6 U 161/15

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30.7.2015 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt teilweise abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die kostenlose Abgabe von Arzneimittelmustern.

Die Klägerin stellt her und vertreibt das Arzneimittel „Schmerzmittel1“ mit dem Wirkstoff „A“. Die Beklagte vertreibt das apothekenpflichtige Arzneimittel „Schmerzmittel2“ zu einem Apothekenabgabepreis von 9,97 €. Es handelt sich um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Im Jahr 2013 gaben Außendienstmitarbeiter der Beklagten Verkaufspackungen der Größe N2 (100 g) dieses Arzneimittels kostenlos an Apotheken ab, die mit der Aufschrift „Zu Demonstrationszwecken“ wie nachfolgend eingeblendet versehen waren:

[Abbildung]

Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG, nach der eine Abgabe von Mustern eines Fertigarzneimittels an Apotheken nicht gestattet sei. Außerdem liege eine gemäß § 7 Abs. 1 HWG unzulässige Gewährung von Werbegaben vor.

Das Landgericht hat die Beklagte auf Antrag der Klägerin unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Arzneimittel „Schmerzmittel2“ in der Packungsgröße N2 mit der Aufschrift „Zu Demonstrationszwecken“ kostenlos an Apotheker abzugeben und/oder abgeben zu lassen.

Die Berufung der Beklagten ist (zunächst) ohne Erfolg geblieben (OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2017, 30). Der Senat hat den Unterlassungsantrag als gemäß §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit § 47 Abs. 3 AMG begründet erachtet und insoweit die Revision zugelassen.

Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Auslegung des durch § 47 Abs. 3 AMG umgesetzten Art. 96 der RL 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH hat am 11.6.2020 entschieden, Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie sei dahin auszulegen, dass diese Bestimmung der Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker nicht entgegensteht (EuGH GRUR 2020, 764 – ratiopharm).

Mit Urteil vom 17.12.2020 hat der BGH daraufhin die Entscheidung des Senats aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 17.12.2020 – I ZR 235/16 – Apothekenmuster II).

Im neuen Berufungsrechtszug haben die Parteien ergänzend vorgetragen.

Die Beklagte trägt vor, die Produkte hätten der Erprobung durch den Apotheker selbst, nicht der Weitergabe an Kunden gedient. Die Außendienstmitarbeiter, die im Jahr 2013 Verkaufspackungen des Produkts „Schmerzmittel2“ (100 g) mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ kostenlos an Apotheken abgegeben haben, seien angewiesen gewesen, die Tuben zu öffnen, um die Qualität des Produkts zu demonstrieren. Im Jahr 2013 seien 120, im Jahr 2021 noch einmal 80 Stück als Demonstrationsmuster verbucht und verwendet worden. Der Außendienst habe 2013 aus 78 Mitarbeitern bestanden, die für über 20.000 Apotheken zuständig gewesen seien. Lediglich in einem einzigen Fall sei es zur Abgabe einer ungeöffneten Demonstrationspackung an den Apotheker gekommen, wobei es sich um einen „Ausreißer“ handele. Überhaupt sei nur jeweils eine Tube überlassen worden. Der Apotheken-Einkaufspreis der abgegebenen Produkte habe 2013 bei 5,34 € gelegen. Die Beklagte ist der Auffassung, die Weitergabe einer geöffneten Packung oder einer geschlossenen Packung mit der Aufschrift „Zu Demonstrationszwecken“ an Apothekenkunden sei unrealistisch.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 2-03 O 473/14) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die von der Beklagten erstmals im (ersten) Berufungsrechtszug aufgestellte Behauptung, wonach lediglich eine Packung pro Apotheke abgegeben worden sei, sei verspätet. Ein Produkt mit einem Apothekenabgabepreis von 9,97 € könne nicht als geringwertig angesehen werden. Die Abgabe an den Apotheker sei nicht von einem Erprobungszweck gedeckt. Dies gelte allemal für die Packungsgröße von 100 g. Es bestünde die Gefahr der Weitergabe der Produkte und damit die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung der Apotheker.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG 2008, 3a UWG n.F. in Verbindung mit heilmittelwerblichen Vorschriften zu, das Arzneimittel „Schmerzmittel2“ mit der Aufschrift „Zu Demonstrationszwecken“ kostenlos an Apotheker abzugeben.

