Anforderungen an Vertriebsverbot gemäß § 3 Abs. 2 ProdSG

07. September 2018
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Einkaufswagen Verbotszeichen Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 05.07.2018, Az.: 6 U 28/18

Wird ein Vertriebsverbot auf § 3 Abs. 2 ProdSG gestützt, ist bei den Anforderungen an die Sicherheits- und Gesundheitsgefährdung u. a. folgendes zu beachten: Es genügt nicht, wenn das gegenständliche Produkt (hier: ein Kindertisch) DIN-Normen oder sonstigen Spezifikationen für die gewerbliche Nutzung nicht entspricht, wenn es sich um einen Gegenstand handelt, der für den privaten Gebrauch bestimmt ist. Die Beurteilung nach § 3 Abs. 2 ProdSG hängt dann allein davon ab, ob die konkret festgestellten Mängel so schwerwiegend sind, dass sie tatsächlich zu einer Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit von Personen führen können oder es sich hierbei um reine Qualitätsmängel hinsichtlich des Gebrauchszwecks oder der Haltbarkeit handelt.

Oberlandesgericht Frankfurt a. M.

Urteil vom 05.07.2018

Az.: 6 U 28/18

 

Tenor

Auf die Berufung des Antragsgegners wird das am 29.11.2017 verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a.M. teilweise abgeändert.

Der Beschluss – einstweilige Verfügung – des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 30.6.2017 wird hinsichtlich des Tenors zu 1) aufgehoben; der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird insoweit zurückgewiesen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Antragstellerin 5/7 und der Antragsgegner 2/7 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Gründe

Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313a ZPO abgesehen.

Die Berufung, mit der sich der Antragsgegner allein gegen die Bestätigung der Beschlussverfügung gemäß Ziffer 1) des Tenors richtet, ist zulässig. Insbesondere erfüllt die Berufungsbegründung die formellen Voraussetzungen des § 520 III Nr. 1 und 2 ZPO. Sie ist auf den konkreten Streitfall zugeschnitten und lässt erkennen, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen das Urteil nach Auffassung des Antragsgegners falsch ist.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Antragstellerin steht der vom Landgericht zuerkannte Unterlassungsanspruch nicht zu, weil nach dem Sach- und Streitstand des vorliegenden Eilverfahrens nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der von der Antragsgegnerin angebotene Tisch im Sinne von § 3 II ProdSG bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen gefährdet.

Eine von dem Tisch ausgehende Gefährdung im Sinne der genannten Vorschrift lässt sich zunächst nicht damit begründen, dass der Tisch Normen oder anderen Spezifikationen nicht entspricht. Zwar können gemäß § 5 I ProdSG solche Normen bei der Beurteilung nach § 3 II ProdSG zugrunde gelegt werden. Das betrifft aber nur solche Normen, die auch für das in Rede stehende Produkt Geltung beanspruchen. Dies ist hier hinsichtlich im TÜV-Gutachten herangezogenen Norm DIN EN 1729 nicht der Fall, da diese Norm nur Möbel für Bildungseinrichtungen betrifft, während der beanstandete Kinderschreibtisch für den privaten Gebrauch bestimmt ist.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts können die Anforderungen dieser Norm auch nicht unter Hinweis auf die erhöhte Schutzbedürftigkeit von Kindern als Maßstab für die Auslegung von § 3 II ProdSG herangezogen werden. Schon der Wortlaut von § 5 I ProdSG („können zugrunde gelegt werden“) macht deutlich, dass technische Normen lediglich eine – wenn auch wichtige – Leitlinie für die Auslegung von § 3 II ProdSG sind. Damit wäre es unvereinbar, Normen für bestimmte Bereiche (hier: Tische für Bildungseinrichtungen) ohne weitere Prüfung auf andere Erzeugnisse (hier: Kinderschreibtische für den privaten Gebrauch) zu übertragen. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn beide Erzeugnisse hinsichtlich ihrer sicherheitsrelevanten Merkmale ohne weiteres miteinander vergleichbar wären. Davon kann hier jedoch nicht ausgegangen werden, da Tische in Bildungseinrichtungen, insbesondere Schulen, im Allgemeinen größeren Beanspruchungen und Belastungen ausgesetzt sind als Tische im privaten Bereich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Antragstellerin vorgelegten Gutachten des TÜV-… (Anlage BRP 6), das sich mit der Frage, ob und aus welchen Gründen die Norm DIN EN 1729 auf privat genutzte Kinderschreibtische anwendbar sein soll, nicht näher befasst, sondern sich im Auftrag der Antragstellerin auf die Prüfung beschränkt, ob der vom Antragsgegner angebotene Tisch den Anforderungen dieser Norm entspricht.

Da für privat genutzte Kinderschreibtische eine Norm nicht existiert, hängt die Beurteilung nach § 3 II ProdSG entscheidend davon, ob die vom TÜV konkret festgestellten Mängel – normunabhängig – so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Gefährdung von Sicherheit und Gesundheit von Personen im Sinne von § 3 II ProdSG führen. Dass von dem Tisch der Antragsgegnerin eine konkrete Gefährdung in diesem Sinn ausgeht, vermag der Senat den vom TÜV … getroffenen Feststellungen nicht mit hinreichender Gewissheit zu entnehmen.

Die nicht ausreichende Standsicherheit des vom Antragsgegner angebotenen Tischs würde zwar eine relevante Sicherheitsgefahr begründen. Insoweit bleibt der Tisch aber mit einem Kippwert von 500 N nur gering hinter dem Wert von 600 N zurück, den die DIN EN 1729 (sogar) für Tische in Bildungseinrichtungen vorschreibt. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Festlegung dieses Grenzwerts in der Norm den besonderen Beanspruchungen Rechnung trägt, denen Tische insbesondere in Schulen ausgesetzt sind. Unter diesen Umständen wird ein nicht wesentlich geringerer Kippwert von 500 N bei privat genutzten Kinderschreibtischen den Anforderungen an die Standsicherheit möglicherweise noch gerecht.

Im Übrigen hat der TÜV … im Wesentlichen bemängelt, dass der Tisch keine 90 Grad gerade Tischfläche habe, die Konstruktion der Fußgelenke nicht ausreichend biegesteif sei und der Tisch sich bei leichtem Druck bis zu 30 mm hin und her bewege. Diese Umstände mögen Qualitätsmängel hinsichtlich des Gebrauchszwecks und der Haltbarkeit belegen; sie lassen aber nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass der Tisch wegen dieser Mängel auch gefährlich ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Tisch im Hinblick auf diese Mängel bei normalem Gebrauch zusammenzubrechen droht und daher Verletzungen hervorrufen kann. Auch dazu enthält das Gutachten des TÜV … – bedingt durch den beschränkten Prüfauftrag – keine näheren Ausführungen.

Die Kostenentscheidung beruht für das Berufungsverfahren auf § 97 I ZPO und für das erstinstanzliche Verfahren auf § 92 II ZPO; bei der Kostenquote war zu berücksichtigen, dass – wie auch aus der Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren ersichtlich – dem Antrag zu 1) des Verfügungsbegehrens ein höheres Gewicht zukommt als dem Antrag zu 2).

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