1. Nach der Entscheidung des EuGH „ratiopharm“ und der nachfolgenden BGH-Entscheidung „Apothekenmuster II“ (im Folgenden: RU) kann ein Verstoß gegen § 47 Abs. 3 AMG nicht mehr angenommen werden.

2. Ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG liegt ebenfalls nicht vor.

a) Nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG ist es unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, dass es sich bei den Zuwendungen oder Werbegaben um Gegenstände von geringem Wert, die durch eine dauerhafte und deutlich sichtbare Bezeichnung des Werbenden oder des beworbenen Produktes oder beider gekennzeichnet sind, oder um geringwertige Kleinigkeiten handelt.

b) Der Anwendung dieser Bestimmung steht – soweit es wie hier um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel geht – nicht die Sperrwirkung der spezielleren Vorschrift des § 47 Abs. 3 AMG entgegen. Danach ist die Abgabe nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker nämlich nicht ausdrücklich erlaubt, sondern nur nicht verboten (BGH, RU Rn 24). Sollte man den Vorlagebeschluss des BGH noch in einem anderen Sinn verstehen können (vgl. BGH GRUR 2019, 97 Rn 41 – Apothekenmuster I) hält der BGH daran jedenfalls nicht mehr fest. Der erkennende Senat schließt sich der nunmehrigen Auffassung des BGH an.

c) Die Bestimmung des § 7 Abs. 1 HWG steht mit der Richtlinie 2001/83/EG in Einklang (RU, Rn 25). Sie setzt Art. 94 Abs. 1 der Richtlinie um, wonach es verboten ist, im Rahmen der Verkaufsförderung für Arzneimittel den zu ihrer Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen materielle Vorteile zu gewähren, anzubieten oder zu versprechen. Abweichendes gilt allein dann, wenn die Vorteile von geringem Wert und für die medizinische oder pharmazeutische Praxis von Belang sind.

d) Die zum 28.1.2022 in Kraft tretende Änderung des § 7 Abs. 1 HWG betrifft nicht ihren Satz 1, der unverändert bleibt.

e) Die Abgabe eines Gratismusters eines Arzneimittels kann eine Zuwendung in Form einer Ware im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG darstellen (RU, Rn 29). Die Unzulässigkeit der Wertreklame setzt weiter voraus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Packung mit der Aufschrift „Zu Demonstrationszwecken“ nicht um eine Zuwendung von geringem Wert im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG und Art. 94 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG handelt, so dass eine relevante unsachliche Beeinflussung der Werbeadressaten nicht ausgeschlossen erscheint.

aa) Für die Wertbemessung kommt es auf den Verbrauchs- oder Verkehrswert an, den die Werbegabe für den Durchschnittsadressaten – hier den Apotheker – hat. Hierfür sind folgende Umstände maßgeblich:

– Werbeaufdrucke können den Wert des Produkts grundsätzlich mindern.

– Werden für sich allein als geringwertig anzusehende Zuwendungen gebündelt gewährt, ist auf den Summeneffekt abzustellen.

– Dabei ist auf die Kosten abzustellen, die der Apotheker insgesamt durch die ihm zugewandten Gegenstände erspart. Das gilt auch, wenn es sich im Verhältnis zum Apothekenkunden, der einen einzelnen Gegenstand erhält, um einen Vermögensgegenstand von geringem Wert handelt (RU, Rn 30 m.w.N.).

bb) Liegt nach diesen Grundsätzen eine Zuwendung von nicht geringem Wert vor, kommt ein Verbot auf der Grundlage von Art. 94 Abs. 1 der Richtlinie bzw. § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG gleichwohl nur dann in Betracht, wenn die Verkaufsförderungspraktik in Gestalt der Wertreklame geeignet ist, bei den zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen (Apotheker) ein wirtschaftliches Interesse an der Abgabe dieses Produkts zu wecken (RU, Rn 31 m.w.N.).

cc) Nach Ansicht des BGH sind damit im Streitfall noch folgende Feststellungen zu treffen (RU, Rn 33):

– Bestand die Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe der Packungen an Endverbraucher?

– Wurde an jeden Apotheker nur eine einzige Gratispackung mit dem Zweck der Eigenerprobung geliefert oder eine Vielzahl?

Im letzteren Fall (Lieferung einer Vielzahl von Gratispackungen an jeden Apotheker) hält es der BGH für vorstellbar, dass die Apotheker zum Zwecke der Kundenbindung die zur Eigenerprobung objektiv nicht erforderlichen, vom Außendienst der Beklagten bei ihnen ungeöffnet zurückgelassenen Packungen an Kunden zum Aufbau von Kundenbindungen weitergeben. Daraus könne sich ein wirtschaftliches Interesse und damit die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung der Apotheker ergeben, wobei es dem Tatrichter obliege, zu beurteilen, ob diese Gefahr realistisch ist (RU, Rn 33).

Hat die Beklagte hingegen – wie von ihr geltend gemacht – die streitgegenständlichen Packungen nur zur Erprobung durch den Apotheker selbst geliefert, kann dies dafür sprechen, dass die Abgabe sachlich gerechtfertigt ist. Denn gemäß Erwägungsgrund 51 der Richtlinie 2001/83/EG besteht ein anerkennenswertes Interesse der Apotheker, sich mit neuen Arzneimitteln vertraut zu machen und Erfahrungen bei deren Anwendung zu sammeln (RU, Rn 34; EuGH GRUR 2020, 764 Rn 49 – ratiopharm; BGH GRUR 2019, 97Rn 28 bis 31 – Apothekenmuster I).

f) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt im Streitfall kein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG vor. Nach dem Sach- und Streitstand ist von einer Zuwendung von geringem Wert auszugehen (unten aa). Selbst wenn man dies anders sähe, kann jedenfalls keine realistische Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung angenommen werden (unten bb).

aa) Bei den Packungen mit der Aufschrift „Zu Demonstrationszwecken“ handelt es sich um eine Zuwendung von geringem Wert im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG.

(1) Nach dem Sach- uns Streitstand ist davon auszugehen, dass die Außendienstmitarbeiter der Beklagten Apotheken jeweils nur ein einzelnes Exemplar des Demonstrationsprodukts überlassen haben, wobei lediglich in einem Fall ein ungeöffnetes Produkt übergeben wurde. Die Klägerin hat die Voraussetzungen des Verbotstatbestands, der den geltend gemachten Unterlassungsanspruch begründen soll, darzulegen und zu bewiesen. Dies betrifft auch die Voraussetzung, dass die Zuwendung nicht nur einen geringen Wert hat. Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass an einzelne Apotheken eine Vielzahl oder auch nur mehrere Exemplare des Produkts abgegeben wurden. Sie konnte nur einen einzigen Fall belegen, in dem einem Apotheker eine ungeöffnete Packung überlassen wurde (Anlage K3). Soweit die Klägerin ihren Vortrag auf Seite 7 der Berufungserwiderung vom 23.3.2016 (Bl. 172) als Behauptung verstanden wissen will, sie (die Klägerin) habe bei Apothekern teilweise auch original verschlossene Packungen aufgefunden, ist dieses Vorbringen entgegen ihrer Ansicht nicht unstreitig. Dem Vorbringen fehlt es auch an der Substanz. Er wurde außerdem nicht unter Beweis gestellt. Sie kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Vortrag der Beklagten, sie habe nur eine Packung pro Apotheke abgegeben, sei verspätet (§ 531 ZPO). Die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin hatte erstinstanzlich zur Anzahl der den Apothekern überlassenen Packungen nicht mit Substanz vorgetragen. Ein konkreter Vortrag war daher seitens der Beklagten nicht veranlasst.

(2) Das den Apotheken überlassene Einzelexemplar stellt sich – ob geöffnet oder ungeöffnet – als geringwertige Zugabe dar. Der Verbrauchs- oder Verkehrswert, den die Werbegabe für den Apotheker hat, entspricht dem Einkaufspreis. Dieser lag zum Zeitpunkt der angegriffenen Verletzungshandlung im Jahr 2013 nach den unwidersprochenen Angaben der Beklagten bei 5,34 €. Ob dieser Preis für sich genommen für die Geringwertigkeit spricht, kann dahinstehen. Zu berücksichtigen ist, dass die Werbegabe nicht vollständig dem für den Verkauf vorgesehenen Original entsprach, sondern mit dem Aufdruck „Zu Demonstrationszwecken“ versehen war. Ein solcher Aufdruck bedeutet nach der Verkehrsauffassung, dass das Produkt nicht für den Verkauf vorgesehen ist. Dies wird nach der Lebenserfahrung als Makel empfunden. Das so gekennzeichnete Produkt wird nicht mit einem handelsüblichen „Original“ gleichgesetzt. Der Wert ist daher wesentlich geringer zu veranschlagen. Dies können die ständig mit Wettbewerbs- und Heilmittelwerbesachen betrauten Mitglieder des Senats nach eigener Sachkunde beurteilen. Praktisch wertlos dürften diejenigen Produkte sein, die von den Außendienstmitarbeitern zu Demonstrationszwecken geöffnet und erst danach dem Apotheker überlassen wurden. Ein solches Produkt ist schlicht unverkäuflich und auch nicht zur unentgeltlichen Abgabe an Apothekenkunden geeignet.

(3) Der Geringwertigkeit der ungeöffnet übergebenen Packung steht nicht der Umstand entgegen, dass sie eine Füllmenge von 100g umfasste und damit größer als übliche „Pröbchen“ und die von der Beklagten ebenfalls vertriebenen kleineren Tuben zu 50g waren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach ihren Angaben den Zweck verfolgte, Apotheker mit neuen Arzneimitteln vertraut zu machen, wobei es sich um ein sachlich gerechtfertigtes Interesse handelt (vgl. unten). Bei der 100 g-Tube handelt es sich nicht um eine Sondergröße, sondern um eine handelsübliche Packung. Es liegt auf der Hand, dass sich die Qualität eines Produkts mit einer größeren Tube, die größere Aufschriften aufweist und leichter handhabbar ist, besser demonstrieren lässt, als mit einer 50 g-Tube. Auch dies kann der Senat aus eigener Sachkunde beurteilen. Das Rechenbeispiel der Klägerin, wonach für eine einzelne Anwendung nur eine Menge von 3 g erforderlich sei, geht an der Sache vorbei. Entscheidend ist, ob die Abgabe eine unsachliche Beeinflussung des Apothekers bewirken kann. Das kann bei einem als Demonstrationsexemplar gekennzeichneten Einzelprodukt, das für den Eigengebrauch des Apothekers bestimmt ist, nicht angenommen werden.

(4) Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung berufen, wonach die Wertgrenze bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vor dem Inkrafttreten des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 HWG bei einem Euro je Präparat und bei anderen Leistungen bei 5 € veranschlagt wurde (vgl. BGH GRUR 2015, 813 Rn 21 – Fahrdienst zur Augenklinik). Diese Rechtsprechung bezieht sich auf die unsachliche Beeinflussung von Apothekenkunden und anderen Leistungsempfängern. Im Streitfall geht es um die unsachliche Beeinflussung des Apothekers im Hinblick auf die Abgabe des Arzneimittels. Dem BGH war bei seinen im Revisionsurteil gemachten Ausführungen zur Geringwertigkeit im Falle einer Einzelabgabe auch bekannt, dass der Apothekenverkaufspreis 9,97 € betrug (RU, Rn 1). Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass jedenfalls die geöffnet übergebenen Packungen, sofern sie überhaupt einen wirtschaftlichen Wert haben, die Ein-Euro-Grenze nicht überschreiten.

bb) Es bestand im Übrigen keine Gefahr der Weitergabe der Packung an Apothekenkunden und damit auch keine realistische Gefahr der unsachlichen Beeinflussung des Apothekers. Wird dem Apotheker nur ein einzelnes Exemplar überlassen, das den Aufdruck „Zu Demonstrationszecken“ aufweist, ist ohne weiteres erkennbar, dass es der Eigenerprobung des Apothekers bzw. seines Personals dienen soll. Der Apotheker hat gewöhnlich kein nennenswertes Interesse, nur einem einzelnen Kunden ein Probeexemplar überlassen zu können. Eine für den Betrieb wirtschaftlich interessante Kundenbindung lässt sich so nicht aufbauen. Die Abgabe zur Eigenerprobung ist aus den genannten Gründen sachlich gerechtfertigt. Die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin konnte den Vortrag der Beklagten, wonach es darum ging, den Apothekern Konsistenz und Geruch des Produkts vorzuführen, nicht widerlegen. Die Beklagte hat vorgetragen, mit den Demonstrationsprodukten sei nicht die Weitergabe an Apothekenkunden intendiert gewesen, sondern die Vorführung von Konsistenz und Geruch des Produkts gegenüber dem Apothekenpersonal. Dies sei deshalb notwendig gewesen, weil es bei einem Vorgängerprodukt zu Beanstandungen hinsichtlich dieser Eigenschaften gekommen war. Für die Richtigkeit dieses Vorbringens spricht, dass – abgesehen von einem einzigen Fall – die Packungen von dem Kundendienstmitarbeiter vor Ort geöffnet wurden. Dem Erprobungszweck steht nicht entgegen, dass die Kundendienstmitarbeiter nach der Demonstration die Packungen beim Apotheker „belassen“ haben.

3. Es liegt auch kein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 S. 2 HWG vor. Danach sind Werbegaben für Angehörige der Heilberufe unbeschadet des Satzes 1 nur dann zulässig, wenn sie zur Verwendung in der ärztlichen oder pharmazeutischen Praxis bestimmt sind. Insoweit bleibt die Bestimmung durch die zum 28.1.2022 in Kraft tretende Änderung des § 7 Abs. 1 S. 2 HWG unberührt.

a) Die Werbegabe darf danach nicht maßgeblich dem privaten Nutzen des Empfängers dienen, sondern muss für den Apothekenbetrieb bestimmt sein. Im Hinblick auf Art. 94 Abs. 1 der Richtlinie muss der Vorteil darüber hinaus für die Praxis „von Belang“ sein. Das ist nach Ansicht des BGH der Fall, wenn die kostenlose Abgabe von Verkaufspackungen mit der Aufschrift „Zu Demonstrationszwecken“ entsprechend der Darstellung der Beklagten einer Erprobung des Geruchs und der Konsistenz des Schmerzmittels auf der (eigenen) Haut des Apothekers dient (RU, Rn 37).

b) Dies ist – wie oben ausgeführt – der Fall. Der Umstand, dass das überlassene Probenexemplar vom Apotheker auch mit nach Hause genommen und dort für eigene Zwecke verwendet werden kann, steht dem nicht entgegen. Es kann nicht angenommen werden, dass die Abgabe maßgeblich dem eigenen Nutzen des Apothekers dienen sollte. Dagegen spricht, dass abgesehen von einem Fall die Tuben an Ort und Stelle geöffnet wurden. Dies spricht für einen vorrangigen Betriebsbezug.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Gründe für die erneute Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).

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